Positionspapier. VDMA-Position zum Sichtfeld bei Erdbaumaschinen. Einleitung

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Transkript:

Positionspapier Bau- und Baustoffmaschinen VDMA-Position zum Sichtfeld bei Erdbaumaschinen Einleitung Derzeit gibt es am Markt bei Herstellern wie Betreibern eine große Unsicherheit bezüglich des Sichtfeldes von Erdbaumaschinen, da gegen die aktuelle Version der einschlägigen Norm, EN 474-1:2006+A4:2013, ein Warnhinweis bezüglich des Abschnitts Sichtfeld ausgesprochen wurde. Die Frage eines guten Sichtfeldes ist schon immer im Fokus der Hersteller und wird kontinuierlich nach dem Stand der Technik verbessert. Zudem umfasst der Anwendungsbereich der EN 474-1 sehr viele verschiedene Maschinentypen, die jedoch von den Schwierigkeiten nicht alle gleichermaßen betroffen sind. Im Folgenden sollen Hintergrundinformationen gegeben und dargelegt werden, welche Maßnahmen in der Übergangszeit getroffen werden können, bis der Warnhinweis aufgehoben wird. Gesetzliche Pflichten der Hersteller In der EU legt die Maschinenrichtlinie (2006/42/EG) die grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen für Maschinen, die in der EU auf den Markt gebracht werden, fest. Diese sind jedoch ultimativ formuliert und können in der Praxis häufig nicht vollständig erfüllt werden. Die von der Maschinenrichtlinie geforderten Schutzmaßnahmen müssen immer dem Stand der Technik entsprechen. Insoweit besteht für den Hersteller die Pflicht, dass die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen des Anhangs I gemäß dem Stand der Technik erfüllt werden, siehe Anhang I. Vor dem Ausstellen der EG-Konformitätserklärung im Rahmen des Konformitätsverfahrens muss der Hersteller eine Risikobeurteilung durchführen und dokumentieren. Mithilfe der Risikobeurteilung ermittelt der Maschinenhersteller systematisch alle Risiken in allen Lebensphasen der Maschine und ergreift dann entsprechend dem Stand der Technik vorzugsweise technische Maßnahmen, um diese Risiken zu minimieren oder idealerweise zu eliminieren. Bei der Auswahl der technischen Einrichtungen sind die Einsatzbedingungen (z. B. Dunkelheit, unebener Untergrund, Gegenwart weiterer Maschinen) und die Einhaltung ergonomischer Prinzipien (z. B. Vermeidung von Ermüdung durch körperliche Fehlbeanspruchung) einzuhalten, so der Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie ( 294). Reichen diese Maßnahmen nicht aus, muss er den Benutzer über Restrisiken durch die Betriebsanleitung informieren und erläutern, wie der Benutzer die Maschine sicher verwenden kann. Die Risikobeurteilung ist Bestandteil seiner technischen Unterlagen gemäß Anhang VII A der Maschinenrichtlinie. Diese Unterlagen verbleiben beim Hersteller. Verband Deutscher Maschinenund Anlagenbau e.v. Fachverband Bau- und Baustoffmaschinen Vorsitzender: Johann Sailer Geschäftsführer: Joachim Schmid Lyoner Straße 18 60528 Frankfurt am Main, Germany Telefon +49 69 6603-1262 Telefax +49 69 6603-2262 E-Mail bub@vdma.org Internet http://bub.vdma.org VDMA Technik für Menschen

Unterlagen des Herstellers Die technischen Unterlagen nach Anhang VII der Maschinenrichtlinie sind interne Unterlagen des Herstellers und müssen von ihm nur auf Verlangen der zuständigen Marktüberwachungsbehörde an die Behörde übermittelt werden. Eine Verpflichtung zur Aushändigung an den Kunden besteht zu keinem Zeitpunkt. Der Gesetzgeber hat diese Regelung im Interesse des Know-how-Schutzes getroffen. Gerade inhärente Maßnahmen der Risikominimierung, denen im Übrigen ausdrücklich der Vorrang gegenüber technischen Sicherheitsmaßnahmen vom Hersteller zu geben sind, schaffen ein hohes Maß an Sicherheit und Akzeptanz beim Bediener der Maschine und aufgrund einer kostengünstigen Integration in das Maschinenkonzept auch häufig Wettbewerbsvorteile. Würde der Kunde vom Inhalt dieser Unterlagen Kenntnis erlangen, bestünde bei ihm ein erheblicher Handlungsbedarf, insbesondere auch für organisatorische Regelungen, die Vertraulichkeit Dritten gegenüber zu wahren. Nach dem New Legislative Framework werden die allgemein gehaltenen gesetzlichen Anforderungen der Harmonisierungsrechtsvorschrift durch harmonisierte Normen spezifiziert. Dabei spielen Normen vom Typ-C eine wichtige Rolle, da sie maschinenspezifisch abgefasst sind. Fachleute aller interessierten Kreise (Hersteller, Betreiber, Vertreter des Arbeitsschutzes) sind in die jeweiligen Gremien eingeladen, diese Normen gemeinsam im demokratischen Meinungsfindungsprozess nach dem Stand der Technik zu erarbeiten bzw. jeweils zu aktualisieren. Werden in einer Norm die vom erfassten Maschinentyp ausgehenden Risiken hinreichend erfasst, wird die Fundstelle dieser Norm im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Mit der Veröffentlichung der Fundstelle kann für die Anwendung dieser Norm die Vermutungswirkung vom Hersteller geltend gemacht werden. Die Anwendung der Norm ist freiwillig. Im Produktsicherheitsgesetz, das die Übertragung der Maschinenrichtlinie in deutsches Recht darstellt, heißt es in 4 Absatz 2: Bei einem Produkt, das harmonisierten Normen oder Teilen dieser Normen entspricht, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind, wird vermutet, dass es den Anforderungen nach 3 Absatz 1 oder Absatz 2 genügt, soweit diese von den betreffenden Normen oder von Teilen dieser Normen abgedeckt sind. (Konformitätsvermutung). Der New Legislative Framework und die Konformitätsvermutung von Normen sind die zentralen Stützen europäischer Maschinensicherheitsgesetzgebung und tragen maßgeblich zur Sicherheit von Maschinen in Europa bei. Sie sind die Grundlage für gleiche Marktzugangsbedingungen und stellen fairen Wettbewerb sicher. Ermitteln des Standes der Technik (Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie, 161): "Um dem Stand der Technik zu entsprechen, müssen die angewandten technischen Lösungen, mit denen die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen erfüllt werden sollen, die wirksamsten technischen Mittel anwenden, die zu dem betreffenden Zeitpunkt zur Verfügung stehen, zu Kosten, die unter Berücksichtigung der Gesamtkosten der betreffenden Maschinenkategorie und der erforderlichen Risikominimierung angemessen sind. Es kann von den Herstellern von Maschinen nicht erwartet werden, dass sie Lösungen einsetzen, die sich noch im Entwicklungsstadium befinden, oder technische Mittel, die nicht allgemein am Markt verfügbar sind. Andererseits müssen sie jedoch den technischen 2

Fortschritt berücksichtigen und die wirksamsten technischen Lösungen einsetzen, die für die betreffende Maschine geeignet sind, sobald sie zu angemessenen Kosten zur Verfügung stehen." Die Anwendung einer harmonisierten Typ C-Norm entbindet den Hersteller dennoch nicht von seiner Verpflichtung zur Risikobeurteilung. Der Hersteller muss sicherstellen, dass die harmonisierte Norm für die betreffende Maschine geeignet ist und sämtliche davon ausgehenden Risiken abdeckt. Wenn von der betreffenden Maschine Gefährdungen ausgehen, die nicht durch die harmonisierte Norm abgedeckt werden, ist eine umfassende Risikobeurteilung für diese Gefährdungen notwendig und es müssen geeignete Schutzmaßnahmen zum Umgang mit diesen Gefährdungen ergriffen werden. (Leitfaden für die Anwendung der Maschinenrichtlinie, 159). Wie die Maschinenrichtlinie auch beziehen sich diese Normen auf Produkte, die neu auf den Markt gebracht werden, und berücksichtigen nicht die Verhältnisse am Arbeitsplatz bzw. die Verwendung von Arbeitsmitteln, die im Betrieb schon längere Zeit genutzt werden. Für den Betreiber gelten daher darüber hinaus weitere Vorschriften. Gesetzliche Pflichten für den Betreiber/Arbeitgeber Der Betreiber/Arbeitgeber muss nach der Betriebssicherheitsverordnung, die die europäische Richtlinie zur sicheren Verwendung von Arbeitsmitteln in deutsches Recht umsetzt, für jedes Arbeitsmittel mithilfe einer Gefährdungsbeurteilung prüfen, ob dieses für die am Arbeitsplatz gegebenen Bedingungen geeignet ist und ggf. Maßnahmen treffen, um die Arbeitnehmer zu schützen. Benutzung von Arbeitsmitteln nach dem Stand der Technik Die Gefährdungsbeurteilung ist vom Arbeitgeber in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen. Stellt er fest, dass ein Arbeitsmittel nicht mehr sicher betrieben werden kann, muss er prüfen, ob zusätzliche Schutzmaßnahmen erforderlich sind. Das Ergreifen von technischen Schutzmaßnahmen ist vorrangig vor dem Ergreifen organisatorischer Maßnahmen. Organisatorische Maßnahmen sind wiederum vor personenbezogenen Maßnahmen zu ergreifen. Stand der Technik nach BekBS 1114: "ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme oder Vorgehensweise zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherheit der Beschäftigten gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg in der Praxis erprobt worden sind." 3

Warnung bezüglich EN 474-1:2006+A4:2013, 5.8.1 Mit dem Durchführungsbeschluss (EU) 2015/27 vom 7. Januar 2015 (der somit am 28.01.2015 in Kraft trat) setzt die EU-Kommission die Konformitätsvermutungswirkung bezüglich 5.8.1 Bedienersicht von EN 474-1:2006+A4:2013 für Erdbaumaschinen aus. Der übrige Text der Norm ist nicht betroffen für sie gilt weiterhin die Konformitätsvermutung. Jede nach der EN 474-1:2006+A4:2013 hergestellten Maschine, die vor dem Inkrafttreten der Warnung In Verkehr gebracht wurde, ist rechtmäßig auf dem Markt bereitgestellt worden. Gegebenenfalls muss der Betreiber/Arbeitgeber, der eine solche Maschine einsetzt, nun seine Gefährdungsbeurteilung überprüfen und seine Schutzmaßnahmen anpassen. Dies gilt nur für einen Arbeitsplatz, an dem tatsächlich das Sichtfeld der Maschine entscheidend ist und nur für Maschinen aus dem Anwendungsbereich der Norm, bei denen die von der Administrative Cooperation Task Force on earth-moving machinery (nachfolgend kurz: ADCO Task Force) vorgeschlagenen fünf Punkte (s. u.) derzeit noch nicht eingehalten werden. Für jedes Inverkehrbringen einer neuen bzw. CE-kennzeichnungspflichtigen Maschine auf dem Markt, das nach dem Inkrafttreten der oben genannten Warnung erfolgt, muss der Hersteller aufgrund seiner Risikobeurteilung in Bezug auf das Bedienersichtfeld seiner Maschine notwendige Schutzmaßnahmen ergreifen, damit er auch die für die Maschine geltenden grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen der Maschinenrichtlinie erfüllen kann. Dazu wendet er Schutzmaßnahmen an, die dem Stand der Technik genügen. Hinweise für die Übergangszeit Maschinenhersteller Lösungsvorschläge der ADCO Task Force Als mögliche Lösung hat die ADCO Task Force fünf Punkte vorgeschlagen, die das Sichtfeld der Maschinen verbessern sollen. Diese fünf Punkte beinhalten: Direktsicht muss Priorität haben, die Sicht im Nahfeld muss durch die Reduktion der Höhe des Prüfkörpers von 1,5 m auf 1,0 m verbessert werden, Sichthilfsmittel wie Kamera-Monitor-Systeme oder Spiegel müssen in Vorwärtsrichtung angebracht sein, Sichthilfsmittel dürfen nicht durch bewegliche Teile der Maschine, z. B. Baggerarm, beeinträchtigt werden, Spiegel-zu-Spiegel-Systeme sind nicht zulässig. Überlegungen der Hersteller zur Umsetzung der fünf Punkte Stand der aktuellen Diskussion Die o. g. Punkte der ADCO Task Force werden derzeit vom Normungsgremium auf ihre technische Umsetzbarkeit geprüft, da Schutzmaßnahmen zur Umsetzung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht bei allen von der EN 474-1 erfassten Maschinen als Stand der 4

Technik betrachtet werden können. Sie können in der Übergangszeit, bis die Revision der Norm abgeschlossen ist, dem Hersteller als Schutzziel dienen, das erfüllt werden soll. Bei Maschinen, die derzeit nicht alle dieser Kriterien erfüllen können, sollte in der Risikobeurteilung des Herstellers eine Maßnahme gewählt werden, die die oben genannten Schutzziele soweit als möglich erfüllen, auch wenn bei bestimmten Maschinentypen noch keine vollständige Erfüllung möglich sein mag. Die bisher angedachten Lösungsvorschläge sind aus heutiger Sicht aus verschiedenen Gründen kritisch zu betrachten. Visibility maps Von der britischen Arbeitsschutzbehörde UK Health and Safety Executive (HSE) wurde vorgeschlagen, dass Maschinenhersteller mindestens in der Übergangszeit, bis neue Anforderungen für das Sichtfeld bei Erdbaumaschinen festgelegt sind, für den Benutzer/ Arbeitgeber jeweils zur Maschine eine Sichtfeld-Karte (visibility map) erstellen, die Bestandteil der technischen Unterlagen, der Benutzerinformationen sowie der Kundeninformationen (wie Verkaufsprospekten) wird. Diese Karte soll dem Anwender deutlich machen, welche Bereiche der Fahrer vom Fahrersitz aus nicht oder schlecht einsehen kann. Maschinenhersteller sehen dies zum heutigen Zeitpunkt jedoch kritisch, da: die unterschiedlichen Ausrüstungszustände und Konfigurationen von Maschinengrundtypen zu einer großen Anzahl verschiedener Sichtfeld-Karten für eine Maschine führen kann, diese Anzahl an Sichtfeld-Karten keinerlei Aussagekraft hat, insbesondere für ungeschulte Benutzer, Verkaufsprospekte kompakter Wissensvermittlung dienen sollen, solche Zusatzinformationen jedoch ausführliche Erklärungen benötigen, die für diese Art der Unterlagen nicht tauglich sind, der Wert und die Anwendbarkeit dieser Sichtfeld-Karten ganz generell noch nicht erwiesen sind. Die Hersteller befürworten daher die Verbesserung der Prüf- und Messvorschriften über die demokratische Konsensfindung in der Normung (auf CEN- und ISO-Ebene), wie sie gerade parallel stattfindet. In diese Konsensfindung sind auch die nationalen Aufsichtsbehörden für Arbeitssicherheit einbezogen. Kamera-Monitor-Systeme Die Konsequenz aus den fünf Punkten der ADCO Task Force ist derzeit anscheinend, zukünftig Kamera-Monitor-Systeme (KMS) als Schutzmaßnahme einzusetzen. Ein in einer Produktnorm als Schutzmaßnahme gefordertes KMS ist nach den Anforderungen der Funktionalen Sicherheit gemäß der EN ISO 13849-1 zu bewerten, insbesondere hinsichtlich der unten aufgezählten Kriterien. Die eingeführten und am Markt verfügbaren KMS entsprechen noch nicht diesen Anforderungen. Die derzeit üblichen Systeme können als Komfort- oder Assistenz-Systeme angesehen werden, können jedoch die Baustellenorganisation und -kommunikation nicht ersetzen! Diese Systeme können derzeit noch nicht verlässlich die folgenden Kriterien einhalten, die für ein Sicherheitssystem unerlässlich sind: Bildübertragung in Echtzeit, 5

Einfluss der Umgebungsbeleuchtung ausgleichen: Gegenlicht, schrägstehende Sonne, Kontraste, Umgebungseinflüsse berücksichtigen: Frost, Staub, Feuchtigkeit, aggressive Stoffe (Chemikalien, organische Stoffe, Salz etc.), Vibrationen etc., Verhinderung von Kondenswasserbildung, Schutz gegen Beschädigung (bedingt durch Arbeitsbewegung, aber auch Vandalismus), korrosionsbeständig auch bei extremen Straßen- und Geländebedingungen, kein Standbild oder eingefrorenes Bild möglich, seitenrichtige Anzeige des Kamerabildes sicherstellen, aber nicht durch Kamera selbst. Das bedeutet, bei den am Markt verfügbaren und als Komfortsystem eingesetzten KMS ist es nicht ausgeschlossen, dass Funktionsausfälle (verzögerte Übertragung, Standbild etc.) auftreten, die erforderliche Zuverlässigkeit ist nicht gegeben, wie das z. B. für Elemente der funktionalen Sicherheit gilt. Selbst wenn KMS die Kriterien einer Schutzmaßnahme erfüllen können, dürfen sie dennoch nicht als Allheilmittel betrachtet werden. Für den Fahrer muss in jedem Fall eine gezielte Schulung mit dem System stattfinden, auch unter Berücksichtigung der Informationen aus der Betriebsanleitung. Der Fahrer muss jedoch bereits ohne KMS eine Fülle von Signalen verarbeiten. Ein oder mehrere zusätzliche Monitore ermüden und überlasten den Fahrer. Eine solche Überbeanspruchung widerspricht den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen der Maschinenrichtlinie hinsichtlich ergonomischer Prinzipien. Zudem wird dem Fahrer der Maschine mit dem Einsatz eines KMS die alleinige Verantwortung für den sicheren Betrieb aufgebürdet; er wird zusätzlich unter Stress gesetzt. Bereits jetzt nutzen Betreiber/Arbeitgeber teilweise die optional erhältlichen KMS, um die auf Baustellen notwendigen Einweiser einsparen zu können. Hinweise für die Übergangszeit Betreiber/Arbeitgeber Der Betreiber/Arbeitgeber muss sich bewusst sein, dass er seine Gefährdungsbeurteilung aktualisieren und ggf. seine Schutzmaßnahmen anpassen muss. In den Bekanntmachungen zur Betriebssicherheit gibt die BekBS 2111 Rückwärts fahrende Baumaschinen folgende konkrete Hinweise: Die Gefährdungsbeurteilung kann im Einzelfall ergeben, dass die Ausrüstung einer Erdbaumaschine nicht ausreicht, um den tatsächlichen Gefahren am Arbeitsplatz durch mangelhafte Sichtverhältnisse hinreichend zu begegnen. In diesem Fall sind weitere Arbeitsschutzmaßnahmen, insbesondere zur Optimierung der Sichtverhältnisse des Maschinenführers zu treffen und auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen (s. a. TRBS 2111). 6

In der BG-Regel Betreiben von Erdbaumaschinen (BGR 500, Kapitel 2.12) wird zudem speziell für Erdbaumaschinen konkretisiert: "3.3.1 Im Gefahrenbereich von Erdbaumaschinen dürfen sich Personen nicht aufhalten. 3.3.2 Der Maschinenführer darf mit der Erdbaumaschine Arbeiten nur ausführen, wenn sich keine Personen im Gefahrbereich aufhalten. 3.3.3 Ist es aus betrieblichen Gründen unvermeidlich, dass Versicherte den Gefahrbereich betreten müssen, hat der Unternehmer auf der Grundlage einer Gefährdungsbeurteilung Maßnahmen festzulegen. Abweichungen von 3.3.1 und 3.3.2 sind nur unter Beachtung dieser Maßnahmen zulässig. Solche Maßnahmen können beispielswiese sein: technisch: zusätzliche Einrichtungen zur Verbesserung der Sicht, organisatorisch: Einsatz von Einweisern oder Sicherungsposten, ergänzend personenbezogenen Maßnahmen, wie das Tragen von Warnwesten." Besonders in der jetzigen Übergangssituation, da die technischen Maßnahmen zur Erfüllung der oben genannten Schutzziele noch nicht klar definiert sind, ist es angebracht, dass der Arbeitgeber seine Gefährdungsbeurteilung besonders genau überprüft und einen Schwerpunkt auf organisatorische und personenbezogene Schutzmaßnahmen legt. Dazu kann gehören, dass verstärkt zusätzliche Einweiser eingesetzt werden und die Organisation auf der Baustelle entsprechend anpasst wird. Er kann sich zusätzlich an den Maschinenhersteller wenden und dieser wird ihm erläutern können, welcher Stand bezüglich des Sichtfeldes erreicht ist (z. B. bezüglich der Lösungen der ADCO Task Force). Aus o. g. Gründen wird der Hersteller jedoch keine formale Erklärung und keine zusätzlichen Unterlagen außer der Konformitätserklärung an den Betreiber/Arbeitgeber aushändigen. Frankfurt, 28.09.2015 Kontakt: Dipl.-Ing. Uta Kiefer VDMA Bau- und Baustoffmaschinen Technik und Normung Lyoner Straße 18 60528 Frankfurt Telefon +49 69 6603-1747 Fax +49 69 6603-2747 E-Mail uta.kiefer@vdma.org 7