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Abb. 1 : Schema eines Querschnitts durch das 8. Thoracalsegment von Astacns leptodactylus. - Cox = Coxa; eb = Bälkchen (Uncus der Secula); Epn = Epimeralregion; Fbc = Branchiocardiacalfurche; Gr = proximaler Gelenkrahmen des Körpergelenks; Kk = Kiemenkammer; Plb = hintere Pleurobranchie; Q = viereckige Platte; Ss = Sternum; Ss = Skelettspange. Ap 4 Ap'2 Abb. 2 : Epimeralregion von Astacus leptodactylus mit Teilen des Endophragmalsystems der rechten Körperhälfte. - Api = äußerer Angelpunkt des Körpergelenks des 1. Peraeopods; Ap4 äußerer Angelpunkt des Körpergelenks des 4. Peraeopods; Ap'i^ = innerer Angelpunkt des Körpergelenks des \.-^. Peraeopods; E3/4-E6/7 = intersegmentale Einstülpungen zwischen dem 3.-7. Thoracalsegment; Epl = Endopleurit; Epm = elastische Epimeralmembran; Epp = Epimeralplatte; Est = Endosternit; Fe = ovale Öffnung in der vorderen Endopleuritenwand; Gh = Gelenkmembran; Gr = proximaler Körpergelenkrahmen des 5. Peraeopods; hf = innerer, nach hinten gewandter Fortsatz des Endopleurits; If = Intersegmentalfurche; Ish = Intersegmentalhaut zwischen dem 7. und 8. Thoracalsegment; Plb = Ansatzstelle der hinteren Pleurobranchie; Plb5_7 = Ansatzstelle der rudimentären Pleurobranchie des 5.-7. Thoracalsegments; Pph = Paraphragma; Q = viereckige Platte; 84.7 = Sternum des 4.-7. Thoracalsegments; Unc = Uncus (der Secula). 60

der viereckigen Platte entspringt eine Skelettleiste, die in einer Hautfalte verborgen zum Sternum zieht, um dort mit diesem zu verschmelzen. Diese Skelettleiste stellt den nur caudal ausgebildeten proximalen Körpergelenkrahmen des fünften Peraeopods dar. An der Übergangsstelle zum Sternum befindet sich der mediane Gelenkhöcker des Körpergelenks, der ebenfalls von der Leiste gebildet wird. Die von Sternum, Skelettleiste und viereckiger Platte gebildete, in sich unbewegliche Skelettspange ist durch eine elastische Gelenkmembran mit dem siebten Thoracalsegment verbunden. Auf diese Weise erhält das achte Thoracalsegment seine Beweglichkeit gegenüber dem restlichen, vor ihm liegenden starren Thorax (Abb. 2). Während die viereckige Platte (Abb. 3 links) ventral mit dem spitz auslaufenden Coxopodit des fünften Peraeopods artikuliert, steht sie dorsal über zwei Skelettbalken (Manubrium und Uncus) mit einer keulenförmigen Verdickung des ersten Abdominalsegments in Verbindung. Rostrad befindet sich auf der viereckigen Platte die Ansatzstelle der hinteren Pleurobranchie. Hinter der Kieme liegt ein ovales, von einer Membran ausgekleidetes Fenster. Manubrium und Uncus bilden zusammen mit der Solea die Secula, eine sichelförmige Skelettleiste. Die Secula ist jedoch nicht starr, sondern auf Grund ihrer Gliederung in Manubrium, Uncus und Solea in sich beweglich. Die Beweglichkeit des gesamten Artikulationssystems wird durch die elastische Gelenkmembran gewährleistet, welche im Bereich der Epimeralwand eine starke Faltung aufweist. Procambarus clarkii Bei Procambarus clarkii besitzt das Thoracoabdominalgelenk mit Ausnahme geringfügiger Abweichungen den gleichen Bauplan wie er bereits für Astacus beschrieben wurde (Abb. 3 rechts). So ist die Solea länglicher und weniger flächig als bei Astacus. Die Furchen der viereckigen Platte (Abb. 3 rechts) sind reduziert, die hintere Pleurobranchie vollkommen zurückgebildet. Eine ausführliche Beschreibung des Thoracoabdominalgelenks von Procambarus clarkii, sowohl hinsichtlich seiner Muskulatur als auch seiner Skelettelemente, findet sich in der Arbeit von Pilgrim & WiERSMA (1963). Ter- Plii2 C0X5 Abb. 3: Schema des Thoracoabdominalgelenks der Astacoidea. - Links von Astacus leptodactylus (Astacidae); rechts von Procambarus clarkii (Cambaridae); Car = Carapax; Coxs = Coxopodit des 5. Peraeopods; Epm elastische Epimeralmembran; Epp = Epimeralplatte; F = Furchen; Fe = ovales, von einer Membran ausgekleidetes Fenster; Man = Manubrium (der Secula); Plb = Ansatzstelle der hinteren Pleurobranchie; Plni_2 = Pleurondes 1. bzw. des2. Abdominalsegments; Plp/1 = 1. Pleopod; Q = viereckige Platte; Sol = Solea; Ter^ = Tergit des 1. Abdominalsegments; Unc = Uncus (der Secula). 61

Nephrops norvegicus Im Unterschied zu den Astacoidea ist bei den Nephropoidea das achte Thoracalsegment mit dem restuchen Thorax starr verwachsen. Verschmolzen ist nicht nur das Sternum zwischen dem fünften Schreitbeinpaar mit dem des vorhergehenden Segments, sondern auch die viereckige Platte mit dem Epimer des siebten Thoracalsegments (Abb. 4). Auch hier findet sich ein sichelförmiges Skelettelement auf der Gelenkmembran. Überraschend ist, daß sich wie bei Astacns ein ovales, mit einer elastischen Membran ausgekleidetes Fenster hinter der Ansatzstelle der Pleurobranchie des letzten Thoracalsegments befindet. Ap 5 Abb. 4: Epimeralregion von Nephrops norvegicus mit Teilen des Endophragmalsystems der linken Körperhälfte. Die dicken Linien umschreiben die Gelenkrahmen der Körpergelenke der Peraeopoden. Unverkalkte Skelettelemente bzw. Zonen mit geringer Kalkeinlagerung sind schwarz gezeichnet. Die gepunktete Linie symbolisiert eine künstliche Trennungslinie. -Ap2_5 = äußerer Angelpunkt des Körpergelenks des 2.-5. Peraeopods; Ap'2-s = innerer Angelpunkt des Körpergelenks des 2.-5. Peraeopods; eb = sichelförmiges Skelettelement; E4/5-E7/8 = intersegmentale Einstülpungen zwischen dem 4. bis 8. Thoracalsegment; Epm = elastische Epimeralmembran; Est = Endosternit; F = Furche; Fe = ovale Öffnung der vorderen Endopleuritenwand; Fe' = ovales, von einer elastischen Membran ausgekleidetes Fenster; Gr' = hinterer Abschnitt des proximinalen Körpergelenkrahmens des 5. Peraeopods; hf = innerer, nach hinten gewandter Fortsatz des Endopleurits; Plb5_8 = Ansatzstelle der Pleurobranchie des 5.-8. Thoracalsegments; Ss_7 = Sternum des 5.-7. Thoracalsegments. Ein evolutionsbiologischer Erklärungsversuch Für das Verständnis der komplexen Struktur des Thoracoabdominalgelenks der Astacoidea ist eine Berücksichtigung der wichtigsten Funktionen der Übergangsstelle zwischen Cephalothorax und Abdomen unumgänglich. Das Abdomen, ein mächtiges Ruderorgan, hat in Folge phylogenetischer Anpassung zwischen den Abdominalsegmenten einfache, jedoch sehr stabile Gelenke (Abb. 5) entwickelt. So überrascht es um so mehr, daß sich zwischen Abdomen und Thorax kein solches Gelenk, sondern ein außergewöhnliches Artikulationssystem befindet, dessen Hauptbestandteil von einer Skelettspange (Abb. 1) gebildet wird. Die Ursache hierfür hegt in jener Funktion, die dieser Übergangsstelle zwischen den beiden 62

Tagmata bei der Exuviation zukommt. Bei der Häutung entsteht durch das Platzen der Intersegmentalhaut am Hinterrand des Carapax eine Öffnung, durch die sich das Tier aus seiner Exuvie zwängt. Eine zu starre Verbindung zwischen den Skeletteilen des letzten Thorakal- und des ersten Abdominalsegments sowie eine zu geringe Elastizität dieser Region würden die Exuviation erschweren. Da bei der Häutung auftretende Komplikationen zumeist letal verlaufen, ergibt sich daraus ein starker Selektionsdruck. Dieser Selektionsdruck verhindert eine Verschmelzung der viereckigen Platte mit benachbarten Skelettelementen und beschränkt die Ausbildung von Leisten und Platten als Muskelansatzstellen sowie zur Stabilisierung des Thoracoabdominalgelenks auf ein Minimum. Abb. 5 : Schema eines Gelenks zwischen zwei Abdominalsomiten von Astacus leptodactylus. Querschnitt in Höhe der Pleurenrinne vor einem Gelenk. - Cis = Intersternalhaut; Cit Intertergalhaut; Gk = Gelenkkopf; Gp = Gelenkpfanne; Pin = äußeres Pleurablatt; Pin' == inneres Pleurablatt; Te = Terga des vorhergehenden Segments; Te' = Terga des nachfolgenden Segments. Diese Überlegungen scheinen im Gegensatz zu den in Abschnitt 3 für Nephrops beschriebenen Verhältnisse zu stehen. Der "Widerspruch löst sich jedoch, wenn man die Abweichungen berücksichtigt, die hinsichtlich der Häutung bestehen. Während der Exuviation reißt bei den Nephropoidea nicht nur die Intertergalhaut zwischen Abdomen und Thorax, sondern auch der alte Carapax entlang der Mittellinie auseinander. Die Ausschlüpföffnung ist somit erheblich vergrößert, weshalb eine starre Anghederung an den unbeweglichen Thorax keinen Nachteil darstellt. Der dritten Gruppe der Astacura, den Parastacoidea, fehlt, wie den Astacoidea, eine mediane Absorptionsnaht. Auch ist bei beiden Gruppen das achte Thoracalsegment mit dem übrigen Thorax gelenkig verbunden. Damit liegen also bei den Parastacoidea ähnliche Verhältnisse wie bei den Astacoidea vor. Berücksichtigt man, daß die marinen Nephropoidea die ursprünglichere Gruppe repräsentieren, so karm es sich bei den Astacoidea und Parastacoidea nur um abgeleitete Merkmale handeln. Das bedeutet, daß mit dem Wandel des Häutungsmodus bzw. mit der Reduktion der Absorptionsnaht das letzte Thorakalsegment sekundär seine BewegHchkeit erhielt und ein kompliziertes Thoracoabdominalgelenk entstand. Überlegungen zur Praecoxa der Astacoidea Nach der Praecoxa-Hypothese (Hansen 1925, 1930; Störmer 1939, 1944; Siewing 1960; Remane 1978; Remane, Storch & Welsch 1980) bestehen im Grundbauplan der Euarthropoden die Extremitäten aus neun Gliedern (Abb. 6a). Die ersten drei Glieder, Praecoxa, Coxa und Basis, bilden den Protopoditen, die übrigen den Telo- bzw. Endopoditen. Von diesen Urarthropodien (Abb. 6) ausgehend, entwickelte sich im Verlauf der Evolution durch Reduktion und Umgestaltung der Exite sowohl die Trilobitenextremität als auch das Spaltbein der Crustaceen. 63

Prcox Prep Abb. 6: Gliederung von Arthropodien. - Links Hypothetische Ausgangsform; Mitte Spaltbein der Crustaceen; rechts Trilobitenextremität; B = Basis; C = Carpus; Cox = Coxa; D = Dactylus; En = Endopodit; Ep = Epipodit; Ex = Exopodit; F = Femur; I = Ischium; M = Merus; P = Patella; Pr = Propodus; Prcox = Praecoxa; Prep = Praeepipodit; Prf Praefemur; Prta = Praetarsus; Ta = Tarsus; Ti = Tibia; Tr = Trochanter. -Verändert nach RemA- NE, Storch & Welsch 1980 sowie Stürmer 1944. Das Laufbein der Decapoden (Abb. 7) verfügt nur über einen zweigliedrigen Protopoditen, bestehend aus Coxa und Basis. Nach Autoren, welche von der Praecoxa-Hypothese ausgehen, ist,,die Praecoxa (...) nun bei den Decapoden nicht mehr als selbständiges Glied erhalten, sondern in die Epimeralwand aufgenommen worden. Aus ihrem Praeepipoditen sind (...) die Pleurobranchie und die hintere Arthrobranchie hervorgegangen" (Balss 1940-61). Die Epimeralregion der Astacoidea und Nephropoidea (Abb. 2 und 4) weist nun um die Ansatzstellen der Pleurobranchien durch Furchen und Einstülpungen umschriebene Regionen auf. Die vertikalen Begrenzungen dieser Bezirke sind tiefe Einstülpungen, die in die Endopleurite, laterale Apodeme des Abb. 7: Schema eines Thoracopods der Decapoda. - B = Basis; C = Carpus; Cox = Coxa; D = Dactylus; En = Endopodit; Ep = Epipodit; Ex = Exopodit; G = Gelenkhaut; J = Ischium; M = Merus; Pr = Propodus; Pt = Protopodit. -Verändert nach SCHMIDT 1915. 64

Endophragmalsystems, übergehen. Von der Praecoxa-Hypothese ausgehend heßen sich diese Regionen als Rudimente der einstigen Praecoxa deuten. Dies hätte für die viereckige Platte des Thoracoabdominalgelenks der Astacoidea zur Konsequenz, daß es sich bei ihr um eine sekundär wieder frei gewordene Praecoxa handeln würde. Dabei wäre noch durch einen Vergleich der Muskelansatzstellen an der viereckigen Platte und den homonomen Bezirken der vorhergehenden Segmente abzuklären, inwieweit fremdes Material bei der Entstehung der viereckigen Platte aufgenommen wurde. Die Deutung als reduzierte Praecoxa erklärt zwanglos den intersegmentalen Charakter der Endopleurite. Für die Entstehung von Endosterniten, die auch im achten Thoracalsegment auftreten, müßte trotzdem auf Einfaltung der Körperoberfläche zur Vergrößerung der Ansatzfläche der Muskulatur von Coxa und Basis zurückgegriffen werden. Neuerdings wird die Praecoxa-Hypothese wieder in Frage gestellt (Lauterbach 1978, 1979). Nach Lauterbach bewahrten die Trilobiten den ursprünglichen Bauplan der Arthropodien. Das von Stürmer (1939, 1944) als Praecoxa bezeichnete erste Glied deutet er als Sympoditen, den Praeepipoditen entsprechend als Exopoditen. Im Verlauf der Evolution wurden nun bei den Crustaceen die Seitenfiedern mit Ausnahme der ersten, proximinalen reduziert. Diese erste Seitenfieder wird zum Epipoditen und verlagert sich auf die Lateralseite des Sympoditen.,,Die Untergliederung des Sympoditen in Coxa und Basipodit ist allerdings schon im Grundbauplan der Crustacea (und Mandibulata) durch die Verteilung der Insertionen der Basalmuskulatur im Sympoditen präformiert" (Lauterbach 1979). Durch Vermehrung der Epipodite entsteht letztlich die hohe Zahl dieser Exite, wie sie für die Decapoda typisch ist. Demnach gelangt die Pleurobranchie erst sekundär auf die Epimeralregion. Eine Verlagerung der Pleurobranchie auf die Körperwand konnte bereits embryonal verfolgt werden (Siewing 1956). Die viereckige Platte der Astacoidea wäre somit ein abgegliederter Teil der Epimeralplatte. Solange keine endgültige Sicherheit bezüglich der Entstehung des Spaltbeins der Crustacea und seiner Anhänge besteht, wird eine Erörterung über den Ursprung des Endophragmalsystems ebenso wie eine Diskussion über die morphologische Wertigkeit der viereckigen Platte der Astacoidea stets nur hypothetischen Charakter besitzen. Literatur AbrahamcZIK-ScanzoNI, H. 1941 : Beiträge zur Kenntnis der Muskulatur und des Innenskeletts der Krabben. - Zool. Jb. Anat. 67: 293-380 BalsS, H. 1940-1961: Decapoda, in Bronn's Klassen und Ordnungen des Tierreichs Bd. 5, Abt. 1, Buch 7; 1. Aufl., Leipzig Bock, F. 1925: Die Respirationsorgane von Potamobius astacus Leach. - Z. wiss. Zool. 124: 51-117 Hansen, H., J. 1925: Studies on Arthropoda 2; 1. Aufl., Copenhagen 1930: Studies on Arthropoda 3; 1. Aufl., Copenhagen HOBBS, H. H. (Jr.) 1974: Synopsis of the Families and Genera of Crayfishes. - Smithsonian contributions to zoology 164: 1-32 HUXLEY, Th. H. 1881: Der Krebs - Leipzig Lauterbach, K. E. 1978: Gedanken zur Evolution der Euarthropoden-Extremität - Zool. Jb. Anat. 99: 64-92 1979: Über die mutmaßliche Herkunft der Epipodite der Crustacea - Zool. Anz. 202: 33-50 Netz, W. 1917: Das Skelett des Flußkrebses - Diss., Marburg PiLGRiM, R. L. C. & WiERSMA, C. A. G. 1963: Skeleton and Musculature of Crayfish - J. Morph. 113: 453-487 Remane, A. 1952: Die Grundlagen des natürlichen Systems, der Vergleichenden Anatomie und der Phylogenetik- Theoretische Morphologie und Systematik I, 1. Aufl., Leipzig 1967: Die Geschichte der Tiere, in: Die Evolution der Organismen Bd. 1, hrsg. von Gerhard Heberer, 3. Aufl., Stuttgart ^ Storch, V. & Welsch, U. 1980: Systematische Zoologie, 2. Aufl., Stuttgart Schmidt, W. 1915: Die Muskulatur von Astacus fluviatilis - Z. wiss. Zool. 113: 165-250 Siewing, R. 1956: Untersuchungen zur Morphologie der Malacostraca (Crustacea) -Zool. Jahrb. Anat. 75: 39-176 65

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