Die Geschichte des deutschen Reichstags



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Die Geschichte des deutschen Reichstags Am 9. Juni 1884 legt Kaiser Friedrich I. den Grundstein für das neue Reichstagsgebäude. Der repräsentative Bauentwurf stammt von dem Frankfurter Architekten Paul Wallot, der damit in die deutsche Baugeschichte eingeht. Nach einer Bauzeit von 10 Jahren wird am 5. Dezember 1894 von Kaiser Friedrich Wilhelm II. der Schlußstein gelegt. Fast ein viertel Jahrhundert nach der Reichsgründung hat der deutsche Reichstag endlich ein eignes Haus. 1871 Reichsgründung Nach dem Scheitern der Nationalversammlung in der Paulskirche von 1848/49 beginnt die Geschichte des geeinten deutschen Nationalstaates am 18. Januar 1871 mit der Kaiser-proklamation im Spiegelsaal zu Ver-sailles. Wenige Wochen später, am 21. März 1871, tritt der neu gewählte Reichstag in Berlin zusammen. Trotz des allgemeinen und gleichen Wahlrechts spielt das Parlament in der Verfassung vom 16. April nicht die politische Rolle, die der sich ausbreitenden Industrialisierung und der aufkommenden modernen Massenge- Reichstagssitzung (um 1905): Reichskanzler Fürst von Bülow spricht von der Re-gierungsbank aus. Links neben ihm sitzen der Staatssekretär des Innern und Stel-lvertreter des Reichskanzlers von Pasadowsky-Wehner. Das Präsidium hat der Zen-trumspolitiker Graf von Ballestrem inne. In der Bildmitte führende Parlamentarier. (Das Gemälde stammt von Georg Waltenberger und hängt im Arbeitszimmer des Bundestags Präsedenten) sellschaft entsprochen hätte. Das höchste deutsche Parlament muß allzulange mit einer provisorischen Tagungsstätte, der umgebauten Königlich Preeißischen Porzellanmanufaktur in der Leipziger Strasse vorliebnehmen. Das Parlamentsgebäude ist monumental und repräsentativ. Aber ein Mangel erweißt sich bald: Es fehlen Arbeitsräume für die einzelnen Abgeordneten.

1871-1914 Die Verfassungsreform bleibt aus Inzwischen hat sich im Kaiserreich eine Entwicklung vollzogen, die niemand so recht vorausgesehen hat. Nachdem sich das monarchische System besonders in der Regierungszeit Wilhelms II. den Erfordernissen der Zeit zu wenig anpaßt, vollzieht sich im Reich Schritt für Schritt unter der Decke der kaiserlichen Scheinrealität ein Demokratisierungsprozeß. Die stürmische industielle Entwicklung mit ihren wirtschafts- und sozialpolitischen Problemen setzt neue politische Maßstäbe, die sich auf den Charakter und den Arbeitsstil des Reichstages auswirken. Durch das Anwachsen der bürgerlichen Mittelpateien und beson-ders der Sozialdemokraten verwandelt sich der Reichstag immer mehr in ein modernes Arbeitsparlament. Der Typ des Berufspolitikers zieht herauf. Das hervorgebrachte Honoratiorenparlament tritt zurück. 1914-1918 Der erste Weltkrieg Der Reichstag ist von der Führung und Kontrolle der auswärtigen Politik und der Militärpolitik ausgeschlossen. In der "Daily- Telgraph-Affäre" 1908 und in der "Zabern- Affäre" 1913 tritt die Entfremdung zwischen Krone und Volksvertretung zutage. Im August 1914 muß Deutschland ohne wirkliche innere Bindung zwischen Regierung und Parlament in die Machtprobe des ersten Weltkrieges eintreten. In den unbarmherzigen Materialschlachten an der Kriegsfront und Reichstagssitzung am 4. August 1914: Die Abgeordneten bewilligen einstimmig die geforderten Kriegskredite. In den Belastungen des Weltkrieges an der Front und in der Heimat zeigt sich die Brüchigkeit des Kaiserreiches. in den Entbehrungen, die der Heimat auferlegt worden sind, erweißt sich bald die innere Schwäche des Kaiserreiches. Es ist kein Ruhmesblatt für die deutsche Monarchie, daß erst mitten im Kriege auf drängen vieler Parlamentarier die bereits von Paul Wallot vorgesehende Inschrift,,Dem Deutschen Volke" über dem Hauptportal des Reichstages angebracht wird. Als im Oktober 1918 angesichts der militärischen Niederlage Deutschlands durch eine Verfassungsänderung das parlamentarische System eingeführt wird, ist es zu spät, um die Monarchie noch durch Reformen retten zu können. Der Kaiser muß abdanken. 9. November 1918 Ausrufung der Republik Am 9. November 1918 hat die mit dem Zusammenbruch des Kaiserreiches einhergehende revolutionäre Welle die Reichshauptstadt Berlin ergriffen. Die Lage ist unübersichtlich. Die politische Alternative jedoch schält sich klar heraus: Soll Deutschland eine sozialistische Rätediktatur werden, wi es die radikale Linke propagiert? Oder soll Deutschland eine parlamentarische Demokratie auf der Basis freier Wahlen werden? In diesen entscheidungsvollen Tagen, die sich in den Mittagsstunden des 9. November kritisch zuspitzen, werden das Reichstagsgebäude und sein Vorplatz zur Geschichtlichen Szene. Der sozialdemokratische Führer Scheidemann wird nach seinem eigenen Bericht zur Initiative gedrängt. Von einer Balkonbrüstung des Reichstagsgebäudes aus spricht er zu den Massen, die sich zwischen den mächtigen Säulen des Hauptportals und den Symbolen des Kaiserreiches - der Siegessäule und dem Bismarck-Denkmal - drängen. Seine genauen Worte sind nicht überliefert, aber ein Ausruf ist bezeugt und wird von der Menge aufgenommen: Es Lebe die deutsche Republik".

1918/19 Parlamentarische Demokratie oder Rätediktatur Mit Scheidemanns Auftritt ist die Grundsatzentscheidung über die künftige Staatsform gefallen: Für die Republik. Ein Zurück zur Monarchie ist nun nicht mehr möglich. Aber die Auseinandersetzungen mit den Arbeiter und Soldatenräten und mit den radikalen Linken sind noch nicht beendet. Die politische Szene zwischen den Schloß und dem Reichstagsgebäude - rund um das Brandenburger Tor - bleibt weiter voller revolutionärer Unruhe. Im Reichstag biwakieren republiktreue Soldaten. Auf den Dächern der Ecktürme sind Maschinengewehre in Stellung gebracht. Jetzt schlägt die Stunde der staatsmännischen Bewährung für Friedrich Diese Bilder zeugen von der gespannten Lage von November 1918 bis Januar 1919: Soldatenräte tagen im Reichstag. Daneben Spartakisten Demonstrationen. Regierungstreue Truppen, und Plakate die zur Nationalversammlung aufrufen. Ebert, den Parteivorsitzenden der Mehrheitsdemokratie. Unbeirrbar hält er an seinem Kurs fest: Freie Wahlen für eine verfassungsgebende Nationalversammlung. Die radikale Linke greift zum letzten Mittel: dem bewaffneten Aufstand. In Berlin brechen mitten im Wahlkampf für die Nationalversammlung, blutige Kämpfe aus, die erst durch den Einsatz von Militär niedergeschlagen werden können. 1919 Die neue Verfassung Am 19. Januar 1919 finden die Wahlen zur Nationalversammlung statt. Sie bringen den hinter der Republik stehenden Parteien Sozialdemokraten, Zentrum und Demokraten eine klare Mehrheit. Sie erringen 75% der abgegebenen Stimmen. Wegen der butigen Unruhen und im Interesse einer sachlichen parlamentarischen Arbeit wird die Nationalversammlung am 6. Februar 1919 im Weimarer Nationaltheater eröffnet. Sie wählt Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten. Kurz danach wird eine von der SPD, Demokraten und Zentrum getragene Regierung mit Philipp Scheidemann als Reichskanzler gebildet. Das ist der Beginn der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Die Nationalversammlung leistet gute Arbeit. Am 11. August 1919 unterschreibt Friedrich Ebert die Verfassungsurkunde. Diese Reichsverfassung begründet zum ersten Male in der deutschen Geschichte die parlamentarische Demokratie. Die Nationalversammlung tagt im Nationaltheater in Weimar

1922 Politischer Mord Die junge Republik hat es schwer. Im Friedensvertrag von Versailles werden ihr schwere lasten auferlegt, allen voran die Gebietsabtretungen und die Reparationsforderungen. Die Republik muß die Friedensbedingungen anerkennen. Hierdurch wird eine politische Grundbewegung eingeleitet, die von der Republik wegführt. Bereits in der Reichstagswahl vom 6. Juni 1920 verlieren die Parteien der Weimarer Koalition die Mehrheit im Reichstag. Ein böses Wort kommt auf:,,republik ohne Republikaner". Die Feinde der Republik gewinnen Oberwasser. Die innenpolitische Szene erfährt eine ungeahnte Verschärfung, als der Reichsaußenminister Walter Rathenau von Rechtsextremisten ermordet wird. Eine Serie von politischen Morden war vorausgegangen: Trauerfeier im Plenarsaal des Reichstages. Am Rednerpult unter Blumen und Kränzen die sterbliche Hüllle Rathenaus. Seine Mörder beraubten Deutschland um einen seiner besten Köpfe. An den Spartakus-Führer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, dem bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, den Unabhängigen Sozialdemokraten Haase und Gareis, dem Zentrumsabgeordneten und ehemaligen Reichsfinanzminister Matthias Erzberger. 1923 Das Kriesenjahr Der Sturz Sreesemanns vollzieht sich im Deutschen Reichstag in einer offenen Feldschlacht. - Reichspräsident Ebert prophezeit, daß die engstirnige Parteipolitik, die dieses Regierungsbündnis beendet, der Republik zum Schaden gereicht wird. Er sollte recht behalten. Im Jahr 1923 gerät die Republik an den Rand des Abgrunds. Äußerer Druck und innere Zerrissenheit treffen zusammen: Die Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen; der deutsche passive Widerstand und der damit einhergehende Wirtschaftsund Währungsverfall; die separatistischen Bestrebungen im Rheinland und in der Pfalz; die umstürzlerische Opposition der Kommunisten und Nationalsozialisten. Die Republik überlebt, nicht zuletzt durch die Einsicht der Parlamentsmehrheit, die als,,große Koalition" in die deutsche Parlaments-Geschichte eingegangen ist. Diese Koalition reicht von den Sozialdemokraten über die Links oben: Die Anführer des nationalsozialistischen Putsches Hitler und Ludendorff. Daneben: Einmarsch französischer Truppen in das Ruhrgebiet 1923. Darunter: Lebensmittelschlangen in der Wirtschaftskrise 1923. Rechts daneben: Sturz des Kabinets Stresemann. Demokraten und Zentrum bis zur rechtsbürgerlichen Deutschen Volkspartei. Der Kanzler dieser Koalition wiurd der Parteivorsitzende Dr. Gustav Stresemann. Er und Friedrich Ebert sind die Architekten dieser Koalition. Sie Verstehen dieses Bündnis als den von einer soliden Reichstagsmehrheit getragenen Versuch der geschichtlichen Aussöhnung zwischen den Kräften der Tradition und der Neuordnung. - Das Bündnis bricht nach 100 Tagen auseinander.

1925 Eine Niederlage für die Republik Der frühe Tod des ersten Reichspräsidenten am 28. Februar 1925 ist für Deutschland tragisch. Der besonnenden Führung Friedrich Eberts verdankt die Republik ihre Behauptung während der krisenhaften Anfangsjahre. Sein Verdienst vor allem ist es, daß die Einheit des Reiches bewahrt wird. Dieser Mann hätte zu Lebzeiten den vielberufenen "Dank des Vaterlandes" verdient gehabt. Der Kampf um seine Nachfolge ist hart. Im Entscheidenen Wahlgang unterliegt der Mann der Republik, der Zentrumspolitiker Marx, dem kaiserlichen Feldmarschall von Hindenburg. Wie ein Brennspiegel wird im und um den mächtigen Reichtagsbau die deutsche Geschichte eingefangen. Oben: Trauerzug zu Friedrich Eberts Beisetzung. Unter: Verteidugung des neuen Reichspräsidenten von Hindenburg im Reichstag. Auf den Trauerkondukt Friedrich Eberts folgt die Eidesleistung des neuen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Wahrlich - die Geschichte der Weimarer Republik hat einen kurzen Atem, und ihr Herz schlägt im Reichstag. Theodor Heuss hat Friedrich Ebert mit diesen Worten ein unvergängliches Denkmal gesetzt: "Als Könige versagten, hat dieser Sohn des breiten Volkes sich höchst königlich bewährt." 1925-1928 Die guten mittleren Jahre Die Reichstagswahl von 1928 geht für die Republik günstig aus. Die SPD erringt einen klaren Wahlsieg. Die Republikfeindliche Deutschnationale Volks-partei erleidet eine deutliche Niederlage. Das Zentrum hält sich gut. Der ständige Mandatsschwund bei den Mittelparteien, insbesondere bei der Deutschen Demokratischen Partei (der späteren Staatspartei) als der republiktreusten, ist jedoch bedenklich. Obwohl zahlenmäßig die Weimarer Koalition (SPD, Zentrum, Demokraten) eine knappe Mehrheit im Reichstag gehabt hätte, kommt es unter dem sozialdemokratischen Kanzler Herrmann Müller zu einem Kabinett der Großen Koalition. Dieses Regierungsbündnis ist nicht spannungsfrei, da die Flügelparteien SPD und Deutsche Volkspartei in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten. Paul Löbe (Bild), Reichstagspräsident (mit einer Unterbrechung von wenigen Monaten) von 1920 bis 1932, erweist sich als Meister in der Verhandlungsführung und in der Handhabung der Geschäftsordnung des Reichstages. 1929 Wolken am Horizont Die guten mittleren Jahre der Republik sind mit dem Namen des Deutschen Außenministers Dr. Gustav Stresemanns verbunden. Von 1923 bis zu seinem frühen Tode am 3. Oktober 1929 führt er die deutsche Außenpolitik. International bedeutet die Ära Stresemann eine kurze Atempause der Ent-spannung und Verständigung. 1925 bringt Stresemann zu-sammen mit seinem französischen Kollegen Briand den Locarno- Vertrag zustande. In die gleiche Richtung einer Befrie-dung Europas weißt Deutsch-lands Eintritt in den Völkerbund 1929. Für die deutsche Innenpolitik ist sein früher Tod verhängnis-voll. Unter seiner Parteiführung kann die Deutsche Volkspar-tei an der Seite der Republik gehalten werden. Er drängt auf einen Ausgleich mit der SPD. Er will den Brückenschlag zwischen dem alten kaiser-lichen Deutschland und der jungen Republik. Ohne ihn ist der deutsche Reichstag ärmer. Seine parlamentarische Meister-schaft, seine glänzende Rhetorik fehlen dem hohen Hause sehr. Wie vor ihm Reichspräsident Friedrich Ebert, ist auch Außen-minister Gustav Stresemann für die

Republik und für den deutschen Reichstag unersätzlich. Als im Herbst 1929 eine weltweite Wirtschaftskrise ausbricht, wird diese günstige Entwicklung nachhaltig erschüttert. 1930-1932 Die Auflösung der Republik Die Regierung der Großen Koalition bricht im März 1930 auseinander. Sie war die letzte auf parlamentarische Grundlage gebildete Regierung der Republik. Im gleichen Zeitraum hat Deutschland bereits über 3½ Millionen Erwerbslose. Das Kabinett Brüning, ohne Koalitionsbindung und Reichstagsmehrheit regierend, wird der Krise nicht Herr. Im Volke breitet sich Hoffnungslosigkeit aus. Aus den Reichstags-wahlen vom 14. September gehen die Nationalsozialisten mit 107 Sitzen als Sieger hervor. Außenminister Stresemann bei einer Rede vor dem Völkerbund. Mitte 1932 erreicht die Wirt-schaftskrise mit über 6 Millionen Arbeitslosen ihren Höhepunkt. Die Parteizersplitterung hat ihren Höhepunkt erreicht. Sie war einer der Gründe für das Scheitern der Republik. Die NSDAP ist nun in-zwischen zur weitaus stärksten Partei herrangewachsen. Die Weimarer Republik geht dem Untergang entgegen. Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Am Abend des 27. Februar brennt der Reichs-tag. Knapp einen Monat später fordert Hitler vom Reichstag die Zustimmung zum Ermächtigungs-gesetz. Gegen die Stimmen der SPD wird es trotzalledem angenommen. Damit ist die parlamentarische Demokratie in Deuschland endgültig zerstört und der Weg zur Einparteienherrschaft frei. 1945 Die deutsche Katastrophe Traueransprache für Stresemann vor dem Reichstag Die nationalsozialistische Herrschaft führt Deutschland und Europa in die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges. 1933 Die parlamentarische Demokratie ist tot 1932 ist ein Jahr des Dauerwahlkampfes mit Agitatoren, Aufmärschen und Straßenkämpfen. Links oben: Hitler auf einer Wahlkundgebung im Berliner Lustgarten. Daneben: Aufmarsch des Rotfrontkämpferbundes. Unten: Aufmärsche des Stahlhelm - Bund der Frontkämpfer und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Bild rechts: Der Reichstagsbrand.

Anfang Mai 1945 im Kampf um Berlin steht das Reichstagsgebäude im Mittelpunkt. Als die Sowjetflagge auf einem seiner Ecktürme gehißt wird, ist die Schlacht um Berlin zu Ende, und die deutsche Niederlage besiegelt. Der Krieg ist vorbei. Das ganze Ausmaß der Katastrophe wird sichtbar. In Trümmern, Leid und Not regt sich aber bereits der Wille zum Aufbruch in eine friedliche und menschenwürdige Zukunft. 1949 werden in dem von den westlichen Siegermächten besetzten Teil Deutschlands, mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland die Weichen für eine verfaßte, von Recht und Freiheit ge-prägte Neuordnung gestellt. Den Menschen in dem von der Sojetunion besetzten Teil wird dagegen die freie Selbstbestimmung ver-sagt, und damit die Spaltung Deutschlands und Ber-lins vollzogen. Mit der Gründung der DDR war diese Teilung perfekt. Der Reichstag verlor seine Bedeutung, und sollte ihn erst nach mehr als 40 Jahren zurückerlangen. 1990 Die deutsche Einheit 1971, genau 100 Jahre nachdem Zusammentritt des ersten Reichs-tages, ist das Reichstagsgebäude wieder aufgebaut worden. Der Deutsche Bundestag hält regelmäßig Fraktions- und Ausschußsitzungen im Reichstagsgebäude ab und unterstreicht damit die Bindun-gen an Berlin und an das Gebot des Grundgesetzes "In freier Selbstbe-stimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden". Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und auch der Senat von Berlin ließ sich nicht beirren, als Sowjetische Jagtbomber diese friedlichen Tagungen stören wollten.

Am 9. November 1989 erheben sich die Deutschen in der DDR gegen 40 Jahre SED Diktatur. Mit dem Ruf "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk" fordern sie Freiheit, Demo-kratie und die Einheit Deutschlands. Diese gewaltlose Revolution überwindet Mauer und Stacheldraht. Am 9. November 1989 kommt es vor dem Brandenburger Tor zwischen Deutschen aus Ost und West zu einem Fest des Wiedersehens, das die Welt bewegt. Die staatliche Einheit Deutschlands ist am 3. Oktober 1990 endlich erreicht. Die konstituierende Sitzung des 12. Deutschen Bundestages, des am 2. Dezember ersten frei gewählten gesamtdeutschen Parlaments nach 58 Jahren, findet am 20. Dezember 1990 im Reichstagsgebäude statt. Die Bundesregierung beschließt, das Berlin wieder zur gesammtdeutschen Hauptstadt wird, und das die Regierung schrittweise von Bonn nach Berlin zieht. Ferner wird beschlossen, daß das Reichstagsgebäude wieder sein ursprüngliches Aussehen erhalten soll. 1997 wird der Reichstag dann eingepackt, während im innern die Bauarbeiten für den Umbau im vollem Gange sind.