Ratingagenturen neue Regeln im alten System



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Transkript:

Ratingagenturen neue Regeln im alten System Valerie Bösch und Michael Heiling Einleitung Besonders in den ersten Jahren nach Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise wurden Ratingagentu- ren dafür kritisiert, die Krise mit verursacht und verschlimmert zu haben: Sie hätten insbesondere strukturierte Finanzprodukte zu positiv bewertet und die Finanzmärkte hätten auf die durch die Ratings verliehene hohe Bonität vertraut. Innerhalb nur weniger Monate im Jahr 2008 fiel hoch bewertete Bonds im Volumen von 14 Milliarden Dollar auf Junk- Status (Scalet und Kelly 2012). Alsdie Agenturen begannen die von der Krise besonders betroffenem Länder wie Irland oder Griechenland herabzustufen, wurde den Agenturen vorgeworfen, die Krise zu verstärken und die Refinanzierung dieser Länder zu erschweren. Ratingagenturen sollten nun strenger reguliert werden, um dies zukünftig zu verhindern. In der Europäischen Union wurden Reformvorschläge vorgelegt, um die Macht der Ratingagenturen einzuschränken. Dieses Paper zeigt die Entwicklung der Reformvorschläge und des Gesetzesprozesses auf europäi- scher Ebene. Im ersten Kapitel wird auf die Bedeutung und Funktion von Ratingagenturen eingegan- gen, sowie auf die damit verbundenen Probleme und Interessenskonflikte. Im zweiten Kapitel werden mögliche Alternativen zum System vor und während der Krise sowie diskutierte Regulie- rungsvorschläge aufgezeigt. Im dritten Kapitel wird auf den Gesetzgebungsprozess in der EU eingegangen und geschildert, welche Vorschläge in das Gesetz aufgenommen wurden. 1 Funktion von Ratingangenturen Anfang des 20. Jahrhunderts began uren, die Kreditwürdigkeit von EmittentInnen und die Einbringlichkeit von Wertpapieren zu beurteilen. Die anderen beiden großen Agenturen, folgten wenig später. Heute sind ihre Ratings von großer Bedeutung für FinanzmarktakteurInnen. Die drei großen Ratingagentu- 1

ren dominieren. Weltweit gibt es an die150 Agenturen, von denen die meisten jedoch nur in bestimmten Teilmärkten oder regional von Bedeutung sind. einen Gewinn von über 1 Mrd. US- Dollar (1.077,4 Mio.) und hat damit nach einem Einbruch in den ersten Krisenjahren (2007-2010) wieder Vorkrisenniveau erreicht. S&P 850 Millionen (vgl. www.finanzen.net) Dollar. Im Jahr 2009 wurden von den drei großen Agenturen über 2 Millionen Ratings erstellt bzw. aktualisiert (vgl. White 2010). Ratingagenturen hatten ursprünglich die Kernaufgabe KreditgeberInnen darüber zu informieren, wie kreditwürdig ein Unternehmen ist. Damit verringertenn sie die Informationsasymmetrie zwischen KreditnehmerInnen und KreditgeberInnen und die Kosten für die Beschaffung von Informationen (vgl. White 2001). Sie ermöglichten es auch weniger gut informierten AnlegerInnen, das Risiko besser einzuschätzen und Wertpapiere zu kaufen eine Funktion die jedenfalls kritisch zu betrachten ist Bezahlt wurden die Ratings zunächst durch diejenigen, die Auskunft über Unternehmen oder Wertpapiere erlangen wollten; seit den 1970er Jahren bezahlen die EmittentInnen dafür, dass sie bewertet werden (Issuer- Pays System). Durch ein öffentliches Rating können KreditnehmerInnen höhere Investitionen lukrieren und die Liquidität der Märkte kann vergrößert werden. Ratingagentu- ren erteilen sozusagen Lizenzen, reduzieren die Informationskosten und erleichtern den Zugang zu Kapitalmärkten für die EmittentInnen (vgl. Jeon und Lovo 2013). Was ist ein Kreditrating? Fitch: Credit ratings express risk in relative rank order, which is to say they are ordinal measures of credit risk and are not predictive of a specific frequency of default or loss. Fitch edit risk, ratings do not deal with the risk of a market value loss on a rated security due to changes in interest rates, liquidity ns or of of fixed- income obligations... They address the possibility that a financial obligation will not be honoured as promised. Such ratings... reflect both the likelihood of default and any financial loss rankings among issuers and obligations of overall creditworthiness; the ratings are not measures of absolute default probability. Creditworthiness encompasses likelihood of default and also (zitiert in Kiff 2011) 2

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Bedeutung der Ratingagenturen immer weiter ausgedehnt, denn sie sind wichtigste Informationsquelle für institutionelle InvestorInnen (wie z.b. große Pensions- fonds) und es wird in Gesetzen, Regulierungen und privaten Verträgen häufig festgeschrieben, welche Wertpapiere mit welchen Ratings von öffentlichen wie privaten Einrichtungen gehalten werden dürfen. Auch bei der Bewertung von Staaten die ersten Staaten wurden von S&P in den 1920 er Jahren bewertet gewannen besonders ab den 1990er Jahren Ratingagenturen immer mehr an Bedeutung. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der von S&P bewerteten Staaten. Fitch und Staatsanleihen repräsentieren mehr als 60% der emittierten Schulden. Für InvestorInnen sind Ratings zentral für die Beurteilung der emittierten Staatsanleihen. Dadurch können die Ankündigungen und Meinungen der Ratingagenturen weitrei- chende wirtschaftliche Auswirkungen haben. Abbildung 1-2012 (Quelle: S&P 2013, S.4) Kritik an den Ratingagenturen Im Prinzip könnten Länder- Ratings dazu beitragen, Boom- Bust- Zyklen zu dämpfen. Frühe, voraus- schauende Herabstufungen könnten übertriebene Erwartungen dämpfen und dadurch Kapitalströme reduzieren. Es wird jedoch gezeigt, dass Ratingagenturen pro- zyklisch agieren, also Booms und Busts verstärken und dem Markt lediglich folgen. Sy (2009) konstatiert: emic risk and may be pro- 3

CRAs can increase systemic risk through unanticipated and abrupt downgrades. They may also increase procylicality. Such rating crises can lead to large market losses, fire sales, a dry up of liquidity and have knockon effects on a number of systemically important market participants, either through contractual Ratingagenturen reagieren somit in Krisen häufig zu spät, stufen dann sehr schnell herab und verstärken die Abwärtsspirale (vgl. Gaillard 2013). Vor allem die Herabstufung unter Investitionsgrad kann eine selbst- erfüllende Prophezeiung werden. Während die Agenturen die Ratings von Ländern wie Irland, Griechenland oder Spanien vor der Krise immer weiter erhöhten, warteten sie darauf hin lange bevor sie begannen herabzustufen (auch wenn gerade im Fall Irlands, die Fundamentaldaten schon lange zuvor in eine andere Richtung zeigten). Tichy (2011) liefert eine Analyse über die Entwicklung von Zinsen und wirtschaftlichen Daten Griechenlands und die Begründungen der Ratingagenturen für ihr Verhalten. Er stellt fest, dass Ratingagenturen eher zu optimistisch beurteilten und die Herabstufungen spät - als Reaktion auf die Entwicklungen am Markt (z.b. steigende Zinssätze) folgten. Nachdem Griechen- land zunächst (zu) optimistisch bewertet wurde, wurde es später aggressiv herabgestuft: Zunächst waren die Spreads stark gestiegen und die wirtschaftlichen Daten hatten sich stark verschlechtert bis die Ratingagenturen anfingen zu reagieren - dann allerdings sehr schnell. Die massive Wirkung wird verstärkt, weil viele institutionelle AnlegerInnen und auch Banken durch die Eigenkapitalvorschriften bei einer Herabstufung auf Junk- Status reagieren müssen. Für InvestorInnen werden Ratings nämlich durch Regulierungen oder interne Vorgaben oft Voraus- setzung, um gewisse Anleihen oder Finanzprodukte zu kaufen. Diese müssen, sobald sie unter den Investitionsgrad fallen, abgestoßen werden. Dies kann dazu führen kann, dass wenn die Bewertun- gen unter Investitionsgrad fällt, viele AnlegerInnen die Wertpapiere gleichzeitig abstoßen (müssen), was die Finanzierungsprobleme weiter verstärkt (Cliff Effect). Da negative Ankündigungen der Ratingagenturen (vor allem kurzfristig und bei Herabstufungen unter Investitionsgrad) die Kosten der Staatsanleihen erhöhen, steigen die Schwierigkeiten für die Staaten sich zu refinanzieren (Alfonso, Furceri und Gomes 2011). Außerdem werden Spill- Over Effekte, vor allem bei Herabstufungen von schlechter auf besser bewertete Länder, nachgewiesen (siehe u.a. Gande und Parsley 2005, Alfonso, Furceri und Gomes 2011). Arezki, Candelon und Sy (2011) stellen fest, dass (für europäische Länder in der Periode 2007-2011) Herabstufungen von Ratings signifikante Spill- Over Effekte auf andere Länder und die Finanzmärkte haben. Das bedeutet, dass Ankündigungen von Ratingagenturen die Instabilität der 4

Finanzmärkte antreiben können. Vor allem Ankündigungen und Änderungen der Ratings nahe dem spekulativen Grad (Non- Investment Grade) haben systematische Effekte in der Eurozone. Der Downgrade von Griechenland von A- auf BBB+ (Fitch), führte zum Ansteigen der CDS- Renditen um 17 Basispunkte in Griechenland und 5 in Irland. Besonders bei der Bewertung von Staaten kamen Ratingagenturen durch mangelnde Transparenz (Black- Box Rating) unter Kritik: Es sei nicht klar, anhand welcher Kriterien sie die Bonität von Staaten beurteilen würden und sie hätten durch ihr Handeln die Refinanzierungsschwierigkeiten der Staaten verstärkt. Bis vor kurzem mussten Ratingindustrien keine Informationen dazu abgeben, wie das Rating entsteht. Viele Indikatoren basieren jedoch auf Einschätzungen, gerade im Hinblick auf die politische Lage. Seit kurzem (im Jahr 2011 veröffentlichte zum Beispiel S&P eine Beschreibung ihrer Methoden - siehe Abbildung 2) sind zwar detailliertere Beschreibungen als bisher zugänglich, aber die genauen Gründe sind immer noch nicht bekannt. Ein großer Literaturstrang in der Ökonomie beschäftigt sich daher damit, die wichtigsten Faktoren, die ein Rating bestimmen, zu identifizieren. Die meisten Studien kommen zum Schluss, dass Ratings vor allem durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf, das Wachstum des realen BIPs, Auslandsverschuldung, öffentliche Verschuldung und das Haushaltssaldo erklärt werden können (vgl. Alfonso et al. 2011, S. 7). Abbildung 2 : Bewertungsfaktoren für Staatenratings von Standard & Poors (Quelle: S & P 2011, S. 4) Bei Wertpapieren und Finanzprodukten werden die Ratings von den EmitentInnen (Issuer- Pays Model) bezahlt, die dafür das risikoreich ist ihre Wertpapiere zu 5

kaufen (vgl. Scalet und Kelly 2012). Die Interessenskonflikte durch das Issuer- Pays Modells werden dadurch begünstigt, dass auch auf Seiten der der KäuferInnen der Ratings die Marktkonzentration hoch ist (z.b. bei Mortgage- backed Securities und CDOs wurden 80% der Abschlüsse von nur 12 Underwritern dominiert) und die Ratingagenturen von ihnen abhängig sind (vgl. Mullard 2012). Zudem sind es die EmitentInnen, die entscheiden, ob ein Rating veröffentlicht wird oder nicht. Sie können sich also das für sie günstigste Rating suchen. Paul Krugman zitiert in seiner Kolumne in der NY Times Emails von AnalystI - mail message, an S.& P. employee explains that a - mplains of having to use resour massage the subprime and alt- Studien zeigen, dass Finanzpro- dukte, die von mehreren Ratingagenturen bewertet wurden, eine geringere Ausfallwahrscheinlich- keit haben, als jene die nur (gleich gut) von einer einzigen Agentur bewerten wurden (vgl. Tichy 2011). Ein weiterer Interessenskonflikt ergibt sich daraus, dass die Ratingagenturen Teil größerer Unternehmen sind, die selbst Wertpapiere emittieren oder Finanzprodukte erstellen und Eigentum der größten InvestorInnen der Welt (z.b. Warren Buffet) sind. Neben den oben genannten Kritikpunkten wird oft noch die zu geringe Personalausstattung genannt. Bar- Isaac und Shapiro (2011) zeigen in ihrer Studie, dass Ratingagenturen besonders in Boom- Phasen zu wenige AnalystInnen beschäftigen, um die Menge an Bewertungen überhaupt durchführen zu können. Zudem wechseln MitarbeiterInnen häufig zwischen der Arbeit in Ratinga- genturen und Investitionsbanken (vgl. The Financial Crisis Inquiry Commission 2011, S. 150) 2 Reformvorschläge und Alternativen Besonders seit Beginn der Krise wurden Alternativen zu Ratingagenturen und der derzeitigen Regulierung diskutiert und viele Gesetzesänderungsvorschläge eingebracht. Die konkrete Diskussion auf EU- Ebene wird im folgenden Kapitel diskutiert, während hier auf mögliche Reformansätze und Problempunkte eingegangen wird. Gefordert wurden unter anderem eine europäische Ratingagentur und öffentliche Ratingagenturen, eine Verringerung der Bedeutung von Ratings in Gesetzen und Regulierungen, eine Erhöhung des Wettbewerbs oder auch eine Veränderung des Zahlungsmodells. 6

Verringerung von Interessenkonflikten Die bisherigen Gesetzesänderungen versuchten vor allem die Transparenz der Ratingagenturen zu erhöhen und Interessenkonflikte zu verringern. Ratingagenturen sind keine unabhängigen Informa- tionsinstitutionen, sondern ein Teil von größeren (Finanz- )Konzernen. Es stehen somit auch oft innerhalb der Unternehmen entgegengesetzte Interessen gegenüber. Problematisch ist auch das Finanzierungssystem der Ratingagenturen, in dem die EmittentInnen selbst für ihre Ratings bezahlen. Die Alternative dazu wäre ein System, bei dem die KäuferInnen für das Rating aufkommen (z.b. Pflichtabgabe des Aktienhandels als Umlage, Berücksichtigung der Performance der Ratings durch einen Fonds oder eine zentrale Clearing Plattform, durch die zwischen EmittentInnen und Agenturen kein direkter Kontakt mehr besteht). Transparenz der Ratings Eine weitere Forderung ist es, die Transparenz der Ratings zu erhöhen. Der Anreiz einer guten Reputation durch gute Ratings kann nur dann funktionieren, wenn die Ratings auch überprüft werden können u- Die Ratingagenturen agierten in den letzten Jahren zwar offener, vieles bleibt aber unklar.. Möglich wäre es etwa auch, Staaten vor Veröffentli- chung eines neuen Ratings verpflichtend zu informieren. Haftung Ratingagenturen beteuern, dass ihre Ratings nur M haben allerdings verbindliche Auswirkungen, die in Gesetzen, Verträgen oder Leitlinien festgeschrieben sind. Der FCIC Report stellte g agencies embraced mathematical models as reliable predictors of risks, replacing judgment in too many instances. Too often, S. XIX). Daher wird und wurde unter anderem auch im Entschließungsantrag des Europäischen Parlaments gefordert, dass bei nachweislichen Fehlern Schadenersatzforderungen möglich sein sollten. Verringerung von Prozyklizität Ein weiterer Vorwurf ist, dass Ratingagenturen zu langsam reagieren, also nur den Entwicklungen der Märkte folgen, und dann die Länder zu stark und schnell herabstufen: Um die Stabilität der Ratings zu erhöhen, bewerten Ratingagenturen durch den Zyklus, anstatt nur zu einem bestimmten Zeitpunkt. Damit wollen sie eigentlich Prozyklizität also das Verstärken des Konjunkturzyklus 7

verhindern. Versagt allerdings das Modell, wird das Modell neu angepasst, was zu weiteren Herab- stufungen führen kann (vgl. IMF 2010, S. 105). Die Entwicklung von Krisen oder Blasen ist jedoch schwer zu identifizieren. Ein wichtiger Ansatzpunkt wäre es jedoch zumindest mechanistische Antworten auf Herabstufungen zu vermeiden, um Cliff- Effekte zu verringern. Verringerung der Bedeutung in Gesetzen und privaten Verträgen - Entmachtung der Ratingagenturen Die Bedeutung der Ratings zu verringern und Ratingagenturen zu entmachten ist die zentrale Empfehlung in den meisten in den letzten Jahren veröffentlichten Papieren (zum Beispiel auch die Empfehlungen des Financial Stability Boards 2010; Kiff, Nowak und Schumacher 2012). Referenzen zu Ratingagenturen in Regulierungen, Gesetzen und Standards sollten entfernt werden, insbesondere wenn es dadurch bei einer Herabstufung zu mechanistischen Antworten kommt. Die Marktteilneh- merinnen selbst müssen mehr Wissen über das Risiko erlangen und weniger auf die Ratings vertrauen. own Board 2010, S. 2). Ein darüber hinausgehender Ansatz ware es freilich, komplizierte Finanzprodukte nicht mehr zuzulassen. Außerdem stand zur Diskussion Länderratings überhaupt zu verbieten oder Ratings für jene Länder die Hilfen empfangen auszusetzen. Schaffung neuer, öffentlicher Ratingagenturen Eine weitere Forderung ist die Schaffung neuer, unabhängiger Ratingagenturen, wie einer europäi- schen Ratingagentur. Sie würde eine Gegenspielerin zu dem System der privaten Agenturen sein. Sie könnte auch feststellen, welche Produkte zu kompliziert sind, um sie bewerten zu können. Gegenar- gument hierfür ist, dass eine europäische öffentliche Ratingagentur zu abhängig von Staaten und Regierungen wäre und daher wenig Vertrauen hätte. 3 Regulierung in der EU: Genese politischer Handlungsoptionen und Re- formvorschlägen im europäischen Gesetzgebungsprozess Ende Juni 2013 sind die von der europäischen Gesetzgebung verabschiedeten neuen Regeln für Ratingagenturen in Kraft getreten. Der Hauptteil der neuen Regeln ist in der Verordnung 462/2013 zu finden, zu einem kleineren Teil auch in der Richtlinie 2013/14/EU, die beide am 21. Mail 2013 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurden. 8

Diesen Verabschiedungen lag ein langer politischer und öffentlich diskutierter Prozess zu Grunde, der seinen Ursprung zumindest in Europa wohl erst in der Finanz- und Wirtschaftskrise hatte. Davor gab es auf europäischer Ebene keine Regulierungsmaßnahmen, lediglich freiwillige Kodizes (vgl. Bösch, 2011: 25). Das erste Regelwerk wurde in Europa im Jahr 2009 geschaffen, formell war die Regulie- rung von 2013 auch lediglich eine Adaptierung der Verordnung von 2009. Der Startschuss für die im laufenden Jahr aktualisierten Regeln viel im Herbst 2011, als Kommissar Barnier die Vorschläge der Kommission präsentierte. In den folgenden Erläuterungen werden nun die Hauptinhalte des ursprünglichen Kommissionsvorschlags, sowie die jeweiligen Änderungen an verschiedenen Stufen des europäischen Gesetzgebungsprozesses kurz erläutert. Die Darstellung und Bewertung des nun endgültig verabschiedeten Textes folgt am Ende dieser Aufstellung. Der Kommissionsvorschlag vom November 2011 Nach einer längeren öffentlichen Debatte über Ratingagenturen im Sommer 2011, die insbesondere durch das Downgrading von führenden Industrienationen und weniger durch die Roller der Ratinga- genturen und deren Urteile vor der Finanzkrise geprägt war, präsentierte die Europäische Kommissi- on einen ersten Vorschlag um die Machtposition der großen drei Ratingagenturen zu schwächen. Dieser Vorschlag (2011/747) enthielt eine Reihe an Policy- Maßnahmen, die davor in Konsultationen und öffentlichen Diskussionen erwogen wurden. Eckpfeiler des Vorschlages sind: Die Reduktion der Abhängigkeit von Ratings bzw. das Verhindern von übermäßigen Klippenef- fekten und automatisiertem Verhalten. Dazu war vorgesehen, dass institutionelle AnlegerInnen Kreditinstitute, Wertpapierfirmen, Versicherungs- und Rückversicherungsunterneh- men, Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, Verwaltungs- und Investmentgesell- schaften, Verwalter von alternativen Investmentfonds und zentrale Gegenparteien Kreditrisikobewertungen vornehmen müssen und dies von den kompetenten Behörden zu überprüfen ist. Für Investmentfonds wurde ein explizites Verbot festgehalten, sich ausschließlich oder automatisch auf externe Ratings zu stützen. Für die europäischen Aufsichtsbehörden (Eu- ropean Banking Authority/EBA, European Securities and Market Authority/ESMA und European Insurance and Occupational Pensions Authority/EIOPA) wurde in einem neuen Absatz 5b festge- halten, dass diese in ihren Richtlinien und Vorschriften nicht auf externe Ratings verweisen dür- fen. 9

Die Beseitigung der Marktdominanz durch die großen drei Ratingagenturen. Als Kernstück dieses Bereiches wai- grundsätzlich auf eine maximale Dauer von drei Jahren (in bestimmten Fällen: sechs Jahren), danach wäre die Ratingagentur veo- ling- Off- Um zu verhindern, dass die großen Ratingagenturen durch eine Aufteilung der Unternehmensstruktur weiterhin in ihrer Vormachtstellung bleiben, sah die Kommission vor, dass kein/e EigentümerIn einer Ratingagentur, die zumindest 5% des Unter- nehmens kontrolliert, mehr als 5% an einer anderen Ratingagentur halten darf. Die Verringerung von finanzindustriellen Verstrickungen: Hier wurde insbesondere vorgeschla- gen, dass Ratingagenturen keine Produkte mehr raten dürfen, die von Unternehmen ausgege- ben werden, die über mehr als 10% der Stimmrechte an der Ratingagentur verfügen, bzw. die - llte damit verhindert wer- den, dass Gefälligkeitsratings aufgrund von Eigentumsstrukturen abgegeben werden Nicht zuletzt wurde die zivilrechtliche Haftung für Ratingagenturen in einem eigenen Absatz 35a des Vorschlages festgeschrieben. Diese Haftung bezog sich aber nicht wie in der öffentlichen Debatte oftmals fälschlich dargestellt Einhaltung der Vorschriften für Ratingagenturen. Hierbei sollte allerdings nach dem Willen der Kommission, die Beweislastumkehr bei der Ratingagentur liegen. Darüber hinaus wurde eine größere Reihe an Registrierungs- und Veröffentlichungspflichten wird und die Ratingskalen der verschiedenen Agenturen vergleichbar darstellt oder die Rege- r- den müssen. Auffällig war allerdings, dass dieser Bericht viele in der Literatur und der politischen Debatte angesprochenen Punkte nicht beinhaltet hat. Hier wäre vor allem auf die Frage des temporären Verbotes von Länderratings einzugehen, das noch wenige Wochen vor der Veröffentlichung des Vorschlages von Binnenmarktkommissar Michel Barnier selbst gefordert wurde (vgl FTD, 2011). Ebenfalls nicht enthalten war die Gründung einer öffentlichen europäischen Ratingagentur, die das Europäische Parlament in einer Entschließung noch im Jahr 2011 gefordert hatte. Ein Verbot von Fusionen großer Ratingagenturen war auch erwartet worden, jedoch nicht im Vorschlag enthalten. Nicht zuletzt wurde ein Punkt, der von einigen AutorInnen (vgl. zb Rügemer, 2012: 87 oder Brodbeck, 2013: 13) als besonders problematisch angesehen wurde von der Vorlage der Kommission überhaupt 10

nicht berührt, nämlich der Umstand, dass die Ratings im Normalfall von den Gerateten selbst bezahlt i- Zusammenfassend war festzuhalten, dass die im ersten Teil identifizierten zentralen Handlungsfel- der, die für eine Herauslösung der Ratingagenturen aus den systemischen Zusammenhängen notwendig wären, mit dem Vorschlag der Kommission teilweise bearbeitet wurden. Die ist insbeson- dere in der Frage des automatisierten Handelns, der Verkettung der Ratingagenturen mit großen Finanzkonzernen, teilweise in der Frage der Haftung und in der Frage der Abhängigkeit der Gerateten von den Ratingagenturen, nicht aber im umgekehrten Fall (Issuer- Pays- System) zu sehen. Der Domenici- Bericht Die Vorlage der Kommission wurde danach vom Europäischen Parlament in Behandlung genommen. Berichterstatter war der italienische Abgeordnete Leonardo Domenici der Partido Democratico (der Fraktion Progressive Allianz der Sozialisten und Demokraten zugehörig). Nach einer mehreren Aussprachen und öffentlichen Diskussionen und mehr als 400 Abänderungsanträgen wurde letztlich im Juni 2012 der Bericht (A7-0221/2012) des Ausschusses für Wirtschaft und Währung beschlossen und dem Plenum vorgelegt. Inhaltlich stellte der Beschluss des Ausschusses die folgenden Änderungen gegenüber der Kommissi- onsvorlage an: Die Beweislastumkehr wurde um eine Bestimmung erweitert, wonach das Regime jenes Mitgliedsstaates anzuwenden, in dem der/die Geschädigte den gewöhnlichen Aufenthalt hat. Es wurde weiters eine Bestimmung angeführt, wonach Ratingagenturen keinesfalls haftbar sind, wenn institutionelle Investoren ihren internen Risikoprüfungen nicht nachgekommen sind. Die Rotation wurde abgeschwächt, sie soll nur noch für strukturierte Finanzprodukte gelten, außerdem wurden die Sanktionen für eine ausbleibende Rotation gestrichen. Die geltenden Beteiligungsgrenzen wurden verschärft. Wer bereits 5% an einer Ratingagentur hält, darf sich nach Willen des Ausschusses überhaupt nicht an einer anderen Agentur beteiligen (die Kommission hatte die 5%- 5%- Regel vorgesehen), wer mehr als 2% an einer Ratingagentur hält, darf von dieser nicht geratet werden (die Kommission hatte 10% vorgesehen). Das Fusionsverbot wurde aufgenommen: Ratingagenturen die mehr als 20% des EU- Marktes dominieren (die ESMA gibt hierzu jährlich einen Bericht heraus), dürfen nicht fusionieren und keine anderen Ratingagenturen aufkaufen. 11

Die Kommission soll weiters binnen eines Jahres ab Geltungsbeginn einen Bericht mitsamt legislativen Änderungsvorschlägen vorlegen um zu ergründen in welchen Normen regulatorisch auf Ratingagenturen Bezug genommen wird. Bei institutionellen Investoren muss von Seiten der Aufsichtsbehörden sichergestellt werden, dass diese (allerdings in Anbetracht ihrer Größe und der Komplexität des Geschäftes) in ihren Verträgen, nicht die Beauftragung einer bestimmten Ratingagentur vorschreiben und keine vertraglichen Verpflichtungen eingehen, durch die auf- grund eines Downgradings Papiere verkauft werden müssen. Zu Länderratings wurden neue Bestimmungen in den Normtext eingefügt. Ratingagenturen sollte es nicht mehr erlaubt sein, aufgrund der Änderung eines Länderratings, die Revision einer ganzen Ländergruppe anzukündigen, in den Rating- Berichten dürfen keinerlei Policy- Empfehlungen enthalten sein. Die Daten an denen Länderratings veröffentlicht werden müssen jeweils im Dezember für das Folgejahr bekanntgegeben werden, es sind maximal 3 Termine für Ratings und 3 für Rating- Outlooks pro Jahr vorgesehen. Die Veröffentlichung darf nur noch an Freitagen nach Börsenschluss an allen EU- Handelsplätzen erfolgen. Zur europäischen Ratingagentur wird die Kommission aufgefordert, binnen eines Jahres evaluieren, ob die Mitgliedsstaaten auch öffentlich und intern (von einer bestehenden EU- Institution) oder von einer neuen EU- Institution geratet werden sollen. Außerdem wurde die Kommission aufgefordert alternative Zahlungsmodelle zu evaluieren. Bemerkenswert ist hierbei, dass dieser Bericht mit 38 Pro- Stimmen, 5 Gegen- Stimmen und 3 Enthaltungen angenommen wurde, sich also bei der öffentlichen Abstimmung eine breite Mehrheit über fast alle Parteigrenzen hinweg für die Verschärfung der von der Kommission vorgeschlagenen Regelungen fand. Abgeordnete aus der sozialdemokratische, der konservative als auch der liberalen Fraktion stimmten somit (wenn auch nicht geschlossen) für diese Regelungen. Mit Ausnahme der Bestimmungen über die verpflichtende Rotation bzw. die maximale Vertragsdauer konnten sich somit alle Fraktionen weitgehend mit strikteren und tiefergreifenden Bestimmungen anfreunden. Der Kompromiss zwischen Rat und Parlament Im November 2012 verkündete dann die Europäische Kommission eine Einigung zwischen Parlament, Rat und Kommission. Der Kompromiss zwischen den drei Institutionen wurde in der Plenarabstim- mung des europäischen Parlaments im Jänner 2013 abgesegnet. Im Vergleich zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag, waren im endgültigen Beschluss nun die folgenden Regelungen enthalten: Im Bereich der automatisierten Effekte wurde der Kommissionsentwurf bestätigt, zusätzlich gibt es die Aufforderung an die Kommission bis 2020 Verweise auf Ratingagenturen aus dem Unions- 12

recht zu entfernen. Das Verbot in Verträgen automatisierte Handlungen einzuschließen, wurde allerdings aufgehoben. Die verpflichtende Rotation gilt nur für Wiederverbriefungen und wurde um eine Reihe von Ausnahmen ergänzt. Die Bestimmungen zu Cross- Shareholding und eigenen Ratings wurden wieder auf die Position der Kommission zurückgesetzt, die Verschärfungen des Ausschusses verworfen. Die zivilrechtliche Haftung wurde mit einer Reihe von vertraglichen Einschränkungsmöglichkei- ten versehen, die Beweislastumkehr wurde komplett gestrichen. Die Forderungen des Ausschusses zu Länderratings wurden weitgehend übernommen, ebenso die Berichtsaufforderung an die EU- Kommission bezüglich interner EU- Ratingagenturen, wenn- gleich hier die Fristen erweitert wurden. Nicht in den schlussendlichen Normtext aufgenommen wurden die Erweiterungen des Aus- schusses im Bereich des Fusionsverbotes und der Zahlungsalternative. Die Tabelle1 zeigt stark vereinfacht die Positionen der Kommission, des Europäischen Parlaments sowie das schlussendliche Ergebnis. 13

Tabelle 1: Vergleich der Positionen der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und der Verordnung bzw. Richtlinie Kommissionsvorschlag Parlamentsbericht Beschluss Verbot für institutionelle Anleger sich ausschließlich oder automa- tisch auf Ratings zu stützen European Banking Authority (EBA), European Securities Market Authority (ESMA) und European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) dürfen in ihren Leitlinien nicht auf Ratingagenturen verweisen. Verpflichtende Rotation (3 Jahre) Verbot von Cross- Shareholding von jeweils 5% Verbot von Ratings für Eigentümer und Cross- Shareholder ab 10% Zivilrechtliche Haftung, keine Möglichkeit der vertraglichen Einschränkung Verbot für institutionelle Anleger sich ausschließlich oder automa- tisch auf Ratings zu stützen EBA, ESMA und EIOPA dürfen in ihren Leitlinien nicht auf Ratingagenturen verweisen Berichtsaufforderung und Legislativaufforderung (binnen eines Jahres) an die Kommission, Verweise auf Ratingagenturen aus dem Unionsrecht zu streichen Verbot für institutionelle Anleger, in Verträgen bestimmte Ratingagenturen vorzuschreiben oder vertragliche Verpflichtungen aufgrund von Ratingänderungen einzugehen. Verpflichtende Rotation (3 Jahre) für Wiederverbriefungen Generelles Verbot von Cross- Shareholding ab 5% in einer Ratingagentur Verbot von Ratings für Eigentü- mer und Cross- Shareholder ab 2% Zivilrechtliche Haftung, Ausschluss der Haftung wenn institutionelle AnlegerInnen der internen Risikoprüfung nicht nachgekom- men sind Beweislastumkehr Beweislastumkehr, aber auch detaillierte Nachweispflichten für Kläger Doppeltes Rating für strukturierte Produkte Umfassende Berichte zu Länderratings Europäische öffentliche Ratinga- gentur Doppeltes Rating für strukturierte Produkte Umfassende Berichte zu Länderratings, Verbot von Policy- Empfehlungen, Fixe Termine für Länderratings Öffentliche Ratingstiftung, Berichtsaufforderung an die Verbot für institutionelle Anleger sich ausschließlich oder automatisch auf Ratings zu stützen EBA, ESMA und EIOPA dürfen in ihren Leitlinien nicht auf Ratinga- genturen verweisen Berichtsaufforderung und Legislativaufforderung an die Kommission, Verweise auf Ratingagenturen aus dem Unionsrecht bis 2020 zu streichen, erster Bericht 2015 Zuständige Behörden sollen Anreize setzen, solche vertraglichen Verpflichtende Rotation (5 Jahre) für Wiederverbriefungen, neue Ausnahmebestimmungen Verbot von Cross- Shareholding von jeweils 5% Verbot von Ratings für Eigentümer und Cross- Shareholder ab 10% Zivilrechtliche Haftung, Ausschluss der Haftung wenn institutionelle AnlegerInnen der internen Risikoprüfung nicht nachgekommen sind, Möglichkeit der Einschränkung Beweislastumkehr Doppeltes Rating für strukturierte Produkte Umfassende Berichte zu Länder- ratings, Verbot von Policy- Empfehlungen, Fixe Termine für Länderratings Internes Rating in der EU, Berichts- aufforderung an die Kommission bis 14

Kommission innerhalb eines Jahres Ende 2016 Fusionsverbot Fusionsverbot Fusionsverbot Alternative Zahlungsmethoden Bericht der Kommission über alternative Zahlungsmethoden Alternative Zahlungsmethoden Verbot von Länderratings Verbot von Länderratings Verbot von Länderratings 4 Zusammenfassung und Ausblick Die Gesamtbetrachtung des Gesetzgebungsprozesses zeigt einerseits, dass das Europäische Parla- ment in den systemisch relevanten Bereichen viel weitergehende Forderungen erhoben hat, als die Europäische Kommission und der Rat. Dies ist politisch insofern besonders interessant, als im Europäischen Parlament eine breite Mehrheit für viele dieser Punkte gefunden werden konnte. Ob hier mit dem abschließenden Text eine Kehrtwende in den zentralen Systemfragen (Abhängigkeit der Ratingagenturen von Finanzkonzernen in Form von KundInnen und EigentümerInnen, Automatisier- tes Handeln auf Märkten und bei institutionellen AnlegerInnen, fehlende Verantwortung für das Handeln der Ratingagenturen) tatsächlich Änderungen eintreten werden, kann nicht abschließend beurteilt werden. Jedenfalls kann aber gesagt werden, dass in diesen Bereichen durch einen abschließenden Kompromiss bei weitem nicht das Maximum der politischen Handlungsoptionen ausgeschöpft wurde. Die Zurückdrängung dieser Handlungsoptionen passierte dabei in erster Linie in nicht öffentlichen Debatten und nicht öffentlichen Gremien, während in öffentlichen Debatten und Abstimmungen wenig Gegenpositionen gegen eine umfassendere Systemregulierung zu verorten waren. Die Darstellung auf den ersten Seiten dieses Papiers hat außerdem gezeigt, dass ein Thema aus dem Komplex der Finanzmarktregulierung in relativ kurzer Zeit, relativ starke Öffentlichkeit erlangt hat und ein umfassendes Repertoire an analytischer und normativer Literatur vorliegt. Die Betrachtung des Implementierungsprozesses zeigt allerdings, dass die europäische Gesetzgebung, diesen umfassenden Handlungsempfehlungen ein sehr starkes Korsett angelegt hat. Heute ist außerdem eine starke Abnahme der öffentlichen Wahrnehmung dieses Themas zu erkennen. Dieses Paper hat versucht die Literatur und die politischen Handlungsanweisungen ebenso kompakt zusammengefasst darzustellen und will damit einen Beitrag dazu leisten, die öffentliche Enderledi- gung der Regulierung dieses weiterhin relevanten Teilbereiches der globalen Finanzmärkte kritisch anzugreifen. 15

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