Konstruktivistische Lernauffassung und Hochschullehre



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Transkript:

Andreas Schelten Konstruktivistische Lernauffassung und Hochschullehre 1. Einleitung Die Technische Universität München hat mit der FernUniversität Hagen einen Kooperationsvertrag geschlossen. Auf Grund dieses Vertrages erhalten die Studierenden der FernUniversität Hagen in den Räumen der Technischen Universität München ein Studienzentrum für den Raum Südbayern. Darüber hinaus soll auch die Zusammenarbeit der beiden Universitäten im Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung und bei der Einführung neuer Methoden in der Lehre verstärkt werden. Der folgende Beitrag beruht auf einem Festvortrag anlässlich der Kooperationsvereinbarung dieser beiden Universitäten. 1 Er gab Gelegenheit, über die Lernauffassung der Hochschullehre nachzudenken. Wo bewegt sich diese zwischen den Polen Objektivismus und Konstruktivismus? Um die konstruktivistische Lernauffassung darzulegen, bedarf es zuerst der Vergewisserung wie herkömmlich in Schule und Universität gelernt wird. Diese wird als objektivistische Lernauffassung bezeichnet. Lehrende dürften, wie auch der Autor, dieser Lernauffassung verhaftet sein. Deshalb wird sie in Punkt 2 nur kurz erläutert. Etwas ausführlicher soll in Punkt 3 die konstruktivistische Lernauffassung dargestellt werden. Sie ist ungewöhnlicher und steht auf der reformpädagogischen Seite. Sie soll hier auch in einem Gegenpol zum Objektivismus aufgebaut werden. Damit lässt sich diese Lernauffassung stärker akzentuieren. Es bleibt dann in Punkt 4 zu fragen, an welchen Stellen in der Hochschullehre konstruktivistisches Lernen eingelöst wird und wie hier der Stand ist. Ist das eher ernüchternd oder gibt es hier Ansätze, die weiterverfolgt werden können? In den Schlussbemerkungen (Punkt 5) wird hierauf einzugehen sein. 2. Objektivistische Lernauffassung Die objektivistische Lernauffassung steht auf der Seite der traditionellen Auffassung von Unterricht. Sie bedarf hier, wie eingangs gesagt, keiner längeren Erläuterung. Dieser Unterricht wird stetig in Schule und Hochschule erlebt. Hier wird Wissen durch Experten objektiv festgelegt und entsprechend an die Lernenden vermittelt. Wissen wird in fachsystematischen Strukturen instruktionsorientiert durch den Lehrer vermittelt. Der Lehrer ist aktiv. Er geht darstellend erläuternd vor und ist Vermittler und Präsentierer neuer Inhalte. Der Lernende ist hierbei vornehmlich in einer aufnehmenden Rolle. Er wird dabei stark von außen angeleitet. Seine schöpferische Kraft soll durch Belehrung erst geschaffen werden. Bei der objektivistischen Lernauffassung besteht die Gefahr, dass das vermittelte Wissen träge verbleibt, indem es in neuen Situationen bei der Lösung von

2 Problemen nicht aktiv eingesetzt werden kann. Für die universitäre Lehre kann dies z.b. für eine Vorlesung bedeuten, dass trotz einer inhaltlich anspruchsvollen und methodisch guten Lehrveranstaltung das erworbene Wissen schwerfällig bleibt. Das Wissen kann nicht für Anwendungs- und Gestaltungsaufgaben eingesetzt werden. Hier setzt nun die konstruktivistische Lernauffassung ein. 3. Konstruktivistische Lernauffassung Konstruktivisten gehen davon aus, dass ein Wissenserwerb in einem vom Lernenden aktiv aufbauenden Prozess erfolgt. Lerngegenstände müssen dazu in einem konkreten Situationsbezug stehen. Entlang dieser Situation entwickelt der Lernende sein Wissen selbst und passt es in seine individuelle Wissensstruktur (konstruktiv) ein. Erst damit entsteht richtig verstandenes Wissen, das nach Ansicht der Konstruktivisten weniger träge ist. Beim konstruktivistischen Unterricht liegt die Aktivität auf Seiten des Lernenden, der in einem situierten Prozess sein Lernen gestaltet. Der Lehrer unterstützt, berät und regt diesen Prozess an. Er schafft für den Lernenden eine situierte Lernumgebung. Nach Reinmann-Rothmeier, Mandl 2 sind folgende Prozessmerkmale für einen konstruktivistischen Unterricht kennzeichnend, wobei diese Merkmale zu Teilen das oben bereits Gesagte wiederholt aufgreifen: 1. Lernen erfolgt unter aktiver Beteiligung der Lernenden. Diese müssen motiviert sein und an dem, was oder wie sie es tun, Interesse haben oder entwickeln. 2. Die Lernenden steuern und kontrollieren ihre Lernprozesse auch selbst. Der Ausprägungsgrad dieser Selbststeuerung kann je nach Lernsituation variieren. 3. Lernen wird konstruktiv durchgeführt. Der Erfahrungs- und Wissenshintergrund der Lernenden findet Berücksichtigung. Subjektive Interpretationen können stattfinden. 4. Lernen wird situativ gesehen. Es läuft in einem spezifischen Kontext ab. 5. Lernen ist sozial ausgerichtet, indem es interaktiv geschieht und den soziokulturellen Hintergrund der Lernenden berücksichtigt. Mit anderen Worten, konstruktivistisch zu lernen kann heißen: Situiert anhand authentischer, komplexer, lebens- und berufsnaher, ganzheitlicher Aufgabenstellungen, in vielfachen Kontexten bzw. Perspektiven und in einem sozialen Kontext im Unterricht vorzugehen. Ergänzend hierzu lassen sich folgende Erweiterungen in Anlehnung an Dubs 3 anführen, die konstruktivistisches Lernen umschreiben: Fehler sind bedeutsam. Sie müssen besprochen und korrigiert werden, da Auseinandersetzungen mit Fehlerüberlegungen verständnisfördernd wirken und zur besseren Konstruktion von Wissen beitragen. Neben kognitiven Aspekten des Lernens sind Gefühle wie Freuden und Ängste sowie die persönliche Identifikation mit dem Lerngegenstand wichtig. Da sich die eigene Wissenskonstruktion insbesondere auf Fortschritte im

3 Lernprozess und nicht vorwiegend auf Lernprodukte richtet, sind herkömmliche Prüfungsverfahren durch Selbstevaluationen anzureichern, mit denen individuelle Lernfortschritte und Verbesserungen der eigenen Lernstrategien beurteilt werden können. Der Begriff eines konstruktivistischen Unterrichts ist zu Anfang der 90er Jahre aus der nordamerikanischen Pädagogik in die deutsche Pädagogik gelangt. Der konstruktivistische Unterricht weist hohe Parallelen zum in Deutschland bekannten handlungsorientierten Unterricht auf. Besonders in der beruflichen Bildung hat sich der handlungsorientierte Unterricht unabhängig und parallel zum nordamerikanischen konstruktivistischen Unterricht entwickelt. Erst mit der Rezeption des Konstruktivismus aus Nordamerika zu Anfang der 90er Jahre in Deutschland sind die Parallelen zum handlungsorientierten Unterricht in das Blickfeld geraten. Der konstruktivistische Unterricht steht vor den gleichen Problemen wie ein handlungsorientierter Unterricht. 4 Auf einige soll hier eingegangen werden. 1. Eine breite empirische Absicherung eines konstruktivistischen Unterrichts steht am Anfang. Da ein solcher Unterricht auf ein situiertes Lernen setzt und dieses immer sehr spezifisch ist, gelten gewonnene empirische Ergebnisse für eine besondere Bedingungskonstellation. Eine Generalisierung von Schlussfolgerungen ist nur begrenzt möglich. 2. In einem situierten Lernen sind viele Freiheitsgrade bzw. Spielräume für die Lernenden in komplexen Lernumgebungen vorgesehen, so dass auch sehr unterschiedliche Lernergebnisse entstehen können. Aus Sicht des objektivistischen Unterrichts, der eher deterministisch vorgeht, kann dies als Ineffizienz aufgefasst werden. 3. Ein konstruktivistischer Unterricht, der wie ein handlungsorientierter Unterricht, insbesondere den Lernprozessen neben den Lerninhalten hohe Bedeutung beimisst ( der Weg ist das Ziel ), ist zeitaufwendig. Vom Standpunkt des objektivistischen Unterrichts aus, kann die Frage nach der Kosten/Nutzen- Relation, d. h. die Frage nach der Unterrichtsökonomie gestellt werden. 4. Lernende können in einem konstruktivistischen Unterricht überfordert sein, wenn er ihnen hohe Freiheitsgrade und weite Spielräume in komplexen Lernumgebungen eröffnet und durch den Lehrer eingeschränkte Hilfestellungen bzw. Direktiven gegeben werden. Eine Überforderung führt zu einer Beeinträchtigung des Lernerfolges. Im Zuge eines moderaten Konstruktivismus, der wohl eher zu favorisieren ist, geht es wie beim handlungsorientierten Unterricht darum, kontinuierlich unterstützende Hilfen von Seiten des Lehrers beim selbstständigen situierten Lernen anzubieten. Mit anderen Worten, es ist die Balance zwischen Instruktion auf Lehrerseite und Konstruktion auf Lernerseite zu finden, um zu einer optimalen Gestaltung in einem konstruktivistisch orientierten Unterricht zu gelangen. 4. Einlösung konstruktivistischen Lernens in der Hochschule Im Folgenden soll es darum gehen, zu überlegen, an welchen Stellen die Hochschullehre sich einer konstruktivistischen Lernauffassung nähert. Anders

4 gewendet: Wo steht denn die Hochschullehre im Feld zwischen den beiden Polen Objektivismus und Konstruktivismus? 5 Die Antworten werden nach Fächerkultur unterschiedlich ausfallen. 6 1. Traditionell steht die Hochschullehre auf der Seite der objektivistischen Lernauffassung. Die Vorlesung sowie dazu die Übung folgen zumeist dem objektivistischen Ansatz. So geht beispielsweise auch der standardisierte Lehrevaluationsbogen der Technischen Universität München für die Beurteilung der Veranstaltungen durch die Studierenden vom objektivistischen Ansatz aus. 7 Nach konstruktivistischer Auffassung durchgeführte Lehrveranstaltungen werden dabei nicht berücksichtigt. 2. Experimentelle Praktika dürften in der Hochschullehre eher geeignet sein, konstruktivistisches Lernen zuzulassen. Es besteht aber die Gefahr, dass solche Praktika im Zuge eines Massenbetriebes Universität zu einem objektivistischen Lernbetrieb verkommen. Dies gilt besonders dann, wenn Versuche nach wissensorientierten Eingangskolloquien, unter normierten Anleitungen, in enger Zeitvorgabe von zwei bis drei Stunden, wöchentlich einmal, in großer Studentengruppe durchgezogen werden. 3. Auf das konstruktivistische Lernen hin bewegen sich projektorientiert angelegte Studienelemente. Hier kann es z. B. darum gehen, in einer Fallstudie eine Aufgabe in selbstständiger Planung, Durchführung und Auswertung zeitlich längerfristig von etwa 30 bis 40 Stunden zu bewältigen. Solche Aufgaben können z. B. eine Konstruktions- oder Steuerungsaufgabe sein. 4. Die Medizinerausbildung an der Technischen Universität München scheint sich konstruktivistischen Lernauffassungen stärker zu öffnen, wenn zukünftig anhand konkreter Problemstellungen die natur- und sozialwissenschaftlichen Grundlagen von Beginn des Studiums an zusammen mit den klinisch relevanten Inhalten vermittelt werden. 8 5. Konstruktivistisches Lernen setzt besonders ein, wenn Studierende in Forschungs- und Entwicklungsaufgaben integriert werden. Hier liegt eine Stärke der Universität. Entstehen daraus für die Studierenden wissenschaftliche Hausarbeiten oder Diplomarbeiten, dann sollten diese im Sinne der konstruktivistischen Lernauffassung angelegt sein: Es werden neue, offene Aufgaben mit Gestaltungsmöglichkeiten bearbeitet, bei denen der Hochschullehrer zum Mitarbeiter des Studierenden wird. 6. Ein großer Teil der Studierenden der FernUniversität Hagen sind Berufstätige. Berufstätige denken und handeln eher in konstruktivistischen Bezügen. Von dorther dürfte es danach drängen, diese Studierende stärker mit einer konstruktivistischen Lernauffassung anzusprechen. Besonders die Studienzentren könnten hier gefragt sein, indem sie den Fernstudierenden ein soziales Lernen in authentischen, komplexen, berufsnahen, ganzheitlichen Aufgabenstellungen, in vielfachen Kontexten und Perspektiven verschaffen.

5 7. Multimedia und Telekommunikation in der Hochschullehre kann konstruktivistisches Lernen begünstigen. Allerdings kommt es darauf an, von einem konstruktivistischen Lernansatz auszugehen und daran ausgerichtet den Einsatz von Multimedia und Telekommunikation zu konzipieren. Die FernUniversität Hagen wird im Einsatz von Multimedia und Telekommunikation Erfahrungen haben, von denen die Technische Universität München in Kooperation lernen kann. An der Technischen Universität München sind vielfältige Entwicklungen im Gange, die Präsenzlehre mit Multimedia und Telekommunikation zu bereichern bzw. umzugestalten. 9 So entstand z.b. als Pilotprojekt in Kooperation zwischen dem Zentrum Mathematik und dem Medienzentrum der Technischen Universität München ein multimediales Lehr- und Lernprogramm 10 zur Höheren Mathematik für Ingenieure. Ergebnisse einer Evaluation zeigen, dass Studierende diese Form der Wissensvermittlung äußerst positiv bewerten. Doch müsste auch hier überprüft werden, inwieweit das neue Lehrangebot über eine reine Ergänzung des bestehenden objektivistischen Ansatzes hinausgeht und im Sinne einer konstruktivistischen Lernauffassung eingesetzt werden könnte. Die mittlerweile zahlreich vorhandenen multimedialen Lehr- und Lernmodule an der Technischen Universität München zeugen von den vermehrten Anstrengungen dieser Hochschule, Multimedia zu einer wichtigen Säule zukünftiger Lehrkonzepte werden zu lassen. Dabei sollten allerdings die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu Multimedia in Studium und Lehre Beachtung finden. Diese gehen in eine konstruktivistische Perspektive. Der Wissenschaftsrat sieht es als unabdingbar an, daß Multimedia in einen sozialen Prozeß des Lehrens und Lernens eingefügt ist, der durch Kommunikation und Interaktion gekennzeichnet ist. Anleitende, beratende, fördernde und unterstützende Funktionen für individuell bestimmtes Selbststudium werden gegenüber der reinen Wissensvermittlung zunehmen. Dabei kommt dem persönlichen Austausch in der Hochschule sowohl zwischen Lehrenden und Lernenden als auch unter den Lernenden eine große Bedeutung zu. Die Einbettung von Multimedia in lernfördernde Infrastrukturen und die damit einhergehende Nutzbarmachung für den Hochschulalltag schafft eine verbesserte Lernsituation. 11 Daraus wird deutlich: Multimedia ersetzt nicht den Hochschullehrer. Es bedarf geradezu des Hochschullehrers in konstruktivistischer Lernauffassung. 5. Schluss Die Hochschullehre steht traditionell auf der Seite der objektivistischen Lernauffassung. Die Belehrung steht im Vordergrund. Die schöpferische Kraft des Menschen soll erst durch Instruktion geschaffen werden. Die konstruktivistische Lernauffassung dagegen geht davon aus, dass der Mensch bereits eine schöpferische Kraft hat und diese allein freizulegen und zur Entfaltung zu bringen ist. Im Zuge einer Wissensexplosion und zur Begegnung des Problems eines trägen Wissens muss sich die Hochschullehre wesentlich stärker als bisher konstruktivistischen Lernansätzen öffnen. Sie darf nicht bei der objektivistischen verbleiben, sondern muss eine Balance zwischen Objektivismus und

6 Konstruktivismus finden. Hochschullehre ist wie Pädagogik ein Institut der Mitte. Diese Mitte muss aber auch erreicht werden, indem man vom Objektivismus auf den Konstruktivismus zugeht. Bestehende Ansätze konstruktivistischen Lernens müssen konsequent und weit dringlicher als früher ausgebaut werden. Anmerkungen 1 Vortrag anlässlich der Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung zwischen der FernUniversität Hagen und der Technischen Universität München am 21. März 2000 2 Vgl. Reinmann-Rothmeier, G., Mandl, H.: Unterrichten und Lernumgebungen gestalten (überarbeitete Fassung). München: Ludwig-Maximilians-Universität, Institut für Pädagogische Psychologie und Empirische Pädagogik, Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie 1999 (Forschungsbericht Nr. 60), S. 37 3 Vgl. Dubs, R.: Konstruktivismus: Einige Überlegungen aus der Sicht der Unterrichtsgestaltung. In: Zeitschrift für Pädagogik 41 (1995) 6, S. 889 903 4 Vgl. Schelten, A.: Begriffe und Konzepte der berufspädagogischen Fachsprache: Eine Auswahl, Stuttgart: Steiner 2000 5 Vgl. auch: Dubs, R.: Universitätsstudium Anforderungen aus der Sicht der Lehr- und Lernforschung. In: Luzerner Hochschulreden. Nr. 8. Luzern 2000, S. 3-21 6 Die folgenden Ausführungen sind Einschätzungen des Autors basierend auf Erfahrungen an der TH Aachen, Universität Gießen, Universität Hamburg und an der Technischen Universität München 7 Standardisierter Evaluationsbogen für die Lehrveranstaltungen der Technischen Universität Münchens (Vorschlag für die Fakultäten, entwickelt unter Mitarbeit des Autors): Die Studierenden sollen in diesem Bogen zu dem Inhalt und der Gestaltung der Veranstaltung, zur Präsentation und zum persönlichen Auftreten des Dozenten/ der Dozentin Stellung nehmen. Zusätzlich werden die Befragten gebeten, persönliche Angaben vorzunehmen und in einer offenen Fragestellung positive Merkmale und Verbesserungsbereiche der Veranstaltung niederzuschreiben. Der Evaluationsbogen geht von einer objektivistischen Lernauffassung aus. Dies soll mit dem Fragenblock über die Beurteilung der Präsentation verdeutlicht werden: keine mein Urteil über die Präsentation Äußerung 1. Die Sprache war akustisch verständlich unverständlich 2. Die Handschrift auf Tafel/Folie war gut lesbar schlecht lesbar 3. Fertige Folien waren gut lesbar schlecht lesbar 4. Experimente, Modelle etc. fand ich demonstrativ ohne Wert 5. Umdrucke, Skript es Dozenten finde ich gut schlecht Meine Bemerkungen dazu: 8 Technische Universität München: Hochschulentwicklungsplan 2000, München 2000 (Manuskriptdruck), S. 67, vgl.: http://www.zv.ze.tu-muenchen.de/tum/nurtum/hep2000.pdf 9 Diesen Prozess unterstützt das Medienzentrum der Technischen Universität München als zentrale Einrichtung. Es wird von einer kollegialen Leitung aus Vertretern verschiedener Fakultäten geführt, dessen Vorsitzender der Autor ist. Das Medienzentrum ist eine wissenschaftliche Einrichtung. Es ist Katalysator für innovative Entwicklungen im Medienbereich der Hochschule. Es übernimmt eine Führungsrolle bei Neuentwicklungen im Medienbereich der Technischen Universität München. Zugleich ist es ein Kompetenzzentrum, das beratend tätig ist. Dabei hält es Kompetenz aber auf Dauer nur durch eigene Produktion aufrecht. Siehe unter: http://www.mz.ze.tu-muenchen.de/ 10 Unter: http://www-m8.mathematik.tu-muenchen.de/integration/branch.htm 11 Wissenschaftsrat: Empfehlungen zur Hochschulentwicklung durch Multimedia in Studium und Lehre, Mainz 1998 (Manuskriptdruck), S. 17