BRAZIL IS BACK? YES, BRAZIL IS BACK!

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Transkript:

BRAZIL IS BACK? YES, BRAZIL IS BACK! EIN LAGEBERICHT VOM 8.9.17 VON KARLHEINZ K. NAUMANN AUS SÃO PAULO Man könnte auch sagen, Brasilien war nie weg. Aber die Meinungsbildner und -verbreiter haben es in den 12 Monaten seit der Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff geschafft, trotz seiner kontinentalen Ausmaße, seiner 208 Millionen Einwohner und seiner nicht nur landwirtschaftlichen Weltrekorde nur die negativen Seiten des Landes darzustellen und Zweifel zu säen. Zweifel an der Legitimität der jetzigen Regierung und Zweifel an der Notwendigkeit von Reformen. Die Katastrophe, die die PT-Regierung während der 13 Jahre, die sie im Amt war, für Brasilien darstellte, wurde und wird negiert oder beschönigt. Dass das Land von mutmaßlichen bzw. in einigen Fällen schon rechtskräftig verurteilten Verbrechern regiert wurde und leider wahrscheinlich noch wird, wird von einem Teil der Bevölkerung nicht wahrgenommen und von einem anderen Teil resigniert hingenommen. Vorgestern, einen Tag vor dem Unabhängigkeitsfeiertag in Brasilien, platzten mehrere Bomben, die zeigen, in welcher Lage sich Brasilien befindet: Die Bundespolizei fand Bargeld im Gegenwert von fast 14 Mio. in einem Apartment, welches von dem vor kurzem noch zur Regierung Temer gehörigen ex-minister Geddel zur Aufbewahrung der Hinterlassenschaft des Vaters benutzt wurde. Schönes Erbe! Palocci, der starke Mann in der Amtszeit von Präsident Lula, sagte aus, dass sein ehemaliger Chef und dessen Nachfolgerin Dilma nicht nur von der Korruption bei Petrobrás wußten, sondern diese aktiv förderten und ihren Nutzen daraus zogen. Lula und Odebrecht hätten einen Blutpakt abgeschlossen, der 300 Mio. R$ wert war. Und zum Paket gehörte das von Lula geleugnete Sítio in Atibaia, Vorträge à 200.000 R$, ein Dachapartment in São Bernado do Campo usw. Der in wenigen Tagen aus dem Amt scheidende Generalbundesanwalt Janot, der wie besessen versucht, Temer aus dem Präsidentenamt zu verdrängen, mußte eine Niederlage hinnehmen, weil der von ihm als Kronzeuge für die Belastung Temers benutzte Joesley Batista wohl versehentlich sich selbst in einem Gespräch mit einem seiner Direktoren aufnahm und diese Audiodatei der Justiz übergab, ohne zu wissen, dass er sich damit schwer belastete. So schwer, dass seine Straffreiheit als Kronzeuge Gefahr läuft, aufgehoben zu werden. Eine Straffreiheit, die er wohl den guten Ratschlägen eines Staatsanwaltes zu verdanken hat, der für Janot arbeitete und später den Staatsdienst verließ, um in der Kanzlei, die Joesley verteidigte, tätig zu werden. Mit der Glaubwürdigkeit Joesleys als Kronzeuge gegen Temer ist es damit auch nicht mehr weit her. Während Temer angegriffen und von einer überwältigenden Mehrheit der Brasilianer als Präsident abgelehnt wird, arbeitet er weiter für sein Land und kann Erfolge vorzeigen, wie kein anderer Präsident vor ihm. Undank ist der Welt Lohn, kann man ihm zum Troste sagen. Sehen wir uns zunächst die Entwicklung des BIP an. Die Graphik links aus dem O ESTADO DE SÃO PAULO vom 8.9.17 zeigt das BIP pro Vierteljahr während der Amtszeit von Fernando Henrique Cardoso, Lula, Dilma und Temer. Aktuell wuchs das BIP gegenüber dem abgelaufenem Quartal um 0,2% und gegenüber dem gleichen Quartal des Vorjahres um 0,3%. Das sind keine weltbewegende Zahlen, aber wenn man sieht, dass Dilma es geschafft hat, von +9,2% auf -6% abzuwirtschaften, ist dies eine großartige Leistung. Die Regierung gibt sich optimistisch und sagt ein Wachstum

von 0,5% für das laufende Jahr voraus, nächstes Jahr sollen es 2,0% und übernächstes Jahr 2,5% werden. Wobei dies die bisherigen offiziellen Zahlen sind, die neueste Vorhersage des Finanzministeriums geht von 3% für 2018 und 3,5% für 2019 aus. Diese guten Nachrichten werden verstärkt durch den Rückgang der Inflation. Diese Graphik zeigt den Rückgang der Inflation der jeweils letzten 12 Monate und macht überdeutlich, wie amateurhaft Dilma und ihre Regierungsmannschaft die Inflation bekämpft haben. Und noch eine gute Nachricht, der Nominalleitzins bewegt sich auf einen zivilisierten Wert zu und beträgt aktuell 8,25% im Jahr! Allerdings sind die Realzinsen mit 3,29% immer noch sehr hoch, nur in der Türkei mit 4,02% und in Russland mit 4,32% sind sie höher. Südafrika hat einen realen Leitzins von 0,72%, Mexiko liegt bei 1,45%, Argentinien bei 1,48% und China bei 1,87%. David Powels, der Präsident von VW in Brasilien und Südamerika, hat eine dezidierte Meinung zur augenblicklichen Lage des Landes und der von ihm geführten Firma, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. In einem Interview, welches heute im O ESTADO DE SÃO PAULO abgedruckt wurde, führt er u.a. aus, dass Brasilien kein ökonomisches, sondern ein politisches Problem hätte. Würde letzteres gelöst, würde die Wirtschaft sich wesentlich bessern. VW wurde besonders von der Krise des Automobilmarktes betroffen, weil das Unternehmen es versäumt habe, seine Produktpalette rechtzeitig zu modernisieren - dadurch konnten GM und Fiat absatzmäßig an VW vorbeiziehen und die Marktführerschaft VWs, die 41 Jahre verteidigt werden konnte, beenden. In den vier Krisenjahren schrumpfte der brasilianische Fahrzeugmarkt um unglaubliche 45% von 3,76 Mio. verkaufte Einheiten in 2013 auf 2,05 Mio. Im letzten Jahr. Bei VW betrug der Rückgang sogar 66%, von 673.400 auf 228.400 verkaufte Fahrzeuge! Aber das Unternehmen machte das Beste aus der Krise nach dem Motto Spare in der Not, dann hast du Zeit dazu. Die Zeiten geringer Auslastung wurden genutzt, um die Produktivität um 30% zu steigern, die vier brasilianischen Fabriken zu modernisieren und - leider - auch das Personal durch freiwillige Kündigungen um 4.400 auf heute 16.000 Mitarbeiter zu verringern. Heute braucht VW in Brasilien nur noch 23 bis 24 Arbeitsstunden für die Herstellung eines Autos. Das kann sich auch international sehen lassen. Dazu wurde die Programmvielfalt trotz neuer Modelle wesentlich verringert, anstelle von 12.000 Modellvarianten vor zwei Jahren werde es 2019 nur noch 300 geben, was eine gewaltige Reduktion der Komplexitätskosten bedeutet. VW muss seine Auslastung von heute nur 53% steigern und will seine Produktivität in den nächsten 5 Jahren um weitere 15 bis 20% erhöhen. Man erwartet in Brasilien ein jährliches Absatzwachstum von 8 bis 9% in den nächsten 5 Jahren. Powels betonte in seinem Interview, dass es nicht ausreiche, wenn die brasilianische Regierung die erforderlichen Reformen durchziehe, dies müsse einhergehen mit einem Produktivitätsschub der Wirtschaft. Ohne Reformen und wachsende Produktivität hätte Brasilien keine Chance am Weltmarkt wegen fehlender Wettbewerbsfähigkeit.

Die Automobilbranche ist nicht nur in Brasilien extrem wichtig für die Volkswirtschaft. Deshalb flößen die folgenden Graphiken des Autoherstellerverbandes ANFAVEA, publiziert im O ESTADO DE SÃO PAULO vom 7.9.17, Vertrauen in Brasiliens Leistungsfähigkeit ein. Im August 2017 wurden 260,300 Fahrzeuge produziert, ein Zuwachs von 45,7% gegenüber dem August 2016. Beim Absatz sieht es mit 216.500 verkauften Einheiten, ein Zuwachs von 17,8%, auch besser aus. Der Export mit 66.600 Einheiten wurde um 61,7% gesteigert und konnte damit das schwache Inlandsgeschäft etwas kompensieren. Und mit aktuell 126.300 Beschäftigten hat die Branche die Entlassungen der letzten 12 Monate wieder rückgängig gemacht. Der August 2017 war auch der vierte Monat hintereinander, in dem die Industrieproduktion zunahm. Der Zuwachs betrug im August gegenüber dem Juli 0,8%. Allerdings waren die Rückgänge in der jüngsten Vergangenheit extrem hoch, deshalb liegt der Index noch um 17,2% unter dem Höchstwert vom Juni 2013. Die Zunahme der industriellen Produktion und die Superernte spiegeln sich in den Arbeitslosenzahlen wider. Das ist die Situation des Arbeitsmarktes der jeweils letzten drei Monate im Vergleich zu den vorhergehenden drei Monaten (O ESTADO DE SÃO PAULO vom 31.8.2017): Die obere linke Graphik zeigt die Arbeitslosenquote in % und die rechte die Anzahl Arbeitsloser in Millionen Arbeitsuchender. Die nächste Graphik zeigt links die Anzahl der in Lohn und Brot stehenden Menschen in Millionen und die rechts das Realeinkommen dieser Beschäftigten in Milliarden R$.

Eine Arbeitslosenquote von 12,8% ist immer noch extrem hoch und äußerst besorgniserregend. Aber sie lag vorher bei 13,6%; hoffen wir also, dass die Tendenz beibehalten wird und wir recht bald wieder eine Normalbeschäftigung haben. Temer versucht, die Voraussetzungen dafür durch Reformen zu schaffen. Die Reform der Arbeitsgesetzgebung ist vorläufig abgeschlossen, im Oktober soll über die Sozialversicherungsreform abgestimmt werden, die ein Mindestalter für die Rentenzahlung vorsieht und zumindest einige unberechtigte Privilegien unserer Staatsdiener, die sich nicht als solche verstehen, streichen will. Die Wahlrechtsreform wurde ebenfalls in Angriff genommen und von einigen Parlamentariern wird das deutsche Wahlrecht als Vorbild genommen. Zur Debatte steht weiterhin die Regierungsform, Präsidialdemokratie oder Parlamentarische Demokratie, das ist die Frage. Wobei letztere Form durch ein konstruktives Misstrauensvotum den Austausch des Regierungschefs erleichtert, wenn dessen Arbeit Anlass zu Kritik gibt. Der dornenreiche Weg der Amtsenthebung in der Präsidialdemokratie wäre dann überflüssig. Als weitere wichtige Reform, die nicht vergessen werden darf, muss die Steuerreform genannt werden. Hier wird aktuell die Einführung der Mehrwertsteuer diskutiert. Wenn es Temer gelingt, diese Reformen bis Ende 2018 durchzubringen, wird er zu den ganz großen Präsidenten eines großen Landes gezählt werden; unabhängig davon, wie tief er in die Korruptionsskandale, die das Land erschüttern, verwickelt ist. Zur Abrundung der Lagebeschreibung zeige ich die Außenhandelsdaten Brasiliens seit 1998 mit den Werten jeweils per August:

So gut wie Ende August 2017 war der Außenhandelsüberschuss in den letzten 20 Jahren nicht! Dies sind die Werte des Handelsbilanzsaldos für die vollen Jahre von 2006 bis 2016 in Mrd. US$: Und so hat sich der Wechselkurs (R$ - ) entwickelt:

1994, als der R$ eingeführt wurde, war er zunächst paritätisch mit dem Dollar und kurzzeitig sogar mehr wert als dieser. Dass man in diesem Umfeld als Unternehmer eine vorbildliche Arbeit leisten kann, ohne zu illegalen Hilfen zu greifen oder um Staatshilfe zu betteln, zeigt das Beispiel des Einzelhändlers Magazine Luiza. Das Ergebnis kann man am Aktienkurs der Firma ablesen, dieser betrug im September 2016 nur 63,26 R$ und war ein Jahr später um 863% auf 621,79 R$ gestiegen. Zu Beginn des Vorjahres hatte Frederico Trajano, Sohn der Enkelin der Firmengründerin, nach 24 Jahren Firmenzugehörigkeit die Präsidentschaft übernommen. Er fand ein Unternehmen vor, welches im November 2015 weniger als 200 Mio. R$ wert war. Heute ist der Marktwert der Firma 13,2 Mrd. R$, als Frederico sein Amt im Januar 2016 antrat, lag er bei 392 Mio. R$. Die Verschuldung der Firma fiel von 854 Mio. R$ im Juni 2016 auf 268 Mio. R$ Ende des ersten Halbjahres 2017. 2015 war der Nettoumsatz 9,1 Mrd. R$, 2016 konnte er auf 9,5 Mrd. R$ gesteigert werden und per Juni 2017 beträgt er bereits 5,5 Mrd. R$. 2015 wurden noch 65,6 Mio. R$ Verlust gemacht, letztes Jahr wurden daraus 86,6 Mio. R$ Gewinn und per Juni 2017 beträgt der Gewinn bereits 130,9 Mio. R$. Die Nettomarge, die 2011 nur 0,2% betrug, liegt gegenwärtig bei 2,4%. Einen wesentlichen Anteil am Erfolg hatten die finanzielle Disziplin und die Integration der physischen Läden mit den virtuellen des Unternehmens. Schade, dass Menschen wie Frederico ihr Talent nicht in der Politik zum Wohle Brasiliens anwenden, aber verständlich. Den Autor erreichen Sie unter naumann@eurolatina.biz. Im Oktober 2017 wird er in Deutschland Firmenbesuche machen und kostenlos in der IHK Essen Brasilieninteressierte beraten. Wenn Sie an einem Treffen interessiert sind, schicken Sie bitte eine E-Mail mit Ihren Fragen an Karlheinz K. Naumann.