Weiterbildung im zweiten Bildungsweg - Zwischen Notwendigkeit, Schwierigkeiten und Chancen Dr. Margitta Rudolph Direktorin des Weiterbildungszentrums der Universität Hildesheim Hannover, den 22. November 2012
Schwierigkeit Der Zweite Bildungsweg stellt immer noch ein Randthema sowohl in der Bildungsforschung wie auch der bildungspolitischen Öffentlichkeit dar. Gleichwohl ist die Aufgabe, die ihm zukommt, unschwer als zentrale Thematik der Bildungssteuerung auszumachen. Zwei Aspekte hoher Bedeutsamkeit: 1. Der institutionelle Funktionswandel, der die Stellung des Zweiten Bildungswegs im Bildungssystem beleuchtet. 2. Der Aspekt der Teilnehmerstruktur, der die Funktion deutlich macht, die dem Zweiten Bildungsweg heute für seine Teilnehmer objektiv zukommt.
Schwierigkeiten Nach dem 2. Weltkrieg - erste Kolleggründung zur Erlangung der Hochschulreife 1949 in Braunschweig Zielsetzung: Erfahrungen und Kenntnisse, die im Rahmen der Berufsausbildung erworben wurden, sinnvoll in der pädagogischen Arbeit zu nutzen. Vorstellungsbild: Der Volksschüler mit abgeschlossener Lehre findet über den Kollegbesuch den Weg zur Hochschule (Mitte der 50ger Jahre: 4,8% Abiturienten Bildungsnotstand) Dahrendorf 1959: Der Zweite Bildungsweg als Reservemechanismus der Sozialstruktur - Chancengleichheit Expansion: 70ger/80ger Jahre: 1965-11.700 TN 1975-26200 TN Beginn der 80ger: - 32610 TN Mit zunehmender (Akademiker-)Arbeitslosigkeit - Sättigung des Arbeitsmarktes - extremer Rückgang des ZBW's Nicht Reservemechanismus der Sozialstruktur, sondern Reservefonds der Wirtschaft?
Chancen Einrichtungen des Zweiten Bildungswegs teilen dem eigenen Anspruch nach Bildungschancen neu zu.. 1. Der Zweite Bildungsweg stand und steht unter dem Vorzeichen einer Chancengerechtigkeitskonstruktion, die sich auf die Unterstellung eines brachliegenden Bildungspotenzials Erwachsener gründet (von nachholenden Schulabschlüssen, Umschulungen bis zum Arbeiter-Abiturientenkurs). 2. In die Unterstellung eingeschlossen war und ist die Annahme, der Erste Bildungsweg löse häufig Selektionsprozesse aus, die zu früh einsetzen, deshalb Potenzial verschenken und daher an institutionell nachgelagerter Stelle aufgefangen werden sollten.
Skizze zum Forschungsstand Seit 1981 vermehrt empirische Studien zum ZBW Agnes Jansen - ZBW stellt eine echte Chance dar, die Barrieren des Ersten Bildungsweges zu einem späteren Zeitpunkt zu überwinden; Sigrid Jüttemann untersucht 1991 die Motivation von Teilnehmern_innen an Kollegs und Abendschulen; Gernod Oelmann stellt 1993 fest, dass die Klientel des ZBW sich verändert hat und dass die Einrichtungen mit ihren Angeboten darauf reagieren müssen; Günter Dresselhaus konstatiert 2001, dass die Zahl der Teilnehmenden mit dem Ziel 'Hauptschulabschluss' deutlich gestiegen ist; Hörmann, Lenz, Voigt untersuchen 2010 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales u. a. Kurse zum nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses um Parameter für die Bundesanstalt für Arbeit auszusprechen und kommen zu dem Ergebnis, dass die Verzahnung des allgemeinbildenden Schulsystems mit dem Übergangssystem verbessert werden muss. Entscheidend für höhere Erfolgsquoten ist die verbesserte Qualifizierung des Lehrpersonals; Das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung e. V. resümiert in seiner Studie in NRW 2011 Durch die erwähnte Änderung der Teilnehmerschaft sind die pädagogischen Herausforderungen für die Lehrenden im Zweiten Bildungsweg größer geworden. Dies gilt sowohl fachlich als auch methodisch. Die Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte und Sozialpädagog_innen im Zweiten Bildungsweg sollte vom Land initiiert und gefördert werden.
Schon Mitte der 1980er-Jahre befürworten Jütting/Scherer (1986) in einem Literaturbericht zum Zweiten Bildungsweg eine programmatische Neu-Konzeptionierung: Weg von der nachgeholten Hochschulreife in Kurzform hin zu einem System abschlussbezogener Weiterbildung als individuellem Qualifizierungsinstrument (vgl. Grätz 1998; vgl. Harney u.a. 2005), an das eine lerndiagnostisch unterstützte Beratung angeschlossen werden kann. Notwendigkeit Die Relevanz der Thematik wird daran erkennbar, dass mittlerweile 30% der ehemaligen Hauptschüler, 30% der ehemaligen Realschüler und 25% ehemaliger Gymnasiasten später höherwertige Schulabschlüsse nachholen. (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, S. 195).
Niedersachsen (MK) Der zweite Bildungsweg umfasst die Schulformen Abendgymnasium und Kolleg. Zum Besuch des Abendgymnasiums und des Kollegs ist berechtigt, wer im ersten Halbjahr des Schuljahres, in dem die Aufnahme erfolgt, das 19. Lebensjahr vollendet, eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine mindestens zweijährige Berufstätigkeit nachweisen kann und einen mittleren Schulabschluss (Realschulabschluss) erworben hat. Kann der Schulabschluss nicht nachgewiesen werden, muss zunächst ein Vorkurs besucht und erfolgreich abgeschlossen werden. Der Schulbesuch am Abendgymnasium und Kolleg dauert drei Jahre. Ziel des Unterrichts ist die Erlangung der allgemeinen Hochschulreife. Die Abiturprüfung wird nach denselben Verfahrensbestimmungen wie am Gymnasium durchgeführt. Es ist auch möglich, die Fachhochschulreife zu erwerben. Berlin (Senatsverwaltung f. Bildung, Wissenschaft und Forschung) Zweiter Bildungsweg Der zweite Bildungsweg eröffnet Ihnen die Möglichkeit, einen gewünschten Abschluss, den Sie in der Schulzeit nicht erreicht haben, nachzuholen. Das Berliner Bildungssystem bietet die Chance, sich durch lebenslanges Lernen persönlich weiterzuentwickeln und auf die sich verändernden Anforderungen des Berufslebens zu reagieren. Brandenburg (MBJS) Zweiter Bildungsweg (ZBW) Schulabschlüsse für Erwachsene Wer als Erwachsener die erste schulische Bildungsphase bereits abgeschlossen hat, ins Berufsleben eingetreten ist und nun höherwertige schulische Abschlüsse (einschließlich sonstiger schulischer Berechtigungen wie den schulischen Teil der Fachhochschulreife oder das Latinum und das Graecum) erwerben will, hat die Möglichkeit, auch nachträglich schulische Abschlüsse zu erwerben. Erworben werden können alle allgemein bildenden schulischen Abschlüsse der Sekundarstufe I (Hauptschulabschluss/Berufsbildungsreife, erweiterter Hauptschulabschluss/erweiterte Berufsbildungsreife und Fachoberschulreife) und II (allgemeine Hochschulreife).
Evaluation der AEWB zum Zweiten Bildungsweg in Niedersachsen (Sonderfonds) Aus der Befragung der Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung von 2009 geht folgendes hervor: Die Evaluationen und Erfahrungsberichte, die bisher regional begrenzt vorliegen, zeigen ein unzureichendes Bild, weisen aber in ihrer Tendenz daraufhin, dass - die Teilnehmer/innen immer schwieriger werden, - die Abbrecherquoten relativ hoch sind und - es zu wenige erfolgreiche Abschlüsse gibt.
Hindernisse Es liegen darüber hinaus keine umfassenden Daten über - die Quantität und Struktur der Angebote, - die finanzielle und personelle Ausstattung der entsprechenden Bildungsträger, - die Konzepte, - die Qualifikation und Weiterbildung der Lehrkräfte, - Qualität des Unterrichts und - teilnehmerorientierte und lebensweltorientierte Ausrichtung, - den weiteren beruflichen Werdegang der Teilnehmer/innen, - komplette Fächerstrukturen, - Schlüsselkompetenzbereiche vor.
Chancen Heute übernimmt der Zweite Bildungsweg auch weitere Funktionen des Ersten Bildungswegs wenn er z.b. Teilnehmer_innen mit Migrationshintergrund unterstützt und Teilnehmer_innen mit Benachteiligungen im sozialen, kulturellen oder sprachlichen Bereichen fördert und zu einem Schulabschluss führt. Es gilt: Im Umgang mit einer schwierigen Klientel die Entwicklungschancen des Systems auszuloten, Die 'Brille wechseln' = eine problematische Schülerschaft als Menschen mit besonderen Lernbedürfnissen wahrnehmen.
Notwendigkeiten Entwicklungschancen ausloten - Systemische Qualitätsverbesserung In den Bereichen Ergebnisse und Erfolge der anbietenden Einrichtung Lernkultur Qualität der Lehr-Lernprozesse, Organisations-/Schulkultur Organisations-/Schulmanagement Lehrerprofessionalität und Personalentwicklung Ziele und Strategien der Qualitätsentwicklung Bedarfserschließung Evaluation Controlling Kundenkommunikation Strategische Entwicklungsziele
Notwendigkeiten Menschen mit besonderen Lernbedürfnissen begegnen, indem folgende Aspekte eine höhe Bedeutung bekommen: Outputorientiert denken und planen, Bildungsstandards optimieren, heterogene Lerngruppen als Chance begreifen, Lerninhalte berufs- und lebensweltorientiert auswählen, Lernatmosphäre gestalten, präventiv arbeiten und Konflikte lösen können. Konsequenz: Um erfolgreich zu unterrichten, braucht es Handlungskompetenzen bei Lehrkräften, die die genannten Ansprüche erfüllen können.
Notwendigkeiten Professionalisierung von Lehrkräften Fachliche Kenntnisse erweitern, Methodisch-didaktische Arbeitsweisen optimieren, Kompetenzorientierte Planungen gestalten, Diagnostische Kenntnisse erweitern, Lernblockaden erkennen und abbauen helfen, Binnendifferenziert unterrichten können, Classroom-Management in heterogenen Lerngruppen anwenden, Lösungsorientierte Formen der Kommunikation anwenden, Gezielter Austausch mit Kollegen_innen (z. B. Peer-review).
Chancen Niedersachsen ergreift Chancen! Einige der genannten Punkte finden Sie in den Foren der Fach- und Schlüsselkompetenzmodule wieder Andere Kernaspekte müssen noch weiter vorangetrieben werden, damit die Arbeit im ZBW noch gelingender angelegt werden kann. Die Universität Hildesheim freut sich, dass Sie in der Zusammenarbeit mit der Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung einen wichtigen Schritt in 'die richtige Richtung' mitgestalten konnte. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!