Vahlens Lernbücher für Wirtschaft und Recht. Personalmanagement. von Prof. Dr. Ewald Scherm, Stefan Süß. 2., überarbeitete und ergänzte Auflage

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Transkript:

Vahlens Lernbücher für Wirtschaft und Recht Personalmanagement von Prof. Dr. Ewald Scherm, Stefan Süß 2., überarbeitete und ergänzte Auflage Personalmanagement Scherm / Süß schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Thematische Gliederung: Personal und Arbeit Personalmanagement Verlag Franz Vahlen München 2010 Verlag Franz Vahlen im Internet: www.vahlen.de ISBN 978 3 8006 3708 9 Inhaltsverzeichnis: Personalmanagement Scherm / Süß

4 Arbeitszeit 139 Stellenaufgaben. Mit zunehmender Komplexität und Spezialisierung der Stellen sinkt die Möglichkeit der Teilzeitarbeit. Gleiches gilt, wenn die Aufgabenerfüllung an starre Termine gebunden ist, die einer Teilzeitarbeit widersprechen. Außerdem müssen die Mitarbeiter mit einer anteiligen Entgeltreduzierung einverstanden sein. Für Mitarbeiter kann Teilzeitarbeit den Vorteil einer höheren Flexibilität und der Vereinbarkeit mit anderen, außerhalb der Arbeit liegenden Aufgaben (z. B. Kindererziehung) bieten. Auf Unternehmensseite muss der steigende Koordinationsaufwand berücksichtigt werden, den die mit den Teilzeitregelungen tendenziell steigende Mitarbeiterzahl verursacht. Eine Sonderform der Teilzeitarbeit stellt das Job Sharing dar, bei dem sich zwei Mitarbeiter eine Stelle und die Stellenaufgaben teilen; damit ist in der Regel eine gegenseitige Vertretungsverpflichtung verbunden (vgl. Ladwig 2003, S. 855 856). Einschichtarbeit erfolgt innerhalb der täglichen Soll-Arbeitszeit. Mehrschichtarbeit sieht zwei oder mehr Schichten am Tag vor, die nacheinander liegen und dafür sorgen, dass die Betriebszeit über die tägliche Arbeitszeit hinaus ausgedehnt werden kann. Mehrschichtarbeit wird eingesetzt, wenn technisch bedingte Kapazitätsengpässe bestehen, Produktionsanlagen ausgelastet werden müssen oder Bereitschaftspflichten gegeben sind. Bei der Aufstellung eines Schichtplans müssen daher die unternehmensspezifischen Besonderheiten Berücksichtigung finden (vgl. Drumm 2008, S. 158 160). Auf Seiten des Mitarbeiters kann die Mehrschichtarbeit zu außergewöhnlichen Belastungen führen, die aus der Arbeit zu ungewohnten oder wechselnden Zeiten resultieren. Vielfach wird dem durch Entgeltzulagen entsprochen. In der Literatur finden sich verschiedene Gründe für eine Arbeitszeitflexibilisierung, d. h. die Abkehr von starren chronologischen und chronometrischen Arbeitszeitregelungen (vgl. z. B. Ladwig 2003, S. 582 853; Drumm 2008, S. 160 162): Durch die Flexibilisierung erhöht sich die Kapazitätsausnutzung und es besteht damit eine verbesserte Möglichkeit der Anpassung an Nachfrageschwankungen. Die Flexibilisierung, insbesondere hinsichtlich der chronometrischen Dimension, kann den Personalabbau bei Restrukturierungen, Fusionen und Übernahmen reduzieren. Für die Flexibilisierung der Arbeitszeit sprechen soziale und arbeitsphysiologische Gründe; es wird individuellen Lebensumständen Rechnung getragen und eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf ermöglicht (Work-Life-Balance; vgl. I, 3). Nicht zuletzt stellt die Individualisierung der Arbeitszeit einen Anreiz dar, der positiv auf die individuelle Motivation und Leistung sowie letztlich auf die Produktivität des Unternehmens wirken soll. Sowohl in der Unternehmenspraxis als auch in der Literatur ist die Zahl der Flexibilisierungsformen nahezu unbegrenzt (vgl. z. B. Drumm 2008, S. 162 165). Flexibilisierung kann durch eine Variation der Dauer Mehrschichtarbeit folgt unternehmensspezifischen Anforderungen bessere Kapazitätsnutzung Reduzierung von Personalabbau soziale und arbeitsphysiologische Gründe Individualisierung

140 gleitende Arbeitszeit variable Arbeitszeit Langzeitkonten Die Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit ist vor allem mit der schrittweisen Erhöhung des Renteneintrittsalters in die Diskussion gekom- Bandbreitenmodelle Lebensarbeitszeitkonten Teil VI Vergütung und Arbeitszeit und der Lage der Arbeitszeit erfolgen; beide lassen sich miteinander kombinieren. Im Rahmen der chronologischen Flexibilisierung kann unterschieden werden, ob die Maßnahmen kurzfristig oder langfristig angelegt sind. Für die kurzfristige Flexibilisierung der Arbeitszeit sind Bandbreitenmodelle geeignet, bei denen eine vier- bis sechs-tage-woche bei entsprechender Variation der Tagesarbeitszeit gewählt wird. Eine weitere Form stellt die gleitende Arbeitszeit dar, die inzwischen in die meisten Arbeitsbereiche Eingang gefunden hat und als das Standardmodell der begrenzten Flexibilisierung von Arbeitszeitverhältnissen gilt. Gleitende Tagesarbeitszeit besteht aus einer Rahmenzeit, innerhalb derer zwei Gleitzeitphasen und eine Kernzeitphase liegen. Arbeitsbeginn und Arbeitsende sind innerhalb der Gleitzeiten individuell festlegbar; die Abstimmung in Arbeitsgruppen wird dabei vorausgesetzt. Eine Flexibilisierung der Wochenarbeitszeit kann durch Wochengleitzeitmodelle mit Kern- und Gleitzeittagen erfolgen. Außerdem sind Variationen der Sollarbeitszeit bzw. der Arbeitstage pro Woche möglich. Eine vollkommen variable Arbeitszeit mit Verzicht auf jegliche Rahmen- und Kernzeit hat sich aufgrund der großen Koordinationserfordernisse nicht durchgesetzt. Im Rahmen der langfristigen Flexibilisierung der Arbeitszeit haben in der Vergangenheit Arbeitszeitkonten Verbreitung erlangt. Darunter werden Systeme zur Erfassung der individuell geleisteten Arbeitszeit verstanden, die eine Verrechnung von Überstunden und Kurzarbeit vornehmen (vgl. Kroll 2004, S. 38 40). Durch Langzeitkonten (z. B. Jahresarbeitszeitvereinbarungen) soll ein Ausgleich der beispielsweise in Folge von Konjunkturschwankungen auftretenden Über- oder Unterauslastungen erreicht werden. Daneben sind auf diesem Wege jahreszeitlich bedingte Schwankungen der Kapazitätsauslastung zu kompensieren. In der Regel ist der Ausgleich der Konten innerhalb eines definierten Zeitraums unter Berücksichtigung der Anforderungen im Unternehmen vorgesehen. Handelt es sich um Lebensarbeitszeitkonten, wird älteren Arbeitnehmern durch Zeitguthaben die Möglichkeit eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand gegeben, womit gegebenenfalls der gleitende Einstieg eines jungen Mitarbeiters gekoppelt sein kann. Um den Einkommensverlust in Grenzen zu halten, besteht in der Regel die Möglichkeit, im Laufe der Jahre ein Zeitguthaben anzusparen. Dies gilt in analoger Form für Sabbaticals, d. h. mehrmonatige Arbeitsunterbrechungen für Weiterbildungsmaßnahmen oder Langzeiturlaube. Es sind aber verschiedene rechtliche Regelungen zu treffen, unter anderem Vorkehrungen für den Insolvenzfall, damit den Arbeitnehmern die Guthaben nicht verloren gehen, und für die Übertragbarkeit bei einem Wechsel des Unternehmens (vgl. Kroll 2004).

4 Arbeitszeit 141 men. Dabei ist grundsätzlich eine chronometrische und eine chronologische Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit möglich; in der Praxis haben sich seit Beginn der 1990er Jahre verschiedene Lebensarbeitszeitmodelle entwickelt (vgl. Drumm 2008, S. 271). Diese basieren auf der Idee, ein so genanntes Lebensarbeitszeitkonto zu führen, auf dem Arbeitnehmer Arbeitszeit ansparen können. Aus individueller Perspektive wird das wesentliche Motiv dafür in einer Freistellung bereits vor dem offiziellen Eintritt in den Ruhestand gesehen. Starke Verbreitung hat in diesem Zusammenhang das Zeit-Wertpapier gefunden, das ursprünglich bei Volkswagen entwickelt wurde und inzwischen auch in anderen Unternehmen eingesetzt wird. Das Zeit-Wertpapier speist sich aus verschiedenen Quellen, z. B. Leistungs- und Soziallohn, Überstunden, Urlaub oder Prämien. Zeitkonten können in Geld umgewandelt werden, das beispielsweise in die Altersversorgung einfließt. Steuern und Sozialabgaben werden erst bei der späteren Nutzung der Zeit-Werte fällig. Gegen Ende des Berufslebens ist dann zu entscheiden, ob das Zeit-Wertpapier für eine Lebensarbeitszeitverkürzung oder als (zusätzliche) Betriebsrente genutzt wird. Ein früherer oder ein gleitender Übergang in den Ruhestand wird durch Altersteilzeit beabsichtigt. Sie ist für Mitarbeiter ab dem 55. Lebensjahr grundsätzlich möglich. Im Altersteilzeitgesetz (AltTZG) von 2004 ist geregelt, dass die Altersteilzeit nur noch bis Ende 2009 begonnen werden darf; im Bundestagswahlkampf 2009 wurden jedoch verschiedene Positionen deutlich, die eine Verlängerung der Regelungen befürworteten (Stand 08/2009). Die politische Zielsetzung besteht dabei darin Anreize zu schaffen, die frei werdenden Arbeitsplätze durch Arbeitslose oder Auszubildende neu zu besetzen. Es finden sich zwei Gestaltungsoptionen der Alterteilzeit: Bei der kontinuierlichen Altersteilzeit reduziert der Mitarbeiter über den ganzen Zeitraum der Altersteilzeit seine Arbeitszeit auf die Hälfte seiner ursprünglichen Arbeitszeit. Im so genannten Blockmodell wird die Altersteilzeit in zwei gleich lange Beschäftigungsphasen unterteilt. Während der Arbeitnehmer in der Arbeitsphase in vollem Umfang weiter arbeitet, wird er in der zweiten so genannten Freistellungsphase von seiner Arbeitspflicht entbunden. Dieses Modell wird von einem Großteil der Arbeitnehmer gewählt, die sich für Alterteilzeit entscheiden. Die Vergütung des Arbeitsnehmers wird jeweils proportional zur Reduzierung der Arbeitszeit verringert. Zu einem geringen Teil wird dies durch einen seitens der Bundesagentur für Arbeit gezahlten, steuerfreien Aufstockungsbetrag ausgeglichen. Auch wenn die Regelungen zur Alterteilzeit in der Praxis gut angenommen worden sind, ist offen, inwieweit die damit verfolgten Zielsetzungen erreicht werden. Da die Unternehmen die Alterteilzeit teilweise zum Stellenabbau nutzen, bleibt der politisch gewollte Beschäftigungseffekt gering. Allerdings ist auch eine Nachbesetzung Lebensarbeitszeitmodelle zwei Gestaltungsoptionen Erreichung der Ziele fraglich

142 Teil VI Vergütung und Arbeitszeit von im Zuge der Altersteilzeit frei werdenden Stellen nicht immer effizient möglich. Als nachteilig wird von Unternehmen der hohe Aufwand gesehen, der mit der Beantragung und Durchführung der Altersteilzeit verbunden ist. Aus individueller Perspektive ermöglichen die Regelungen einen früheren oder gleitenden Eintritt in den Ruhestand, der insbesondere zu begrüßen ist, falls die Leistungsfähigkeit und die Motivation eines älteren Arbeitnehmers nachlassen. Allerdings muss dieser über einen entsprechenden finanziellen Hintergrund verfügen, um die Einkommenseinbußen ohne spürbare Reduzierung des Lebensstandards verkraften zu können.

5 Individualisierung der Anreizgestaltung Anreize können nur dann ihre optimale Wirkung entfalten, wenn sie auf die jeweilige Motivstruktur des Mitarbeiters abgestimmt sind. Es gibt deshalb Konzepte, die dem Mitarbeiter eine begrenzte Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Anreizen eröffnen und unter der Bezeichnung Cafeteria-System bekannt sind. Dabei wird dem Mitarbeiter die Wahl zwischen verschiedenen Entgeltbestandteilen und anderen (geldwerten) Leistungen überlassen. Auch ein Tausch zwischen Geld und Arbeitszeit ist innerhalb eines bestimmten Budgets entsprechend der individuellen Bedürfnisse möglich. Dem Mitarbeiter bietet dies ökonomisch betrachtet die Möglichkeit, seinen eigenen Nutzen zu steigern, da er Anreize nach individuellen Präferenzen wählen kann. In den USA sowie in amerikanischen internationalen Unternehmen sind Cafeteria-Systeme weit verbreitet; sie etablieren sich auch in Europa. Notwendige Voraussetzung dafür ist ein Angebot alternativer Anreize. Außerdem müssen aufgrund veränderlicher Bedürfnisse und Lebensumstände Revisionsmöglichkeiten gegeben sein. Vor der Einführung eines Cafeteria-Systems ist zu klären, welche Mittel nach Möglichkeit kostenneutral für ein Cafeteria-Budget zur Verfügung gestellt werden. Grundsätzlich kann sich das Budget auf die jährlichen Entgeltsteigerungen beschränken oder durch eine Neu struk turierung des gesamten Systems der Entgelte und Zusatzleistungen gewonnen werden. Im Tarifbereich lässt sich nur in Abstimmung mit den Gewerkschaften und dem Betriebsrat ein nennenswertes Budget schaffen. Das fällt umso leichter, je deutlicher gemacht werden kann, dass sich dahinter keine materiellen Verschlechterungen verbergen, sondern individuelle Nutzensteigerungen zu erzielen sind. Daneben ist die Entscheidung zu treffen, welche Cafeteria-Optionen angeboten werden. Die Möglichkeiten reichen von Barzahlungen über Altersversorgung, Versicherungsleistungen, Erfolgsbeteiligungen und Sachleistungen (Dienstwagen, Job-Ticket, Parkplatz, Wohnung) bis hin zur Gewährung von Freizeit (kürzere Wochen- oder Jahresarbeitszeit, Verkürzung der Lebensarbeitszeit, längerer Urlaub) (vgl. Wagner 2004). Bei der Auswahl kann einerseits völlige Wahlfreiheit zwischen den verschiedenen Einzelalternativen bestehen, wodurch aber hohe (Transaktions-)Kosten der Vergabe entstehen. Alternativ können verschiedene Anreize zu Paketen gebündelt werden. Das Wahlverhalten des Einzelnen ist von unter schiedlichen Faktoren wie z. B. Lebensalter, Familienstand, Familieneinkommen oder Risikoneigung beeinflusst. Wahlmöglichkeit zwischen Entgeltbestandteilen und geldwerten Leistungen Cafeteria-Budget begrenzt völlige Wahlfreiheit vs. Anreizpakete

144 Bestimmung der Austauschrelationen geringe Individualisierbarkeit der Vergütung Teil VI Vergütung und Arbeitszeit Schwierigkeiten liegen vor allem darin, Austauschrelationen zwischen den Anreizen zu finden, die den Präferenzordnungen der Mitarbeiter weitgehend entsprechen, gleichzeitig aber die Wirtschaftlichkeit des Anreizsystems nicht gefährden. Für einheitliche Relationen sprechen die Transparenz und die einfachere Handhabung. Individuelle Relationen würden den Nutzen, aber auch die Kosten erhöhen und aufgrund des sozialen Vergleichs zwischen den Mitarbeitern Probleme bergen. Die Verbreitung der Cafeteria-Systeme erfährt bisher noch weitreichende Einschränkungen, da die skizzierten Cafeteria- Optionen zumeist aus dem Bereich der freiwilligen Sozialleistungen kommen. Außerdem sorgt die in Deutschland weitgehende institutionelle Regelung der Vergütung dafür, dass nur ein Bruchteil kurzfristig disponibel und individualisierbar ist. Daher richtet sich gegenwärtig eine Vergütung nach dem Cafeteria-System in erster Linie an Führungskräfte. Kontrollfragen zu Teil VI 1. Was versteht man unter Anreizen und welche Formen können unterschieden werden? 2. Auf welchen Informationsgrundlagen basiert die Anreizgestaltung? 3. Wie lassen sich die verschiedenen Verfahren der Arbeitsbewertung differenzieren? 4. Was versteht man unter Entgelt? Welche theoretischen Erklärungen für seine Existenz und Höhe gibt es? 5. Welche Formen des Leistungslohns gibt es? 6. Welche Ziele verfolgen Unternehmen mit Soziallohn? 7. Welche Formen der Altersversorgung können unterschieden werden? 8. Wodurch unterscheiden sich Erfolgs- und Vermögensbeteiligung? Welche Ziele werden damit verfolgt? 9. Inwiefern stellt die Flexibilisierung der Arbeitszeit einen immateriellen Anreiz dar? Welche Flexibilisierungsformen gibt es? 10. Welche Gründe sprechen für eine Individualisierung der Anreiz ge s taltung? Welche Probleme sind damit verbunden?

5 Individualisierung der Anreizgestaltung 145 Fallbeispiel: Variable Vergütung im Communication-Center Die DDS Dresdner Direktservice GmbH ist ein Communication- Center mit über 500 Mitarbeitern. Die zentrale Aufgabe besteht darin, die Kundenbeziehungen für das Mutterunternehmen, die Dresdner Bank AG, durchzuführen. Da die Aus lastung von Callbzw. Communication-Centern in hohem Maße von der Konjunktur abhängt, ist Flexibilität im Allgemeinen von großer Bedeutung. Vor diesem Hintergrund wurde gemeinsam mit einer Unternehmensberatung auch das Vergütungssystem überarbeitet. Durch das neue System sollte ein aktiver Beitrag geleistet werden, um schwierige Marktsituationen zu überstehen und den zukünftigen Unternehmenserfolg abzusichern bzw. zu steigern. Bei den Mitarbeitern sollte die individuelle Leistung und Kreativität stärker als bisher honoriert werden, um die Akquise bzw. Bindung von Leistungsträgern zu erleichtern. Dabei waren drei Kriterien zu erfüllen: Das neue Vergütungssystem sollte (1) für alle Mitarbeiter einheitlich sein, (2) im Einklang mit der Unternehmenskultur stehen und (3) die durch schnittlichen Personalkosten nicht erhöhen. Entstanden ist ein Vergütungssystem, das mit Grundgehalt und variabler Vergütungskomponente zwei zentrale Bausteine enthält. Das Grundgehalt wird in Form eines in zwölf monatlichen Grundvergütungen ausgezahlten Jahreszielgehalts gewährt. Seine Höhe richtet sich danach, in welches der fünf (überlappenden) Gehaltsbänder ein Mitarbeiter eingeordnet ist. Darin werden Stellen zusammengefasst, die hinsichtlich fachlicher und methodischer Anforderungen sowie Managementverantwortung eine ähnliche Wertigkeit aufweisen. Entwickelt sich ein Mitarbeiter langfristig überdurchschnittlich, kann er in die nächsthöhere Stufe aufsteigen. Die variable Komponente bestimmt sich nach der Erreichung der Unternehmensziele (20 %), Gruppenziele (40 %) und individuellen Ziele (40%), die vereinbart und auf einer Zielkarte festgehalten werden. Der Zielerreichungsgrad bestimmt, ob der Mitarbeiter mehr oder weniger als 100 % des variablen Vergütungsanteils erhält. Mitarbeitern bietet sich bei Zielübererfüllung die Chance, eine höhere Vergütung als im alten System zu erreichen. Sie werden damit am Unternehmenserfolg beteiligt und entlasten umgekehrt in schwierigen Situationen wenn Unternehmensziele nicht erreicht werden das Personalkostenbudget. Das System ermöglicht dem Unternehmen bei der Einstellung neuer Mitarbeiter größere Handlungsspielräume. Die Einstufung in ein Gehaltsband kann flexibel erfolgen: Wird ein bestimmter Mitarbeiter unbedingt benötigt, kann ein höheres Einstiegsgehalt gezahlt werden. Im Rahmen der Beschäftigung hängt der Auf- bzw.

146 Teil VI Vergütung und Arbeitszeit Abstieg in neue Gehaltsstufen von der langfristigen Leistung ab und wird von dem Vorgesetzen in einem einmal jährlich stattfindenden Feedbackgespräch erläutert. Dadurch erreicht man eine Leistungsdifferenzierung der Vergütung und leistungsunabhängige Kriterien (z. B. Seniorität) werden verdrängt. Damit es durch eine zu hohe Zahl an Aufstiegen in das nächsthöhere Gehaltsband nicht zu einer ungewollten Steigerung der Personalkosten kommt, entscheidet die Geschäftsleitung jährlich über das Personalkostenbudget und damit die möglichen Gehaltserhöhungen. Neben dem Vergütungssystem wurde versucht, im Rahmen der Arbeitszeitge stal tung Flexibilität zu schaffen. Dies ist aufgrund der variablen und konjunkturabhängigen Auslastung des Communication-Centers ein entscheidender Vorteil. Dazu entwickelte man ein Sabbatical, bei dem das Unternehmen dem Mitarbeiter eine drei bis sechs Monate lange Auszeit anbietet. Während der Auszeit erhält der Mitarbeiter 30 % seiner Vergütung und die Garantie, nach dem (freiwilligen) Sabbatical wieder zu gleicher Bezahlung und auf der gleichen Stelle beschäftigt zu werden. Damit das möglich ist, wird der Mitarbeiter auch während der Auszeit an der Kommunikation im Unternehmen beteiligt. Individuell kann diese Zeit zur Weiterbildung oder zur Realisierung persönlicher Ziele genutzt werden. Quelle: Meussen, Peter/Stehr, Susanne: Mehr Luft zum Atmen, in: Personalwirtschaft 29 (9/2002), S. 22 27 Fragen zum Fallbeispiel 1. Welche Vorteile bringt dieses Vergütungssystem für Unternehmen und Mitarbeiter mit sich? 2. Wie beurteilen Sie das Vergütungssystem vor dem Hintergrund der Über le gungen der Prinzipal-Agent-Theorie? 3. Welche Schwierigkeiten im Rahmen der Arbeitsbewertung und Leistungs beurteilung müssen gelöst werden, um das skizzierte System erfolgreich zu implementieren? 4. Können die von dem Unternehmen verfolgten Ziele der Einheitlichkeit des Vergütungssystems für alle Mitarbeiter und der Kostenneutralität bzw. -redu zierung auf Dauer durch das neue System erreicht werden? 5. Warum kann die Möglichkeit des Sabbaticals für Unternehmen und Mitar beiter Vor- und Nachteile mit sich bringen?