Das Scheitern des Präventionsgesetzes Rückschlag oder Chance? Dietrich Garlichs

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Transkript:

Das Scheitern des Präventionsgesetzes Rückschlag oder Chance? Dietrich Garlichs

Das Präventionsgesetz scheitert erneut Am 20. März 2013 beschließt die Bundesregierung ein Präventionsgesetz Am 20. September 2013, zwei Tage vor Ende der Legislaturperiode, lehnt der Bundesrat das Präventionsgesetz ab Damit scheitert ein Präventionsgesetz erneut nach 2005 und 2007 2

Das ist eher eine Chance als ein Rückschlag Warum ist das Scheitern eine Chance? Warum hat es ein Präventionsgesetz in Deutschland so schwer? Wie müsste ein wirkungsvolles Präventionsgesetz aussehen? Wer könnte in Deutschland ein wirkungsvolles Präventionsgesetz durchsetzen? 3

Was wollte das Präventionsgesetz 2013? 1. Ärzte sollten verstärkt Patienten auf gesundheitliche Risiken und Belastungen untersuchen, sie beraten und Ihnen entsprechende Präventionskurse empfehlen. 2. Die betriebliche Gesundheitsförderung sollte gestärkt werden. Krankenkassen sollten dafür insgesamt 2 pro Versicherten zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung wollte mit dem neuen Gesetz das Wissen, die Befähigung und die Motivation in der Bevölkerung zum gesundheitsbewußten Verhalten in allen Lebensphasen stärken. Insbesondere sollen die Menschen zu gesundheitsbewußtem Verhalten in die Lage versetzt werden, die wie Jugendliche mit Migrationshintergrund und Menschen mit niedrigem Bildungsstand oft schwer zu erreichen sind. 4

Die (gescheiterte) Strategie: Appell an die Verantwortung des Einzelnen Information, Beratung und Ermahnung zu individueller Verhaltensänderung Also ein mehr der Strategie, die bisher schon nicht funktioniert hat Hinzu kommt: die 5-Minuten-Sprechstunde verändert kein Verhalten die betriebliche Gesundheitsförderung erreicht ca. 3% der Bevölkerung Aber ein Präventionsgesetz hätte der Politik als Feigenblatt gedient, dass etwas unternommen wird. 5

Eine wirkungsvolle Präventionsstrategie müsste 3 Dinge tun: 1. Den Lebensstil frühzeitig prägen 2. Die Verhältnisprävention stärken 3. Bevölkerungsbezogene Strategien in den Vordergrund rücken Also: nicht-medizinische Prävention als eigenständiges Feld der Gesundheitspolitik etablieren 6

Der Lebensstil wird in jungen Jahren geprägt von der Familie von der peer group von dem nahen sozialen Umfeld Es ist weitgehend erfolglos, den Lebensstil im Erwachsenenalter verändern zu wollen (z.b. Rauchen, Adipositastherapien ) 7

Lebensstilprägung ist ein sozialer Prozess - kein Medizinthema Ursachen der modernen Krankheiten liegen außerhalb der Kontrolle des Gesundheitssektors Daher kann die Gesundheitspolitik hier nur wenig ausrichten 8

Wir müssen die erreichen, die wir bisher nicht erreicht haben the-difficult-to-reach (WHO) Nicht nur die gesundheitsbewusste Mittelschicht ( Komm-Strukturen ), denn 9

Beispiel: Adipositas ist bei niedriger Bildung häufiger % 35 30 25 20 15 10 niedrige Bildung hohe Bildung Fettleibigkeit 3x häufiger bei Frauen mit niedrigem als hohem Schulabschluss Bei Männern 2x häufiger 5 0 Männer Frauen Quelle: Kuntz, Lampert. DÄ 2010 10

Der gleiche Zusammenhang gilt für andere sozioökonomische Faktoren Je ärmer, desto häufiger tritt Fettleibigkeit auf Je niedriger der Berufsstatus, desto häufiger tritt Fettleibigkeit auf 11

Schuleingang: Übergewicht varriert um das 12-fache zwischen Stadtteilen Quelle: HNA 31.07.2012 12

Gesundheit und Lebenserwartung sind extrem abhängig von der sozialen Lage Die oberen 20% der Bevölkerung leben rund 10 Jahre länger als die untern 20% Das ist ein Skandal 13

Gegen die Werbung der Lebensmittelindustrie haben Gesundheitsinformationen keine Chance Lebensmittelindustrie gibt 100-mal mehr für Werbung aus als die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (3,2 Mrd zu 30 Mio *) Die Lebensmittelindustrie gibt 100-mal mehr für Süßwarenwerbung aus als für Obst-/Gemüsewerbung (696 Mio zu 7,3 Mio **) Viele Lebensmittel werden mit irreführender Werbung verkauft *Quelle: persönliche Auskunft BZgA **Quelle: Nielsen: Handel. Verbraucher. Werbung. Deutschland 2011 14

Lebensmittelwerbung zielt besonders auf den jungen Verbraucher Kinder in Deutschland nehmen mehr als doppelt so viele Süßigkeiten und Limonaden zu sich, wie gut für sie ist Aber nur halb so viel Obst und Gemüse Quelle: Foodwatch: Kinderlebensmittel-Report 2012 15

Fast Food benutzt Sport und Lifestyle www.warc.com, 31.08.2012 www.dailymail.co.uk, 03.09.2012 1

Wir müssen Regelstrukturen nutzen und das Umfeld günstiger gestalten Jeden Tag eine Stunde Bewegung in Kita und Schule Eine Verhältnisprävention, die den Menschen hilft, gesunden Lebensstil auf einfache Weise zu praktizieren Preissignale (Zucker-/Fettsteuer) Mehr Information und Transparenz: klare Lebensmittelkennzeichnungen und keine irreführende Werbung 17

In einer Marktwirtschaft wirken Preissignale am besten Abgaben auf adipogene und schädliche Lebensmittel Beispiele: Tabaksteuer, Alkopopsteuer Im Ausland: Zuckersteuer, Fettsteuer Steuersenkung für gesunde Lebensmittel Das hilft bei der Verbraucherentscheidung aber auch der Lebensmittelindustrie bei der Entwicklung gesunder Produkte 18

Andere Länder gehen mit der Besteuerung ungesunder Lebensmittel voran Dänemark: gesättigte Fette (gekippt) Frankreich: Softdrinks Finnland: Softdrinks, Süßigkeiten Ungarn: Zucker, Salz Mexiko: Hochkalorische Nahrungsmittel, Softdrinks Diskutiert wird in Belgien, GB, Irland, Italien, Rumänien und USA Deutschland? 19

Kaloriensteuer in den Koalitionsvertrag? 20

Wirksame Prävention scheitert nicht an mangelnder Erkenntnis sondern an unseren Politikstrukturen Traditionell ist die Medizin und das Gesundheitssystem auf Kuration, nicht Prävention ausgerichtet Es gibt in der Bundesregierung kein einzelnes Ressort mit der Zuständigkeit für Prävention, sondern eine Zuständigkeitskonkurrenz Noch problematischer: Der Bund kann nicht in Schulen und Kindergärten oder die Kommunalpolitik eingreifen Bundespolitiker trauen sich nicht, Forderungen außerhalb ihres Kompetenzbereichs zu erheben (Gauweiler-Effekt) 21

Nur die Politikfelder sind stark, die eine dauerhafte Finanzierung haben Sekundärprävention: Krankenkassen Tertiärprävention: Krankenkassen Pflegeversicherung Rentenversicherung Primärprävention:?? (Kommunen, Länder) Wir brauchen eine dauerhafte Finanzierung auch für die nicht-medizinische Prävention 22

Wer kann ein wirkungsvolles Präventionsgesetz durchsetzen? Druck von außen mit Katastrophengefühl ( Fukushima- Effekt ) Finanzpolitik, wenn Sie die Kosten im Gesundheitssystem explodieren sieht Die Wirtschaft, weil sonst nicht mehr ausreichend fitte, auch ältere Mitarbeiter zur Verfügung stehen (bereits 2020 sechs Mio. weniger Arbeitnehmer) 23

Bessere Prävention in der neuen Legislaturperiode? Hoffnung Große Koalition? Wird sie Ressort- und Föderalismusgrenzen überwinden? Ist der finanzielle Druck groß genug, um die Finanzpolitik zum Einschreiten zu veranlassen? Die Wirtschaft? z. B.: - Recht auf Kindergartenplatz - Ausbau Ganztagsschulen 24

Eine Gesundheitspolitik ist erst dann erfolgreich, wenn sie alle Menschen erreicht und nicht nur die gesundheitsbewußte Mittelschicht Das wird sie nur erreichen, wenn sie Regelstrukturen für bevölkerungsweite Strategien nutzt, Und wegkommt von der Projektitis und den Insellösungen! 25

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 26