Bauformen und Wirkungsweisen der dramatischen Kinderliteratur. Einführung. Bauformen, Strukturen und Funktionen von Theatertexten und ihre Analyse

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Bauformen und Wirkungsweisen der dramatischen Kinderliteratur Einführung Bauformen, Strukturen und Funktionen von Theatertexten und ihre Analyse 1

Bauformen und Wirkungsweisen der dramatischen Kinderliteratur Einführung 1. Grundlagen 2

Grundlagen Verhältnis von Autor, Text und Rezipient Produktion Rezeption Epische Literatur Autor Text Leser Dramatische Literatur Autor Text Theater Aufführung Zuschauer 3

Grundlagen Kommunikation epische Literatur (Epik) dramatische Literatur (Dramatik) Verhältnis von Autor, Text und Rezipient Autor Text Leser Der Leser ist an der Realisierung des literarischen Werks in der Lektüre beteiligt. Autor Text Theater Zuschauer Zwischen den Autor, seinen Text und den Zuschauer, ist das System Theater geschaltet. Das neue Werk Theateraufführung vergeht im Entstehen wieder (Transitorik, Liveness, Kopräsenz). 4

Grundlagen Mimesiskonzept Das Nachahmen selbst ist den Menschen angeboren es zeigt sich von Kindheit an, und der Mensch unterscheidet sich dadurch von den übrigen Lebewesen, dass er in besonderem Maße zur Nachahmung befähigt ist und seine ersten Kenntnisse durch Nachahmung erwirbt als auch die Freude, die jedermann an Nachahmungen hat. Aristoteles, Poetik 5

Grundlagen Mimesiskonzept Verhältnis von Text und Welt Mimesis ist ein zentraler wirkungsästhetischer Begriff der Antike, der nicht nur für das Drama und Theater, sondern auch für die Erzählung gilt. Mimesis heißt im Sinne von Aristoteles nicht bloße Kopie oder Abbildung von Welt, sondern die schöpferische Nachbildung von Wirklichkeit. 6

Bauformen und Wirkungsweisen der dramatischen Kinderliteratur Einführung 2. Dramaturgie 7

Dramaturgie Unterschiedliche Perspektiven Dramaturgie des Schreibens Bewusst oder unbewusst wendet der Autor im Schreibprozess Kompositionsprinzipien an, die die spätere Wirkung eines Textes beeinflussen (Entwicklungsdramaturgie). Dramaturgie des Textes Den Theatertexten liegt somit eine bestimmte Dramaturgie zugrunde, die durch dramaturgische Textanalyse (Dramenanalyse) erschlossen werden kann. Dramaturgie des Produzierens Aus der Dramenanalyse gewinnt die Produktionsdramaturgie Argumente für die Machbarkeit einer Inszenierung und begleitet Konzeption und Probenprozess. 8

Dramaturgie Theatertexte Theatertexte sind Mittel des Theaters, die Handlungsangebote unterbreiten und Aufführungen unterstützen ohne sie zu präfigurieren. Ihre Beziehung zu anderen Mitteln oder Medien von Theater (Raum, Licht, Musik, Requisiten etc.) bestimmt in der schauspielerischen Aktion den Grundgestus einer Aufführung. Andreas Kotte, Theaterwissenschaft 9

Dramaturgie Dramenanalyse Dramenanalyse bildet die Schnittstelle zwischen Literatur- und Theaterwissenschaft. Andreas Kotte, Theaterwissenschaft 10

Dramaturgie Definition Dramaturgie beschäftigt sich mit den Kompositionsprinzipien, Strukturen und Funktionen von Texten für und in Aufführungen sowie mit den Abläufen, Strukturen und Funktionen von Aufführungen selbst, mit der beabsichtigten Wirkung von Schauereignissen. [ ] Dramaturgie soll die szenischen Darstellungsmöglichkeiten eines Problems, Sujets, Stoffes, Textes erkunden und entfalten helfen [ ] Andreas Kotte, Theaterwissenschaft 11

Dramaturgie Gegenstände Dramaturgie befasst sich mit Text Kompositionsprinzipien, Strukturen und Funktionen von Texten für und in Aufführungen Aufführung Abläufen, Strukturen und Funktionen von Aufführungen Wirkung beabsichtigten Wirkungen von Aufführungen (Schauereignissen) 12

Dramaturgie Ziel und Funktion Dramaturgie will szenischen Darstellungsmöglichkeiten eines Problems, Sujets, Stoffes, Textes erkunden und entfalten helfen. Textdramaturgie Entdeckung des Dramatischen, des Gestischen, des Körpersprachlichen, des Theatralen (das dem Theater Gemäßen) im Text Produktionsdramaturgie Begleitung des Inszenierungsvorgangs als Vermittlung zwischen konzeptioneller und szenischer Ebene 13

Dramaturgie Methode wirkungsästhetischer Analyse These Im Textkorpus der dramatischen Literatur für das Kindertheater finden sich eine Reihe von wiederkehrenden Bauformen und Gestaltungsprinzipien dramatischer und anderer Theatertexte. Die Bauformen stehen in Korrespondenz mit Inhalten und Wirkungskonzepten des Kindertheaters. Das heißt, es existiert ein Zusammenhang zwischen der spezifischen Struktur und Bauform (Dramaturgie eines Theatertextes) und einer möglichen Wirkungsabsicht des Textes in seiner szenischen Realisierung (Kommunikation mit dem Zuschauer in der Aufführung). 14

Dramaturgie Verhältnis von Theatertext und Aufführung Die Aufführung ist das Kunstwerk, der Text ist nur eine Unterlage. Es ist das Kennzeichen jedes rechten Theaterstücks, dass man es nicht lesen kann, so wenig wie ein Opernlibretto. Thomas Mann, Versuch über das Theater 15

Dramaturgie Verhältnis von Theatertext und Aufführung Das Drama (aufzuführender Theatertext) implizite szenische Zeichen Haupttext Sprechtext/Figurenrede (dialogisch, monologisch oder chorisch) explizite szenische Zeichen Nebentext Didaskalien Bühnen- und Regieanweisungen sprachlich nichtsprachlich Intonation, Dialekt, Rhythmus Christopher Balme, Einführung in die Theaterwissenschaft personenbezogen Gestik, Mimik, Kostüme, Maske, Requisiten raumbezogen Bühnenbild, Beleuchtung, Requisiten, Geräusche 16

Bauformen und Wirkungsweisen der dramatischen Kinderliteratur Einführung 3. Dramaturgische Grundbegriffe 17

Haupttext Performativität der Figurenrede im Drama Der Haupttext im Drama besteht aus der Rede der Figuren. In der Figurenrede werden Figuren charakterisiert und weitere Inszenierungsanweisungen gegeben. Die Figurenrede ist mehr als Medium der Informationsvermittlung an den Zuschauer. In den Sprechakten vollziehen die Figuren sprechend eine Handlung (aktionales Sprechen). Handlung vollzieht sich immer dann, wenn eine Figur absichtsvoll eine Situation in eine andere überführt und sich die Situation dabei ändert. 18

Haupttext Funktionales Verhältnis von Rede und Handlung Identität von Rede und Handlung Figuren, die sprechend Situationen verändern Bezogenheit von Rede und Handlung Figuren kommentieren, begründen, rechtfertigen, reflektieren eine Handlung Differenz (Unbezogenheit) von Rede und Handlung die Figurenrede nimmt nicht Bezug auf die Handlung, Gespräche um der Gespräche willen (z.b. Konversationsstück) 19

Haupttext Konstitution einer dramatischen Figur in der Figurenrede Die Konstitution einer dramatischen Figur erfolgt im Drama über die Sprache, die die Figuren in ihrer Rede äußern. Die Figur stellt sich durch das was sie sagt und wie sie es sagt selbst dar und wird so erst als Charakterstruktur greifbar. Dramenanalyse, die nach den Funktionen und Wirkungen bestimmter Bauformen fragt, muss also die besonderen Kommunikationssituationen untersuchen, die durch die Eigenarten der Figurenrede begründet werden. 20

Nebentext Je stärker ein dramatischer Dialog ist, desto mehr von diesen Spannungen der Atmosphäre wird er mit sich tragen und desto weniger wird er den Bühnenanweisungen anvertrauen. Hugo von Hofmannsthal 21

Nebentext Funktionen des Nebentextes In manchen Theatertexten hat der Nebentext literarischen Eigenwert. Der Nebentext (Bühnen- und Inszenierungsanweisungen) ist auf die Bühnenrealisierung des Textes bezogen ist übersetzbar in - paralinguistische Zeichen: Sprechintensität, Mimik, Sprechweise etc. - außersprachliche Zeichen: Aussehen und Handeln der Figuren, Räume, Requisiten etc. kann sich auf den Schauspieler oder den optisch-akustischen Kontext der Bühne beziehen 22

Nebentext Bühnenanweisungen (Nebentext) schauspielerbezogen Auftritt und Abgang Statur und Physiognomie Maske und Kostüm Gestik und Mimik paralinguistische Realisierung einzelner Repliken Figurengruppierung Interaktion der Figuren kontextbezogen Bühnenraum, Requisiten, Beleuchtung Musik und Geräusche besondere Theatereffekte (Projektionen, Bühnennebel, Bühnenmaschinerie) Akt- und Szenenwechsel Verwandlung (Schauplatzwechsel auf offener Bühne) 23

Stoff (Literarischer Stoff) Stoff altfrz. Estoffe: Gewirk, Gewebe Mit der Kategorie Stoff wird die Nahtstelle zwischen Realität und Text markiert. Der literarische Stoff wird nicht erfunden, sondern gefunden. Der literarische Stoff ist eine Konfiguration von Personen, Handlungen und Problemstellungen ist durch mythische, literarische oder geschichtliche Vorgaben fest umrissen ist durch literarische Tradition fortgeschrieben worden hat dabei historisch bedingte Umschreibungen erfahren 24

Motiv Motiv lat. motivum: Bewegung, Antrieb Mit der Kategorie Motiv wird eine wiederkehrende menschliche Grunderfahrung formuliert. Das Motiv weist auf etwas individuell Bedeutsames in seiner gesellschaftlichen Bestimmtheit hin. Das literarische Motiv ist im weiteren Sinne, die kleinste strukturbildende und bedeutungsvolle Einheit innerhalb eines Texts ist im engeren Sinne, eine durch literarische Tradition ausgeprägte und fest umrissene thematische Konstellation Beispiele: die verführte Unschuld, die verfeindeten Brüder, ein Mann zwischen zwei Frauen, der unerkannte Gegner etc. 25

Thema Thema griech. théma: Behauptung, Ausspruch Mit der Kategorie Thema wird die abstrahierte Grundidee eines Textes formuliert. Das Thema stellt den ideellen Zusammenhang verschiedener Einzelelemente (Motive) her. Das Thema ist im Allgemeinen, der Gegenstand der in einem Werk behandelt wird ist im Besonderen, der Grundgedanke, der Aufbau und Gang der dramatischen Handlung bestimmt und seine Struktur durchdringt Beispiele für Themen im Jugendtheater: Gewalt, Drogen, Sexualität, Identitätssuche etc. 26

Motiv Stoff Thema Das Motiv ist die kleinste semantische Einheit eines Textes Der Stoff setzt sich aus einer Kombination von Motiven zusammen Das Thema stellt die abstrahierte Grundidee eines Textes dar 27

Vorgang Der Vorgang entsteht aus dem handelnden Sich-in-Beziehung-Setzen der Figuren in einer Situation. Er entfaltet sich, indem Figuren in einem bestimmten Gestus handeln. Der Vorgang ist eine Handlungseinheit (Sequenz) mit einheitlicher Handlung hat Anfang und Ende wird durch einen nachfolgenden Vorgang abgelöst und begrenzt für die Handlung besonders bedeutsame Vorgänge werden durch Drehpunkte der Handlung markiert 28

Dramatische Figur Die Konstitution einer dramatischen Figur erfolgt im Drama über die Sprache, die die Figuren in ihrer Rede äußern. Die Figur stellt sich durch das was sie sagt und wie sie es sagt selbst dar und wird so erst als Charakterstruktur greifbar. Die dramatische Figur ist das Konstrukt einer fiktiven Person hat die Konstruktion der Handlung zur Voraussetzung ermöglicht durch ihre handelnde Funktion gleichzeitig die Handlung kann an Handlung gebunden sein, muss aber nicht (aber: keine Handlung ohne Figuren) 29

Gestus Mit der Kategorie Gestus werden sozial, historisch und lokal bedingte bestimmte Haltungen von Figuren charakterisiert, die als Komplex von Gesten, Mimik und sprachlichen Äußerungen erscheinen. Veränderungen der Haltungen von Figuren oder Figurengruppen deuten auf Drehpunkte hin und lassen es zu, komplexe Handlungen analytisch in einzelne Vorgänge zu zerlegen. Gestischer Text drückt Haltungen mit sprachlichen Mitteln aus Gestisches Handeln drückt Haltungen mit darstellerischen Mitteln aus (Beredsamkeit der gezeigten Vorgänge) 30

Situation Wird eine Vorgang auf der Bühne durch einen anderen unterbrochen, kann die Situation niemals dieselbe sein danach, kann die Anfangssituation nicht wiederhergestellt werden. Der dazwischenkommende Vorgang beeinflußt, verändert alles weitere. Bertolt Brecht, Anmerkungen zur Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny 31

Situation Mit der Kategorie Situation wird die Gesamtheit der im Moment gegebenen Umstände (wer, wann, was, wo, warum) bezeichnet. Das Zusammenspiel der Umstände erzwingt Handeln der Figuren. Das Wechselspiel von inneren Bedingungen der Figuren (Interessen und Motivationen) und äußeren Bedingungen (natürliche und gesellschaftliche Gegebenheiten) erzeugt szenische Vorgänge. Die Vorgänge verändern die Situation und es vollzieht sich dramatische Handlung. Beachte den kategorialen Unterschied zwischen dem Handeln der Figur und der dramatischen Handlung! 32

Drehpunkt auch Wendepunkt oder Plotpoint Drehpunkte lassen sich analytisch dingfest machen, wo das wahrnehmbare Umschlagen der Figurenbeziehungen in eine neue Qualität und die Veränderung von äußeren oder inneren Bedingungen dazu führen, dass eine neue Ausgangssituation entsteht. Der Drehpunkt in der Poetik von Aristoteles Drehpunkte sind Wendungen im Geschehen der Tragödie. Perpetie (Umschlag von Glück in Unglück oder umgekehrt) Anagnorisis (Erkennung bzw. Wiedererkennung) Pathos (schweres Leid, Tod) 33

Drehpunkt auch Wendepunkt oder Plotpoint Drehpunkte lassen sich analytisch dingfest machen, wo das wahrnehmbare Umschlagen der Figurenbeziehungen in eine neue Qualität und die Veränderung von äußeren oder inneren Bedingungen dazu führen, dass eine neue Ausgangssituation entsteht. Drehpunkte Figurendrehpunkt ein Ereignis oder eine Entscheidung verändern die Absicht oder das Handeln einer Figur qualitativ Szenendrehpunkt die Beziehungen der beteiligten Figuren verändern sich qualitativ Fabeldrehpunkt Drehpunkt, der dem Gesamtverlauf der dramatischen bzw. szenischen Handlung eine neue Richtung gibt 34

Fabel Auf die Fabel kommt alles an, sie ist das Herzstück der theatralischen Veranstaltung. Denn von dem, was zwischen den Menschen vorgeht bekommen sie ja alles, was diskutierbar, kritisierbar, änderbar sein kann. [...] Das große Unternehmen des Theaters ist die Fabel, die Gesamtkomposition aller gestischen Vorgänge, enthaltend die Mitteilungen und Impulse, die das Vergnügen des Publikums nunmehr ausmachen sollen. Bertolt Brecht, Kleines Organon für das Theater, 65. Abschnitt 35

Fabel Die wesentlichen Vorgänge eines dramatischen Textes oder einer Inszenierung werden durch Drehpunkte miteinander verbunden und bilden die Fabel. In der Fabel als Handlungsextrakt lässt sich das Sinnganze eines Textes oder einer Inszenierung fassen und werden Ursache und Wirkung der Vorgänge deutlich. Die Fabel ist die Seele der Tragödie (Aristoteles ) ist das Herzstück der theatralischen Veranstaltung (Brecht ) ist die Gesamtkomposition aller gestischen Vorgänge (Brecht) 36