GERHARD ROTH INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN TRANSGENERATIONELLE WEITERGABE VON GEWALTNEIGUNG UND IHRE NEUROBIOLOGISCHEN GRUNDLAGEN

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Transkript:

GERHARD ROTH INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG UNIVERSITÄT BREMEN TRANSGENERATIONELLE WEITERGABE VON GEWALTNEIGUNG UND IHRE NEUROBIOLOGISCHEN GRUNDLAGEN G. Roth, 2018

MECHANISMEN DER TRANSGENERATIONELLEN WEITERGABE VON GEWALTNEIGUNG Gene (DNA), Gen-Polymorphismen Epigenetische Faktoren Vorgeburtliche schädigende Einflüsse durch das Gehirn der werdenden Mutter Früh-nachgeburtliche negative Beeinflussung durch mangelndes Fürsorgeverhalten Spätere negative Beeinflussungen durch die soziale Umwelt

Längsschnitt durch das menschliche Gehirn Blau: Limbisches System als Sitz der Persönlichkeit und Psyche (nach Spektrum der Wissenschaft, verändert)

WICHTIGE SCHRITTE IN DER PSYCHO-NEURALEN ENTWICKLUNG DES MENSCHEN Entwicklung des Stress-Verarbeitungssystems (vorgeburtlich, früh nachgeburtlich) Entwicklung des internen Beruhigungssystems (vorgeburtlich, früh nachgeburtlich) Entwicklung des internen Motivationssystems (erste Lebensjahre) Entwicklung des Impulshemmungssystems (1. 20. Lebensjahr) Entwicklung von Bindungsfähigkeit, Empathie und Theory of Mind (2.-20. Lebensjahr) Entwicklung des Realitätssinns und der Risikowahrnehmung (3. 20. Lebensjahr oder noch später)

IMPULSIV-REAKTIVE GEWALTTÄTER Impulsiv-reaktive Gewalttäter reagieren unangemessen mit körperlicher Gewalt auf vermeintliche Bedrohungssituationen. Sie zeigen oft eine oberflächliche Reue ( das wollte ich nicht! ), versuchen aber zugleich, ihr Verhalten zu rechtfertigen ( der kam drohend auf mich zu, da musste ich mich doch wehren! ). Training und Therapie zeigen mäßige Effekte.

BIOLOGISCHE UND PSYCHISCHE URSACHEN IMPULSIV- REAKTIVEN GEWALTVERHALTENS Geschlecht Alter Vorgeburtliche, geburtliche oder nachgeburtliche anatomische und physiologische Hirnschädigung und Verhaltensdefizite Genetische und epigenetische Prädisposition (Gen- Polymorphismen) Hoher Cortisol-, niedriger Serotonin- und hoher Testosteronspiegel

Impulsiv-reaktive Gewalttäter zeigen gegenüber aversiven Reizen und Frustration (1) eine erhöhte vegetative Reaktion (Schreckreflex, Lidschlag, Atemfrequenz, Hautleitfähigkeit) (2) eine erhöhte Aktivität der Amygdala (3) eine verminderte Aktivität des präfrontalen, ventromedialen und orbitofrontalen Cortex Dies hängt mit schwerwiegenden Defiziten des Stressverarbeitungs-, Selbstberuhigungs, Impulshemmungs- und Bindungssystems zusammen.

Hirnorganische Korrelate des Gewaltverhaltens Raine et al. 1997, 2000 (PET): Personen mit erhöhter Aggressivität zeigen frontale und temporale Defizite. Mörder zeigten eine deutlich geringere Aktivierung im Frontallappen und im oberen parietalen Cortex, insbesondere linkshemisphärisch. Dies deutet auf eine verringerte corticale Kontrollfähigkeit hin.

Verbindungen der Amygdala zum Cortex, bes. zum präfrontalen, prämotorischen und insulären Cortex Corticale Verbindungen, bes. vom orbitofrontalen und anterioren cingulären Cortex zur Amygdala

Zentrum für emotionale Konditionierung und furchtgeleitete impulsive Reaktionen Amygdala (Mandelkern)

Impulsiv-reaktive Gewalttäter haben typischerweise Schwierigkeiten, einen ängstlichen von einem aggressiv-bedroh- Lichen Gesichtsausdruck zu unterscheiden.

GEN-POLYMORPHISMEN Gen-Polymorphismen sind Unterschiede in den beiden Allelen eines Gens, die mindestens 1% der Varianz eines Gen-Pools ausmachen. Bisher intensiv untersuchte Polymorphismen betreffen u.a.: - MAO-A-Gen - 5-HT-Transporter-Gen - 5-HT1A-Rezeptor-Gen - COMT-Gen - Tryptophan-Hydroxylase-Gen Alle diese Gene beeinflussen direkt oder indirekt das Stressverarbeitungssystem und den Serotonin-Haushalt und damit die Toleranz gegenüber psychischem Stress und vermeintlicher oder tatsächlicher Bedrohung.

SEROTONIN UND AGGRESSION Bei männlichen Gewalttätern besteht ein deutlicher negativer Zusammenhang zwischen Gewalttätigkeit oder -bereitschaft und Serotonin-Spiegel bzw. dessen Abbauprodukt 5-HIAA (5-Hydroxyindolessigsäure). Bei diesen Personen sind vor allem der 5-HT 1A - und 5-HT 1B -Rezeptor betroffen. Diese haben eventuell unterschiedliche Funktionen bei kognitiver und motorischer Impulsivität. Ebenso gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen erhöhter Gewaltbereitschaft und einer Störung des 5-HT-Transporter-Mechanismus.

POLYMORPHISMUS DES 5-HT-TRANSPORTER-GENS Canli und Lesch, Nature Neuroscience 2007 5-HTT-DNA Kurze und lange 5-HTT-Promoter- Region 5-HT-SYNAPSE Die kurze Variante des Transporter-Gens ist korreliert mit erhöhten Angststörungen, Depression und reaktiver Gewalt als Folge eines erhöhten Bedrohtheitsgefühls und verminderter Impulskontrolle.

Science 2002

Caspi et al., Science 2002 Niedrige MAO-A-Aktivität, frühkindliche Misshandlung (drei Kategorien) und späteres antisoziales Verhalten (vier Kategorien) Verhaltensauffälligkeit Straffällig wg. Gewaltverbrechen Gewaltbereit -schaft Antisoziale Persönlichkeitsstörung

Regulation der Hypothalamus-Hypophysen- Nebennierenrinden-(HHN)- Achse Freisetzung von CRH, ACTH, Cortisol Freisetzung von Adrenalin und Noradrenalin Unterdrückung des Immunsystems Negative Rückkopplung auf CRH- und ACTH-Produktion

STRESSACHSE CRF-ACTH-Cortisol-Rückkopplungsschleife zwischen Nebennierenrinde, Hypothalamus und Hippocampus Hypothalamus CRF + Hippocampus Hypophyse ACTH + Min.Cort.R. + Nebennierenrinde Cortisol Cortisol

EPIGENETISCHE REGULATION DER GEN-EXPRESSION Methylierung und De-Methylierung von Cytosin: Hemmung und Enthemmung der Gen- Expression Methylierung und Acetylierung von Histonen: Hemmung und Enthemmung der Gen-Expression. Wird an Tochterzellen weitergegeben Geschehen diese Mechanismen in den Keimzellen, so wird das veränderte Gen-Expressionsmuster an die nächste Generation als genomische Prägung weitergegeben ohne Veränderung der DNA selbst.

Fötus im Mutterleib Die Plazenta als Treffpunkt des mütterlichen und fötalen Blutkreislaufs

Glucocorticoide können prinzipiell die Plazenta-Schranke überwinden, wobei unter normalen Umständen nur ein geringer Teil des mütterlichen Cortisol durchgelassen. Das fötale Plasma-Cortisol beträgt entsprechend nur etwa ein Dreizehntel des mütterlichen. Dadurch werden auch akute Erhöhungen des Cortisolspiegels im mütterlichen Blut abgepuffert. Dies ist notwendig für eine normale Entwicklung des fötalen Stressverarbeitungssystems, da dieses viel empfindlicher auf Cortisol reagiert als das der Mutter.

VORGEBURTLICHE TRAUMATISIERUNG Eine chronische Erhöhung des Cortisolspiegels im Gehirn und Blutplasma der werdenden Mutter aufgrund akuter oder früherer traumatischer Erlebnisse führt zu einer dramatischen Erhöhung der Durchlässigkeit der Plazenta für Cortisol. Dies schädigt die Ausbildung der fötalen Stressachse nachhaltig, insbesondere die Ausbildung der regulatorischen Rezeptoren im Hippocampus und anderen Hirnteilen. Ebenso werden die in der Plazenta vorhandenen CRF-, Oxytocin-, Serotonin- und Acetylcholin-Rezeptoren nachhaltig beeinflusst.

Einfluss mütterlichen Fürsorgeverhaltens auf den Serotonin- Spiegel und die Aktivierung von GR-Rezeptor-Genen über Acetylierung der Promotor-Sequenz Meaney, 2010 (+ Oxytocin) Promotor-Sequenz des GR-Gens

FRÜHE TRAUMATISCHE ERFAHRUNGEN (10-20% der Kinder) - Sexueller Missbrauch, - Misshandlung, - Vernachlässigung bzw. inkonsistentes Fürsorgeverhalten - Ungelöst-desorganisierte Bindungserfahrung - Frühe Gewalterfahrung - Stark konflikthafte Trennung der Eltern - Tod einer Bindungsperson Solche Erlebnisse haben eine nachhaltige negative Wirkung auf nahezu alle Aspekte unserer Psyche und Persönlichkeit.

Prozentuale Anteile kindlicher Misshandlungen in den USA (2010) Psych. Vernachlässigung Körperliche Misshandlung Sexueller Missbrauch Psychischer Missbrauch Gesundheitl. Vernachlässigung Marshall, Science 345, 2014

AUSWIRKUNGEN PRÄNATALEN UND POSTNATALEN STRESSES Pränatal über mütterliche Stresserfahrung sowie früh-postnatal wird der Besatz mit Glucocorticoid-Rezeptoren in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns massiv gestört. Bei relativ mildem postnatalen Stress und Bindungserfahrung kommt es zu einem Hypercortisolismus, d.h. einer Überängstlichkeit, Angstzuständen, melancholischer Depression und reaktiver Aggression. Bei starkem, chronischem und nicht bewältigbaren Stress der Mutter oder des Kleinkindes kommt es zu einen Hypocortisolismus, der zu atypischer Depression, Hilflosigkeit, Empfänglichkeit für PTSD und emotionaler Unempfindlichkeit bis hin zu Psychopathie führen kann.

Gegenläufiger Effekt von schwerem und minder schwerem Missbrauch in der Kind (zusätzlich zu Vernachlässigung) auf die morgendliche Cortisolfreisetzung (CAR): Minder schwerer Missbrauch führt zu Hyper-Cortisolismus (Übererregbarkeit), schwerer Missbrauch führt zu Hypo- Cortisolismus (Unerregbarkeit, Hilflosigkeit, Psychopathie) CAR Hyper-Cortisolismus (minder schwerer Missbrauch) Normaler Tagesgang kein Missbrauch Hypo-Cortisolismus schwerer Missbrauch

Verringerte akute Cortisolantwort auf Stress bei schwer misshandelten Personen Carpenter et al., 2007 keine Misshandlung schwere Misshandlung

Die frühkindliche Bindungserfahrung ist die wichtigste Erfahrung in unserem Leben. Durch sie wird unser individuelles und gesellschaftliches Verhalten bestimmt: Selbstwertgefühl, Empathie, Verantwortlichkeit. (Foto: privat)

Anstieg des Oxytocin-Spiegels bei Eltern und Kind bei liebevoller Interaktion Feldman et al. 2010

DER EFFEKT DER OXYTOCIN-AUSSCHÜTTUNG Reduktion der CRF-ACTH-Cortisol-Produktion und dadurch Verminderung von Angst- und Bedrohtheitsgefühlen. Erhöhung des Spiegels von Serotonin und endogener Opioide und damit Beruhigung und Erhöhung des Wohlbefindens. Anregung der Bildung neuer Nervenzellen in limbischen Zentren des Gehirns und damit Möglichkeit der Kompensation früher psychischer Defizite.

Der Circulus fructuosus der Eltern-Kind-Beziehung Rilling und Young, Science 345, 2014

Hohe Empfindlichkeit für frühe negative Erfahrung bei MAOA-L - Allel und geringe Empfindlichkeit bei MAOA-H Allel in Hinblick auf späteres antisoziales Verhalten (Buckholz und Meyer-Lindenberg (2008)

ZUSAMMENFASSUNG Gewaltneigung kann zwischen den Generationen auf sehr unterschiedliche Weise weitergegeben werden, nämlich genetisch, epigenetisch, durch negative vorgeburtliche und frühkindliche Umwelteinflüsse und Gewalterfahrung in Kindheit und Jugend. Diese Faktoren betreffen alle 6 psychoneuralen Systeme. Es gibt keine spezifischen Gewalt- oder Verbrecher-Gene. Die vorgeburtlichen und früh-nachgeburtlichen negativen Umwelteinflüsse sind diejenigen Faktoren, die offenbar am meisten zu einer Gewaltneigung beitragen. Sie sind in diesen Lebensabschnitten am wirkungsvollsten zu behandeln. Deshalb sollte die Sorge der Gesellschaft sich besonders auf diese Lebensabschnitte konzentrieren.

Klett-Cotta, Stuttgart 2014/2018

ICH DANKE IHNEN FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT