POSITIONSPAPIER: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin



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Transkript:

BESCHLUSS Datum: 4. Juni 2013 FRAKTION BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN IM ABGEORDNETENHAUS VON BERLIN POSITIONSPAPIER: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin Die derzeit geltende Wohnaufwendungenverordnung zur Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung steht seit ihrem Inkrafttreten in der Kritik. Das Landessozialgericht Berlin- Brandenburg und das Sozialgericht Berlin haben mit ihren Urteilen bestätigt, was wir befürchtet haben: Die Verordnung ist unwirksam und nicht schlüssig. Damit müssen die Sozialleistungsträger derzeit auf einer rechtlich höchst fragilen Grundlage über die Höhe der Kostenübernahmen für Unterkunft und Heizung von SGB II- und SGB XII-EmpfängerInnen entscheiden. Die bündnisgrüne Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin fordert ein Sanktionsmoratorium bis für die Betroffenen Rechtssicherheit hergestellt ist. Der Senat soll dort Anpassungen vornehmen, wo es Verbesserungen für die Betroffenen gibt und diese nicht bis zum Vorliegen höchstrichterlicher Entscheidungen hinauszögern. Noch immer liegen 63.658 Bedarfsgemeinschaften über den Richtwerten der WAV und leben in stetiger Angst vor einem drohenden Zwangsumzug. Dieses Papier beinhaltet die Forderungen der Fraktion zur Bestimmung angemessenener, menschenwürdiger sowie wohnungsmarktpolitisch realistischer Richtwerte. Martin Beck Katrin Schmidberger Sprecher für Soziales Sprecherin für Mieten und Soziale Stadt Sabine Bangert Andreas Otto Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik Sprecher für Bauen und Wohnen Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 1

KOSTEN DER UNTERKUNFT IN BERLIN In Deutschland gilt für alle hier lebenden Menschen das Grundrecht zur Gewährung eines menschenwürdigen Existenzmininums. Die Höhe entsprechender Leistungen darf nicht evident unzureichend sein und muss realitätsgerecht bestimmt werden, urteilt das Bundesverfassungsgericht 1. Das Grundgesetz beschreibt darüber hinaus das Recht auf ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Zu den Mitteln, die das physische Überleben sichern sollen, gehört wie die Nahrung, Kleidung und medizinische Versorgung auch der Bereich Wohnen. Auch Artikel 28 der Berliner Landesverfassung verpflichtet das Land zur Förderung der Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen 2. In Berlin erhalten derzeit 304.913 Bedarfsgemeinschaften Leistungen für ihre Unterkunft und Heizung, kurz Kosten der Unterkunft (KdU) nach dem Sozialgesetzbuch II 3 und weitere ca. 60.000 Bedarfsgemeinschaften nach Sozialgesetzbuch XII 4. Zu bedenken ist dabei, dass eine Bedarfsgemeinschaft aus mehreren Personen bestehen kann und damit die Zahl der betroffenen Menschen deutlich höher liegt, allein im SGB II-Bereich waren es Ende 2012 565.960 Personen. Ca. 1,4 Milliarden Euro wurden im Jahr 2012 für Kosten der Unterkunft im Bereich des SGB II ausgegeben. Im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem zweiten Sozialgesetzbuch übernimmt der Bund diese Kosten etwa zu einem Drittel; im Bereich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach SGB XII zu 75 Prozent in 2013 und zu 100 Prozent ab dem Jahr 2014. Als Grüne wollen wir die Kommunen bei den Sozialabgaben spürbar entlasten. Deshalb haben wir in unserem Bundestagswahlprogramm beschlossen, in einem ersten Schritt den Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft auf 35 Prozent, in einem zweiten auf 37.7 Prozent zu erhöhen. An der Frage, bis zu welcher Höhe diese Kosten als angemessen bewertet und somit vom Sozialleistungsträger übernommen werden, scheiden sich die Geister. Im Jahr 2011 lag etwa ein 1 2 3 4 Bundesverfassungsgericht Urteil vom 18. Juli 2012 1 BvL 10/10, 1BvL 2/11 Verfassung von Berlin http://www.berlin.de/rbmskzl/verfassung/abschnitt2.html 22 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/ 22.html 35 SGB XII Unterkunft und Heizung http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbxii/35.html Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 2

Drittel aller Bedarfsgemeinschaften über den vorgegebenen Richtwerten; zur Kostensenkung oder zu Umzügen wurden 65.511 Bedarfsgemeinschaften aufgefordert. Die Zahl der Zwangsumzüge stieg von 428 im Jahr 2009 auf 1.313 im Jahr 2011. Dass die Richtwerte nicht der Realität entsprachen, war offensichtlich. Der stetige Streit um die Angemessenheit der KdU wurde zunehmend vor den Sozialgerichten ausgetragen. Mit der am 1. Mai 2012 inkraftgesetzten Wohnaufwendungenverordnung (WAV) 5 wollte der Senat die angemessene Höhe der KdU im Land Berlin neu festlegen und die Klageflut eindämmen. Ein schlüssiges Konzept hat er dabei nicht vorgelegt. Laut Bundesgesetzgebung hätte folgendes dabei beachtet werden müssen: Die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung soll die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden. Sie soll die Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich: 1. der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen, 2. der Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards, 3. aller verschiedenen Anbietergruppen und 4. der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen 6. Die WAV gilt nun seit über einem Jahr. Wie viele Personen von den Neuregelungen der WAV profitieren, vermag der Senat bisher nicht zu sagen. Bei Betrachtung der nun leicht erhöhten Richtwerte ist vor allem eine leichte Entlastung der großen Bedarfsgemeinschaften (5 Personen und mehr) und damit der kleinsten Gruppe der Betroffenen zu erwarten. Ein-Personen-Haushalte repräsentieren mit einem Anteil von zwei Dritteln die größte Gruppe der Bedarfsgemeinschaften allerdings stiegen die Richtwerte für sie nur unwesentlich. Die WAV nützt den Betroffenen also nur wenig, weil es kaum Bedarfsgemeinschaften gibt, die die wirklich gestiegenen höheren Richtwerte in Anspruch nehmen können. Für die Mehrheit der Bedarfsgemeinschaften hat sich demnach kaum etwas geändert. Noch immer überschreiten 63.658 Bedarfsgemeinschaften die neuen Richtwerte und sind von Kostensenkungsforderungen durch Umzug oder eigene Zuzahlung 5 6 Verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch http://www.berlin.de/sen/soziales/berliner-sozialrecht/land/rv/wav.html 22a Satzungsermächtigung SGB II http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/ 22a.html Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 3

bedroht. Zwar bezeichnete der Senat die im Jahr 2012 nur 612 Umzüge als Erfolg der WAV, die Ursachen dürften allerdings nicht nur in der neuen WAV zu suchen sein. Eher muss davon ausgegangen werden, dass viele Betroffene so schnell keine kostenadäquate Wohnung gefunden haben. Auch die neuen Richtwerte gehen offensichtlich an der Realität des Wohnungsmarktes vorbei. Zahlreiche neue Klagen sind die Folge. Von den 42.409 unerledigten Verfahren beim Sozialgericht Berlin betreffen rund 5.000 Fälle die Kosten der Unterkunft. Inzwischen wurde die WAV sogar vom Landessozialgericht Berlin-Brandenburg für unwirksam erklärt. Dieses Urteil muss in seinen Auswirkungen und Folgen gründlich geprüft werden, es deutet sich aber an, dass dieses Urteil die Handlungsspielräume für eine neue WAV deutlich einschränkt. Der Senat verteidigt trotz offensichtlicher Mängel seine Verordnung und wird diese bis vor die obersten Gerichte bringen. Bis jedoch höchstrichterliche Entscheidungen vorliegen, bis sämtliche Normenkontrollverfahren abgeschlossen sind, wird viel Zeit vergehen zu Lasten der Bedarfsgemeinschaften, denen zu wenig Unterstützung für Unterkunft und Heizung geleistet wird. Das mit der WAV verfolgte Ziel, der Klageflut Einhalt zu gebieten, hat der Senat damit deutlich verfehlt. 15.212 Bedarfsgemeinschaften sind zur Zeit darauf angewiesen, aus ihrer für Nahrung, Bildung, Bekleidung etc. vorgesehenen ALG II-Regelleistung die Mietkostenübernahme des Senats zusätzlich mit einem Mietzuschuss aufzustocken. Nur so können sie in ihrer Wohnung bleiben. Die Regelungen sind zudem unangemessen bürokratisch. Vor dem Hintergrund, dass in den nächsten Jahren sehr viele MitarbeiterInnen aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden und Verwaltungskosten eingespart werden sollen, erscheint die WAV in ihrer jetzigen Form nicht gewissenhaft umsetzbar. Bei vielen MitarbeiterInnen der Leistungsträger besteht Unklarheit über die Umsetzung der bürokratischen Regelungen. Auch mit der neuen WAV hat der Senat es nicht geschafft, angemessene Kosten der Unterkunft festzulegen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin fordert den Senat auf, endlich Rechtssicherheit herzustellen und die Richtwerte an die Realität anzupassen. Es bedarf einer sofortigen Nachbesserung der WAV sowie der Erstellung einer praxistauglichen Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 4

Ausführungsvorschrift Wohnen (AV Wohnen), beides unter Einbeziehung der relevanten Akteure wie den Sozialleistungsträgern, Mietervereinigungen und den Trägern der Wohlfahrtspflege. Einige Regelungen der WAV und einige Ankündigungen zur noch nicht endabgestimmten AV Wohnen gehen in die richtige Richtung. Dazu gehören die Härtefallregelung, Besonderheiten bei der Neuanmietung für einen Personenkreis mit besonderen Bedarfen für Unterkunft und Heizung sowie diverse Ausnahmeregelungen, die den Leistungsträgern eine individuelle Auslegung der WAV im Sinne der Bedarfsgemeinschaften ermöglichen. Die Entwicklung des Wohnungsmarktes wird das Land Berlin noch vor große Herausforderungen stellen insbesondere auch bei der Erstellung und Ausführung einer Rechtsvorschrift zu den KdU. Es gibt immer weniger freie Wohnungen und die Konkurrenz um Wohnraum im niedrigen bis mittleren Preissegment ist groß. Aus grüner Sicht sind bei der Ausgestaltung der KdU im Sinne angemessener und menschenwürdiger sowie wohnungsmarktpolitisch realistischer Richtwerte die folgenden Aspekte zu berücksichtigen. 1 REALISTISCHE RICHTWERTE FESTLEGEN UND VERDRÄNGUNG VERMEIDEN Der KdU-Bedarf muss vollständig, transparent und nachprüfbar berechnet und auf eine solide Datenbasis gestellt werden. Die Berechnungsgrundlage, so sagt es das Bundessozialgericht, muss ein schlüssiges Konzept sein. Das bedeutet: Die Richtwerte müssen der Realität, d.h. den Mietpreisen und dem verfügbaren Wohnraum entsprechen 7. Alle existenznotwendigen Aufwendungen hat der Gesetzgeber laut Bundesverfassungsgesetz in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realtitätsgerecht zu bemessen 8. Sie dürfen nicht auf Grundlage unklarer Rechenspiele des Senats beruhen. Überschreitet eine Bedarfsgemeinschaft die Richtwerte, kann die Forderung nach einer Kostensenkung durch Umzug gestellt werden (sogenannter Zwangsumzug). Umzüge sollten aber 7 8 bspw. BSG vom 13.4.2011 B 14 AS 106/10 R Bundesverfassungsgericht Urteil vom 9. Februar 2009 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 5

möglichst vermieden werden, um einerseits einer Verdrängung der Betroffenen in Randgebiete der Stadt vorzubeugen und andererseits die Preisspirale der Neuvertragsmieten nicht weiter anzuheizen. Eine Umzugsaufforderung darf aus unserer Sicht nur dann erfolgen, wenn ein Umzug tatsächlich wirtschaftlich ist und sozialverträglich gestaltet wird. Betroffene sind vor Verdrängung zu schützen und sollen ihr soziales Umfeld möglichst nicht verlassen müssen. Solange kein alternativer adäquater Wohnraum verfügbar ist, ist von Sanktionen abzusehen, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Darüber hinaus muss ein Bestandsschutz für Bedarfsgemeinschaften gelten, deren Kosten bis zum Inkraftsetzen der WAV übernommen wurden Sanktionen sind an dieser Stelle auszusetzen. Die Zahl der Kostensenkungen durch Umzug über Bezirksgrenzen hinaus soll zukünftig erfasst und regelmäßig ausgewertet werden, um die sozialräumlichen Veränderungen zu beobachten und einer sozialen Segregation verstärkt entgegenwirken zu können. Unsere Forderungen zur Festlegung realistischer Richtwerte und Vermeidung von Verdrängungseffekten: Richtwerte entsprechend der Mietenentwicklung fortschreiben Richtwerte regional anpassen - anderer Kiez, andere Kosten Differenzierte Neuvertragszuschläge gewähren Mittlere Wohnlagen einbeziehen Richtwerte für Kleinst-Wohnungen festlegen 1.1 RICHTWERTE ENTSPRECHEND DER MIETENENTWICKLUNG FORTSCHREIBEN Der Berliner Mietspiegel ist die Grundlage der WAV und muss regelmäßig fortgeschrieben werden. Die Gerichte haben den Berliner Mietspiegel in manchen Fällen für ungeeignet zur Bildung von Wohnkostenwerten erklärt und auf andere Möglichkeiten verwiesen. Viele Bedarfsgemeinschaften müssen offenbar den Klageweg beschreiten, um ihren Rechtsanspruch zur Sicherung des Existenzminimums durchzusetzen. Zur näheren Bestimmung der Richtwerte könnte beispielsweise die Entwicklung der Angebotsmieten mit einfließen. Als Datengrundlage könnte gegebenenfalls auch der IBB-Wohnungsmarktbericht, der jedes Jahr im Auftrag des Senats erstellt Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 6

wird, herangezogen werden. In der zum Bericht 2012 gehörigen Pressemitteilung vom 7. März 2013 heißt es wie folgt: Festzustellen ist, dass der Preisauftrieb der Angebotsmiete zunehmend die gesamte Stadt erreicht hat. Die mittlere Angebotsmiete (Median) stieg innerhalb eines Jahres um 14 Prozent von 6,49 Euro/m² auf 7,40 Euro/m². Erhebliche Steigerungen der Angebotsmieten und Kaufpreise sind mittlerweile auch in Bereichen festzustellen, die bislang im Windschatten der Entwicklung lagen. Zum Vergleich: Der Richtwert der WAV liegt bei etwa 4,90 Euro/m² und damit knapp 3 Euro/m² unter dem Median der Angebotsmiete im vergangenen Jahr. Werden derartige Erkenntnisse von der einen Senatsverwaltung vorgestellt, sollten sie nicht von der anderen Senatsverwaltung ignoriert werden. 1.2 RICHTWERTE REGIONAL ANPASSEN - ANDERER KIEZ, ANDERE KOSTEN Anderer Kiez, andere Kosten, fordert die Grüne Fraktion. Die bezirksbezogenen Informationen zu den Angebots- und Neuvertragsmieten der IBB untermauern dies. Eine verstärkte Regionalisierung der Kosten soll eine ausgewogene soziale Mischung in den Stadtteilen erhalten und fördern sowie einer Segregation entgegenwirken. Laut SGB II können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerte der KdU bestimmen. Ziel dabei ist es, die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgetreu abzubilden. Dies ist gerade in einer Stadt wie Berlin sinnvoll, da Berlin aus mehreren Wohnungsmärkten besteht. Die Verschiedenartigkeit der Bezirke, die unterschiedliche Struktur, die auseinander driftenden Mietpreise können bei der Festlegung einer angemessenen Höhe der Kosten für Unterkunft und Heizung nur unter der Zugrundelegung mehrerer Vergleichsräume adäquat berücksichtigt werden. Eine solche regionale Differenzierung ist bislang nicht erfolgt. Es wird nicht berücksichtigt, ob eine Bedarfsgemeinschaft in teureren Gegenden wie beispielsweise in Berlin-Mitte oder im Grunewald wohnt oder in Vierteln mit vergleichsweise günstigen Mietpreisen wie Hellersdorf oder Spandau. Dies könnte analog zu den lebensweltlich orientierten Räumen (LOR) erfolgen. Die Bestimmung der Vergleichsräume muss sorgfältig erfolgen und die Machbarkeit der regionalen Differenzierung im Voraus überprüft werden. Dabei muss auch ein erhöhter Verwaltungsaufwand berücksichtigt werden. Alternativ könnte auch die regionale Differenzierung nach den Bestimmungen der angekündigten Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 7

Zweckentfremdungsverbotsverordnung erfolgen: hiernach würden derzeit die Wohnungsmärkte der Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf, Tempelhof-Schöneberg, Mitte und Pankow als besonders angespannt gelten. In diesen Bezirken sollten die Zuschüsse höher sein als in den restlichen Bezirken, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Betroffenen ihr soziales Umfeld nicht verlassen müssen. Natürlich muss auch die Kategorisierung der Bezirke regelmäßig überprüft werden. 1.3 DIFFERENZIERTE NEUVERTRAGSZUSCHLÄGE GEWÄHREN Die Mietpreise liegen bei neuen Vertragsabschlüssen rund 20 Prozent über den Mietspiegelwerten für Bestandswohnungen. Lichtenberg hat mit 14,3 Prozent die stärkste Mietsteigerung bei Standardwohnlagen, gefolgt von Neukölln (13,7 Prozent) und Mitte (12,0 Prozent). Aber auch Mietsteigerungen von bis zu 40% sind keine Seltenheit. Zweistellige Mietsteigerungen sind auch in Vorzugswohnlagen von Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow/Prenzlauer Berg und Neukölln zu beobachten. Durch ihre Innenstadtlage steigt auch die Nachfrage im Norden Neuköllns und in Teilen des Weddings. Wir setzen uns schon lange für die Begrenzung der Neuvertrags- bzw. Angebotsmieten ein (max. 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete). Doch solange die ungebremste Mietpreisspirale durch Angebotsmieten nicht gestoppt wird, ist es unzumutbar die Betroffenen dem angespannten Wohnungsmarkt alleine auszusetzen. Diese Entwicklung muss bei der Bestimmung der Richtwerte berücksichtigt werden. Die Grüne Fraktion will auch in Zukunft eine soziale Mischung in den verschiedenen Stadtteilen. Das geht aber nur dann, wenn es auch für Transferleistungsbeziehende möglich ist, neu in bestimmte Stadtteile zu ziehen und nicht nur dann eine Chance auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in bestimmten Gegenden zu haben, wenn sie einen der begehrten alten Mietverträge besitzen. Ähnlich wie Bremen dies tut, braucht es daher Zuschläge beim Abschluss eines neuen Mietvertrages. Wir wollen daher differenzierte Neuvertragszuschläge, insbesondere in Gebieten mit unterdurchschnittlicher Repräsentanz von Leistungsberechtigten, gewähren. Nur dann haben die Betroffenen überhaupt eine Chance, eine neue Wohnung zu finden. Selbstverständlich muss auch bei neuen Mietverträgen eine regionale Differenzierung erfolgen, um eine nachhaltige soziale Mischung in den Quartieren sicherzustellen bzw. einer Ghettoisierung sowie der Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 8

Vertreibung von Bedarfsgemeinschaften aus den Innenstadtbezirken an den Stadtrand entgegenzuwirken. Diese Differenzierung ist aber auch wichtig, um in weniger begehrten Lagen die Mieten nicht anzuheizen. 1.4 MITTLERE WOHNLAGE EINBEZIEHEN Die WAV verweist auf einfache Wohnlagen und ignoriert dabei, dass hieraus keine ausreichende Wohnraumversorgung für die Bedarfsgemeinschaften möglich ist. Laut Gesetz sind die Kosten der Unterkunft für Wohnungen mit einfachem Standard zu erstatten. Ein einfacher Standard kann in allen Wohnlagen vorhanden sein. In der jetzigen Form der WAV sind zur Richtwertbestimmung ausschließlich Wohnungen in einfacher Lage unabhängig des Standards berücksichtigt worden. Es wird insbesondere vor dem Hintergrund drohender Wohnraumverknappung und anhaltender Zuzüge nach Berlin - angezweifelt, dass genügend Wohnraum im geforderten Marktsegment vorhanden ist. Die notwendige Einbeziehung mittlerer Wohnlagen (hier wohnt der Großteil der ALG-II-EmpfängerInnen) würde laut einem internen Papier der Senatsverwaltung für Soziales aus dem Jahr 2011 Mehrkosten von 6,6 Millionen Euro im Jahr bedeuten und keine Überforderung des Landeshaushalts mit sich bringen. 1.5 RICHTWERTE FÜR KLEINST-WOHNUNGEN FESTLEGEN Die Mehrzahl der Bedarfsgemeinschaften etwa zwei Drittel besteht aus Single-Haushalten. Für sie wird eine Wohnungsgröße von 50m² für angemessen erachtet. Entsprechend besteht ein hoher Bedarf an Wohnungen in dieser Größe. Bekannt ist, dass im Jahre 2011 50.793 Bedarfsgemeinschaften Wohnungen unter 40m² angemietet hatten. Zum einen muss das Angebot den durch die Politik festgelegten Bedarf decken. Das ist nicht gewährleistet, gibt es doch in ganz Berlin nur 57.000 geeignete Wohnungen in einfacher Wohnlage. Jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Wohnraum nur von Transferleistungsbeziehenden genutzt wird. Zum anderen müssen bei der Berechnung der Richtwerte auch kleinere Wohnungen (unter 40m²) einbezogen werden. Hier ist der Quadratmeterpreis im Schnitt deutlich höher als bei den in die Berechnung einbezogenen größeren Wohnungen (über 50m²). Die zugrunde gelegten Werte sind Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 9

weder in Bezug auf die Kaltmiete (4,91 Euro/m²) noch in Bezug auf die kalten Betriebskosten (1,44 Euro/m²) nachvollziehbar. Es ist von einer deutlichen Verzerrung der Richtwerte zum Nachteil der betroffenen Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften auszugehen. Die mit der WAV eingeführte Quadratmeterhöchstmiete verschärft dieses Problem dramatisch. Trotz angemessener Gesamtmiete und sogar bei Unterschreitung des festgelegten Produkts aus Miete und Betriebsund Heizkosten werden die Kosten nicht übernommen, wenn der Quadratmeterpreis um mehr als 50 Prozent überschritten wird. Diese Regelung sollte zwar Mietwucher vermeiden, was wir politisch unterstützen. In der Realität jedoch führt dies die Produkttheorie ad absurdum zum großen Leid der Betroffenen. Möglicherweise ist diese Regelung nicht einmal statthaft, auch an dieser Stelle wird auf eine Klärung durch die Gerichte gehofft. Darauf wollen wir nicht warten, sondern fordern den Senat zur Nachbesserung auf. Die Leistungsträger sollen im Einzelfall von dieser Regelung abweichen dürfen und die Kosten übernehmen, wenn kein alternativer wirtschaftlicherer Wohnraum zur Verfügung steht. 2 ANGEBOT BETREUTER WOHNFORMEN UND PFLEGE-WGS UNTERSTÜTZEN UND AUSBAUEN Wohnungslose oder von Wohnungsnot bedrohte Menschen können zur Stabilisierung ihrer Lebenssituation vorübergehend in betreuten Wohnungen untergebracht werden. Mit dieser Aufgabe werden in der Regel freigemeinnützige Träger betraut. Diese mieten Wohnungen an und stellen sie für einen bestimmten Zeitraum den oben genannten Personen durch Untervermietung zur Verfügung, bis ein selbständiges Wohnen in eigener Wohnung möglich scheint. Bei den Wohnungen handelt es sich überwiegend um besonders stark nachgefragte Ein- bzw. Zwei- Zimmer-Wohnungen. Es ist wichtig, dass die Personen in ihrem angestammten Umfeld untergebracht werden und auch im Anschluss dort bleiben können, sodass eine Eingliederung in den Alltag gefördert wird. Nur so machen sozialraumorientierte Angebotsformen Sinn. Die Bestandspflege der Wohnungen erfordert erhebliche materielle Unterhaltskosten, insbesondere durch überdurchschnittlich hohe Fluktuation, vorübergehenden Leerstand durch Wartezeiten auf Kostenübernahmen und Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 10

Wohnungszusicherungen, Reparaturen und Instandsetzungen, Aufbewahrungen bzw. Einlagerungen, Rechtsberatung und Rechtsstreitigkeiten im Rahmen der An- und Vermietung, Akquise und Verwaltung der Trägerwohnungen. Zur Refinanzierung dieser Kosten und Risiken konnten die freien Träger in der Vergangenheit Zuschläge auf die Nettokaltmiete erheben und damit ihre eigenen wirtschaftlichen Risiken minimieren: Dies wird nunmehr durch die WAV weitgehend verunmöglicht, insbesondere bei bisher kleinen Wohnungen mit einer höheren Nettokaltmiete pro Quadratmeter. Durch die Einführung der Quadratmeterhöchstgrenzen kann vor allem für (bisher angemessene) kleine Wohnungen nicht mehr die komplette Nettokaltmiete auf die Untermieter umgelegt und kein in die Nettokaltmiete integrierter Zuschlag erhoben werden. Hier ist ein Bestandsschutz einzuführen. Unter den jetzigen Umständen kann die Unterbringung in Wohnungen in Kombination mit ambulanten Beratungs- und Betreuungsmaßnahmen nicht mehr im benötigten Umfang finanziert und aufrecht erhalten werden. Dies wäre umso dramatischer, da die sich verschärfende Wohnraumsituation die Zugangsmöglichkeiten wohnungsloser Menschen empfindlich reduziert und somit ein weiteres Ansteigen der Wohnungslosenzahl absehbar ist. Gemessen an der Entwicklung des Wohnungsmarktes werden mit dieser WAV die Konzepte des betreuten Wohnens und der Verselbstständigung in eigenen Wohnraum infrage gestellt und mittelfristig atomisiert. Die Unterbringung bei privaten Anbietern, Pensionen und sogar Hotels ist notwendig geworden. Die Kosten der Unterkunft von Wohnungslosen werden hoch getrieben und der Hospitalisierung von HeimbewohnerInnen durch dauerhafte Unterbringung Tür und Tor geöffnet. Das ist eine soziale und volkswirtschaftliche Fehlentwicklung. Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 11

3 HEIZKOSTENERMITTLUNG ENTBÜROKRATISIEREN UND KLIMABONUS EINFÜHREN Die Staffelung der Heizkostenübernahme nach Energieträgern ist zu bürokratisch geregelt. Weder den Bedarfsgemeinschaften noch den Hausverwaltungen noch den VerwaltungsmitarbeiterInnen der Leistungsträger ist es zumutbar, all die geforderten Informationen wie Gebäudefläche, Energieträger etc. zusammenzutragen und danach die Grenzwerte zu berechnen. Von dieser Staffelung der Heizkosten nach Gebäudegröße ist aufgrund des hohen und zum Teil nicht leistbaren Aufwands abzusehen und stattdessen auf Vorlage eines Energieausweises ein entsprechender Klimabonus als Mietzuschlag für energetisch sanierte Gebäude einzuführen. Da die tatsächlichen Heizkosten übernommen werden, erfährt der Leistungsträger wiederum hierdurch eine Entlastung durch gesunkene Heizkosten. So sollen die erforderlichen Mehrkosten möglichst durch die zu erwartenden niedrigeren Heizkosten gedeckt werden. Mit einem solchen Klimabonus werden insbesondere Mietsteigerungen (und damit auch Richtwertüberschreitungen) durch auch politisch gewollte energetische Sanierungen kompensiert. 4 BETRIEBSKOSTEN REALISTISCH BEMESSEN Die Betriebskosten sind in den letzten Jahren gestiegen. Jedoch legt die WAV auch hier die Mietspiegelwerte an; Basis ist also derzeit ein kaum repräsentativer und überalteter Datensatz aus dem Jahre 2009. Wir gehen zwar davon aus, dass der Senat die Daten aus dem neuen Mietspiegel 2013 zur Bemessung heranziehen wird. Jedoch steht der Senat weiterhin in der Pflicht, auch hier ein schlüssiges Konzept vorzulegen. Die Grüne Fraktion fordert bis dahin die tatsächlichen Betriebskosten zu übernehmen. Ebenso wollen wir den Betroffenen eine regelmäßige Prüfung der Betriebskosten durch die Jobcenter oder über die Mitgliedschaft bei einer juristischen Mietervertretung ermöglichen. Denn das spart am Ende sogar Geld und zwar den MieterInnen und dem Land Berlin. Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 12

5 RECHTSSICHERHEIT HERSTELLEN FÜR LEISTUNGSBERECHTIGTE NACH SGB XII UND ASYLBLG Der Senat muss Rechtssicherheit für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII und dem AsylbLG herstellen. Zwar impliziert der Verordnungstitel, dass die WAV zumindest auch für SGB XII- Beziehende gelte, das allerdings ist ein Trugschluss. In einem Normenkontrollverfahren des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg wurde bereits Mitte 2012 deutlich herausgestellt, dass die WAV mitnichten für die Zielgruppe der LeistungsempfängerInnen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches gelte. Nun sind die Bezirke in Ermangelung einer überarbeiteten Ausführungsvorschrift dazu aufgefordert, sowohl für SozialhilfeempfängerInnen als auch für Leistungsberechtigte nach AsylbLG die nicht gültige WAV anzuwenden. Hier muss Rechtssicherheit hergestellt werden. 6 RESSORTÜBERGREIFEND TÄTIG WERDEN Der Berliner Senat wird aufgefordert, das Thema Soziales Wohnen endlich anzupacken. Die verschiedenen Ressorts müssen in einer konzertierten Aktion tätig werden, sie müssen miteinander Verabredungen finden, wie sie berlinweit eine sozialverträgliche und gerechte Wohnungs- und Mieten-, Stadtentwicklungs- und Sozialpolitik vorantreiben. Wir brauchen eine Politik aus einem Guss, im Sinne der einzelnen Betroffenen, im Sinne der sozialen Gerechtigkeit. Dazu gehören insbesondere die folgenden Aspekte. 6.1 GESCHÜTZTES MARKTSEGMENT ANPASSEN UND DURCHSETZEN Mit dem Instrument Geschütztes Marktsegment leistet das Land Berlin einen Beitrag zur Wohnraumversorgung von Personen und Haushalten, die wohnungslos geworden sind oder unabwendbar von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Schon seit Jahren übersteigt die Nachfrage leicht das Angebot. Der Rückstand für die Erfüllung der Jahressollquote 2011 liegt bei 26 Prozent, Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 13

das heißt insgesamt 356 Wohnungen. Im Segment der Einpersonenhaushalte liegt der Rückstand bei 569 Wohnungen, die Quote im Segment der Mehrpersonenhaushalte hingegen wurde mit 213 Wohnungen erfüllt. Über die vergangenen Jahre gesehen, haben die städtischen Wohnungsbaugesellschaften ihre Quoten nie ganz erfüllen können. Das liegt besonders an dem großen Bedarf an Einzimmerwohnungen für das "Geschützte Marktsegment", der in den Beständen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften nur sehr begrenzt, vor allem in den Innenstadtbezirken, gedeckt werden kann. Die Wohnungsbaugesellschaften bevorzugen in Belegungsverfahren einkommensstärkere MieterInnen gegenüber TransferkostenbezieherInnen, weil der Verwaltungsaufwand geringer ist und sie weniger juristische Auseinandersetzungen erwarten. Dieser Engpass ist besonders kritisch, da die Nachfrage gerade nach kleineren Wohnungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt kontinuierlich gestiegen ist. Insbesondere die Versorgung durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen mit Wohnungen aus dem geschützten Marktsegment sollte endlich von diesen eingehalten und gewährleistet werden. Auch im Bündnis für bezahlbare Mieten muss dies berücksichtigt werden. Das Geschützte Marktsegment muss den tatsächlichen Bedarfen entsprechend mit den Wohnungsbaugesellschaften neu verhandelt werden. 6.2 LANDESEIGENEN WOHNUNGSBESTAND SOZIAL AUSRICHTEN Der Senat hat mit den sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ein Bündnis für bezahlbare Mieten beschlossen, das einen ersten wichtigen Schritt für ca. 15 Prozent der MieterInnen in Berlin darstellt. Es ist zu begrüßen, dass auch bei Sozialwohnungen, bei denen die Mieterhöhungen aus den planmäßigen Fördermittelreduzierungen resultieren, eine Sozialklausel gelten soll. Auch ist es positiv, dass sich die Wohnungsbaugesellschaften verpflichten, die jeweiligen Höchstwerte staatlicher Leistungen für Mietbelastungen bei Mieterhöhungen nicht zu überschreiten. Ehrlich ist der Senat aber nur dann, wenn auch zahlreiche Wohnungen aus dem landeseigenen Bestand unter den Richtwerten der WAV liegen. Problematisch ist, dass die Sozialklausel nur für Menschen, die den WBS nach der Bundeseinkommensgrenze besitzen, gilt. Nicht alle MieterInnen profitieren davon! Bei Wiedervermietung wird innerhalb des S-Bahnrings jede zweite Wohnung und außerhalb des S-Bahnrings jede dritte Wohnung quartiersbezogen zur Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 14

ortsüblichen Vergleichsmiete an Haushalte mit Anspruch auf Wohnberechtigungsschein vergeben. Von der grünen Fraktion wird eine genauere Differenzierung mit einer 1/3-Quote jeweils für ALG II- und Sozialhilfe-EmpfängerInnen sowie für WBS-Berechtigte vorgeschlagen, um gezielt die Menschen, die aus finanziellen und auch sozial-determinierten Gründen besonders schwer bezahlbaren Wohnraum finden, zu versorgen. 7 FAZIT UND KOSTENSCHÄTZUNG Die Höhen für die Miet- und Heizkostenzuschüsse müssen verfassungskonform und realistisch abgebildet werden, um die zunehmende Verdrängung einkommensschwacher Haushalte aus der Innenstadt und in Bezirke mit niedrigem sozio-ökonomischen Status zu vermeiden. Einer sozialen Spaltung der Stadt ist entgegenzuwirken. Mehrausgaben für die Kosten der Unterkunft sind zu leisten, daran geht kein Weg vorbei. Aufgrund der positiven wirtschaftlichen Entwicklung wird in Berlin mit einem weiteren Absinken der Arbeitslosenquote gerechnet. Die ursprüngliche Erwartung des Senats einer Kostensteigerung um 11 Millionen Euro durch die Anwendung der WAV entspricht nicht mehr den aktuellen Bedingungen. Die WAV belastet die Landeskasse weniger als aufgrund des gestiegenen Durchschnittswerts zunächst anzunehmen war. Je nach Rechtsprechung und politischen Korrekturen sowie nach der Anpassungen an den jeweils aktuellen Mietspiegel sind andere Entwicklungen möglich. Realistische Prognosen sind derzeit schwierig. Würde das bereits genannte Urteil des Sozialgerichts Berlin (Az: S37 AS30006/12) umgesetzt und flächendeckend die Wohngeldtabelle plus Zuschlag zugrunde gelegt, sind Mehrkosten von etwa 43 Millionen Euro im Jahr zu erwarten. Im Haushaltsplan 2014/2015 ist für eine Übernahme tatsächlich angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung Vorsorge zu treffen. Bei allen Überlegungen zur weiteren Ausgestaltung der KdU ist zu berücksichtigen, dass bei vermehrten Zwangsumzügen und verstärkter Segregation in den Außenbezirken soziale Kosten in unvorhersehbarem Maße steigen und zusätzliche Mehrkosten im Transferbereich für das Land Berlin und den Bund entstehen. Es ist nicht hinzunehmen, dass die bisherige Stärke und Besonderheit der Berliner Politik, insgesamt integrativ in die Stadtgesellschaft hinein zu wirken, aufgegeben wird. Positionspapier der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Zukunft der Kosten der Unterkunft (KdU) in Berlin 15