Diagnostik und Langzeittherapie bipolarer affektiver Störungen. Priv. Doz. Dr. Florian Seemüller

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Transkript:

Diagnostik und Langzeittherapie bipolarer affektiver Störungen Priv. Doz. Dr. Florian Seemüller

Bipolare Störungen Bipolare affektive Störungen sind rezidivierende affektive Erkrankungen, bei denen depressive und (hypo-)manische Episoden vorkommen. Manische Störungen können mit oder ohne psychotische Symptome sowie als Hypomanie (leichtere manische Störung) auftreten, die depressiven Phasen überwiegen zumeist. 2

Bipolare Tatsachen Bipolar - I Störung (1.5%) Bipolares Spektrum (bis 8%) - Bipolar II - Temperamentsstörungen Ca. 800.000 Erkrankte in Deutschland, davon ca. 50% unbehandelt

Bipolares Spekturm Möller et al 2014 4

Menschen mit bipolaren Erkrankungen I Vincent van Gogh Virginia Woolf Robert Schumann Ernest Hemmingway 1853 1890 1882 1941 1810-1856 1899-1961

Dysphorische Manie Gereiztheit und Aggressivität stehen im Vordergrund Depressive Symptome sind zeitgleich vorhanden, im Extremfall: Mischzustand bei allen Manieformen kommen kurzfristig psychotische Symptome auftreten (z.b. illusionäre Verkennungen) 6

Psychotische Manie Euphore Manie Dysphorische Manie Mischzustand atypische (agitierte) Depression typische Depression 7

DSM-5: Manie Kriterium A Abgegrenzte Periode von abnorm und anhaltend gehobener oder gereizte Stimmung und Anhaltend gesteigerte zielgerichtete Aktivität oder Energie für mindestens eine Woche 8

DSM-5: Manie Kriterium B Während der Periode erhebliche Abweichung vom sonstigen Verhalten durch (mindestens 3): (1) Übersteigertes Selbstwertgefühl bzw. Größenerleben (2) Vermindertes Schlafbedürfnis (3) Logorroeh oder Rededrang (4) Ideenflucht (5) Erhöhte Ablenkbarkeit (6) Zunahme zielgerichtete Aktivität oder psychomotorische Unruhe (7) Aktivitäten mit einem hohen Potential für negative Konsequenzen 9

DSM 5: Manie Kriterium C Die Stimmungsänderung ist von einem Ausmaß welches deutlich Beeinträchtigung im sozialen oder beruflichen Bereich oder einen Krankenhausaufenthalt oder psychot. Symptome mit sich bringt Kriterium D Die Episode ist nicht durch eine medikamentöse oder substanzabhängige Ursache bedingt Mindestens eine manische Episode ist nötig für die Diagnose einer bipolaren Störung 10

Manie Symptomatik Film-Ausschnitt: Silver Linings 11

DSM-5: Manie Kriterium B Erhebliche Abweichung vom sonstigen Verhalten durch (mindestens 3): (1) Übersteigertes Selbstwertgefühl bzw. Größenerleben (2) Vermindertes Schlafbedürfnis (3) Logorroeh oder Rededrang (4) Ideenflucht (5) Erhöhte Ablenkbarkeit (6) Zunahme zielgerichtete Aktivität oder psychomotorische Unruhe (7) Aktivitäten mit einem hohen Potential für negative Konsequenzen 12

DSM-5: Hypomanie Kriterium A Abgegrenzte Periode von abnorm und anhaltend gehobener oder gereizte Stimmung und Anhaltend gesteigerte zielgerichtete Aktivität oder Energie für mindestens 4 Tage 13

DSM-5: Hypomanie Kriterium B Während der Periode erhebliche Abweichung vom sonstigen Verhalten durch (mindestens 3): (1) Übersteigertes Selbstwertgefühl bzw. Größenerleben (2) Vermindertes Schlafbedürfnis (3) Logorroeh oder Rededrang (4) Ideenflucht (5) Erhöhte Ablenkbarkeit (6) Aktivitäten mit einem hohen Potential für negative Konsequenzen 14

DSM 5: Hypomanie Kriterium C Die Episode geht mit einer eindeutigen und für den Betroffenen untypischen Veränderung des Funktionsniveaus einhe Kriterium D Stimmungsveränderung ist für andere beobachtbar Kriterium Die Episode ist nicht schwer genug um deutliche soziale oder berufliche Funktionseinschränkungen erforderlich zu machen Kriterium F Die Episode ist nicht durch eine medikamentöse oder substanzabhängige Ursache bedingt 15

DSM-5: Major Depression Kriterium A Mindestens 5 der folgenden Symptome bestehen während derselben zwei-wochen-periode und mindestens ein Symptom ist entweder: 1. Depressive Verstimmung oder 2. Verlust an Interesse oder Freude 16

DSM-5: Major Depression Kriterium A : (1) Depressive Stimmung für die meiste Zeit des Tages (2) Vermidertes Interesse oder Freude an fast allen Aktivitäten (3) Deutlicher Gewichtsverlust oder zunahme (4) Insomnie oder Hypersomnie (5) Psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung (6) Müdigkeit oder Energieverlust an fast allen Tagen (7) Gefühl von Wertlosigkeit oder Schudgefühle (8) Vemrinderte Fähigkeit zu denken (9) Wiederkehrende Gendanken an den Tod Konsequenzen 17

DSM 5: Major Depression Kriterium B Die Episode verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden Kriterium C Die Episode ist nicht Folge einer Wirkung einer Substanz oder eines medizinischen Krankheitsfaktors A bis C müssen erfüllt sein 18

Langzeitverlauf Rapid cycling/ gemischte Episode Manisch/Hypoman (6%) (9%) Asymptomatisch (53%) Depressiv (32%) n=148, mittlerer Beobachtungszeitraum: 12,8 Jahre Judd et al. Arch Gen Psychiatry 2002; 59: 530 537

Langzeittherapie

Phasen der Behandlung Grunze et al 2014 21

Indikation zur Langzeittherapie Nolen et al 2008 22

Argumente für eine frühzeitigen Beginn 1. Ohne Behandlung nimmt die Amplitude und die Frequenz zu (Kraepelin 1904) 2. Die Dauer des unbehandelten interepisodischen Intervalls nach Erstmanifestation verschlechtert die Prognose (Post et al.) 3. Kognitive Störungen nehmen zu (Torrent et al, Dittmann et al.) 23

Die Qual der Wahl Prinzipien bei der Auswahl Prädominante Polarität Psychotische Symptome Akutansprechen Suizidalität Prädiktoren Alter, Geschlecht Nebendiagnosen Patientenpräferenz Therapietreue 24

Auslassversuch nach 5 Jahre Stabilität 23 Patieneten mit Bipolar-I Strg nach DSM-V 5 Jahre durchgehend euthym Wieviele wurden wann rückfällig nach sachgerechtem absetzen? 20 = 87% innerhalb von 10 Monaten Victorin at al 2014 25

Zulassungsstatus in Deutschland Berger et al 2014 26

S3 Leitlinie Bauer et al 2014 27

Psychoedukation Psychoedukation über 6 Monate 21 SItzungen Rückfälle: Treatment (N=60): 38% Control (N= 60): 60% Colom et al 2003 28

Beurteilung des Therapierfolges: Life Chart www.bipolarnews.org kbo-lech-mangfall-kliniken ggmbh PD Dr. Florian Seemülle r DGBS Tagung September 2017 29

Verlauf von 51 Patienten der Stanley Ambulanz I Tage pro 1/2 Jahr 7000 6000 5000 (sub)depressiv (hypo)manisch euthym 6246 6421 6380 6154 6446 6140 5535 4554 4000 3000 3182 2000 1000 2496 1956 1711 1830 1421 1195 1188 1229 1255 1837 987 1167 1693 1645 1158 0 1. Halbjahr 2. Halbjahr 3. Halbjahr 4. Halbjahr 5. Halbjahr 6. Halbjahr 7. Halbjahr 8. Halbjahr Born et al. 2005 30

Fazit Bipolar Wichtigste Manie Kriterien sind gesteigerter Antrieb und gehobene Stimmung Manie ist ein relativ spezifisches Syndrom In der Langzeittherapie auf Polarität achten Prädiktoren könne bei der Entscheidung für Lithium helfen Kombination von Stimmungsstabilisieren v.a. nach der Akutphase sinnvoll Psychoedukation und Früherkennung nicht vergessen! Zentrales Element hier: Life Chart Hauptzielsyndrom: Depression 31

Vielen Dank! Zusammenfassung www.psychiatrie-gap.de florian.seemueller@psychiatrie-gap.de