Prof. Dr. Thomas Rüfner. Materialien im Internet:



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Privatrechtgeschichte der Neuzeit Vorlesung am 20.06.2011 Die Entstehung des BGB Prof. Dr. Thomas Rüfner Materialien im Internet: http://ius-romanum.unitrier.de/index.php?id=39692

Die Entstehung des BGB Übersicht Die Schaffung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Kodifikation des Zivilrechts im Deutschen Reich. Die Ausarbeitung des Entwurfs Die erste Kommission. Die Vorkommission im Reichsjustizamt. Die zweite Kommission. Die Verabschiedung des BGB im Reichstag. Charakteristika des BGB Insbesondere die Debatte um den Tropfen sozialistischen Öls. Prof. Dr. Th. Rüfner 2

Die Schaffung der verfassungsmäßigen Voraussetzungen für die Kodifikation des Bürgerlichen Rechts Ursprünglich: Gesetzgebungskompetenz des Reiches nur für Obligationen-, Handels- und Wechselrecht. Nach mehreren Anläufen am 20.12.1873 Verfassungsänderung, Gesetzgebungskompetenz für das gesamte Bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren. Das verfassungsändernde Gesetz beruhte auf der Initiative der nationalliberalen Abgeordneten Eduard Lasker (1829-1884) und Johannes von Miquel (1828-1901, zuvor Oberbürgermeister von Frankfurt, später preußischer Finanzminister, Modernisierer des preußischen Steuerrechts). Prof. Dr. Th. Rüfner 3

Die Ausarbeitung des Entwurfs (1) 1874: Vorcommission unter Beteiligung Levin Goldschmidts (1829-1897) erstellt ein Gutachten Über Plan und Methode für die Aufstellung des Entwurfs eines Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches Festhalten an den bewährten gemeinschaftlichen Instituten und Sätzen der innerhalb des deutschen Reiches bestehenden Zivilrechts-Systeme. Entscheidung für einen Allgemeinen Teil, wenngleich nur von mäßigem Umfang. Prof. Dr. Th. Rüfner 4

Die Ausarbeitung des Entwurfes (2) 1874-1887: Erste Kommission Mitglieder: Richter, Ministerialbeamte und zwei Vertreter der Rechtswissenschaft, darunter Bernhard Windscheid (1817-1892, in der Kommission bis 1883). Entscheidung für das Pandektensystem Arnold Heises (1778-1851) (mit Anordnung des Sachenrechts nach dem Schuldrecht) in fünf Büchern. Erstellung von Vorentwürfen zu den einzelnen Teilen, Redaktoren Albert Gebhard (Allgemeiner Teil). Franz von Kübel (Schuldrecht, wegen von Kübels Tod vor Abschluß der Arbeiten wurde teilweise der Dresdener Entwurf verwendet). Reinhold Johow (Sachenrecht). Gottlieb Planck (Familienrecht). Gottfried von Schmitt (Erbrecht). 1887 Vorlage des Ersten Entwurfs (E I). Prof. Dr. Th. Rüfner 5

Die Ausarbeitung des Entwurfes (3) Scharfe Kritik am Ersten Entwurf: Otto von Gierke (1841-1921): Kritik an mangelnder Volkstümlichkeit, Forderung nach einem Tropfen sozialistischen Öls. Anton Menger (1841-1906): Das bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen (1890). Kritik der bürgerlichen Frauenbewegung am patriarchalischen Familienrecht. Prof. Dr. Th. Rüfner 6

Die Ausarbeitung des Entwurfes (4) Ab 1890: Zweite Kommission Beteiligung von Wirtschaftsvertretern Nichtjuristen, insbesondere Generalreferent: Gottlieb Planck. Vorbereitung der Sitzungen durch eine im gleichen Zeitraum tagende Vorkommission im Reichsjustizamt Die Vorkommission brachte die Ergebnis ihrer Vorberatung durch Änderungsanträge ihrer Mitglieder in die Zweite Kommission ein. Viele wichtige Entscheidungen fielen praktisch schon in der Vorkommission. 1895 Veröffentlichung des Zweiten Entwurfs und der Protokolle der zweiten Kommission. Nach nochmaliger Überarbeitung Einbringung des revidierten Zweiten Entwurfs in den Bundesrat. Prof. Dr. Th. Rüfner 7

Die Ausarbeitung des Entwurfes (5) Im Bundesrat: Erstellung eines nochmals überarbeiteten Dritten Entwurfs (Reichstagvorlage). Behandlung des Dritten Entwurfs im Reichstag bzw. dessen Ausschüssen. Politischer Streit überwiegend um aus heutiger Sicht weniger wichtige Fragen, nicht um die Struktur des Gesetzbuchs. Verabschiedung des BGB am 14.7.1896. Inkrafttreten am 1.1.1900. Prof. Dr. Th. Rüfner 8

Wirkungen des BGB Annahme von Kodifikationen, die auf dem BGB beruhten, und grundlegende Veränderungen bestehender Kodifikationen in Anlehnung an das BGB: Japan: 1898. Schweiz: ZGB und revidiertes OR treten 1912 in Kraft. Österreich: Drei Teilnovellen zum ABGB in den Jahren 1914-1916. Thailand 1925. Türkei: Kodifikationen nach Schweizer Vorbild 1926. China: Zivilgesetzbuch von 1930 (in Taiwan noch in Kraft). Griechenland: ZGB von 1946. Südkorea 1958. Auswirkungen auch auf den italienischen Codice civile von 1942, das niederländische Nieuw Burgerlijk Wetboek (seit 1954) und den portugiesischen Codigo civil von 1967. Prof. Dr. Th. Rüfner 9

Vorzüge und Schwächen des BGB Drei gängige Behauptungen: Als spätgeborenes Kind des Liberalismus (Franz Wieacker) berücksichtigt das BGB die Notwendigkeit eines angemessenen Schutzes des Schwächeren im Rechtsverkehr nicht hinreichend. Daher mußte es alsbald durch Spezialgesetze wie das Abzahlungsgesetz (1895) und später das MRHG und das AGBG ergänzt werden. Die Abstraktheit der Regelungen des BGB und die Verwendung zahlreicher Generalklauseln macht das BGB unempfindlich gegen Änderungen der politischen Rahmenbedingungen. Es konnte daher sowohl unter der NS-Herrschaft als auch lange Zeit unter der Herrschaft der SED fortbestehen bot aber auch keinen Schutz gegen Willkür und Unrechtsjustiz. Die Regelungstechnik des BGB, die vielfach auf die ausdrückliche Nennung der zugrundeliegenden Dogmen verzichtet, macht das BGB für Studenten schwer vermittelbar und für Ausländer unzugänglich. Prof. Dr. Th. Rüfner 10

Privatrechtgeschichte der Neuzeit Vorlesung am 27.06.2011 Privatrecht im 20. Jahrhundert (I) Prof. Dr. Thomas Rüfner Materialien im Internet: http://ius-romanum.unitrier.de/index.php?id=39692