Alte Kriegstraumata und wie sie uns in der Psychotherapie begegnen

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Transkript:

Vortrag im Qualitätszirkel für Psychotherapeutische Medizin Oberallgäu am 9.11.04 Alte Kriegstraumata und wie sie uns in der Psychotherapie begegnen Behinderung der Traumaverarbeitung nach dem Krieg Durch den Kampf ums nackte Überleben ( psychische Zentralisation ) Durch fehlende gesellschaftliche Unterstützung ( Kollektives Schweigen ) Mangelndes psychotherapeutisches Angebot (im Vergleich zu heute) Besonderheit der Kriegstraumata von Kindern Die schädigenden Einflüsse erfolgen in auffallend unterschiedlicher jeweils sehr individueller Form dabei fehlen einmalige, direkte, schwere klassische Traumatisierungen. Diese schädigenden Einflüsse treffen die Kinder in unterschiedlichen psychosexuellen und psychosozialen Entwicklungsphasen ihrer Kindheit teilweise von Geburt an, in den ersten Lebensjahren oder zwischen dem 5. Und dem 10. Lebensjahr. Die schädigenden Einflüsse erstrecken sich über lange, größtenteils mehrjährige Zeiträume und während des Verlaufes in wechselnder Intensität, wechselnder Kombination und wechselnden Auswirkungen Es handelt sich in der Regel um kumulative Traumatisierungen Folgen der Traumatisierung

Abspaltung bzw. Verdrängung der traumatischen Erlebnisse Emotionaler und gesellschaftlicher Rückzug,Vertrauensverlust (wenig von dem Bedürfnis nach Liebe preisgeben) Überlebensstrategie: Funktionieren (Beispiel: beruflich erfolgreiche Flüchtlinge) Wenig Rücksichtnahme auf gesundheitliche Aspekte, z.b. geringe Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen chronic fatigue syndrom altersabhängig zunehmende psychogene Beeinträchtigung eingeschränkte körperliche Funktionsfähigkeit eingeschränkte Lebenszufriedenheit eingeschränkte Vitalität Panikattacken Kriegstraumata endgültige Abwesenheit des Vaters Vater gefallen zwischen Zeugung und Ende des 3. Lebensjahres (keine bewußte Erinnerung, Vater lebenslang ein Geist oder Gespenst ) Vater gefallen zwischen 4. Und 10. Lj. (Bilder und blasse Erinnerungen an den Vater) Vater nach dem 10. Lj. Gefallen (sichere eigene Erinnerungen. Kinder werden in verpflichtende, vertraute oder sogar Partnersituation eingesetzt und frühzeitig zu Erwachsenen gemacht) Folgen der Traumatisierung: Abspaltung bzw. Verdrängung der traumatischen Erlebnisse Emotionaler und gesellschaftlicher Rückzug,Vertrauensverlust (wenig von dem Bedürfnis nach Liebe preisgeben) Überlebensstrategie: Funktionieren (Beispiel: beruflich erfolgreiche Flüchtlinge)

Wenig Rücksichtnahme auf gesundheitliche Aspekte, z.b. geringe Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen chronic fatigue syndrom altersabhängig zunehmende psychogene Beeinträchtigung eingeschränkte körperliche Funktionsfähigkeit eingeschränkte Lebenszufriedenheit eingeschränkte Vitalität Panikattacken Notwendige Fragen zur Biographie: Geburtsdatum (Kriegszeit, Vor- oder Nachkriegszeit) Geburtsort (Bombardierte Stadt? Ehemalige deutsche Ostgebiete?) Aufenthalt während des Krieges und der Nachkriegszeit Wichtige Ereignisse, Erlebnisse, Erfahrungen Funktion oder Status des Vaters im Krieg (Täter, Mitläufer, Opfer?), Kriegsgefangenschaft, Kriegsverletzungen Soziale Situation und Lebensumstände der Familie am Kriegsende Schicksal von Familienangehörigen Zeichnung von Fluchtwegen Familienphotos Zeitzeugenberichte Traumatisierung der Familien während des Krieges Flucht und Vertreibung Städtebombardierung Auseinanderreißen der Familien (Vater an der Front, Mutter im Arbeitsdienst, Kinderlandverschickung, Evakuierung...) Verlust wichtiger Bezugspersonen

Erleben von Zerstörung, Gewalt, Vergewaltigung der Mütter, Tod, Verzweiflung der Erwachsenen Erleben von körperlichen und seelischen Entbehrungen (Hunger, Kälte, Verlust von vertrauten Bezugspersonen, Sicherheit und Heimat) Traumatisierung der Familien nach dem Krieg Körperlich und seelisch traumatisierte Väter, die überdies einen fundamentalen Wertewandel erleben und verarbeiten müssen (Krieg verloren, Ende des Nationalsozialismus, Entnazifizierung, Gefühl der Sinnlosigkeit, Identitäts- und Gesichtsverlust, Ambivalenzgefühl überlebt zu haben) Entstehen von emotionaler Distanz, lebenslänglich innerliche Abwesenheit, Workoholismus traumatisierte und seelisch verhärtete Mütter (Überlebensstrategie: Keine Schwäche zeigen, den Vater ersetzen; Notmatriarchat; Abspalten von Gefühlen) Verlust wichtiger Familienangehöriger Verlust der Heimat Traumatisierung der Kinder eigene Kriegserlebnisse traumatisierte Eltern Zusammenbruch des Wertesystems nach dem Chronische Traumatisierung der Väter im Krieg Kriegserlebnisse an der Front, auf der Flucht, in Gefangenschaft, im KZ

als Täter, als Opfer, als Mitläufer der Jugend beraubt den Krieg verroht (der Krieger orientiert sich nicht an Einfühlung, sondern an Schmerz) Überichstrukturen werden an die Außenwelt abgegeben Zerstörtes Vertrauen in die eigenen geistigen Fähigkeiten Zerstörung von Idealen, Ambitionen, Zugehörigkeiten Schuld- und Schamgefühle, Gefühle der Sinnlosigkeit Körperliche und seelische Verwundungen Kriegstraumata zeitlich begrenzte Abwesenheit der Väter Fehlen des Vaters während Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett Mit starker Verunsicherung der Mutter im Hinblick auf seine Rückkehr und die weitere Zukunft in der Separationsphase des Kindes (9.-14.Monat) in der Triangulierungsphase (3.-4-Lj.) in der Schulzeit in der Adoleszenz mit Behinderung der jeweiligen Identitätsbildungsprozessen Zitat Petri (Radebold S.127/128)