Rede von Oberbürgermeister Jürgen Roters anlässlich der Pressekonferenz, 28. Februar 2011, Zwei Jahre nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs Es gilt das gesprochene Wort! Sehr geehrte Damen und Herren, seit dem 3. März 2009, 13.58 Uhr hat sich Köln verändert. Der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln ist eines der dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte. Zwei junge Menschen verloren ihr Leben, 36 Anwohner ihr Zuhause, über 30 Regalkilometer Zeugnisse Kölner und Rheinischer Geschichte mit europäischer Bedeutung schienen vernichtet, zerstört und sind wenigstens auf Jahre hin nicht mehr benutzbar. Schüler werden teilweise immer noch in Provisorien unterrichtet, die Bewohner der Severinstraße waren lange Zeit abgeschnitten von der nördlichen Innenstadt. Die Auswirkungen auf den U-Bahn-Bau in Köln sind beträchtlich. Der Gesamtschaden dieses Einsturzes wird sicherlich die Milliardengrenze erreichen. Sechs überirdische Etagen des Magazinbaus sowie dessen Kellergeschoss füllten als mit Archivgut durchmengter Bauschutt gut die Hälfte des unterirdischen Gleiswechselbauwerkes aus und bildeten einen circa acht Meter hohen Kegel auf der Severinstraße. Das Archiv war in der Erde verschwunden, das Gedächtnis der Stadt schien zunächst völlig verloren. Heute, fast zwei Jahre danach, können wir Bilanz ziehen und die Schäden und noch ausstehende Arbeiten konkreter benennen.nur durch die permanente große Kraftanstrengung aller Beteiligten in Köln ist es gelungen, die Folgen der Katastrophe so gut wie möglich zu bewältigen. Zwei junge Menschen verloren ihr Leben, ihnen gilt unsere Erinnerung, ihren Angehörigen unser Mitgefühl. Am Vorabend des zweiten Jahrgedächtnisses werden wir Ihrer mit einer Kranzniederlegung auf der Unglücksstelle gedenken. Wir können heute sagen, dass die damals betroffenen Anlieger, die ihre Wohnungen und ihren Lebensmittelpunkt verloren hatten, heute bis auf ganz wenige Ausnahmen
in ihrem neuen Leben angekommen sind. Ihnen stand von Anfang an ein Team zur psychosozialen Betreuung zur Verfügung, über 40 Mitarbeiter unseres Wohnungsversorgungsbetriebs kümmerten sich intensiv um das neue Zuhause, Psychologen der Feuerwehr und des Gesundheitsamtes betreuten anfangs über 180 Personen. Der von uns vorgeschlagene Ombudsmann vertrat die Interessen der Betroffenen. Fast alle Betroffenen, auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Historischen Archivs haben ihren Schock inzwischen weitgehend überwinden können, Restängste sind sicherlich noch geblieben. Ebenso die Menschen an der U- Bahn-Strecke. Ein Großteil ihrer Ängste ist der Erkenntnis gewichen, dass Stadt und KVB ihrerseits die größtmögliche Überwachung der Baumaßnahmen zur Sicherheit aller Anlieger gewährleisten. Herr Fenske wird gleich darüber ausführlich berichten. Ein Veedelsmanager bemüht sich intensiv um die Belange der Nachbarschaft und auch der Geschäftsleute an der Severinstraße. Mit noch laufenden Entschädigungszahlungen bemühen sich KVB und Stadt Köln, die aktuellen Belastungen der Anwohner so gut wie möglich abzufedern. Die verkehrliche Erreichbarkeit hat sich mit Öffnung der Einbahnstraße inzwischen deutlich verbessert. Der Einsturz hat viel im Bewusstsein der Kölnerinnen und Kölner verändert. Man spürt ein Aufrütteln in dieser Stadt, Bürger engagierten sich sofort nach dem Unglück und engagieren sich nach wie vor (Denken Sie an die zahlreichen Helfer bei der Erstversorgung der Archivalien). Das tut Köln gut. Lassen Sie mich zum Historischen Archiv kommen, dem Gedächtnis dieser 2.000 Jahre alten Stadt. Etwa 90 Prozent der Bestände sind mit Stand heute geborgen, davon: 35 Prozent schwerst beschädigt 50 Prozent mit schweren und mittleren Schäden 15 Prozent leicht beschädigt Etwa fünf Prozent sind derzeit noch im Grundwasser, weitere fünf Prozent sind wohl vollständig verloren. Das technisch sehr komplizierte Bergungsbauwerk wurde Mitte November 2010 fertig gestellt, die dritte und letzte Bergungsphase begann im Anschluss, ist derzeit unterbrochen, da überdimensionale Trümmerteile erst im
Grundwasser zerteilt werden müssen, um sie dann aus dem Untergrund zu entfernen. Die Kosten liegen bei rund 13,7 Millionen Euro. Das alles ist unverzichtbar, um einerseits das geplante Besichtigungsbauwerk, von dem wir Aufschluss über die Ursache des Einsturzes erwarten, bauen zu können und andererseits das Gelände später wieder herzurichten für neue Nutzungen. Darüber hinaus sind wir gesetzlich verpflichtet durch das Archivgesetz NRW, die uns übergebenen Archivalien zu bergen und zu sichern. Meine Damen und Herren, der unfangreiche Wiederaufbau des Historischen Archivs bedeutet nicht bloß das Errichten eines neuen Archivgebäudes. Die Zusammenführung der auf 20 sogenannte Asylarchive in ganz Deutschland verteilten Bestände, die aus ihrem Kontext gerissen wurden und ihre Restaurierung gehören ebenso notwendig zum Wiederaufbau des Historischen Archivs als lebendiges Gedächtnis der Stadt Köln. Erste Schätzungen haben ergeben, dass die Kosten für die Restaurierung und die Zusammenführung aller durch den Einsturz aus dem Zusammenhang gerissenen Bestände mindestens 350 bis 400 Millionen Euro kosten werden. Das Ganze wird 30 bis 50 Jahre in Anspruch nehmen, wenn ständig 200 Restauratorinnen und Restauratoren daran arbeiten können. Eine Person alleine wäre 6.300 Jahre damit beschäftigt. Diesen umfangreichen inneren und äußeren Wiederaufbau können und müssen wir fachlich verantworten. Das gebietet uns zum einen der Respekt vor über 2.000 Jahren Kölner Stadtgeschichte und der reichhaltigen Überlieferung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Die Archivalien sind wahre Schatzgruben für alle Fragen, die wir und alle folgenden Generationen an unsere Vergangenheit stellen können. Um das Historische Archiv wieder zu einem Ort machen zu können, an dem die Überreste von gestern und heute für die Generationen von heute und morgen aufbewahrt werden, ist eine Kraftanstrengung vieler und in vielen Bereichen nötig. Wir sind hier auch auf die Bereitschaft der Bürger, der Wirtschaft und der gesellschaftlichen Gruppen angewiesen. Das Historische Archiv ist ein Gedächtnis für uns alle. Wir sollten uns auch alle dafür engagieren, im Großen und im Kleinen. Dazu soll auch die Stiftung Stadtgedächtnis dienen, die privates Engagement bündeln und dem Historischen Archiv zur Verfügung stellen soll.
Meine Damen und Herren, wie ist nun die aktuelle Situation für das Historische Archiv der Stadt Köln und was sind die nächsten großen Aufgaben? Ich gebe Ihnen dazu nun kurz skizzenhaft einen Überblick, im Anschluss werden Kulturdezernent Professor Quander und die Archivleiterin Dr. Bettina Schmidt-Czaia Ihnen zu einzelnen Themen Näheres berichten. Unmittelbar nach dem Einsturz wurde das Archiv im Stadthaus Deutz untergebracht. Seit dem 23. April 2010 ist dieses Provisorium hier am Heumarkt die zentrale Anlaufstelle des Historischen Archivs der Stadt Köln. Im Digitalen Lesesaal werden sukzessive alle sicherheitsverfilmten Bestände als Digitalisate zur Verfügung gestellt. Das zweite Benutzerzentrum ist das Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum (RDZ) in Porz- Lind. In den umgebauten Lagerhallen eines Möbelhauses, die wir im November 2010 bezogen haben, wird die eigentliche Arbeit in Kürze aufgenommen. Dort ist dann Restaurierung und Konservierung in eigener Regie wieder möglich, die Digitalisierung wird vorangetrieben, und die Bestände, die in 20 Asylarchiven in ganz Deutschland verteilt liegen, werden erfasst. Zunehmend wird es dort auch wieder möglich sein, Originale im analogen Lesesaal zu benutzen und damit wieder mit den Überresten wie eben oben definiert arbeiten zu können. Im Dezember 2010 wurde der Architektenwettbewerb für den Neubau des Historischen Archivs am Eifelwall/Luxemburger Straße gestartet. Aus 200 Bewerbungen wurden 45 Teilnehmer ermittelt, das Preisgericht wird am 17. und 18. Juni 2011 über die Arbeiten entscheiden. Über 85 Millionen Euro wird die Stadt hier für den Gesamtkomplex, in den auch die Kunst- und Museumsbibliothek einschließlich des Rheinischen Bildarchivs einziehen, investieren, in Zeiten leerer Kassen eine außerordentlich große Anstrengung. 20.000 Quadratmeter Fläche werden dann allein dem Historischen Archiv zur Verfügung stehen. Das Gelände des eingestürzten Historischen Archivs soll keine Ruine bleiben. Am 12. April 2011 starten wir im Rathaus eine neue und intensive Bürgerbeteiligung für das Grundstück Severinstraße und wie es künftig bebaut werden soll. Wir stellen Modelle, Pläne und Visualisierungen vor, unter anderem zur Erweiterung der Kaiserin-Augusta-Schule, zur Sanierung und Erweiterung des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums, zum möglichen Lückenschluss entlang der Severinstraße Mit interessierten Bürgern soll noch vor
den Sommerferien die weiteren Planungen erarbeitet werden, nicht nur zur Neubebauung, sondern auch zur Form der Erinnerung an den Stadtarchiveinsturz. Zum Abschluss noch ein Wort zur Situation der betroffenen Schüler. Die Schwierigkeiten auf der Unglücksstelle machen auch den geplanten Rückzug des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums in ihre sanierten Räume unmöglich. Nach jetzigem Planungsstand soll spätestens im Juni 2012 das Stammhaus fertiggestellt sein. Die Kaiserin-Augusta-Schule konnte inzwischen ihren Ganztagsbetrieb aufnehmen, im April 2011 werden noch sechs weitere Klassencontainer an der Georgstraße in Betrieb gehen. Für den geplanten Erweiterungsbau wird ein Architektenwettbewerb vorbereitet, dessen Ergebnisse Ende des Jahres vorliegen sollen. Sehr geehrte Damen und Herren, wir rechnen mit einer Gesamtschadenssumme von rund 1 Milliarde Euro. Wir sind bereits im Februar vergangenen Jahres dem Beweisverfahren der KVB gegen die Arbeitsgemeinschaft Nord-Süd Stadtbahn Köln Los Süd offiziell beigetreten. Im März werden wir dem Hauptausschuss zur Sicherung der Ansprüche der Stadt Köln die Einleitung eines weiteren separaten Beweisverfahrens zur Schadenshöhe gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen zur Beschlussfassung vorschlagen.