Departement des Innern GER 5/2009. Integritätsentschädigung nach Unfallversicherungsgesetz und Genugtuung nach Opferhilfegesetz

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2 in 1. Recht einfach: Schadensersatz im Strafprozess.

Transkript:

GER 5/2009 Opferhilfe 5 / 2009 Integritätsentschädigung nach Unfallversicherungsgesetz und Genugtuung nach Opferhilfegesetz - Wird gestützt auf das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung (UVG) eine Integritätsentschädigung ausgerichtet, welche auf Wiedergutmachung der vom Opfer erlittenen immateriellen Unbill zielt, kommt eine zusätzliche Genugtuung nach dem Bundesgesetz vom 23. März 2007 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG) nur in Betracht, wenn die Integritätsentschädigung nachweislich nicht den gesamten Schaden abdeckt (E. 2.4.2). 1. Feststellungen 1.1. Ausgangslage A wurde am Sonntag, 6. März 2005, in der Bahnhofpassage des Hauptbahnhofs Solothurn von unbekannter Täterschaft mit einem Baseballschläger oder Schlagstock niedergeschlagen. Er wurde von der Ambulanz mit einer Fraktur an der linken Schulter und einem Kopfschwartenriss am Hinterkopf ins Bürgerspital Solothurn gebracht. Die Täterschaft konnte von der Polizei bis heute nicht eruiert werden. Die Tat wurde von mehreren Zeugen beobachtet. Gemäss kreisärztlicher Untersuchung wurden folgende Diagnosen festgestellt: Rissquetschwunde Hinterkopf, subcapitale Humerusfraktur mit Avulsion des Tuberculum majus links, konservative Behandlung, Entwicklung einer kranio-lateralen avasculären Nekrose im Humeruskopf, athroskopisches Débridement zweimalig, zusätzlich subacromiale Dekompression, Release des coraco-acromialen Bandes, persistierende Schmerzen, Teilarbeitsfähigkeit (vom 6. März bis 30. Mai 2005 100 % arbeitsunfähig, ab 31. Mai 2005 50 % arbeitsunfähig). Für zwei operative Eingriffe musste Herr A insgesamt 5 Tage hospitalisiert werden. Da keine Verbesserung der 1

GER 5/2009 Symptomatiken vorlag, wurde er wieder krankgeschrieben: vom 18. September bis 26. November 2006 lag eine 100%-ige, vom 27. November 2006 bis 23. Februar 2007 eine 75%-ige und vom 24. Februar bis 8. April 2007 eine 66%-ige Arbeitsunfähigkeit vor. A leidet immer noch unter starken Schmerzen, die mit starken Schmerzmitteln, zum Teil auch Opiaten, behandelt werden müssen. Diese haben starke Nebenwirkungen wie Schwindel, Kopfschmerzen und Doppelbildsehen. Der linke Arm kann nur eingeschränkt eingesetzt werden. Seinem ursprünglichen Beruf als Elektriker kann er nicht mehr nachgehen, er arbeitet nun als Technischer Mitarbeiter mit einem etwas tieferen Lohn im selben Unternehmen. Auch bei seinen Freizeitaktivitäten ist er beeinträchtigt. Bei Medikamentenpausen, die er zeitweise einlegen muss, ist er oft reizbar, schlecht gelaunt und niedergeschlagen. Die SUVA hat mit Verfügung vom 15. Dezember 2008 eine Invalidenrente von 18 % festgelegt und eine Integritätsentschädigung von Fr. 14'204.40 errechnet. 1.2. Die Gesuche um Leistungen nach OHG Mit Schreiben vom 10. Januar 2007 reichte A vorsorglich das Gesuch um Ausrichtung von Genugtuung und Entschädigung nach OHG ein. Mit Schreiben vom 28. April 2009 substanziierte seine Rechtsvertreterin das Gesuch und beantragte eine Genugtuung im Betrag von Fr. 29'100.-- oder nach Ermessen. 2. Erwägungen 2.1. Anwendbares Recht Am 1. Januar 2009 ist das revidierte Opferhilfegesetz vom 23. März 2007 (nohg) in Kraft getreten. Die Übergangsbestimmungen (Art. 48 nohg) halten fest, dass das bisherige Recht vom 4. Oktober 1991 (aohg) für Ansprüche auf Entschädigung oder Genugtuung für Straftaten, die vor dem 1. Januar 2009 verübt worden sind, anwendbar ist. Für Ansprüche aus Straftaten, die nach dem 31. Dezember 2006 verübt worden sind, gelten die neuen Fristenbestimmungen nach Art. 25 nohg. Die im vorliegenden Fall im Hinblick auf Leistungen aus OHG hin zu beurteilende Straftat wurde am 6. März 2005 begangen. Demzufolge sind die Bestimmungen des Opferhilfegesetzes vom 4. Oktober 1991 (aohg) und der Opferhilfeverordnung vom 18. November 1992 (aohv) anwendbar. 2.2. Formelles Das Opferhilfegesetz sieht neben der Sofort- und längerfristigen Hilfe zwei Leistungsformen vor: die Entschädigung, die sich nach wirtschaftlichen Kriterien berechnet und die Genugtuung (Schmerzensgeld). Nach Art. 11 des bisher geltenden Opferhilfegesetzes vom 4. Oktober 1991 2

GER 5/2009 (SR 312.5; aohg) kann das Opfer einer Straftat im Kanton, in dem die Tat verübt wurde, Entschädigung und Genugtuung geltend machen. Das Gesuch um Entschädigung und/oder Genugtuung muss im Normalfall innert fünf Jahren nach der Straftat bei der Behörde eingereicht werden (Art. 25 nohg). Die Bestimmungen über die Entschädigung und die Genugtuung gelten für Straftaten, die nach Inkrafttreten des Opferhilfegesetzes begangen wurden (Art. 12 Abs. 3 der Opferhilfeverordnung vom 18. November 1992, SR 312.51; aohv). Gemäss 132 Abs. 1 i.v.m. 129 Abs. 3 des kantonalen Sozialgesetzes vom 31. Januar 2007 (BGS 831.1; SG) setzt das die Beträge oder Vorschüsse nach dem Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG) fest und richtet sie aus, wenn die Täterschaft die Entschädigung und Genugtuung nicht leisten kann. Das Opfer muss glaubhaft machen, dass es keine oder nur ungenügende Leistung von Dritten (Täterschaft, Versicherung usw.) erhalten kann (Art. 4 nohg). 2.3. Eintreten Hilfe nach dem Opferhilfegesetz erhalten Personen, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen und psychischen Integrität unmittelbar und nachhaltig beeinträchtigt worden sind (Opfer). Gestützt auf die vorhandenen Unterlagen und Zeugenaussagen steht fest, dass A mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Opfer einer Straftat im Sinne des Opferhilfegesetzes wurde. Die tatbestandsmässige Handlung ereignete sich im Kanton Solothurn nach Inkrafttreten des Opferhilfegesetzes. Mit der Gesuchseingabe vom 10. Januar 2007 ist die Verwirkungsfrist von Art. 16 Abs. 3 aohg gewahrt. Auf das Gesuch ist einzutreten. 2.4. Genugtuung 2.4.1. Grundsätzliches Dem Opfer kann unabhängig von seinem Einkommen eine Genugtuung ausgerichtet werden, wenn es schwer betroffen ist und besondere Umstände es rechtfertigen (Art. 12 Abs. 2 OHG). Diese beiden Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt werden (Franziska Windlin, Grundfragen staatlicher Opferentschädigung, Bern 2005, S. 167). Der Zweck einer Genugtuung ist weder Schadenersatz noch Bestrafung des Schädigers, sondern die Wiedergutmachung immaterieller Unbill durch Geldleistung, indem das Wohlbefinden anderweitig gesteigert oder die Beeinträchtigung erträglicher gemacht wird. Der Umfang der Genugtuung ist nach Ermessen festzulegen, wobei bei der Bemessung die Schwere und die Art der Verletzung, die Intensität sowie die Dauer der Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Opfers zu berücksichtigen sind (BGE 132 II 117 E. 2.2.5). Im Unterschied zum Zivilrecht besteht bei der Bemessung der Genugtuung nach Opferhilferecht die Besonderheit, dass es sich bei dieser nicht um eine Leistung aus Verantwortlichkeit, sondern um eine staatliche Hilfeleistung handelt, die von der Allgemeinheit bezahlt wird (Franziska Windlin, a.a.o., S. 168; BGE 132 II 117 E. 2.2.4). Leistet nun der Staat anstelle der Täterschaft die Genugtuung, wandelt sich die Forderung des Opfers in einen öffentlich-rechtlichen Anspruch, welcher sich nicht mit dem zivil- 3

GER 5/2009 rechtlichen Anspruch des Opfers gegenüber dem Täter decken muss. Die nach Opferhilfegesetz berechnete Genugtuung kann daher von der Genugtuung, zu welcher der Täter vom Gericht verurteilt worden ist oder verurteilt werden könnte, abweichen (Peter Gomm, OHG-Kommentar, Bern 2005, Art. 12 OHG N 14 f.; BGE 125 II 169 E. 2b/bb). Eine Reduktion der opferhilferechtlichen gegenüber der zivilrechtlichen Genugtuung ist namentlich dann gerechtfertigt, wenn diese aufgrund von subjektiven, täterbezogenen Merkmalen (z.b. besonders skrupellose Art der Begehung der Straftat) erhöht worden ist (Urteil des Bundesgerichts 1A.235/2000 vom 21. Februar 2001, E. 3a). Siehe zum Ganzen auch die Empfehlungen der Schweizerischen Verbindungsstellen-Konferenz Opferhilfe zur Anwendung des Opferhilfegesetzes (SVK-OHG). Die Genugtuung ist nicht Bestandteil der Entschädigung und unterliegt nicht der Begrenzung hinsichtlich des Einkommens. 2.4.2. Der konkrete Fall Die SUVA hat mit Verfügung vom 15. Dezember 2008 eine Integritätsentschädigung von Fr. 14'204.40 festgelegt. Der Gesuchsteller beantragt zusätzlich die Ausrichtung einer Genugtuung nach OHG im Betrag von Fr. 29'100.-- oder nach Ermessen und verweist dabei auf den Bundesgerichtsentscheid 125 II 169, bei dem die Unfallversicherung dem Opfer eine Integritätsentschädigung in der genannten Höhe zugesprochen hatte. Im Rahmen des OHG gewährt die Behörde eine auf der staatlichen Beistandspflicht basierende Entschädigung (BGE 123 II 425), welche aufgrund spezifischer Regeln zu beurteilen ist. Sie hat deshalb eine unabhängige rechtliche Beurteilung des Falls vorzunehmen. Der Opferhilfebehörde steht es somit zu, von der Beurteilung der Zivilklage im Strafprozess abzuweichen, wenn diese auf einer falschen Rechtsanwendung beruht (BGE 129 II 312 E. 2.5). Analog dazu kann die von der Opferhilfebehörde festgelegte Genugtuung auch von den errechneten Integritätsentschädigungen der Unfallversicherungen abweichen. Die Opferhilfebehörde kann sich lediglich an der Höhe der Integritätsentschädigungen nach dem Bundesgesetz über die Unfallversicherungen (UVG) orientieren (Peter Gomm, OHG-Kommentar, Bern 2005, Art. 12 OHG N 20). Unter Heranziehung der tabellarischen Übersicht von Hütte/Ducksch/Guerrero (Die Genugtuung, Verlag Schulthess, 3. Auflage, 2005) und gestützt auf die richterliche und departementale Praxis bei Körperverletzungsdelikten ist in den nachfolgend aufgeführten Fällen zu prüfen, ob eine höhere, über die Integritätsentschädigung hinausgehende Genugtuungssumme gerechtfertigt ist: 4

GER 5/2009 Folgende Urteile sind vergleichsweise zur Genugtuungsbegründung hinzuzuziehen: - Am 23. Februar 2001 wurde die Bank in Bettlach überfallen, in welcher das Opfer als Bankangestellte tätig war. Mit Urteil vom 3. Juli 2003 sprach das Obergericht des Kantons Solothurn den Täter u.a. des qualifizierten Raubs schuldig und verurteilte ihn u.a., dem Opfer eine Genugtuung von Fr. 7'500.-- zu bezahlen. - Am 8. Juni 2004 schoss der Täter in einem Restaurant seinem Bekannten mit einer Feuerwaffe in den linken Unterschenkel. Das Opfer wurde daraufhin ins Spital gebracht, wo das Projektil operativ entfernt wurde und eine stationäre Behandlung erfolgte. Der Täter wurde vom Obergericht des Kantons Solothurn am 14. September 2007 u.a. der qualifizierten einfachen Körperverletzung und der versuchten Nötigung für schuldig gesprochen. Das Obergericht bestätigte die von der Vorinstanz festgelegte Genugtuung in der Höhe von Fr. 5'000.--. - Am 14. Juli 2005 wurde das Opfer verprügelt und es wurde ca. 40 Mal mit einem Messer auf das Opfer eingestochen. Dabei wurde es lebensgefährlich verletzt. Mit Urteil des Amtsgerichts Bucheggberg-Wasseramt vom 03. Mai 2007 wurde der Täter wegen versuchter vorsätzlicher Tötung sowie Nötigung schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt. Der Täter wurde dazu verurteilt, dem Opfer eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 30'000.-- zu bezahlen. - Am frühen Morgen des 22. Juni 2001 suchte der Täter das spätere Opfer an dessen Arbeitsstelle auf, zwang es unter Waffengewalt das Gebäude zu verlassen und gab in der Folge fünf Schüsse auf dieses ab. Der Täter verletzte das Opfer erheblich am Kopf, Oberarm, Oberschenkel und am Fuss. Das Kriminalgericht des Kantons Solothurn sprach den Täter mit Urteil vom 7. November 2003 u.a. der versuchten vorsätzlichen Tötung für schuldig und verurteilte ihn u.a. zur Bezahlung einer Genugtuung von Fr. 40'000.--. Folgende Verfügungen des Departements des Innern sind vergleichsweise hinzuzuziehen: - Am 24. August 2004 überfielen zwei Männer einen Bahnhofkiosk. Sie überwältigten die dort allein anwesende Verkäuferin, malträtierten sie, bedrohten sie mit einer Waffe und zwangen sie zur Herausgabe des Kasseninhalts. Die Täterschaft konnte bis anhin nicht ermittelt werden. Die Verkäuferin hat durch den ihr zugefügten Schlag bis zum jetzigen Zeitpunkt Schmerzen am Arm und an der Schulter, benötigt eine Physiotherapie sowie Medikamente. Mit Verfügung vom 6. März 2007 wurde die Genugtuung auf Fr. 4'000.-- festgelegt. - Am 4. August 1999 begleitete der zuständige Gruppenleiter einen Patienten vom Wohnheim der Psychiatrischen Klinik des Kantons Solothurn in die geschlossene Abteilung. Dabei wurde er vom Patienten mit einem Messerstich in den Rücken lebensgefährlich verletzt (Stichverletzung seitlich am Rücken im 4. Zwischenwirbelraum auf Höhe des Brust- Wirbelkörpers 6 mit Verletzung der Körperhauptschlagader). Es bestand die akute Gefahr der Verblutung. Nur das Belassen des Messers in der Wunde und der rasche Transport ins nächste Spital rettete dem Patienten das Leben. Das Obergericht des Kantons Solothurn sprach den Täter 5

GER 5/2009 mit Urteil vom 6. Dezember 2000 und 17. April 2002 vom Vorwurf des vollendeten Mordversuchs und weiterer Delikte wegen Zurechnungsunfähigkeit frei und ordnete dessen Verwahrung an. Auf die Zivilforderung des Verletzten trat das Gericht mangels Schuldspruch nicht ein. Angesichts der Gefährlichkeit der Verletzung und der erlittenen Schmerzen legte das mit Verfügung vom 26. August 2002 die Genugtuungssumme mit Fr. 25'000.-- fest. - In der Nacht vom 24. auf den 25. Mai 1999 verübten mehrere Männer einen bewaffneten Überfall auf einem Bauernhof. Der Gesuchsteller (Jg. 1928) erlitt u.a. einen lebensgefährlichen Lungendurchschuss sowie einen Durchschuss im rechten Unterschenkel. Die Täterschaft konnte nicht gefasst werden. Mit Verfügung vom 19. April 2004 wurde die Genugtuung auf Fr. 25'000.-- festgelegt. Höhere Genugtuungssummen wurden nur in Fällen von lebensgefährlichen Verletzungen zugesprochen, was in casu nicht gegeben ist. In den anderen Fällen von Körperverletzungen liegen die Beträge bedeutend tiefer als die von der Unfallversicherung festgelegte Integritätsentschädigung in der Höhe von Fr. 14'204.40. Wird gestützt auf das UVG eine Integritätsentschädigung ausgerichtet, welche teilweise auf Wiedergutmachung der vom Opfer erlittenen immateriellen Unbill zielt, kommt eine zusätzliche Genugtuung nach OHG zudem nur bei Vorliegen von besonderen Umständen in Betracht (Empfehlungen zur Anwendung des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten (OHG), 2. Auflage (2002), S. 19; BGE 125 II 169, Pra 88 (1999) Nr. 157 S. 831 ff). Diese besonderen Umstände werden vom Gesuchsteller nicht geltend gemacht. Zwar hat der Gesuchsteller Schmerzen und kann deshalb nicht mehr im vorher ausgeübten Beruf arbeiten, sodass er eine Invalidenrente von 18 % erhält. Er ist jedoch nur reduziert erwerbsunfähig und kann als Technischer Mitarbeiter mit einem etwas tieferen Lohn im selben Unternehmen weiterarbeiten. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die von der SUVA bereits ausgerichtete Integritätsentschädigung in der Höhe von Fr. 14'204.40 der departementalen opferhilferechtlichen Praxis des Kantons Solothurn für eine solche Körperverletzung entspricht. Besondere Umstände für die Ausrichtung einer zusätzlichen Genugtuung nach OHG zur bereits errechneten Integritätsentschädigung liegen zudem nicht vor. Dementsprechend ist keine weitere, darüber hinausgehende Genugtuung nach OHG auszurichten und das Genugtuungsgesuch abzuweisen. 3. Verfügung 3.1. Das Gesuch von A um Ausrichtung einer Genugtuung nach OHG wird abgewiesen. (Departementalverfügung vom 26. Mai 2009) 6