WIE GEHEN MÄNNER MIT GESUNDHEIT UM? GESUNDHEITSVERSTÄNDNIS UND GESUNDHEITSHANDELN Toni Faltermaier Europa-Universität Flensburg, Abteilung Gesundheitspsychologie und Gesundheitsbildung Faltermaier@uni-flensburg.de
Agenda Einstieg Ausgangspunkt: Geschlechtsunterschiede in gesundheitlichen Indikatoren Frage nach Erklärungsansätzen für die Gesundheit von Männern Gesundheitsverständnis von Männern: Gesundheitsund Krankheitsvorstellungen Gesundheitshandeln von Männern Schlussbemerkungen
Geschlechtsunterschiede in Gesundheit und Krankheit Epidemiologische Befunde (RKI, 2014) Lebenserwartung in D/EU: Männer (ca. 78 Jahre) Frauen (ca. 83 Jahre) Mortalität: Todesfälle von Männern im jungen Alter (15-30): Unfälle, Suizid, Gewalt; Todesfälle im mittleren/höheren Alter (45-75): KHK, Krebs, Lebererkrankungen, Suizid, Unfälle; Morbidität: Körperliche Krankheiten: KHK, Krebs (Lungen-), AIDS; Psychische Erkrankungen: Sucht (Alkoholismus), Persönlichkeitsstörungen, Depression (Burnout) 3 3
Psychosoziale Ätiologie von Krankheit (Faltermaier, 2017) soziale Stressoren: Arbeitsbelastungen Lebensereignisse Soziale Unterstützung soziales Netzwerk d Soziale Bindungen Coping: emotionsorientiert problemorientiert Risikoverhalten: Rauchen Alkoholkonsum Bewegungsmangel Fahrverhalten Psychophysiol. Mechanismen: kardiovaskulär Immunologisch muskulär Krankheit Herzinfarkt Krebs Unfälle Infektionen 4 Individuelle Dispositionen Typ-A-Muster ; AHA-Syndrom Depressivität
Lebenserfahrungen Integratives Modell der Salutogenese Faltermaier, 2017 Potentielle endogene & exogene Stressoren (Risiken und Noxen): psychosoziale Stressoren physikalische & biochemische Stressoren Spannungszustand Soziokultureller & historischer Kontext biographische Quellen Sozialisation 5 körperlich materiell soziokulturell Gefühl der Kohärenz Allgemeine Widerstandsressourcen personalpsychisch sozialinterpersonal Gesundheitsbewusstsein: subjektive und soziale Vorstellungen von Gesundheit Profess. Wissen Gesundheitshandeln individuelles & soziales Handeln Laiensystem Profess. Handeln Bewältigung Bewältigung Stresszustand Gesundheitskontinuum (multidimensional) + - Körperlich psychisch sozial Wohlbefinden Handlungsfähigkeit Beschwerden Krankheit
Alter/ Geburtskohorte Integriertes Modell Männergesundheit Einflussfaktoren (Faltermaier & Hübner, 2016, S.47) Geschichte Gender KRANKHEITS- VERHALTEN UND HILFESUCHEN Lebensbedingungen/ Lebenswelten VORSTELLUNGEN VON GESUNDHEIT UND KRANKHEIT RISIKOVERHALTEN UND PRÄVENTIVES GESUNDHEITS- VERHALTEN RESSOURCES AND RISK FACTORS SOCIAL SUPPORT UND SOZIALE NETZWERKE Men s Männergesundheit x Health GESUNDHEITS- RESSOURCEN UND RISIKO- FAKTOREN STRESSOREN UND COPING Geschlechtsspezifische Sozialisation Kultureller Hintergrund SES Gesellschaft Biologische Geschlechtsunterschiede
Subjektive und soziale Konstruktion von Gesundheit Gefühl der Kohärenz (SoC) 7 Gesundheitsbewusstsein sozialer/ biographischer Kontext Gesundheitshandeln - individuell - sozial - Familie - Gemeinde - Selbsthilfegruppen Professionelles Gesundheitssystem Lebenswelt, Alltagshandeln, Gesellschaft Stressoren erfolgreich subjektive und soziale Gesundheitsvorstellungen Laiengesundheitssystem Bewältigungshandeln Gesundheitskontinuum Gesundheit Krankheit
Subjektive Gesundheitskonzepte: Inhaltliche Dimensionen im Überblick körperliche Gesundheit psychische Gesundheit soziale Gesundheit Befinden Wohlbefinden, Kraft, Stärke Wohlbefinden, Kraft, Stärke, Harmonie Harmonie Aktionspotential Handlungsfähigkeit Leistungsfähigkeit Handlungsfähigkeit Leistungsfähigkeit Arbeitsfähigkeit Leistungsfähigkeit Abwesenheit von bzw. geringes Ausmaß an Beschwerden, Schmerzen, Probleme Krankheit Problemen 8
Laienkonzepte von Gesundheit Ergebnisse (relative Häufigkeit) einer repräsentativen Studie mit offenen Fragen (Blaxter 1990; n = 9000) 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Abwesenheit von Krankheit körperliche Fitness/ Energie funktionale Leistungsfähigkeit psychisches Wohlbefinden persönlich andere 9
Subjektive Gesundheitskonzepte nach Alter und Geschlecht (Blaxter, 1990) Nie krank, keine Krankheit körperliche Fitness, Energie Funktionale Leistungsfähigkeit Männer Frauen 18 39 40-59 60+ 18 39 40-59 60+ 14 17 16 12 10 10 39 27 12 41 32 16 22 26 43 22 36 34 Psychische Fitness 31 40 36 48 52 44 10
Fragment 1: Verständnis von Gesundheit Bei allen Indikatoren von subjektiver Gesundheit schätzen Männer ihre Gesundheit besser ein als Frauen Im Allgemeinen zeigen Männer ein geringeres Interesse und weniger Motivation für Fragen der Gesundheit als Frauen In den subjektiven Konzepten von Gesundheit haben sowohl Frauen als auch Männer überwiegend positive und differenzierte Begriffe von Gesundheit Die subjektiven Gesundheitskonzepte von Frauen tendieren dazu, differenzierter zu sein und mehr die Aspekte eines psychischen Wohlbefindens zu betonen Die subjektiven Gesundheitskonzepte von Männern betonen mehr die körperlichen Aspekte und die Leistungsfähgkeit
Gesundheits- und Krankheitsvorstellungen im Kontext (Faltermaier, 2017, S. 224) Lebensweltlich sozialer Kontext: Beruf, Familie, soziales Netzwerk; Lebensthemen, Lebensweise Inhalte: Einflußbereiche Inhalte Subjektive Konzepte von Gesundheit und Krankheit Dynamik subjektive Theorien von Gesundheit subjektive Theorien von Krankheit Dynamik: Einflußprozesse Biographischer Kontext: Lebenskrisen, Krankheiten, Lebensveränderungen, Körpersozialisation Subjekt-Kontext: Selbstkonzept, Lebenskonzept 12
Akteure und Handlungsebenen im Laiengesundheitssystem Laiensystem Individuum Soziale Netzwerke Selbsthilfeinitiativen Kommunalverwaltung Professionelles System Gesundheitshandeln im Alltag soziale Unterstützung (Dienst- und Beratungsleistung Krankheitsverhalten Selbstdiagnose & Selbstbehandlung medizinisches, pflegerisches & psychosoziales Versorgungssystem Krankheitsbewältigung individuell sozial in Gruppen Familienpflege Nachbarschaftshilfe Politisches Handeln 13 Verwaltungshandeln
Risikoverhalten Gesundheitsverhalten - Gesundheitshandeln Risikoverhalten als verhaltensbedingte Risikofaktoren für spezifische Krankheiten Risikoverhaltensweisen und mögliche Krankheitsfolgen: Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung, Sonnenbaden, riskantes Sexualverhalten, riskantes Autofahren Psychosoziale Bedingungen des Risikoverhaltens: 14 zentrale kulturell geprägte Lebensaktivitäten Genussmittel Unmittelbare positive und verstärkende Wirkungen Gesundheitsverhalten: jede Aktivität einer sich gesund empfindenden Person, die Krankheiten verhindern oder in einer noch nicht symptomatischen Phase entdecken soll (Kasl & Cobb, 1966, 246) Gesundheitsverhalten als expertendefiniertes Verhalten, z.b. körperliche Bewegung, gesunde Ernährung und ausreichender Schlaf Gesundheitshandeln als bewusstes zielorientiertes Handeln aus der Sicht von Subjekten in ihrem sozialen und lebensweltlichen Kontext
Phasen im Krankheitsprozess Wahrnehmung von körperlichen Beschwerden Erstellen der Laiendiagnose einer Erkrankung Selbstbehandlung und Laienkonsultation (Hilfesuchen im Laiensystem) Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe (Hilfesuchen im Expertensystem), medizinische Diagnose einer Erkrankung, Patientenrolle Ärztliche Behandlung des Kranken, Mitarbeit des Patienten, Krankheitskarriere 15
Fragment 6: Krankheitsverhalten und Hilfesuchen Männer gehen mit Krankheit anders um als Frauen, sie zeigen ein unterschiedliches Krankheitsverhalten und unterschiedliches Hilfesuchverhalten Weniger regelmäßige Suche nach medizinischem Rat (Addis, Mahalik, 2003) Weniger Inanpruchnahme von professioneller medizinischer Hilfe Weniger Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen Männer verhalten sich bei ärztlichen Konsultationen anders als Frauen und werden als Patienten auch unterschiedlich behandelt (Sieverding, 2008; Kuhlmann, 2002; Goldberg et al., 2000) Weniger Körperbewusstsein und Körperwahrnehmung körperliche Signale werden oft ignoriert (Pauli & Homberg, 2010) Hilfesuchverhalten steht in Verbindung mit traditioneller männlicher Rolle: Stärke und Unabhängigkeit stehen in Widerspruch zu angemessener Wahrnehmung körperlicher Symptome und Hilfesuchen (Courtenay,, 2000) Männliche Sozialization (z.b. Kontrolle der Emotionen, Orientierung an Leistung-und Erfolg) führt zu einer Bagatellisierung von Symptomen und zu einer Vermeidung von ärztlichen Konsultationen (Pauli, Homberg, 2010; Faltermaier, 2004).
Fragment 2: SOCIAL SUPPORT UND NETZWERKE Support gap (Fuhrer & Stransfeld, 2002; Umberson, 2004; Faltermaier, 2004): Männer erhalten mehr soziale Unterstützung als Frauen Männer geben weniger soziale Unterstützung als Frauen Männer haben weniger entwickelte soziale Netzwerke und investieren weniger in soziale Beziehungen Ehe/Partnerschaft ist ein wichtiger Schutzfaktor für die Gesundheit von Männern (Williams & Umberson, 2004) Verheiratete Männer weisen psychisch und körperlich einen bessere Gesundheit auf Geschiedene, getrennte und verwitete Männer haben höhere Risiken für ihre Gesundheit Insbesondere ältere Männer sehen ihre Ehefrauen als Hauptquelle von sozialer Unterstützung, ältere Frauen erhalten die meiste Unterstützung von ihren Kindern und Freundinnen (McLaughlin, 2010) Männer haben tendentiell kleinere soziale Netzwerke als Frauen und sind weniger zufrieden mit ihnen. Ihre sozialen Kontakte werden von Familie und Partnerschaft dominiert (McLaughlin, 2010) Familie und Partnerschaft stellen auch subjektiv eine zentrale Ressource für die Gesundheit von Männern dar (Faltermaier, 2004; Helgeson, 1995)
Professionelle Arbeit mit Zielgruppen von Männern 1 Männer sind eine sehr heterogene Gruppe Differenzierungen notwendig nach Sozioökonomischem Status Lebenswelten Kulturellem Hintergrund Alter Geburtskohorte Männer sollten nicht isoliert sondern auch in Relation zu Frauen betrachtet werden (Änderungen von Frauenrolle, Beziehungen zwischen Geschlechtern, öffentlich - privat) Wo sind Männer erreichbar? (Settings) Arbeit und Setting Betrieb Kita Schule außerschulische Jugendarbeit Kommune und Sportvereine Kulturspezifische Settings Institutionen des Gesundheitssystems (wenn sie dort auftauchen)
Professionelle Arbeit mit Zielgruppen von Männern 2 Wie sind Männer in Gesundheitsförderung und Praxis erreichbar? Grundprinzip: Professionelle sollten Männer dort abholen, wo sie stehen (Rollen, Lebenssituation, Gesundheit) und wie sie sich verstehen (Verständnis von Gesundheit, Identität) Explorieren, verstehen und anerkennen der Gesundheitsvorstellungen und der subjektiven Sicht von Männern Explorieren, verstehen und berücksichtigen der Lebenswelten, in denen männliche Zielgruppen erreicht werden sollen Settingsansatz Nutzen von Sensibilisierung für gesundheitliche Themen in Übergangsphasen im Lebenslauf: Familiengründung, Berufseinstieg, beruflicher Aufstieg, Lebensmitte, Altern, beruflicher Ruhestand; kritische Lebensereignisse (Trennung, Arbeitslosigkeit, Krankheit) Männer sollten möglichst positiv für Gesundheit motiviert werden, ihr Wissen und ihre Kompetenzen sollten genutzt und ausgebaut werden Stigmatisierungen und Moralisierungen vermeiden
Schlussbemerkungen Trotz Aufschwung in Männergesundheitsforschung noch viele offene Fragen für eine praxisnahe Forschung Öffentliche Aufmerksamkeit für Thema gut, aber auch Gefahr von stereotypen Konstruktionen und simplifizierenden Lösungsansätzen Praxisfelder der Prävention, Gesundheitsförderung und Behandlung werden zunehmend sensibilisiert für Männer als Zielgruppen aber: erfolgreiche und positiv evaluierte Praxisansätze noch sehr selten, daher großer Bedarf!!
Literatur Faltermaier, T. (2017). Gesundheitspsychologie (2., überarbeite. und erweiterte Auflage). Grundriss der Psychologie, Band 21. Stuttgart: Kohlhammer. Faltermaier, T. & Hübner, I. (2016). Psychosoziale Gesundheitstheorien aus Geschlechter-perspektive. In P. Kolip & K. Hurrelmann (Hrsg.), Handbuch Geschlecht und Gesundheit Männer und Frauen im Vergleich (2., vollst. überarb. und erw. Auflage, S. 45-57). Bern: Huber. Robert Koch Institut (RKI) (2014). Gesundheitliche Lage der Männer in Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin: RKI.