Erklärung moralischer Verpflichtungen durch Sanktionen?

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Transkript:

Erklärung moralischer Verpflichtungen durch Sanktionen? Fabian Hundertmark Matrikel-Nummer: 1769284 27. Mai 2008 Inhaltsverzeichnis 1 Was werde ich tun? 1 2 Wie lässt sich die Frage verstehen? 2 2.1 Erklären......................................... 2 2.2 Sanktionen....................................... 2 2.3 Moralische Verpflichtungen.............................. 3 3 Welche Kritik übt Seebaß am Sanktionismus? 4 3.1 Notwendige und hinreichende Bedingungen..................... 4 3.2 Seebaß s Gegenmodell................................. 4 3.3 Kritik Seebaß am Sanktionismus........................... 5 4 Lässt sich diese Kritik auf den moralischen Sanktionismus übertragen? 6 4.1 Beispiel dafür, dass eine Sanktion nicht notwendig für moralische Verpflichtung ist 6 4.2 Beispiel dafür, dass eine Sanktion nicht hinreichend für moralische Verpflichtung ist 6 5 Was habe ich getan? 7 6 Quellen 7 1 Was werde ich tun? In folgendem Essay werde ich der Frage nachgehen, ob moralische Verpflichtungen durch Sanktionen erklärt werden können. Ich werde mich bei der Beantwortung dieser Frage an Gottfried Seebaß s Text Die sanktionistische Theorie des Sollens orientieren, in dem er zeigt, dass Sollensansprüche nicht durch Sanktionen konstituiert werden. Zu diesem Zweck werde ich zunächst die Fragestellung des Essays genauer explizieren. Es folgt eine kurze Darstellung des Gegenmodells zum Sanktionismus, welches Seebaß entwickelt. Zum Schluss werde ich mit Hilfe dieses Modells mögliche Kritikpunkte am moralischen Sanktionismus herausarbeiten. 1

2 Wie lässt sich die Frage verstehen? Die Frage, der ich nachgehen möchte lautet: Können durch Sanktionen moralische Verpflichtungen erklärt werden? Um sie zu beantworten sollte erst einmal festgestellt werden, was überhaupt mit ihr gemeint ist. 2.1 Erklären Erklären ist ein mehrdeutiger Begriff. So kann ich meiner Großmutter erklären, wie sie ein Mobiltelefon benutzt; das Blenden der Sonne kann einen Auffahrunfall erklären; oder aber die Evolution kann erklären, wie das menschliche Gehirn entstanden ist. Doch soll die Erklärung im vorliegenden Fall weder Fragen vom Typ: Wie mache ich X? noch Wie kam es zu X? beantworten. Um zu zeigen, welche Art von Erklärung im vorliegenden Fall gemeint ist, soll mir ein Beispiel helfen. So lässt sich Platons klassische Antwort auf die Frage was Wissen sei, wie folgt ausdrücken: S knows that p if and only if (i) p is true; (ii) X believes that p; and (iii) X is justified in believing that p. 1 Diese Antwort erklärt Wissen, indem sie den Begriff des Wissens auf andere reduziert: Wissen ist nichts anderes als wahre, gerechtfertigte Meinung. Die Erklärung, um die es hier geht, muss also folgende Form besitzen: Subjekt X ist moralisch zu Handlung H verpflichtet, wenn B. Bei B handelt es sich um eine Menge von Bedingungen, welche erfüllt sein müssen, damit eine moralische Verpflichtung vorliegt. Damit die Frage, welche dem Essay zugrunde liegt, bejaht werden kann, muss die Menge B als notwendiges oder sogar einziges Element eine Sanktion beinhalten. 2.2 Sanktionen Sanktionen sind Seebaß zufolge Maßnahmen, die für die von ihnen Betroffenen positive oder negative Effekte haben und von einer Kontrollinstanz absichtlich eingeführt werden, um die Konformität ihres Verhaltens mit bestimmten Standards prospektiv sicherzustellen oder zu fördern. 2 Eine Sanktion ist also ein Mittel, welches Belohnung oder Bestrafung verwendet um den Zweck zu erreichen, dass die betroffenen Wesen sich in Zukunft einem Standard entsprechend verhalten. Dies lässt sich an einem Beispiel zeigen: Ein kleiner Junge schlägt einen anderen ohne besonderen Grund. Die Mutter beobachtet dies und schreitet ein, indem sie ihren Sohn hoch hebt und somit verhindert, dass er weiter zuschlagen kann. Dieses Verhalten der Mutter ist keine Sanktion, da sein primärer Zweck nicht darin besteht, das zukünftige Verhalten des Kindes zu 1 Steup, Matthias: An Introduction to Contemporary Epistemology, Upper Saddle River, NJ [u.a.]: Prentice Hall 1996. S. 3 2 Seebaß, Gottfried: Die sanktionistische Theorie des Sollens, in: Anton Leist (Hrsg.): Moral als Vertrag? Beiträge zum moralischen Kontraktualismus, Berlin & New York: de Gruyter 2003. S. 169 2

beeinflussen. Schimpft die Mutter jedoch nach dieser ersten Intervention mit dem Kind, handelt es sich um eine Sanktion. Die lauten Worte der Mutter wirken sich auf das Wohlbefinden des Jungen negativ aus. Die Absicht der Mutter ist es auch, das zukünftige Verhalten ihres Sohnes einem moralischen Standard anzupassen. Somit sind sowohl Mittel- als auch Zweck-Bedingung erfüllt. Sanktionen können auch internalisiert werden und somit das Wohlbefinden der Betroffenen bei bestimmten Wünschen und Absichten beeinflussen. 3 Hat der Junge nach der Bestrafung durch die Mutter den Wunsch, ein anderes Kind zu schlagen, so wird dieser Wunsch mit der Erinnerung an die Sanktion verknüpft sein und somit dafür sorgen, dass sich dieser Wunsch nicht so leicht durchsetzt. Wenn das Kind bestimmte Wünsche hat, wirkt sich die interne Verknüpfung der Wünsche mit der Sanktion erneut negativ auf sein Wohlbefinden aus. Als Kontrollinstanz muss noch immer die Mutter gesehen werden, solange man keinen Grund zur Annahme hat, dass das Kind diese interne Sanktion absichtlich eingeführt hat. Will man etwas formaler darstellen, was eine Sanktion ist, so kann man dies wie folgt tun: (Sanktion) Subjekt X wird von Kontrollinstanz K für Handlung H genau dann sanktioniert, wenn (1.1) K auf H positive Konsequenzen für X folgen lässt, oder (1.2) K auf nicht-h negative Konsequenzen für X folgen lässt; und wenn (2) K dies tut, um in einer Gruppe, zu der X gehört, H ähnliche Handlungen zu fördern oder sicherzustellen. Bedingung (1.1) und (1.2) entsprechen hierbei dem Mittel, (2) hingegen dem Zweck der Sanktion. 2.3 Moralische Verpflichtungen Eine moralische Verpflichtung ist ein Sollensanspruch auf dem Gebiet der Moral. Auch wenn einige Überschneidungen bestehen, sind moralische Sollensansprüche von rechtlichen Sollensansprüchen zu unterscheiden. So sind letztere durch einen Gesetzgeber festgelegt und auch eine Bestrafung bei Nichtbefolgung erfolgt durch staatliche Organe. Des weiteren sind moralische Verpflichtungen von einer sogenannten Normativität des Geistigen zu unterscheiden, wie sie unter anderem in folgendem Satz zum Ausdruck kommt: Es ist geboten, sich um die Wahrheit seiner eigenen Überzeugungen zu bemühen. Ich werde im folgenden drei Beispiele für moralische Sollensansprüche geben, die relativ unbestritten sind: Wenn man in die Situation kommt einem Menschen das Leben retten können, so soll man dies tun. Hat man sich Geld von jemandem geliehen, so soll man es zurückzahlen. 3 vgl. ebenda. S. 159 3

Man soll gegebene Versprechen halten. Damit Sanktionen moralische Verpflichtungen erklären können, sollte es möglich sein, mit ihnen zu zeigen, wie wir unter anderem zu diesen drei Aussagen kommen. Fasst man die Überlegungen dieses Abschnitts zusammen, lässt sich die Frage, ob Sanktionen moralische Verpflichtungen erklären können, als Frage nach dem Wahrheitsgehalt des folgenden Satzes formulieren: (moralischer Sanktionismus) Subjekt X ist moralisch zu Handlung H verpflichtet, wenn (1) es eine Kontrollinstanz K gibt, und wenn (2.1) K auf H positive Konsequenzen für X folgen lässt, oder (2.2) K auf nicht-h negative Konsequenzen für X folgen lässt; und wenn (3) K dies tut, um in einer Gruppe, zu der X gehört, H ähnliche Handlungen zu fördern oder sicherzustellen. 3 Welche Kritik übt Seebaß am Sanktionismus? 3.1 Notwendige und hinreichende Bedingungen Behauptet man, dass Sanktionen moralische Verpflichtungen nicht erklären können, so kann man zwei Arten von Kritik üben, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Zum einen kann man behaupten, dass eine Sanktionspraxis nicht notwendig ist, um moralische Verpflichtung zu erklären. Diese Behauptung ließe sich stützen, wenn man ein Beispiel findet, in dem eine moralische Verpflichtung ohne eine entsprechende Sanktion existiert. Zum anderen wäre es auch möglich, dass Sanktionen nicht hinreichend sind, um moralische Verpflichtungen zu konstituieren. Dies ließe sich zeigen, wenn man eine Sanktion findet, die nicht zu einer moralischen Verpflichtung führt. Gottfried Seebaß entwirft ein Gegenmodell zur sanktionistischen Theorie des Sollens. Dieses kann man verwenden, um beide Arten von Beispielen zu konstruieren. 3.2 Seebaß s Gegenmodell Seebaß gelangt indem er aufzeigt, woran Sollensansprüche scheitern können zu einem dreigeteilten Modell, wobei im Regelfall die Bedingung (C) auf die Bedingungen (B) und (B) auf die Bedingung (A) aufbaut: (A) Das Erheben des Anspruchs ist das basale Kriterium des Sollens. So besteht ein Sollen schon alleine dadurch, dass ein Anspruch auf eine Handlung erhoben ist. (B) Die Berechtigung des Anspruchs unterteilt sich in drei Teile: (B1) Berechtigung mit Blick auf die Adressierung liegt nur vor, solange der Adressat der Forderung überhaupt als solcher in Frage kommt. 4

(B2) Berechtigung mit Blick auf persönliche Bindungen liegt nur vor, solange eine persönliche Beziehung, wie Freundschaft, Verwandtschaft oder ähnliches zwischen Adressaten und Anspruchserhebenden besteht. (B3) Berechtigung mit Blick auf übergeordnete soziale Bedingungen liegt nur vor, solange eine soziale Institution, wie Versprechen, Wetten, Anleihen oder ähnliches, zwischen Adressaten und Anspruchserhebenden besteht. Seebaß sagt nicht, wie diese drei Berechtigungsbedingungen zusammenhängen. Er macht jedoch klar, dass die Stärke der Verpflichtung von ihnen abhängt. (C) Die Durchsetzbarkeit des Anspruchs verstärkt nicht die Verpflichtung ihm zu entsprechen. Glaubt man Seebaß, werden erst an diesem Punkt Sanktionen überhaupt relevant 4, da eine Sanktion weder die Erhebung eines Anspruchs noch seine Berechtigung enthält, sondern nur beeinflussen kann, wie sich der Adressat im Hinblick auf einen erhobenen Anspruch verhält. Jedoch müssen sie dies keineswegs, da unter anderem auch objektive Hindernisse wie Schlösser, Zäune, Mauern oder restitutive Maßnahmen 5 eingesetzt werden können, um die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs zu erhöhen. 6 3.3 Kritik Seebaß am Sanktionismus Seebaß ist also der Meinung, dass Sanktionen weder notwendig noch hinreichend sind, um Sollensansprüche zu erklären. Die Existenz von Sollensansprüchen wird schon beim Erheben von Ansprüchen konstituiert, die Stärke hingegen ergibt sich aus der Berechtigung. Betrachten wir zunächst den Fall, dass eine Sanktion nicht notwendig ist, um ein Sollen erklären: Dies ist der Fall, wenn entweder nur ein Anspruch erhoben ist, ohne Berechtigung und Durchsetzbarkeit; oder Anspruch und Berechtigung bestehen, jedoch keine Durchsetzbarkeit; oder alle drei Bedingungen erfüllt sind, die Durchsetzung jedoch nicht durch eine Sanktion erfolgt. Eine Sanktion ist jedoch nach Seebaß Modell zudem nicht hinreichend, um eine Verpflichtung zu erklären. Dies trifft zu, wenn zwar eine Sanktion besteht, aber entweder kein Anspruch erhoben wurde; oder ein Anspruch zwar erhoben wurde, jedoch keine Berechtigung des Anspruchs besteht. 4 vgl. ebenda S. 190f. 5 Hierbei handelt es sich um Maßnahmen, mit denen eingetretene Normenverletzungen von einer Kontrollinstanz rückgängig gemacht oder kompensiert werden. (ebenda S. 173) 6 Dieses Modell entwickelt Seebaß im Abschnitt Woran können Sollensansprüche scheitern? (ebenda S. 186-190). Eine genauere Explikation findet sich im Abschnitt Willensfundiertes Sollen (ebenda S. 190-195) 5

4 Lässt sich diese Kritik auf den moralischen Sanktionismus übertragen? Da es sich beim vorliegenden Modell um ein allgemeines Modell des Sollens handelt, ist kein Grund zu sehen, warum man es im Bezug auf moralisches Sollen entscheidend modifizieren sollte. Zwar spricht Seebaß davon, dass einige Sollensarten wie zum Beispiel Strafrecht begrifflich mit Sanktionen verknüpft sind, diese können jedoch in seinem Modell weder das Erheben des Anspruchs noch seine Berechtigung ersetzen. Somit ist der begriffliche Zusammenhang zwischen Sanktionen und diesen Arten des Sollens nicht auf das Sollen oder seine Stärke, sondern alleine auf die Durchsetzbarkeit bezogen. Würde man also behaupten, dass die Moral, genau wie das Strafrecht, begrifflich mit Sanktionen verknüpft ist, so wäre nur ihre Art der Durchsetzung davon betroffen. Ob eine moralische Verpflichtung zu etwas besteht, hat also in Seebaß Modell nichts damit zu tun, wie der zugrunde liegende Anspruch durchgesetzt wird. 4.1 Beispiel dafür, dass eine Sanktion nicht notwendig für moralische Verpflichtung ist Eine Sanktion ist nicht notwendig, um ein moralisches Sollen zu konstituieren, wie folgendes Beispiel zeigt: Karl hat sich von seinem Freund Max ein Buch geliehen. Doch obwohl ihn Max schon seit Monaten regelmäßig darauf anspricht, gibt Karl ohne dabei schlechtes Gewissen zu bekommen das Buch nicht zurück. Da Max das Buch viel bedeutet und da er nichts mit Leuten zu tun haben will, die geliehene Sachen nicht zurückgeben, hält sich Max von Karl fern und die Freundschaft zerbricht. Max erzählt auch seinen Freunden von Karls Verhalten, da es ihn sehr stört und so stellen auch diese ihren Kontakt zu Karl ein. Karl hatte nach allgemeiner Intuition die moralische Verpflichtung, Max das Buch zurückzugeben. Seebaß s Modell zeigt dies auch: Max hat den Anspruch erhoben, das Buch zurückzuerhalten und zudem sind auch die Berechtigungsbedingungen erfüllt. Demnach besteht eine moralische Verpflichtung. Diese Verpflichtung hat aber nichts mit einer Sanktion zu tun. Die Folgen von Karls Handeln passen eher in die Kategorie der natürlichen Folgen, da sowohl Max als auch seinen Freunden nicht unterstellt werden kann, Karls Verhalten ändern zu wollen. 7 Da hier keine Sanktion gefunden werden kann, die Karls moralische Verpflichtung konstituiert, obwohl diese besteht, scheint eine solche auch nicht nötig zu sein. 4.2 Beispiel dafür, dass eine Sanktion nicht hinreichend für moralische Verpflichtung ist Ein noch viel eindeutigeres Beispiel lässt sich dafür geben, dass eine Sanktion nicht hinreichend ist, um moralische Verpflichtung zu erklären. 7 vgl. ebenda. S. 188 6

Olga geht eine verlassene Straße entlang. Plötzlich steht ein vermummter Mann mit einer Waffe vor ihr. Er wartet ein paar Sekunden. Plötzlich schießt er Olga in die Schulter und ruft: Dies ist deine Strafe! Verhalte dich in Zukunft wie die anderen und gib mir Geld. Dann wirst du auch verschont. Der Räuber hat auf eine nicht erfolgte Handlung H eine Geldübergabe eine negative Konsequenz für Olga folgen lassen. Er wollte damit erreichen, dass Olga, wie die anderen, die auf diese Weise bedroht wurden, in Zukunft H ähnliche Handlungen ausführt und ihm somit beim nächsten Mal Geld gibt. Der Räuber hat Olga also für die unterlassene Geldübergabe sanktioniert. Dennoch würde man in diesem Fall intuitiv nicht davon reden, dass Olga eine moralische Verpflichtung verletzt hätte. Seebaß Modell würde dies wie folgt begründen können: Zum Einen hat der Vermummte seine Forderung nicht klar gemacht, zum Anderen bestand weder eine persönliche Beziehung, noch war eine übergeordnete soziale Bedingung erfüllt. Da keine berechtigte Forderung bestand, war Olga auch nicht verpflichtet, ihr Geld zu übergeben. 5 Was habe ich getan? Auch wenn ich den Berechtigungsbedingungen (B1-B3) skeptisch gegenüberstehe 8, zeigt Seebaß Gegenmodell deutlich auf, dass eine Sanktion weder notwendig noch hinreichend ist, um eine moralische Verpflichtung zu konstituieren. Dies ergibt sich daraus, dass eine Sanktion zum einen nicht die einzige Möglichkeit ist, eine Forderung durchzusetzen und zum anderen eine Sanktion alleine noch nicht beinhaltet, dass eine Forderung überhaupt gestellt wurde. 6 Quellen Seebaß, Gottfried: Die sanktionistische Theorie des Sollens, in: Anton Leist (Hrsg.): Moral als Vertrag? Beiträge zum moralischen Kontraktualismus, Berlin & New York: de Gruyter 2003. S. 155-198 Steup, Matthias: An Introduction to Contemporary Epistemology, Upper Saddle River, NJ [u.a.]: Prentice Hall 1996. 8 Die entsprechende Kritik konnte ich an dieser Stelle leider nicht anbringen, da es den Umfang des Essays gesprengt hätte. 7