VDE-Positionspapier. Akzidentelle Hypothermie. Diagnose, Prävention und Therapie



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VDE-Positionspapier Akzidentelle Hypothermie Diagnose, Prävention und Therapie

Herausgeber/Bezugsquelle: Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.v. DGBMT Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE Stresemannallee 15 60596 Frankfurt am Main Telefon +49 (0)69 6308 348 dgbmt@vde.com www.vde.com/dgbmt Erscheinungsdatum: Mai 2013

Impressum: VDE-Positionspapier Akzidentelle Hypothermie Diagnose, Prävention und Therapie Aus dem DGBMT-Fachausschuss Methodik der Patientenüberwachung. Ergebnisse eines Workshops am 29. und 30. September 2011 in Freiburg im Breisgau. Autoren: Dr. med. Sebastian Brandt, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, 23538 Lübeck, Deutschland Dr.-Ing. Jens Mühlsteff, Research Group Patient Care Solutions, Philips Research Europe, 5656 Eindhoven, Niederlande Prof. Dr. med. Michael Imhoff, Abteilung für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Deutschland Korrespondierender Autor: Deutsche Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) im VDE e.v., Fachausschuss Methodik der Patientenüberwachung, c/o Prof. Dr. med. Michael Imhoff, Abteilung für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Ruhr-Universität Bochum, Universitätsstraße 150, 44801 Bochum, Deutschland, Telefon +49 231 9730220, E-Mail: mike@imhoff.de Unter Mitarbeit von: Prof. Dr. med. Anselm Bräuer, D.E.A.A., Zentrum Anaesthesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Göttingen, Deutschland Werner Dyka, ZOLL Medical Deutschland GmbH Köln, Deutschland Prof. Dr. med. Hartmut Gehring, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Deutschland Thomas Henne, 3M Infection Prevention Patient Warming, 3M Deutschland, Neuss, Deutschland PD Dr. med. Karl-Peter Ittner, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Regensburg, Deutschland PD Dr. Oliver Kimberger, MSc, Abteilung für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin, Medizinische Universität Wien, Österreich Prof. Dr. Andrea Kurz, Department of Outcomes Research and Quantitative Health Sciences, Cleveland Clinic, Cleveland, OH, USA Dr. Ing. Jochim Koch, Drägerwerk AG & Co. KGaA, Lübeck, Deutschland Dieter Moeck, Moeck & Moeck GmbH, Hamburg, Deutschland Christian Puconja, Moeck & Moeck GmbH, Hamburg, Deutschland Stefan Quast, Dräger Medical GmbH, Lübeck, Deutschland Prof. Dr. med. Wolfgang Weyland, Klinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, Florence-Nightingale-Krankenhaus, Düsseldorf, Deutschland Grafische Gestaltung: Schaper Kommunikation, Grafikdesign & Werbung, Bad Nauheim Bildnachweis Titelbild: Dr. med. Sebastian Brandt, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

VDE-Positionspapier Akzidentelle Hypothermie Diagnose, Prävention und Therapie Inhaltsverzeichnis 1. Executive Summary...5 2. Vorwort...6 3. Physiologie der Thermoregulation...7 4. Hypothermie...9 4.1. Akzidentelle Hypothermie.... 9 4.2. Akzidentelle perioperative Hypothermie... 9 4.2.1. Inzidenz perioperativer Hypothermie... 11 4.2.2. Konsequenzen milder perioperativer Hypothermie... 11 4.3. Protektive Effekte milder, moderater und tiefer Hypothermie.... 11 5. Herausforderung Thermomanagement...12 5.1. Messung der Körperkerntemperatur... 12 6. Externe Wärmemethoden...14 6.1. Isolierung... 14 6.2. Erhöhung der Umgebungstemperatur... 14 6.3. Infrarotstrahlung.... 14 6.4. Konvektives Wärmen... 15 6.5. Konduktives Wärmen mit Wärmematratzen... 15 6.6. Konduktives Wärmen mit Wärmedecken... 16 6.7. Angefeuchtete und/oder erwärmte Atemluft.... 16 6.8. Warmwasserimmersion... 16 6.9. Prewarming/Vorwärmen.... 16 7. Interne Wärmemethoden....17 7.1. Gewärmte Infusionen... 17 7.2. Wärmen mit intravaskulären Kathetern... 17 8. Extrakorporale Wärmemethoden....18 8.1. Extrakorporales Wärmen ohne hämodynamische Unterstützung... 18 8.1. Extrakorporales Wärmen mit hämodynamischer Unterstützung... 18 Fazit Thermomanagement...20 9. Empfehlungen, Standards und Leitlinien... 21 9.1. USA.... 21 9.2. Vereinigtes Königreich... 21 9.3. Deutschland.... 21 10. Kosteneffektivität.... 22 11. Einschränkungen und Probleme... 25 11.1. Präklinische Probleme... 25 11.2. Klinische Probleme... 25 12. Weiterer Forschungsbedarf...27 12.1. Technische Aspekte... 27 12.2. Medizinische Aspekte... 28 13. Schlußfolgerungen... 29 Abkürzungsverzeichnis...30 Literaturverzeichnis...31 4

Executive Summary 1. Executive Summary Akzidentelle Hypothermie und deren Unterform perioperative Hypothermie ist ein häufiges klinisches Phänomen, obwohl die negativen Auswirkungen seit langem bekannt sind und effektive Patientenwärmegeräte zur Verfügung stehen. Verantwortlich dafür ist die Kombination aus Auskühlung und der, zum Beispiel anästhesiebedingt, gestörten Thermoregulation des Patienten. Hypothermie kann zu zahlreichen klinischen Komplikationen führen. Dazu gehören Störungen der Blutgerinnung und daraus folgender erhöhter Fremdblutbedarf, eine höhere Rate kardialer Komplikationen und ein erhöhtes Risiko für postoperative Wundinfektionen. Insgesamt kann sich dadurch die postoperative Erholung verzögern, die Krankenhausverweildauer steigt. Es ist nicht überraschend, dass die unbeabsichtigte Hypothermie durchaus auch ökonomische Auswirkungen hat. Das Ziel dieses Positionspapiers ist es, den physiologischen Hintergrund akzidenteller und perioperativer Hypothermie, die klinische Relevanz, die Prophylaxe und Behandlungsmöglichkeiten ausführlich darzustellen. Die existierenden Wärmetechnologien werden charakterisiert, bestehende klinische wie technische Herausforderungen und der weitere Forschungsbedarf werden diskutiert. Wir geben einen Überblick über bestehende Empfehlungen, Standards und Leitlinien und analysieren den Einfluss von akzidenteller und perioperativer Hypothermie auf die Kosteneffektivität. Als Ergebnis des Workshops und der nachfolgenden Diskussionen wird empfohlen, die Körperkerntemperatur eines jeden Notfallpatienten und eines jeden anästhesierten Patienten zu überwachen und zu dokumentierten. Sollte durch diese Überwachung oder aufgrund des Notfallgeschehens oder des geplanten chirurgischen Eingriffs Anhalt für eine drohende oder schon eingetretene Hypothermie bestehen, muss eine entsprechende Thermomanagementstrategie frühzeitig ergriffen werden. Prewarming vor operativen Eingriffen sollte in Erwägung gezogen werden, wenn die klinischen Abläufe und Gegebenheiten dies erlauben. Besondere Aufmerksamkeit und weitere Entwicklungsanstrengungen erfordern zudem klinische und präklinische Bereiche (MRT, Rettungstransportmittel, usw.), in denen eine verlässliche Überwachung der Körperkerntemperatur oder aktive Wärmesysteme bisher nicht verfügbar sind. Jeder Patient sollte einen Anspruch auf Normothermie und ein damit verbundenes effektives Thermomanagement haben. 5

VDE-Positionspapier Akzidentelle Hypothermie Diagnose, Prävention und Therapie 2. Vorwort Obwohl seit Jahren bekannt ist, dass akzidentelle Hypothermie das klinische Outcome von Patienten negativ beeinflussen kann [1-3], und obwohl eine Vielzahl von verschiedenen effektiven Patientenwärmesystemen existiert und diese auch in den meisten Kliniken verfügbar sind [4-6], ist akzidentelle Hypothermie immer noch ein weit verbreitetes Phänomen. Daher organisierte der Fachausschuss Methodik der Patientenüberwachung der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) innerhalb des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik e.v. (VDE) einen geschlossenen Workshop zum Thema Diagnose, Prävention und Therapie von akzidenteller und perioperativer Hypothermie. Am 29. und 30. September 2011 trafen sich ausgewählte Vertreter aus Wissenschaft, Klinik, Produktentwicklung und Industrie um den aktuellen Stand der Wissenschaft, die bezüglich Forschung und Entwicklung noch offenen Fragen, technische und ökonomische Restriktionen sowie Empfehlungen und Standards zu diskutieren. Dieses Positionspapier stellt die Ergebnisse des Workshops und den aktuellen Wissensstand zum Thema akzidentelle Hypothermie dar. Eine englischsprachige Fassung des Positionspapiers wurde vorab in der Zeitschrift Biomedizinische Technik veröffentlicht [7]. 6

Physiologie der Thermoregulation 3. Physiologie der Thermoregulation Menschen gehören wie alle Säugetiere zu den Warmblütern und sind daher darauf angewiesen, ihre Körpertemperatur nahezu konstant zu halten. Falls dies nicht gelingt und die Körperkerntemperatur deutlich vom Sollwert abweicht, werden alle physiologischen Prozesse im menschlichen Organismus beeinträchtigt. Die menschliche Körperkerntemperatur wird durch einen komplexen Regelkreis das thermoregulatorische System normalerweise bei ca. 37 C konstant gehalten. Dieser Regelkreis besteht aus einem afferenten (Sensor), einem zentral regulatorischen (Hypothalamus) und einem efferenten Anteil [8]. Wärme- und Kälterezeptoren befinden sich weit über die Körperoberfläche verteilt in der Haut, in den tiefen abdominellen und thorakalen Geweben, im Rückenmark und in verschieden Teilen des Gehirns. Eine typische Reflexantwort des thermoregulatorischen Systems besteht aus einem Schwellenwert, einem Verstärkungsfaktor, welcher die Größe der Reflexantwort steuert, und der Reflexantwort [9]. Das thermoregulatorische System ist so normalerweise in der Lage, die Kerntemperatur innerhalb von ± 0,2 C des Zielwertes konstant zu halten. Es finden sich keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern, im Alter nimmt die Fähigkeit zur Thermoregulation jedoch ab [10]. Das efferente System hat einen autonomen und einen verhaltensgesteuerten Anteil. Am effektivsten ist es dem Menschen durch Verhaltensänderungen möglich, die Körpertemperatur zu regulieren. Indem man die Kleidung wechselt oder in wärmeren oder kälteren Bereichen Schutz sucht, ist es möglich, an Orten mit extremen Klimaverhältnissen (Tropen, Arktis, Hitzearbeitsplätze etc.) zu leben und zu arbeiten. Die effektivste autonome Reflexantwort besteht in der Regulierung des Schwitzens über die Haut und in der Regulation der Hautdurchblutung (Vasokonstriktion, -dilatation). Kältezittern erzeugt Wärme durch unbeabsichtigte Muskelaktivität und ist in der Lage den Energieumsatz zu verdoppeln bis zu verdreifachen [11]. Wärmeerzeugung im braunen Fettgewebe spielt hauptsächlich für den Wärmehaushalt von Neugeborenen eine Rolle [12]. Dabei führt das Uncoupling Protein 1 (UCP 1) im mitochondrienreichen braunen Fettgewebe zur direkten Umwandelung von Substrat in Wärme ohne den Umweg über die ATP-Synthase. Dass braunes Fettgewebe für den Wärmehaushalt von Erwachsenen eine signifikante Rolle spielt, wird im Allgemeinen bezweifelt [13]. In letzter Zeit haben jedoch verschiedene Forschungsgruppen Vorkommen von braunem Fettgewebe bei Erwachsenen mittels Positronen-Emissionstomographie (PET) nachgewiesen [14, 15]. Van Marken et al. zeigten in Ihrer Arbeit sogar, dass diese Vorkommen von braunem Fettgewebe durch Kälteexposition aktiviert werden [16]. Trotzdem ist der Beitrag des braunen Fettgewebes zum Wärmehaushalt des Erwachsenen weiter unklar. Wenn die Körperkerntemperatur nicht im Normbereich gehalten wird, kann dies durch nicht kompensierbare extreme Umgebungstemperaturen, durch eine Fehlfunktion des hypothalamischen Regelkreises oder durch eine Kombination beider Faktoren verursacht sein. 7

VDE-Positionspapier Akzidentelle Hypothermie Diagnose, Prävention und Therapie Erstaunlicherweise existiert bis heute keine allgemeingültige Definition für die verschiedenen Stufen der Hypothermie. Relativ häufig wird eine Einteilung (Tabelle 1) gewählt, die zwischen milder Hypothermie (35,9 bis 32/33 C), moderater Hypothermie (32/33 bis 29/30 C) und tiefer Hypothermie (< 29/30 C) unterscheidet (z. B. [17, 18]). Kerntemperatur Klassifikation Physiologische Auswirkung 32/33 bis 36 C Milde Hypothermie Zittern, Störung der plasmatischen und zellulären Gerinnung, Beeinträchtigung der Immunantwort 29/30 bis 32/33 C Moderate Hypothermie Stoffwechselreduktion, Atemdepression, Bewusstseinsstörungen 27 bis 30 C Tiefe Hypothermie Zusammenbruch der Thermoregulation, schließlich Kammerflimmern Tabelle 1: Klassifikation der Körpertemperatur und physiologische Auswirkungen; nach Silbernagel et al. [19] 8

Hypothermie 4. Hypothermie 4.1. Akzidentelle Hypothermie Akzidentelle Hypothermie ist das unbeabsichtigte Resultat einer nicht mehr zu kompensierenden (autonom oder durch Verhaltensänderung) Kälteexposition. Verschiedene Faktoren können dazu beitragen, die Kompensation zu erschweren. Bestimmte Patientenkollektive tragen ein besonders hohes Hypothermierisiko. An erster Stelle sind dabei Kinder zu nennen, die auf Grund ihrer für ihr Gewicht sehr großen Körperoberfläche einen deutlich höheren Wärmeverlust als Erwachsene haben. Weiterhin sind substanzabhängige Personen besonders gefährdet, da die Vasokonstriktions- und Zitterschwelle erniedrigt sein kann (z. B. durch Opioidwirkung) oder es zu einem erhöhten Wärmeverlust durch alkoholbedingte Vasodilatation kommt. Bei diesen Personengruppen kann das Risiko für akzidentelle Hypothermie zusätzlich noch durch die von der Abhängigkeitserkrankung verursachten ungünstigen Lebensumstände (Risikoverhalten, inadäquate Bekleidung, Obdachlosigkeit) erhöht sein. Ein besonders großes Risiko für das Auftreten von Hypothermie tragen auch Menschen im höheren Alter sowie kritisch kranke Patienten, da bei diesen die Thermoregulation gestört ist. Natürlich besteht auch für alle Personen, die sich freiwillig oder unfreiwillig extremen Temperaturverhältnissen (zum Beispiel im Wasser, Schnee, Hochgebirge, Arktis) aussetzen, ein großes Hypothermierisiko. Jedoch können bereits moderate Umgebungstemperaturen, denen Personen für längere Zeit ausgesetzt sind, zu Hypothermie führen. Eine Kombination mit erlittenen Verletzungen vergrößert dieses Risiko weiter. Ungeschützte Kälteexposition ist auch ein Hauptgrund für die sehr hohe Anzahl von Unfallopfern, welche hypotherm werden. Mommsen et al. berichteten kürzlich über eine Hypothermieinzidenz von 36,8 Prozent bei Polytraumapatienten [20]. Dabei wurde die Diagnose Hypothermie sehr konservativ als Kerntemperatur < 35 C innerhalb von 2 Stunden nach Aufnahme des Patienten im Schockraum definiert. Ein Grenzwert < 36 C hätte den Anteil hypothermer Patienten in dieser Studie sicherlich nochmals deutlich erhöht. So führen die Liegezeit am Unfallort, der Transport im möglicherweise nur unzureichend temperierten Rettungsmittel, wiederholte körperliche Untersuchungen und erweiterte Diagnostik insgesamt zu einer relativ langen Kälteexposition. Zusammen mit der häufig notwendigen Infusion großer, ungewärmter Flüssigkeitsmengen führt dies zur hohen Hypothermieinzidenz bei polytraumatisierten Patienten. 4.2. Akzidentelle perioperative Hypothermie Hypothermie ist eine unbeabsichtigte, aber erstaunlich häufige perioperative Komplikation. Während der Wartezeit auf die Operation sind die Patienten nur sehr eingeschränkt in der Lage, ihre Körpertemperatur durch Verhaltensänderungen zu bewahren. Die meisten Patienten tragen nur ein leichtes OP-Hemd und können sich weder wärmer anziehen, noch die Holding Area bzw. den Einleitungsraum verlassen. Ein unbekleideter Erwachsener benötigt eine Umgebungstemperatur von ca. 28 C, um seine Körpertemperatur aufrecht zu erhalten (Thermoneutralität) [21]. Ein typischer Operationssaal wird üblicherweise auf deutlich tiefere Temperaturen klimatisiert [22, 23]. Dies verursacht einen raschen Wärmeverlust, welcher zu dem Phänomen führt, dass Patienten präoperativ bereits eine kühle, vasokonstringierte Peripherie haben, während die Körperkerntemperatur noch im Normbereich gehalten wird. Dies verstärkt den typischen anästhesiebedingten Wärmeverlust durch Umverteilung (siehe unten). Während der Operation führt die Kälteexposition des OP-Felds zusammen mit anderen die Entstehung von Hypothermie begünstigenden Faktoren, wie z. B. der Infusion ungewärmter 9

VDE-Positionspapier Akzidentelle Hypothermie Diagnose, Prävention und Therapie Flüssigkeiten, zu einem signifikanten Wärmeverlust. In Allgemeinanästhesie und eingeschränkt auch in rückenmarksnaher Regionalanästhesie ist also die autonome Wärmeprotektion alleine dafür verantwortlich, die Körpertemperatur konstant zu halten. Allerdings wird durch beide Anästhesieformen Vollnarkose und rückenmarksnahe Regionalanästhesie die zentrale und periphere Thermoregulation beeinträchtigt. Unter Anästhesie wird die Wärmeantwortschwelle leicht erhöht, die Kälteantwortschwellen jedoch deutlich verringert (Abbildung 1). Kältezittern und Thermogenese im braunen Fettgewebe tritt während einer Vollnarkose mit Muskelrelaxantien nicht auf [24, 25]. Im Gegensatz dazu würde ein Patient in Regionalanästhesie, welcher deutlich hypotherm wird, zittern. Bei rückenmarksnahen Regionalanästhesien wäre die Wärmeproduktion durch Zittern jedoch nur wenig effektiv, da das Zittern auf die Körperregionen kranial der neuroaxialen Blockade beschränkt bliebe. Die typische Entstehung einer intraoperativen Hypothermie kann etwas vereinfacht in drei Phasen beschrieben werden. Innerhalb der ersten Stunde nach Anästhesieeinleitung verursacht die periphere Vasodilatation eine Umverteilung der Körperwärme vom Kern in die Peripherie, wobei die Kerntemperatur maximal um 1 bis 1,5 C abfällt [26]. Danach folgt eine Phase langsamen aber stetigen Auskühlens, die durch die negative Wärmebilanz (Wärmeverlust > Wärmeproduktion) verursacht wird. Schließlich wird eine Plateauphase erreicht, in der die Kerntemperatur bei ca. 34 bis 35 C konstant bleibt. In dieser Phase sorgt die thermoregulatorische Vasokonstriktion dafür, dass die metabolische Wärmeproduktion im Körperkern gehalten wird, während die Peripherie weiter auskühlt [27]. Körperkerntemperatur ( C) 41 39 37 35 33 Schwellen Schwitzen Vasokonstriktion Kältezittern Normale Thermoregulation Unter Anästhesie Abbildung 1: Auswirkungen der Allgemeinanästhesie auf die Schwellen für Schwitzen, Vasokonstriktion und Kältezittern 10

Hypothermie 4.2.1. Inzidenz perioperativer Hypothermie Ohne aktives Wärmen würde die Mehrzahl chirurgischer Patienten mindestens leicht hypotherm werden (Kerntemperatur < 36 C) [28]. Torossian et al. publizierten 2007 Resultate einer Umfrage über das perioperative Thermomanagement an einem bestimmten Tag während 8083 chirurgischen Eingriffen in 316 europäischen Krankenhäusern. Lediglich bei 19 Prozent der Patienten wurde die Körperkerntemperatur überwacht und nur 38 Prozent der Patienten wurden aktiv gewärmt [29]. Daher erstaunt es nicht, dass verschiedene Arbeiten von hohen Hypothermieinzidenzen (< 36 C) in 41 bis über 60 Prozent der postoperativen Patienten bei Aufnahme auf die Intensivstation berichten [30-32]. 4.2.2. Konsequenzen milder perioperativer Hypothermie Die ungünstigen Auswirkungen milder perioperativer Hypothermie sind ausführlich dokumentiert und decken einen großen Bereich medizinischer Komplikationen ab. Die Inzidenz postoperativer Wundinfektionen verdreifacht sich und führt zu einer Verlängerung der Liegezeit im Krankenhaus um 20 Prozent [1]. Der intraoperative Blutverlust und die resultierende Transfusionsrate erhöhen sich signifikant [2, 33] und das Risiko für kardiale Komplikationen vervierfacht sich [3, 34]. Die Metabolisierung zahlreicher Medikamente darunter viele typische Anästhetika wie Propofol [35] und Muskelrelaxantien wie Vecuronium [36] und Atracurium [35] ist beim hypothermen Patienten verzögert. Schließlich verlängert milde perioperative Hypothermie die postoperative Erholungsdauer und damit die Aufenthaltsdauer im Aufwachraum, selbst wenn die Körpertemperatur kein Verlegungskriterium ist [37]. Kältezittern (Shivering) tritt postoperativ bei 40 Prozent der ungewärmten Patienten auf [11] und führt zu einer adrenergen Stressreaktion [38] und Unwohlsein [39, 40]. 4.3. Protektive Effekte milder, moderater und tiefer Hypothermie Andererseits gibt es durchaus spezielle Situationen, in denen sich eine Hypothermie günstig für den Patienten auswirken kann. Beispielsweise werden bestimmte herzchirurgische Eingriffe häufig in therapeutischer, protektiver Hypothermie vorgenommen, um das zentrale Nervensystem und das Myokard zu schützen. Die Tiefe der Hypothermie hängt dabei vom Eingriff und dem präoperativen Zustand des Patienten ab. Erfordert der Eingriff Phasen absoluten Kreislaufstillstands, werden die Patienten häufig bis auf 18 C Kerntemperatur abgekühlt [41]. Patienten, die nach einem Kreislaufstillstand erfolgreich reanimiert wurden und anschließend mit milder therapeutischer Hypothermie behandelt wurden, haben ein verbessertes neurologisches Outcome und eine geringere Mortalität [42]. Daher empfehlen sowohl die amerikanischen wie auch die europäischen Reanimationsrichtlinien komatöse Patienten nach erfolgreicher Reanimation in ein protektives Hypothermieprogramm einzuschließen [43, 44]. Obwohl sicherlich ausgewählte Patientenkollektive von Hypothermie profitieren, liegt der Schwerpunkt dieses Positionspapiers auf der Diagnose, der Prävention und der effektiven Behandlung der akzidentellen Hypothermie. 11

VDE-Positionspapier Akzidentelle Hypothermie Diagnose, Prävention und Therapie 5. Herausforderung Thermomanagement Im Gegensatz zu anderen physiologischen Parametern, wie Blutdruck oder Sauerstoffsättigung, sind die schädlichen Auswirkungen einer verringerten Körpertemperatur nicht sofort offensichtlich. Ein Rettungsassistent, Notfallmediziner oder Anästhesist, der einen Patienten hypotherm werden lässt, wird in den allermeisten Fällen den Zusammenhang zwischen der akzidentellen Hypothermie und z. B. einer Wundinfektion einige Tage später nicht herstellen können. Daher ist es ausgesprochen wichtig, dass folgende Punkte beachtet werden, um akzidentelle und perioperative Hypothermie zu vermeiden bzw. erfolgreich behandeln zu können. Falls signifikante Veränderungen der Körpertemperatur vermutet oder antizipiert werden, muss 1. die Körperkerntemperatur mit einem geeigneten Messverfahren überwacht werden und sollte 2. ein patienten- und situationsgerechtes Patientenwärmeverfahren angewendet werden [45]. 5.1. Messung der Körperkerntemperatur Das Messen der Körperkerntemperatur eines Patienten klingt trivial, trotzdem gibt es mehrere Punkte zu beachten. Der Goldstandard ist und bleibt die Temperaturmessung des Blutes in der Pulmonalarterie mittels Rechtsherzkatheter. Da diese invasive Methode jedoch nur in ausgewählten Patientenkollektiven, wie z.b. herzchirurgischen Patienten als Nebenprodukt des hämodynamischen Monitorings, zur Verfügung steht, sind andere, weniger invasive Verfahren zur Messung der Körperkerntemperatur erforderlich. Leider sinkt häufig die Messgenauigkeit mit abnehmender Invasivität der Verfahren. In Tabelle 2 wird eine Übersicht über verschiedene verfügbare Methoden gegeben. Alle heute bekannten Messverfahren haben ihre speziellen Vor- und Nachteile. Für eine detaillierte Diskussion dazu wird auf eine kürzlich veröffentlichte Übersichtsarbeit vom DGBMT-Fachausschuss Methodik der Patientenüberwachung verwiesen [46]. Es wird an dieser Stelle betont, dass die Messung der Körpertemperatur bei Risikopatienten ein Primärziel darstellen sollte. Die Wahl der Methode ist dabei zweitrangig und richtet sich nach Verfügbarkeit und dem individuellen Hypothermierisiko eines bestimmten Patienten. 12

Herausforderung Thermomanagement Ort Genauigkeit Reaktionszeit Invasivität Probleme/ Komplikationen Pulmonalarterie Goldstandard schnell sehr hoch Infektion, Komplikationen aufgrund der Punktion 1 Ösophagus gut schnell mittel Perforation, Irritation, mögliche Beeinflussung durch die Atmung Blase gut schnell hoch Infektion, Präzision hängt von der Urinproduktion ab 2 Rektum mittel langsam mittel Perforation, Irritation Nasopharynx gut schnell mittel Irritation, Blutung, Dislokation Gastrointestinale gut mittel bis niedrig selten verfügbar, Pille langsam schwer zu schlucken, keine Standardlokalisation Trommelfell gut schnell mittel Irritation, (Kontaktmessung) Perforation, Dislokation Trommelfell (kontakt- niedrig schnell niedrig Genauigkeit lose Messung; IR) Mundhöhle mittel schnell niedrig Genauigkeit Axilla niedrig langsam niedrig Genauigkeit Stirn gut langsam niedrig Lange Startzeit Innerer Lidwinkel niedrig schnell niedrig Genauigkeit Tabelle 2: Körperkerntemperatur Messorte und Messmethoden (nach Wartzek et al.) [46] 1 Pulmonaliskatheter werden ausschließlich zum hämodynamischen Monitoring verwendet. In diesem Fall erhöht die Temperaturmessung nicht die Invasivität oder das Risiko für Komplikationen. 2 Urinkatheter werden für die Urindrainage eingeführt. Eine zusätzliche Temperaturmessung erhöht nicht die Invasivität oder das Komplikationsrisiko des Blasenkatheters. Es besteht keine medizinische Indikation einen Temperatursensor in die Blase einzuführen, wenn es keine Indikation für einen Urinkatheter gibt. 13

VDE-Positionspapier Akzidentelle Hypothermie Diagnose, Prävention und Therapie 6. Externe Wärmemethoden 6.1. Isolierung Da Wärmeverluste primär über die Haut erfolgen, stellt die Isolation des Körpers gegenüber der Umgebung die effektivste, passive, externe Methode zu dessen Erwärmung dar. Zeitspannen, in denen Hautpartien frei liegen, sollten hierbei so weit wie möglich reduziert werden. Eine Lage einer typischen Krankenhausdecke aus Baumwolle vermindert den Wärmeverlust um 30 Prozent. Durch Verwendung mehrerer Lagen oder durch gewärmte Decken kann der Effekt leider nicht proportional erhöht werden [47]. Isolationsmaterialien mit Reflexionsbeschichtung sind hierbei nicht effizienter als Standardabdeckungen [28, 48-52]. Zieht man allerdings die Verbesserungen bei Outdoor-Kleidung in den letzten Jahren in Betracht, sollten ähnliche Fortschritte bei chirurgischen Abdeckungen und Krankenhausdecken möglich sein [53]. 6.2. Erhöhung der Umgebungstemperatur Theoretisch kann Hypothermie durch eine hohe Umgebungstemperatur vermieden werden, wobei eine um 1 C höhere Temperatur den Wärmeverlust um je 10 Prozent reduziert. Wenn nur diese Methode angewendet würde, müsste die Raumtemperatur allerdings mehr als 26 C betragen, um einen Patienten normotherm zu erhalten [54]. Solche Raumtemperaturen sind, insbesondere für einen vollständig eingekleideten Chirurgen, im Krankenhaus schwerlich vorstellbar und werden deshalb nur in wenigen speziellen Situationen akzeptiert. Erhöhte Umgebungstemperaturen mit bis zu 32 C werden z. B. bei Operationen in der Kinderchirurgie und in spezialisierten Verbrennungszentren eingesetzt. Dennoch sollte stets beachtet werden, dass bereits eine geringfügig höhere Temperatur im Operationssaal positiv zum Thermomanagement beiträgt. 6.3. Infrarotstrahlung Infrarotstrahler können Patienten effektiv aktiv-extern wärmen. Bei der verwendeten Infrarotstrahlung unterscheidet man 3 Spektralbänder (IR-A, IR-B und IR-C) mit zunehmender Wellenlänge von IR-A zu IR-C und entsprechend abnehmender Strahlungsenergie. IR-A erreicht tiefliegende Gewebeschichten, wobei etwa 35 Prozent der Strahlung in der Epidermis absorbiert werden, 48 Prozent im Corium und 17 Prozent in der Subcutis [55]. IR-C hingegen wird bereits vollständig in der nicht durchbluteten Epidermis absorbiert und hat demzufolge eine geringere Wirksamkeit, welche gleichzeitig mit einem höheren Risiko von Verbrennungen einhergeht [45]. Die IR-B Strahlung rangiert in ihren Eigenschaften zwischen IR-A und IR-C. Durch Verwendung von wassergefilterten IR-A - Strahlern kann man selektiv nur mit den Strahlungskomponenten, welche die tieferen Gewebeschichten erreichen, wirksam wärmen und somit das Risiko von Verbrennungen der obersten Hautschichten reduzieren [56]. Perioperativ ist Wärmetherapie durch IR-Strahlung zwar möglich [57, 58], allerdings ist diese Technik nicht sehr verbreitet. Gründe sind die infolge der chirurgischen Abdeckung zu kleinen verfügbaren Flächen, wodurch die Methodik oftmals nicht effizient einsetzbar ist, und die für das OP-Personal unangenehme Strahlungswärme. Das Wärmen mittels Strahlungswärme ist 14

Externe Wärmemethoden immer dann eine Option, wenn der Patient längere Zeit unbedeckt gelagert ist, wie vor und nach Operationen, in der Pädiatrie und in der Notaufnahme. 6.4. Konvektives Wärmen Die Zufuhr von Warmluft (konvektives Wärmen) ist vermutlich die am häufigsten eingesetzte Methode für das Wärmen von Patienten. Die Effektivität der Technik wurde in diversen Studien nachgewiesen [59, 60]. Konvektives Wärmen ist sicher, nicht-invasiv, einfach anzuwenden und teilweise anderen Wärmemethoden überlegen [4-6, 61]. Vorteilhaft ist, dass die Arbeitstemperatur des Gerätes fast augenblicklich erreicht wird [62]. Die Systeme bestehen aus einer Heizeinheit mit Ventilator, der die erwärmte Luft über Schläuche in spezielle Decken bläst. Solche Decken sind in verschiedenen Ausführungen verfügbar, z.b. als Ganzkörperdecken, als Ober- bzw. Unterkörperdecken sowie für Anwendungen unter dem Körper. Sowohl Wärmedecken für den Einmalgebrauch als auch wieder verwendbare Wärmedecken sind verfügbar (nach entsprechender Reinigung und Desinfektion). Allerdings entstehen bei jeder Anwendung Kosten. Die Effektivität des konvektiven Wärmens wird bestimmt durch den Luftdurchsatz des Ventilators, den Temperaturgradienten zwischen der Decke und der Fläche des für Wärmen verfügbaren Hautgebietes [63]. Die einfache Anwendbarkeit der Technik birgt aber auch spezielle Risiken in der Praxis. So können ernsthafte Verbrennungen auftreten, wenn die Geräte ohne die vorgesehenen Wärmedecken verwendet werden (z.b. wenn die Schläuche direkt unter der Bettdecke des Patienten eingesetzt werden, dem so genannten Hosing ) [64, 65]. Andere Nachteile des konvektiven Wärmens sind das möglicherweise als störend empfundene Lüftergeräusch und die erhöhte Temperatur in unmittelbarer Nähe des Gerätes [66]. Häufig trifft man im klinischen Alltag auf Bedenken bezüglich einer möglichen bakteriellen Kontamination des OP-Felds durch das Lüftersystem [67]. Der Fall einer Übertragung von pathogenen Mikroben über Luftströmungen in das Operationsgebiet wurde beschrieben [68], jedoch wurde in mehreren Studien die klinische Relevanz dieser Ergebnisse angezweifelt. Es wurde kein Unterschied in der Verbreitung von Bakterien mit oder ohne Warmluft-Wärmen gefunden [69-71]. Aus diesem Grunde kann auch nicht empfohlen werden, mit dem Wärmen aus Hygienegründen zu warten, bis das OP-Feld vollständig abgedeckt ist. 6.5. Konduktives Wärmen mit Wärmematratzen Konduktives Wärmen mit Wärmematratzen ist ein lange bewährtes aktives Verfahren. Dabei werden unterschiedliche Funktionsprinzipien zur Erzeugung und Verteilung der Wärme angewendet. Allerdings zeigen die Matratzen, ob nun ein Warmwasserkreislauf oder das direkte elektrische Heizen innerhalb der Matratze Anwendung findet, nur eine relativ geringe Effektivität [4, 5, 18, 72]. Ein Wärmetransport von der Matratze zur Haut und weiter zum Körperkern findet nur dann statt, wenn die Matratze wärmer als 37 C ist. Höhere Temperaturen als ca. 42 C sind jedoch nicht möglich, da Verbrennungen auftreten könnten. Da der intraoperative Wärmeverlust über den Patientenrücken sehr klein ist [73], bleibt die Änderung im Wärmehaushalt gering [5]. Matratzen zum Wärmen sind somit immer dann eine Option, wenn andere effektivere Wärmemethoden nicht anwendbar oder verfügbar sind. Beispiele sind das Wärmen bei Eingriffen, bei denen der sterile Bereich vom Oberschenkel bis zum Kopf reicht (z. B. bei neuroangiographischen Interventionen), und deshalb nur kleine Gebiete für z.b. Warmluft- Wärmen zur Verfügung stehen. Ein anderes Beispiel sind Eingriffe an den Koronararterien ohne Herzlungenmaschine (off-pump coronary artery bypass; OPCAB). 15

VDE-Positionspapier Akzidentelle Hypothermie Diagnose, Prävention und Therapie 6.6. Konduktives Wärmen mit Wärmedecken Im Gegensatz zum Wärmen mittels Matratzen sind Wärmedecken, die auf dem Patientenkörper liegen, recht effektiv. Der Wärmetransfer hängt hauptsächlich von der Kontaktfläche zwischen der Decke und der Haut ab. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Decke durch zirkulierendes Wasser [73-75], durch Widerstandsheizung mittels Kohlefasern [76-78] oder mit Polymeren [66, 79] wärmt. Ohne einen direkten Kontakt zwischen Decke und Haut trägt allerdings nur die Strahlung zum Wärmen bei. Diese Methode ist eine gute Alternative zum perioperativen Quasi-Standard mittels Warmluft, wenn die verfügbare Fläche für konduktives Wärmen groß genug ist und darauf geachtet wird, dass ein guter Hautkontakt zur Wärmedecke besteht. Zudem ist sie potenziell kosteneffektiver (keine Einmaldecken bzw. geringere Reinigungskosten), leiser und die Umgebungstemperatur wird nicht so stark erhöht. 6.7. Angefeuchtete und/oder erwärmte Atemluft Anfeuchtung und Erwärmung der Atemluft wird eher als Methode zur Vermeidung der Hypothermie denn als eine Wärmemethode angesehen. Weder aktive noch passive Klimatisierung der eingeatmeten Luft (über Wärme- und Feuchteaustauschfilter; heat-moisture exchanger; HME) bewirken einen relevanten Transfer von Wärme [5, 45, 80]. Allerdings offerieren HME- Filter zusätzlich eine Prophylaxe für ventilator-assoziierte (Kreuz-) Infektionen, weshalb HME- Filter bei maschinell beatmeten Patienten in der Anästhesie und teilweise in der Intensivmedizin heutzutage sehr weit verbreitet sind. 6.8. Warmwasserimmersion Die Wahrung von Normothermie während der Behandlung von schweren, großflächigen Verbrennungen stellt eine Herausforderung dar, da massive Wärmeverluste durch Verdampfung über den großen Wundflächen auftreten. Wie bereits angesprochen, ist es in Schwerbrandverletztenzentren gängige Praxis, die Raumtemperatur auf > 30 C zu erhöhen. Häufig erfolgt die Reinigung und Versorgung der Brandwunden in speziellen Badewannen. Hier hilft das warme Wasser Hypothermie zu vermeiden, allerdings erfordert dies eine komplexe Logistik und stellt das Anästhesie- und OP-Team vor große Herausforderungen. 6.9. Prewarming/Vorwärmen Das Prewarming oder Vorwärmen des Patienten ist eine effektive externe Methode zur Hypothermieprophylaxe [81, 82]. Mittels Prewarming reduziert man den Temperaturgradienten zwischen Körperkern und Peripherie, wodurch die Wärmeumverteilung nach der Narkoseeinleitung reduziert wird. Unterschiedliche Techniken, wie konvektives oder konduktives Wärmen bzw. über Infrarot-Strahler, können hierfür eingesetzt werden. Allerdings muss der Patient frühzeitig in die Holding Area oder in den Einleitebereich transferiert werden. Die notwendigen Anwendungszeiten für ein effektives Prewarming betragen zwischen 30 und 60 Minuten [83]. Horn et al. zeigten jedoch vor kurzem, dass auch ein kürzeres Prewarming (10 Minuten) effektiv sein kann [84]. Ein Wärmeverlust zwischen Prewarming und Anästhesieeinleitung muss jedoch unbedingt vermieden werden. Die Herausforderung (und Schwäche) der Methode besteht in der korrekten Anwendung des Prewarming in der täglichen Routine. Verbindliche OP-Zeitpläne und eine gute Kooperation aller Beteiligten sind dafür notwendig. Dies ist in vielen Krankenhäusern nicht sichergestellt, weshalb das sehr effektive Vorwärmen leider nur selten genutzt wird. 16

Interne Wärmemethoden 7. Interne Wärmemethoden 7.1. Gewärmte Infusionen Die Gabe von gewärmten Infusionen über Flüssigkeitswärmer ist eine aktive, interne Wärmemethode. Die mittlere Körpertemperatur eines Erwachsenen sinkt um etwa 0,25 C bei Gabe einer gekühlten Einheit (4 C) von Erythrozyten-Konzentrat oder wenn 1000 ml Infusionslösung mit Raumtemperatur gegeben werden [18]. Dieser Wärmeverlust wird nur wirksam vermieden, wenn die Infusionslösung angewärmt ist. Darüber hinausgehendes Wiedererwärmen des Patienten ist mit dieser Technik nicht möglich. Der Grund hierfür ist, dass die Flüssigkeitstemperatur und die maximal zu infundierende Flüssigkeitsmenge begrenzt sind. Da die Methode nur dann wirksam ist, wenn größere Flüssigkeitsmengen gegeben werden (> 500 ml), sind spezielle Flüssigkeits-Wärmer mit großer Wärmekapazität und hohen Flussraten insbesondere für Patienten von Nutzen, bei denen größere Volumenverschiebungen erwartet werden (z. B. bei Polytraumata oder größeren viszeral- bzw. thoraxchirurgischen Eingriffen). Zusätzliches Wärmen mit einem alternativen, z.b. konvektiven oder konduktiven Wärmesystem ist jedoch immer notwendig. 7.2. Wärmen mit intravaskulären Kathetern Das Wärmen mit intravaskulären katheterbasierten Wärmesystemen ist eine effektive, internaktive Methode. Sie erfordert einen zentralvenösen Zugang (V. femoralis, V. jugularis oder V. subclavia), über den ein spezieller Wärmekatheter eingeführt wird. An der Spitze dieses Katheters befindet sich gewöhnlich ein Wärmeaustausch-Ballon, der von einer Wärmeflüssigkeit durchströmt wird. Ein Vorteil dieser Methode ist die automatische Regulation der Körpertemperatur nach der Installation des Katheters. Weiterhin können die Systeme sowohl für das Wärmen als auch für das Kühlen von Patienten eingesetzt werden. Die Einleitung einer therapeutischen Hypothermie, z.b. zur Einleitung des Hypothermieprotokolls nach einem Herzstillstand, ist somit ebenfalls leicht durchzuführen. Zudem ist es möglich, die Rate des Wärmens bzw. des Kühlens zu definieren, um zu schnelle Temperaturänderungen zu vermeiden. Allerdings ist die Punktion einer zentralen Vene mit einem Katheter großen Durchmessers eine sehr invasive Prozedur mit typischen Risiken. Zieht man weiterhin den hohen Preis eines Katheters (~ 900 ) in Betracht, ist diese Methode des Thermomanagements nur bei speziellen Indikationen eine Option. 17

VDE-Positionspapier Akzidentelle Hypothermie Diagnose, Prävention und Therapie 8. Extrakorporale Wärmemethoden 8.1. Extrakorporales Wärmen ohne hämodynamische Unterstützung Es stehen mehrere extrakorporale Wärmemethoden zur Verfügung. So können hypotherme Patienten auch in kleineren Krankenhäusern effektiv mit Hämodialyse oder kontinuierlicher veno-venöser Hämofiltration (CVVH) gewärmt werden [85-87]. Die Methode lässt sich rasch anwenden und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, den Elektrolytstatus zu korrigieren oder Nierenversagen zu behandeln. Nachteilig allerdings ist, dass stabile Kreislaufverhältnisse vorliegen müssen und eine Antikoagulation notwendig ist. Eine typische Anwendung für diese Methode besteht im Wiedererwärmen intoxikierter, hypothermer Patienten. Dabei können zusätzlich zum Wiedererwärmen auch die Toxine aus der Blutbahn entfernt werden [88]. Eine weitere Methode ist das kontinuierliche arterio-venöse Wärmen [89, 90]. Die Methode ist sehr invasiv (arterielle Kanüle mit großem Durchmesser) und der extrakorporale Blutfluss, der den Wärmetransfer bestimmt, lässt sich nicht leicht einstellen, da der Fluss vom Blutdruck abhängt. Arterio-venöses Wärmen verursacht einen signifikanten Links-Rechts Shunt, der nicht leicht durch den hypothermen Organismus kompensiert werden kann (Bradykardie, reduzierte Inotropie) [91]. 8.1. Extrakorporales Wärmen mit hämodynamischer Unterstützung Das effektivste und gleichzeitig invasivste Wärmeverfahren für Patienten mit schwerer Hypothermie ist der kardiopulmonale Bypass (CPB) [92-96] an der Herzlungenmaschine. Vorteil des CPB ist die Möglichkeit, die Hypothermie selbst und gleichzeitig auch ihre hämodynamischen Konsequenzen zu behandeln. In der initialen Phase der tiefen Hypothermie mit Herzstillstand ersetzt der CPB vollständig die Funktion des Herzens und der Lunge und erwärmt den Patienten ausreichend. Später, nach der teilweisen Wiedererwärmung und der Rückkehr des Kreislaufs (ROSC), kann die Unterstützung durch die Herzlungenmaschine je nach Kreislaufsituation schrittweise reduziert werden. Krankenhäuser der Maximalversorgung, die regelmäßig Patienten mit hypothermen Kreislaufstillstand zugewiesen bekommen, (z.b. Lawinenopfer in den alpinen Regionen) haben Behandlungsprotokolle zur sehr schnellen Installation des CPB (z.b. durch femoro-femoralen CPB). Bei dieser speziellen Patientengruppe (oft jung, keine Vorerkrankungen und hypotherm) werden vielversprechende Ergebnisse gesehen [97, 98]. Die extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) stellt eine weitere Option für die Behandlung der tiefen Hypothermie dar [99, 100]. Man unterscheidet zwischen veno-venöser und veno-arterieller ECMO. Beiden Systemen gemein ist, dass das Blut des Patienten aus der Vena cava abgeführt (z.b. Zugang über die V. femoralis zur V. cava inferior) und der Gasaustausch extrakorporal durchgeführt wird. Bei veno-arterieller ECMO wird dann das oxygenierte Blut über eine Arterie in den Körper zurückgeführt. Dabei bietet sich die Möglichkeit der hämodynamischen Unterstützung. Damit ist die veno-arterielle ECMO in der Initialphase nach hypothermem Kreislaufstillstand hilfreich. Im Gegensatz dazu wird bei veno-venöser ECMO das oxygenierte Blut zurück in die V. cava gepumpt. Eine Kreislaufunterstützung ist mittels veno-venöser ECMO nicht möglich. Veno-venöse ECMO wird vor allem dann erfolgreich eingesetzt, wenn in der Phase nach der initialen 18

Extrakorporale Wärmemethoden Stabilisierung ein Lungenversagen mit der Notwendigkeit eines extrakorporalen Gasaustausches aufgetreten ist [43, 101]. Beide Verfahren, CPB und ECMO, sind maximal invasive Techniken, die eine permanente Antikoagulation erfordern. Sie können nur in Zentren der Maximalversorgung durchgeführt werden und erfordern die unmittelbare Verfügbarkeit von erfahrenen Operateuren, Anästhesisten und Kardiotechnikern. 19

VDE-Positionspapier Akzidentelle Hypothermie Diagnose, Prävention und Therapie Fazit Thermomanagement Verschiedene Methoden und Geräte zur Unterstützung eines effektiven Thermomanagements sind am Markt erhältlich und in den Krankenhäusern verfügbar. Vom technischen Standpunkt aus betrachtet scheint es, dass die meisten Anforderungen für eine erfolgreiche Erkennung und Behandlung akzidenteller Hypothermie erfüllt sind. Im nun folgenden Abschnitt dieses Positionspapiers werden wir uns auf die bereits existierenden Empfehlungen, Standards und Leitlinien sowie auf die Kosteneffizienz der Hypothermiebehandlung konzentrieren. Kategorie Verfahren Invasivität passiv extern ungewärmte Decken niedrig angefeuchtete Atemluft niedrig aktiv extern konvektives Wärmen niedrig konduktives Wärmen niedrig Warmwasserbad (hoch)* Infrarot-Strahler niedrig erhöhte Umgebungstemperatur niedrig aktiv intern erwärmtes und angefeuchtetes Inspirationsgas mittel gewärmte Infusionen mittel intravaskuläre Wärmekatheter hoch extrakorporal Hämodialyse /Hämofiltration (CVVH) hoch veno-venöse Wärmetherapie hoch arterio-venöse Wärmetherapie hoch extrakorporale Membran- sehr hoch Oxygenierung (ECMO) sehr hoch kardiopulmonaler Bypass * durch die Notwendigkeit der Narkoseführung Tabelle 3: Methoden zur Wärmetherapie (Kategorien adaptiert von Kempainen und Brunette [102]) 20

9. Empfehlungen, Standards und Leitlinien Empfehlungen, Standards und Leitlinien Einige Empfehlungen, Standards und Leitlinien zum perioperativen Thermomanagement sind von verschiedener Seite bereits publiziert worden. Im Folgenden wird die aktuelle Situation in Nordamerika und in Europa näher beleuchtet. 9.1. USA Mehrere amerikanische Institutionen und Organisationen empfehlen die Aufrechterhaltung der perioperativen Normothermie, um die Rate an postoperativen Wundinfekten (surgical site infection; SSI) zu reduzieren. Zum Beispiel empfiehlt das Institute for Healthcare Improvement (IHI; www.ihi.org) den perioperativen Einsatz von konvektiven Luftwärmern, um Normothermie zu erhalten [103]. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC; www.cdc.gov) führen in ihrer Leitlinie Guideline for the Prevention of Surgical Site Infection [104] aus, dass durch exzellente Operationstechniken im Sinne von best practice SSI reduziert werden können. Ausdrücklich werden hierbei Techniken zur Hypothermievermeidung eingeschlossen. Die American Society of Anesthesiologists (ASA) empfiehlt in Ihrer Veröffentlichung Quality Incentives in Anesthesiology (Anm. Übersetzung durch den Autor): Wir schlagen vor, dass das Erreichen einer postoperativen Temperatur von über 36 C ein wichtiges, nützliches und realistisches Ziel für Patienten ist, welche einer länger als 60 Minuten dauernden Allgemeinanästhesie unterzogen werden., [105]. Die American Society of PeriAnesthesia Nurses (ASPAN) veröffentlichte 2009 eine auf klinischer Evidenz basierte Leitlinie zur klinischen Praxis für die Förderung der perioperativen Normothermie [106]. 9.2. Vereinigtes Königreich (GB) Das National Collaborating Centre for Women s and Children s Health empfiehlt in der Leitlinie zu SSI [107] unter anderem die Umsetzung der Leitlinie des National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE): Inadvertent perioperative hypothermia [108]. 9.3. Deutschland Nach Kenntnisstand der Autoren sind bis jetzt keine klinischen Leitlinien oder Standards zur akzidentellen und perioperativen Hypothermie in Deutschland publiziert worden. Allerdings führt die neueste Version des Infektionsschutzgesetz (IfSG) aus, dass der Leiter eines Krankenhauses sicherzustellen hat, dass alle notwendigen Maßnahmen nach aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand getroffen wurden, um nosokomiale Infektionen zu vermeiden. Die Einhaltung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes gilt als erfüllt, wenn das Krankenhaus den Empfehlungen des Komitees zur Hygiene im Krankenhaus und Prävention von Infektionen des Robert-Koch-Institut (RKI) folgt [109]. Diese Empfehlungen beinhalten eine Erklärung, wonach perioperative Normothermie bei allen Patienten zu bewahren ist, außer bei Patienten, die von einer protektiven Hypothermie profitieren. Schlussendlich bedeutet dies, dass bei Auftreten eines postoperativen Wundinfekts bei einem Patienten, der zum Zeitpunkt des Operationsendes manifest hypotherm war, der Nachweis zu führen ist, dass alle möglichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Normothermie getroffen wurden. Die Auswirkungen und die Bedeutung dieser neuen rechtlichen Situation (Haftung) scheinen von hoher und neuartiger Relevanz für die klinische Praxis. 21

VDE-Positionspapier Akzidentelle Hypothermie Diagnose, Prävention und Therapie 10. Kosteneffektivität In der Gesundheitsversorgung wird heute ein starkes Gewicht auf die Steigerung der Kosteneffektivität gelegt [110, 111]. Dieses Thema bestimmt die Diskussionen zu Ausgaben im Gesundheitswesen. Komplikationen einer Methode wirken sich negativ auf die Kosteneffektivität aus. Bekannte Komplikationen der perioperativen Hypothermie, die zusätzliche Kosten verursachen, umfassen eine erhöhte Inzidenz chirurgischer Wundinfektionen [1], vermehrten Transfusionsbedarf [33], verlängerte Verweilzeiten im Aufwachraum [112], verlängerte Krankenhausliegedauer [1] sowie vermehrtes Auftreten kardialer Ereignisse [3]. Nach einer Untersuchung von Melling et al. [113] ergibt sich für perioperative Wärmetherapie eine Anzahl der notwendigen Behandlungen (number needed to treat, NNT) von 10 bis 15 Patienten für die Vermeidung einer chirurgischen Wundinfektion. Eine Berechnung für das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Patientenwärmung zur Vermeidung der perioperativen Hypothermie in Großbritannien findet sich im NHS Kostenbericht [114] der NICE Leitlinie Inadvertent perioperative hypothermia [108]. Das Basisrisiko einer Komplikation der unbeabsichtigten perioperativen Hypothermie sowie das entsprechende relative Risiko für jede Komplikation und deren Kosten (je Komplikation und entsprechende Kosteneinsparung für jede verhinderte unbeabsichtigte perioperative Hypothermie) zusammen mit einer Berechnung der gewonnenen, qualitätskorrigierten Lebensjahre (quality-adjusted life years, QALY) zeigt Tabelle 4. Der berechnete Netto-Gewinn je hypothermen Patienten ist in Tabelle 5 aufgeführt. Beide Ergebnisse basieren auf der Kosteneffektivitätsanalyse der NICE Leitlinie (CG65) Inadvertent perioperative hypothermia. Für das Vereinigte Königreich ermittelten Coello et al., dass chirurgische Wundinfektionen in Abhängigkeit von ihrer Lokalisation die Krankenhausverweildauer um 3,3 bis 21 Tage verlängern, was im Durchschnitt zu Mehrkosten von 6,103 führt [115]. Weitere Einsparungen dürften sich aus einer Verringerung kardialer Ereignisse und des perioperativen Transfusionsbedarfs ergeben. Für die USA berichten Mahoney et al. in einer Metaanalyse unter Berücksichtigung von Outcomes und Kosten von durchschnittlichen Mehrkosten eines jeden hypothermen Patienten von US$ 2,412 bis US$ 6,839 [116]. Medicare die öffentliche Krankenversicherung in den USA dokumentiert die Bedeutung der Hypothermie durch eine Initiative, das Surgical Care Improvement Project (SCIP) Infection 10 quality measure, welches verlangt, dass entweder intraoperativ gewärmt wird oder am Ende der Operation Normothermie nachgewiesen werden kann. Anästhesisten, die an der dem SCIP zugeordneten Physician Quality Reporting Initiative teilnahmen, erhielten 2011 eine 2-prozentige Bonuszahlung, welche sich schrittweise in einen 2-prozentigen Zahlungsabzug wandeln kann, wenn keine Dokumentation erfolgt [117]. Insgesamt kann aktives Thermomanagement zu einer höheren Kosteneffektivität führen. Allerdings müssen Patienten mit einem entsprechenden Risiko korrekt identifiziert und entsprechende Wärmestrategien ausgewählt werden. Bei Hochrisiko-Patienten können auch sehr aufwändige Wärmetechniken kosteneffektiv sein [118]. Bonus-/Malussysteme der Kostenträger können dazu beitragen, adäquates Thermomanagement als Standard der Patientenversorgung zu etablieren. 22

Kosteneffektivität Konsequenzen Baseline Relatives Folgekosten QALY Verlust Kostenein- QALY Nettogewinn der IPH Risiko Risiko je Konse- je Konse- sparung je Gewinn je je (95 % CI) quenz der quenz der vermiedenen vermiedenen vermiedenen IPH IPH IPH-Fall IPH-Fall IPH-Fall Wundinfektion 3.0 % 4.0 (kleine Eingriffe) (1.6 10.2) 950 0.07 86 0.006 211 Wundinfektion (mittlere, große 3.0 % Eingriffe) Bluttransfusion (mittlere und 12.0 % große Eingriffe) 4.2 (1.6 10.2) 1.2 (0.9 1.6) 3,858 0.07 347 0.008 473 244 5 5 Bluttransfusion 0.0 % 1.2 (kleine Eingriffe) (0.1 1.6) Kardiale Ereignisse 0.0 % (Alter 20 Jahre) Kardiale Ereignisse 2.4 % (Alter 50 Jahre) Kardiale Ereignisse 4.5 % (Alter 70 Jahre) 2.2 (1.1 4.7) 2.2 (1.1 4.7) 2.2 (1.1 4.7) 2,048 3.54 59 0.055 1,165 2,341 1.93 111 0.057 1,249 Künstliche 0.3 % 1.6 Beatmung (1.0 2.6) 1,144 2 2 Druckgeschwüre (mittel 1.8 % und groß) 1.9 (0.9 4.1) 1,064 17 17 Krankenhausverweildauer in Tagen (kleine Eingriffe) Krankenhausverweildauer in Tagen (mittlere Eingriffe) 0.25 + 19 % 275 13 13 1 + 19 % 275 51 51 Krankenhausverweildauer 4 + 19 % 275 204 204 (große Eingriffe) Tabelle 4: Gesundheitsökonomisches Modell für akzidentelle perioperative Hypothermie (inadvertent perioperative hypothermia, IPH), basierend auf der NICE Leitlinie 2008 [114]. 23