Das Management der Gesellschafter und die Funktion von Familienverfassungen Torsten Groth Leonie Koenen
Risiken langlebiger Familienunternehmen
Familienunternehmen im Zeitverlauf I Die Gründung: - zumeist enges Zusammenspiel von Unternehmen und Familie - Dauerpräsenz des Unternehmens in der Familie - unentgeltliche Mitarbeit des Ehepartners (darum eigentlich Paarunternehmen statt Familienunternehmen ) - Ambivalenz unter Kindern (frühe Integration oder Abkehr) Die erste Nachfolge: - starke Delegation an Nachfolger (Fortführung des Lebenswerkes der Eltern) - Schuldgefühle der Eltern (Verletzung elterlicher Pflichten) - Gründer als starke Persönlichkeit erwartet und verhindert ähnliche Charaktereigenschaft bei Nachfolger (double-bind) - Gerechte Gleichbehandlung der Geschwister als Problem
Familienunternehmen im Zeitverlauf II ab der zweiten/dritten Nachfolge: - Aufspaltung in Kleinfamilie der 2 Gen. oder Mehrgeschwister-Familie Bei Kleinfamilien: - prinzipiell ähnlich der Gründerfamilie, aber: - Abstand zum Unternehmen, Erfahrung mit der Nachfolge Bei Mehrgeschwister-Familien: - neuen Familien müssen ihre Beziehung zueinander organisieren - Bildung von Stämmen, erhöhte Rivalität / erhöhtes Konfliktrisiko - im Konfliktfall: Abkehr von Familienkommunikation und Hinwendung zu Gesellschafterkommunikation ab der dritten Nachfolge: - Fortsetzung des Musters (Kleinfamilie/Stämme) oder - Bildung von Großfamilien - Organisation der Familie (Zusammenhalt/Entscheidungsfähigkeit) - Überwindung des Drei-Generationen-Schemas
Strukturprinzip langlebiger Familienunternehmen: Historische (Durchgangs-) Phasen der Entwicklung werden eingefroren bzw. wiederholt... 1. 2. 3.... Generation
Modell I: Re-Inszenierung der Kleinfamilie Konservierung von Strukturen der ersten Generation, d.h. immerwährende Gründungssituation (allerdings ohne den oder die Gründer) Vorteil: Komplexitätsreduktion durch Begrenzung der Gesellschafterzahl auf Kleinfamiliengröße o Nachteil: Abhängigkeit des Unternehmens von einzelnen Personen
Modell II: Stammesorganisation Fortschreibung der Strukturen der zweiten Generation Vorteil: Überschaubare Zahl sozialer Einheiten (Stämme) vereinfacht Entscheidungsfindung o Nachteil: Chronifizierung von Geschwisterrivalität, durch Bildung zur Loyalität verpflichteter Einheiten
Modell III: Großfamilie als Organisation Entwicklung charakteristischer Gremien, Institutionen, Rituale, Kommunikationsformen und Strukturen, die Bindungen zwischen den Familienmitgliedern und Loyalität zum Unternehmen schaffen. Vorteil: Beziehung und Kommunikation Familie/Unternehmen kann professionalisiert werden o Nachteil: Fehlende Bindung an das Unternehmen; Zerfall der Unternehmerfamilie
Erfolgsmuster langlebiger Familienunternehmen Die Gesellschafter-Familie sieht sich als Unternehmerfamilie: - Im Zweifelsfall gilt: Das Unternehmen geht vor Unternehmen und Familie werden zum beidseitigen Nutzen verknüpft Nachfolgeregelungen werden klar und frühzeitig kommuniziert Familienmitglieder kommen für Leitungsfunktionen nur in Frage, wenn Sie mindestens so geeignet sind, wie externe Kandidaten (unternehmerisches Bauchgefühl von elterlichem Pflichtgefühl) Junge Gesellschafter werden schon früh an ihre zukünftigen Aufgaben herangeführt (Gesellschafterqualifizierung) An der Spitze der Gesellschafter/der Familie steht eine Person, die den Laden zusammenhält.
Erfolgsmuster langlebiger Familienunternehmen Das Fremdmanagement wird nach den Kriterien des Zur-Firma-Passens ausgesucht (nicht nur nach ihrer erwarteten Performance). Man denkt in Generationen: Mein Lebenswerk ist vollbracht, wenn es mir gelingt, das Unternehmen gesund an die nächste Generation zu übergeben! - langfristige Überlebenssicherung geht vor kurzfristigen Profit - Pflege der Unternehmensgeschichte(n) Konfliktregelungen tragen dazu bei, dass familiäre Konflikte nicht aufs Unternehmen durchschlagen. Emotionale Zusatzausschüttungen (Sinnstiftung) für alle Beteiligten sorgen dafür, dass die Verbundenheit mit dem Unternehmen (auch in den unvermeidlichen Krisenzeiten) erhalten bleibt. Beispiel: Das Unternehmen Werhahn
Lösung : Familienstrategie Grundfrage: Was passiert, wenn nichts passiert? Zu hohe Integration: Stämme wirken als natürliche, wiederkehrende Integrationsmechanismen Zu geringe Integration: Zerfall der Unternehmerfamilie Lösungen : Kreation und Pflege eines Dritten : Das Unternehmen als übergeordnete Überlebenseinheit: - Streichen von Stammesrechten - Denken und Handeln als eine Unternehmerfamilie - Denken in Generationen/ Pflege der Geschichte(n) - Pflege der Identität als Unternehmerfamilie Formulierung einer Familienverfassung
Ein Kapitel der Familienstrategie: Der Weg zu einer Familien-Charta Familien-Charta (Familienverfassung) als Moment der Entwicklung einer expliziten Familienstrategie (in Abgrenzung zu einer impliziten, unbewussten und somit nicht thematisierbaren Strategie) Sinn und Bedeutung von Familienstrategie: * die Entscheidungsfähigkeit der Familie in Belangen des Unternehmens sicherstellen * Die Ressource Familyness langfristig für das Unternehmen sichern und Wege entwickeln, wie das Unternehmen dauerhaft auf diese Ressource zugreifen kann 11
Inhalte der Familienverfassung (ein Beispiel) 1. Definition: wer gehört zu unserer Familie? 2. Werte und Ziele für die Familie 3. Werte und Ziele für das Unternehmen 4. Regeln für die Familie 5. Regeln für das Unternehmen 6. Aufgaben und gemeinsame Aktivitäten 7. Gültigkeitsdauer der Verfassung
zu 2. Werte und Ziele für die Familie Werte für die Familie Zusammenhalt Tradition Positive Lebenseinstellung Gesellschaftliche Verantwortung geht vor Eigennutz und Gewinn Ziele für die Familie Vertrauensvoller Umgang miteinander Offenheit und Transparenz Gemeinsame Aktivitäten Family Office (mit Charity Office) 13
zu 3. Werte und Ziele für das Unternehmen Werte für das Unternehmen Wir wollen ein Familienunternehmen bleiben Erfolg (Evolution, Beständigkeit, Sicherheit) Harmonie (Einklang zwischen Familie und Unternehmen) Ehrliche Geschäftspraktiken, Umweltverträglichkeit Kein direktes oder indirektes Engagement im Rüstungsbereich Ziele für das Unternehmen Überdurchschnittliche Rendite in drei bis vier differenzierten Aktivitäten Eigenkapitalquote soll größer 33% gehalten werden Daher Einigkeit über hohe Thesaurierung Family Business first : Eine Grundabsicherung der Familie darf gegeben sein, aber das Unternehmen darf für die nicht operativ tätigen Mitglieder nicht der alleinige Lebensunterhalt sein 14
zu 4. Regeln für die Familie Regeln für den Umgang miteinander Genfer Konvention : keine Widersprüche vor den Mitarbeitern austragen Weitere Goldene Regeln der Kommunikation und Fairness Spielregeln für die Kommunikation Intensive Kommunikation und offene Information über alle Unternehmensbelange im Familienkreis Jährliche Wahl eines Kümmerers, an den man sich in kritischen Fällen wenden kann Regeln für die Handhabung von Konflikten 48 Stunden-Regel: was nicht in der Zeit thematisiert wird, darf nicht mehr aufgebracht werden! Wenn einer der Streitpartner einen Moderator wünscht: dann muss er eingeladen werden 15
zu 5. Regeln für das Unternehmen a) Führung Die Führung erfolgt durch Familienmitglieder oder Fremde. Geschäftsführer ist der persönlich und fachlich am besten geeignete Kandidat, bei gleicher Qualifikation erhält das Familienmitglied den Vorzug. Der Beirat entscheidet über die Auswahl und Abberufung b) Kontrolle der Führung Einrichtung einer familienfremden Beirats, mit vergleichbaren Befugnissen wie ein Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft Wahl der Mitglieder mit 2/3 Mehrheit der Gesellschafterversammlung Wenn kein Gesellschafter in der Geschäftsführung ist, wird der Beirat um zwei Familienmitglieder (=Gesellschafter) erweitert. Der Beiratsvorsitz geht dann in Familienhand über. 16
zu 5. Regeln für das Unternehmen II c) Mitarbeit im Unternehmen Familienmitglieder dürfen in der Führung, aber nicht in nachgeordneten Positionen in der Unternehmensgruppe arbeiten! Ausnahme: Praktika und Ferienjobs stehen den jüngeren Familienmitgliedern offen. d) Beteiligung Beteiligungen können nur mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung erworben werden. Ausnahme (=zustimmungsfrei): ehelich leibliche Abkömmlinge Es gibt keine Stammesreglungen. e) Kommunikation Jährliche Berichte des Unternehmens an die Gesellschafter. Strategische Grundlinie des Managements wird regelmäßig für die Gesellschafter transparent gemacht (nur Information). Ehepartner und Kinder (ab 16 Jahren) dürfen an Gesellschafterversammlungen teilnehmen. 17
zu 6. Aufgaben und gemeinsame Aktivitäten Im jährlichen Wechsel wird ein Kümmerer gewählt. Dieser organisiert die gemeinsamen Aktivitäten, ist erster Ansprechpartner im Konfliktfall und ist für die Kommunikation innerhalb der Familie zuständig ( Nachrichtenzentrale ) Einrichtung einer Familienzeitung mit einem festen Etat, Erscheinen 2x im Jahr. Redaktion wird jährlich neu gewählt. Jährliches zweitägiges Familientage: Gesellschafterversammlung/-information (1/2 Tag) Gemeinsame Aktivität (1 Tag) Gemeinsame Veranstaltung zu Bildung/Kultur (1/2 Tag) 18
Fazit: Was mit einer Verfassung erreicht? Verbesserter Familienzusammenhalt, stärkere Identifikation der Familie mit dem Unternehmen Klarheit und Vereinfachung der Nachfolgeregelungen, Transparenz für die nächste Generation Klärung des Verhältnisses von Familie und Unternehmen Verbesserung der Entscheidungsprozesse Attraktivitätssteigerung für externes Management Besseres Rating (Basel II) Prävention von Gesellschafterkonflikten bzw. Lösungsoptionen 19
Ziel einer Familienverfassung Rückfall in kleinfamiliale Strukturen Wegfall eines Familiensinnes Großfamilie Eigentümer Aufbau v. Zentripetalkräften: - Aufbau einer Familienidentität - Management der Familie - Sicherung der Entscheidungsfähigkeit - Pflege immaterieller Ausschüttungen - Denken in Generationen Zerfall in Einzel-Investor- Interessen Blockierung der Entscheidungen Unternehmen Verlust der Innovationskraft Verlust der Unabhängigkeit
Weiterführende Literatur: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Simon, Wimmer, Groth (2005): Mehrgenerationen- Familienunternehmen. Erfolgsgeheimnisse Carl- Auer-Systeme Verlag. Heidelberg Scherer, Blanc, Kormann, Groth, Wimmer (2005): Familienunternehmen. Verlag Recht und Wirtschaft. Frankfurt am Main Schlippe, Rüsen, Groth (2009): Beiträge zur Theorie des Familienunternehmens. Eul Verlag. Köln Kontakt: Torsten Groth Private Universität Witten/Herdecke Wittener Institut für Familienunternehmen Alfred-Herrhausen-Str. 50, 58448 Witten Tel.: 02302 / 926-541 Fax: - 561 tgroth@uni-wh.de www.uni-wh.de/wifu