Interkulturelle Kompetenz von Anfang an Erziehung und Entwicklung in Familien mit : Präsentation am 04.10.2017 in Duisburg Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung Professor für Moderne Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen Kontakt: haci.uslucan@uni-due.de uslucan@zfti.de ww.uslucan.de Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 1 Seite 1
Gliederung des Vortrags I. Vielfalt als Normalität in Deutschland II. Elterliche Erziehung im interkulturellen Kontext Grundlagen interkultureller Kompetenz III. Wie gut kennen Eltern mit Erziehungs- und Ernährungsangebote? Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 2 Seite 2
2 Jeder fünfte Einwohner hat einen Migrationshinter-grund; bei den Kindern bereits jedes dritte. Quelle: Statistisches Bundesamt 2015, Fachserie 1 Reihe 2.2 Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 3 Seite 3
3 Die Bevölkerung wird immer vielfältiger; große Herkunftsgruppen nehmen ab, Minigruppen dagegen zu. 1970 2014 Pakistan 1% Slowakei 1% Kasachstan 1% Sonstige 15% Tschechien 1% Türkei 19% Thailand 1% Iran 1% Afghanistan 1% Marokko 1% Indien 1% Mazedonien 1% Vietnam 1% Polen 8% Irak 1% Großbrit. 1% USA 1% China 1% Syrien 1% Italien 7% Frankreich 2% Ukraine 2% Portugal 2% Rumänien 4% Niederlande 2% Spanien 2% Griechenland 4% Ungarn 2% Kroatien 3% Bosnien 2% Serbien 3% Bulgarien 2% Russland 3% Österreich 2% Kosovo 2% Quelle: Statistisches Bundesamt 2014, Ausländerzentralregister Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 4 Seite 4
Zunehmende religiöse Diversität: Der Anteil der Christen in der Bevölkerung ist auf ca. 61% zurück gegangen. Religiöse Zugehörigkeiten in Deutschland, 1970 / 1987 / 2011 100% 80% 60% 6,4 44,6 15,4 43,0 38,8 Darin sonstige religiöse Zugehörigkeiten mit Anteil an Gesamtbevölkerung (2011): - muslimisch ca. 5,0 % - freikirchlich ca. 1,9 % - orthodox ca. 1,8 % - esoterisch ca. 1,2 % - buddhistisch ca. 0,3 % - hinduistisch ca. 0,1 % - jüdisch ca. 0,1 % 40% 30,9 20% 49,0 41,6 30,3 0% 1970 1987 2011 evangelisch katholisch konfessionsfrei/sonstige/keine Angabe Quelle: Statistisches Bundesamt 1974, 1990, 2013q; Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e. V. 2013; Haug/Müssig/Stichs 2009; eigene Darstellung Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 5 Seite 5
III. Elterliche Erziehung im interkulturellen Kontext 1 Elterliche Erziehungsstile 5 Kindliche Bereitschaft sich erziehen zu lassen Elterliche Erziehungsziele und -werte 4 6 2 Elterliches Erziehungsverhalten 3 Kindliche Entwicklungsmerkmale Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 6 Seite 6
Veränderte Rahmenbedingungen familiärer Erziehung Struktureller Wandel der Haushaltsformen Veränderte Wert- und Erziehungsmuster Prekäre Bedingungen der innerfamiliären Beziehungsgestaltung Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 7 Seite 7
Erziehungsziele in den 1950er bis 1970er Jahren Gehorsam Ehrlichkeit Ordnung Hilfsbereitschaft Reinlichkeit Verträglichkeit gute Manieren Fehlen von Opposition Ab den 1980er Jahren und danach Selbständigkeit Selbstbewusstsein Selbstverantwortlichkeit Kritikfähigkeit Zuverlässigkeit Hilfsbereitschaft Quelle: Sturzbecher, D. & Waltz, C. (1998). Erziehungsziele und Erwartungen in der Kinderbetreuung. In D. Sturzbecher (Hrsg.), Kinderbetreuung in Deutschland (S. 86-104). Freiburg i.br.: Lambertus. Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 8 Seite 8
Elterliche Erziehungsmuster Emotionale Unterstützung/Wärme + _ + Autoritativer Erziehungsstil Autoritärer Erziehungsstil _ Laisser- Nachgiebiger Erziehungsstil faire Ablehnendvernachlässigender Erziehungsstil (Typologie vom Maccoby & Martin, 1983; in Anlehnung an Baumrind, 1983) Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 9 Seite 9
Entwicklungsfolgen für Kinder Kinder... zeigen Kognitive Selbstwirk- Prosoziales Problem- Kompetenz samkeit verhalten verhalten vernachlässigender Eltern niedrigste niedrigste niedrigstes höchstes nachgiebiger Eltern mittlere mittlere mittleres dritthöchste autoritärer Eltern mittlere mittlere mittleres zweithöchste autoritativer Eltern höchste höchste höchstes niedrigstes Quelle: Baumrind, D. (1989). Rearing competent children. In W. Damon (Ed.), Child development today and tommorrow (pp. 349-378). San Francisco: Jossey-Bass. Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 10 Seite 10
Konvergenz der Forschungsbefunde Erziehungskompetente Eltern haben kompetente Kinder Aber: autoritativer Erziehungsstil nicht kulturübergreifend wirksam Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 11 Seite 11
Typische Probleme: Kinder akkulturieren sich schneller, entfernen sich dadurch mehr von den Eltern (Spannungen zwischen den Generationen); Parentifizierung von Kindern Repräsentation ohne Legitimation bei zugeheirateten Männern: (in der Familienforschung riskanteste Paarkonstellation): ungünstige Vorbildfunktion Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 12 Seite 12
Frühere Befunde zu Erziehungsstilen türkischer Migrantenfamilien Rangreihe der Erziehungsziele türkischer Eltern (Scherberger, 1999) Rangplatz Erziehungsziel I II III IV V Selbstständigkeit/Verantwortung 12 5 7 14 12 Lernen/Leistungsstreben 9 8 14 11 8 Gehorsam/Ordnung 8 11 17 3 11 Rücksichtnahme/Ehrfurcht 11 10 11 12 6 Religiöse Pflichterfüllung 10 16 1 10 13 Insgesamt (n = 50) 50 50 50 50 50 Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 13 Seite 13
Rangreihe der Erziehungsziele deutscher Eltern (Scherberger, 1999) Erziehungsziel Rangplatz I II III IV V Selbstständigkeit/Verantwortung 25 14 4 6 1 Lernen/Leistungsstreben 16 21 8 3 2 Gehorsam/Ordnung - 7 10 25 8 Rücksichtnahme/Ehrfurcht 9 8 21 7 5 Erziehung zum christlichen Glauben - - 7 9 34 Insgesamt (n = 50) 50 50 50 50 50 Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 14 Seite 14
Typologie: Wert und Stellung von Kindern anhand der Namensgebungen: Religiöse Namen: Ahmet, Mehmet, Mahmut, Nureddin, Seyfeddin, Osman, Ömer, Ali (männlich); Ayse, Fatma, Hatice, Emine (weiblich) Namen als Familienprogramm und familiale Positionsanzeiger: Murat, Ümit, Ilknur, Songül, Yeter Namen als Träger der Tradition: Namen der eigenen Eltern insbesondere bei dem ersten Kind; Generationenkette nach dem A-B-A-B Modell. Modische Namen, internationale Namen, ereignisbezogene Namen: Deniz, Yasmin, Cigdem, Baris, Devrim, Bülent, etc. Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 15 Seite 15
Exemplarische Ressourcen von Familien mit (muslimischer) : gesundheitsfördernde kulturelle Muster der Lebensführung wie bspw. ein günstigeres Stillverhalten von Müttern; niedrigerer Tabak- und Alkoholkonsum von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (Robert-Koch-Institut 2008). Muslimische Migrantenfamilien in ähnlichen widrigen Umständen wie Einheimische (Armut, Arbeitslosigkeit, Deprivation etc.): durch eine stärkere Kohäsion ihrer verwandtschaftlicher und familialer Netzwerke bessere Verarbeitung sozialer Benachteiligungen als Einheimische (Thiessen 2007). Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 16 Seite 16
Stolpersteine und Ressourcen Einerseits: Forderung nach Mitarbeitern mit gleichem ethnischem Hintergrund Andererseits: Problem der sozialen Differenz innerhalb etwa der türkischen Community nicht zu übersehen: Türkische Mittelschichtsangehörige, die auch in Deutschland Bildungsgewinner sind und heute viele sozialpädagogische und psychologische Beratungsfunktionen inne haben, eine hohe Distanz gegenüber Landsleuten aus ländlichen Regionen auf und sind eher kritisch gegenüber der traditionalistisch-muslimischen Landsleuten Deshalb: interkulturelle Öffnung des Personals kann manchmal auch ungeahnte neue Probleme bereiten. Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 17 Seite 17
Stolpersteine und Ressourcen Für die interkulturelle Beratung: nicht nur methodisches Know-how, sondern auch: Selbstreflexion, Empathie und Ambiguitätstoleranz: Generelle soziale Kompetenzen, jenseits von Migration und Integration. Wie weit wird die ungleiche Machtverteilung thematisiert? Wie weit wird die Machtposition der Mehrheit gegenüber Migranten reflektiert? Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 18 Seite 18
Stolpersteine und Ressourcen Als typische Stolpersteine, die auch in anderer Form der Sozialarbeit auftauchen: direkt mit dem Problem zu beginnen bzw. konfrontativ zu arbeiten, Schuldzuweisungen, eine Verurteilung des Verhaltens des Kindes oder Vorurteile ins Spiel zu bringen. Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 19 Seite 19
Sensibilisierung für eventuelle Missverständnisse Wie sehr sieht sich mein gegenüber mit der Familie/seiner sozialen Gruppe verbunden? Wie sehen ihre Vorstellungen von einer gesunden Entwicklung aus? Wie zwingend ist die Verpflichtung gegenüber der Herkunftsfamilie/ der Herkunftskultur? Wie wichtig sind ihr die Wahrung von Harmonie und Loyalität gegenüber Familienmitgliedern? Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 20 Seite 20
Interkulturelle Sensibilität SPATEN-Modell (Kammhuber, 2000) Stopp des automatischen Bewertungsprozesses des Interaktionspartners Präzisierung der Irritation- Was liegt hier eigentlich vor? Andere Einflussfaktoren berücksichtigen (Verschiedene Perspektiven einnehmen) Thematisierung der eigenen Erwartung an die Situation Eigenkulturelle Standards reflektieren Nach Möglichkeiten fremdkulturellen Standards suchen Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan
Kenntnis und Nutzungsverhalten von Erziehungsangeboten; herkunftsspezifisch differenziert Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 22 Seite 22
Kenntnis und Nutzungsverhalten von Hausbesuchsprogrammen; herkunftsspezifisch differenziert Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 23 Seite 23
Kenntnis und Nutzungsverhalten von Sprachförderangeboten; herkunftsspezifisch differenziert Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 24 Seite 24
Kenntnis und Nutzungsverhalten von Ernährungs- und Gesundheitsprogrammen; herkunftsspezifisch differenziert Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 25 Seite 25
26 Warum Zuwanderer an der Bildung ihrer Kinder interessiert sind: (Allensbach-Umfrage für Vodafone-Stiftung 2011): Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 26
27 Zugangsbarrieren von Eltern mit (Sacher 2012): Schlechte Erfahrungen der Eltern während der eigenen Schulzeit oder aktuelle negative Erfahrungen mit der Bildungseinrichtung/Schule Kontakthindernisse aus Zeitmangel oder Belastungssituationen im Alltag (Betreuung von Kleinkindern, Pflege von Angehörigen, Schichtarbeit) Migranteneltern fühlen sich z. T. im Hinblick auf ihre Sprachkompetenzen und Bildungsvoraussetzungen den Ansprüchen nicht gewachsen Dominantes und distanziertes Verhalten von einigen Pädagogen/Lehrern, trägt nicht zur Mitarbeit von Migranteneltern in Schule bei Noch zum Teil vorherrschende Mittelschichtorientierung der Schule erschwert Kontakt zu Eltern Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 27
28 Zusammenfassende Grundsätze erfolgreicher interkultureller Elternarbeit 1.Interkulturelle Elternarbeit ist eine Investition: Rendite erst später bzw. zeitverzögert 2.Interkulturalität bei allen Angeboten der Schule/Einrichtung wahren 3.Leitprinzipien: Respekt und Kommunikation auf Augenhöhe 4.Perspektivübernahme: versetzen Sie sich in die Situation von Eltern mit 5.Formelle und informelle Gesprächsmöglichkeiten suchen; Ansprache/Anschreiben der Eltern verständlich und einfach halten 6.Klare Regeln haben, die für alle gleichermaßen gelten 7.Ressourcen/Erfahrungen der Kolleg/Innen nutzen Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 28
29 Zentrale Dimensionen interkultureller Kompetenz Kernkompetenz: Fachliche Souveränität 1. Fähigkeiten zur Perspektivübernahme 2. Ambiguitätstoleranz 3.Interesse an der eigenen und anderen Kulturen 4.Bewusstsein für kulturelle Einflüsse 5.Kognitive Flexibilität 6.Gute Kommunikationsfähigkeiten 7.Humor Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Seite 29
Vielen Dank für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit! Kontakt: haci.uslucan@uni-due.de uslucan@zfti.de ww.uslucan.de Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan 30 Seite 30