CCC Struktur und Erfahrungen in Deutschland 4Martin Middeke Geschäftsführer / QMB des CCC 4Prof. Dr. Andreas Neubauer Direktor des CCC Marburg Comprehensive Cancer Center Marburg Universitätsklinikum Gießen-Marburg GmbH Hintergrund für die Etablierung sogenannter Comprehensive Cancer Centers in Deutschland Die Aufdeckung des menschlichen Genoms sowie die leichte Verfügbarkeit moderner und hochleistungsfähiger molekularer Techniken haben die angewandte Krebsforschung in einem nicht vorstellbaren Maße vorangetrieben. Bis vor wenigen Jahren nahm man an, dass in der Zukunft nur seltene Tumorerkrankungen wie bestimmte Leukämien und Lymphome einer molekularen Therapie zugänglich sein würden. In den letzten beiden Jahren hat sich dies grundlegend gewandelt. Ganz überwiegend durch molekularbiologische Forschung wurden Daten vorgelegt, die auch bei den häufigsten bösartigen Erkrankungen wie dem Lungentumor (Tsao et al., 2005), dem Dickdarmkrebs (Cunningham et al., 2004) sowie dem Brustkrebs (2005; Romond et al., 2005) molekularen Therapieverfahren einen essenziellen Stellenwert einräumen. Hierdurch lassen sich zwar die Behandlungsergebnisse in manchen Fällen deutlich verbessern. Auf der anderen Seite profitieren aber nur definierte Patientengruppen davon (z. B. diejenigen, deren Tumorzellen das Protein exprimieren, gegen das die Therapie gerichtet ist), so dass eine verbesserte (aber dadurch häufig auch teurere) Diagnostik notwendig ist. Dies impliziert, dass Diagnostik und Therapie individualisiert und stetig komplexer werden. Zusätzlich sind diese neuen molekularen Therapieverfahren (Antikörpertherapien; Therapien mit Signalinhibitoren wie Imatinib oder Erlotinib) häufig sehr kostenintensiv, so dass es fraglich erscheint, wie in einem Land mit einem fixierten Medikamentenbudget diese Kosten getragen werden können. Dies unterstreicht auch, dass individuelle Risikostratifizierungen immer wichtiger werden. Darüber hinaus wird klar, dass der Zusammenschluss verschiedener onkologischer Kompetenzzentren zur Rekrutierung großer klinischer Studien essenziell ist, um schnell neue Fragestellungen aufzugreifen und zu beantworten. Beispielhaft sei hier die chronische myeloische Leukämie (CML) erwähnt, bei der in nur sechs Monaten durch die weltweite Kooperation in Leukämienetzen eine Rekrutierung von über eintausend Patienten ermöglicht wurde, die die Therapie der CML grundlegend verändert hat (O Brien et al., 2003). Krebs ist immer ein genetischer Prozess. Über 90 Prozent dieser für die Tumorentwicklung notwendigen genetischen Ereignisse werden im Laufe des Lebens erworben; nur bei einer Minderheit sind die zur Krebsentwicklung führenden genetischen Merkmale angeboren. Das impliziert, dass Krebs überwiegend präventierbar ist. Zweitens muss das heißen, dass bei Erkenntnis der molekularen und zellbiologischen Eigenschaften von Tumorzellen auch Medikamente entwickelt werden können, die Krebs besser therapieren lassen. Am Beispiel der CML wurde dies sehr deutlich. Diese Erkrankung wird durch eine genetische Mutation einer Knochenmark-Stammzelle erworben. Diese Veränderung führt schließlich zur Verdrängung des gesunden Knochenmarkes und resultierte, wenn nicht eine Knochenmarktransplantation erfolgen konnte, immer im Tod des Patienten. Es wurde nun ein gegen das Schlüsseleiweiß der Leukämie (das Bcr-Abl-Protein) gerichtetes Medikament (Imatinib, Name: Glivec R) entwickelt, welches in unvorstellbarem Maße die bisherige Therapie der Leukämie verändert hat. Während früher von 100 Patienten 50 nach 48 Monaten verstorben waren, rechnet man nun damit, dass nach 10 Jahren noch über 80 Prozent am Leben sind. Die These ist also, dass eine verbesserte Erkenntnis der essenziellen Signalwege der Tumorzelle eine verbesserte Krebstherapie erlauben wird, indem gegen diese Signalwege Medikamente entwickelt werden. Sie kann am Beispiel des Lungenkrebses, des Brustkrebses, des Darmkrebses, bestimmter B-Zelllymphome und seltener Leukämien oder Weichteiltumoren (GIST) belegt werden. Somit muss es das Ziel onkologischer Spitzenzentren sein, durch verbesserte Erkenntnis und translationale Forschung zu einem verbesserten Ergebnis in der Patientenbetreuung zu kommen. In der Bundesrepublik Deutschland war in den 80er-Jahren die Bildung von Tumorzentren in der Versorgung von Krebspatienten kennzeichnend. Es wurde vor wenigen Jahren dann herausgestellt, dass trotz fast flächendeckender Tumorzentrumsaktivitäten die Prognose von Krebspatienten nicht besser geworden ist. Es wurde auch kritisch festgestellt, dass sich im Gegensatz zu dem ursprünglichen Ziel der Tumorzentren, nämlich unter einem Dach alle Tumorpatienten interdisziplinär betreuen zu wollen, die Diversifikation in der Therapie leider zugenommen hatte. So ist es keine Seltenheit, wenn in einem Klinikum an fünf oder mehr Stellen medikamentöse Tumortherapien verabfolgt werden und z. B. divergierende Standards in der supportiven Betreuung von Tumorpatienten gelten. Patienten wurden also eben gerade nicht multidisziplinär besprochen, sondern Alleinvertretungsansprüche einzelner Disziplinen verhinderten die fruchtbare Kommunikation der Disziplinen und somit eine schnelle Umsetzung von Forschungsergebnissen und interdisziplinären multimodalen Therapiever- 42
fahren. Dieses Dilemma wurde unlängst von der Deutschen Krebshilfe erkannt. In einer Auslobung sollen bis zu fünf onkologische Spitzenzentren in Deutschland gefördert werden (www.krebshilfe.de). Hierbei wird die Integration von translationaler Forschung (also bench to bedside und umgekehrt) eine wesentliche Rolle spielen. Es werden Qualitätsvorgaben gemacht, die einzuhalten sind. Dabei dienten die sogenannten Comprehensive Cancer Centers nach US-amerikanischem Vorbild als Muster. Was sind diese Comprehensive Cancer Centers? Struktur eines Cancer Centers in den USA Es gibt in den USA keine einheitliche Struktur für Krebszentren. Auch die Begriffe Cancer Center und Comprehensive Cancer Center sind nicht geschützt. Jede Institution, sei es eine einzelne Klinik, ein Zusammenschluss mehrerer Kliniken und niedergelassener Ärzte oder auch eine Institution der Grundlagenforschung kann sich (Comprehensive) Cancer Center nennen. Das im Jahre 1937 gegründete National Cancer Institute (NCI), dessen Verantwortlichkeiten 1971 durch den National Cancer Act erweitert wurden, ist die Behörde im US-amerikanischen Gesundheitssystem, welche die Verantwortlichkeit für die Entwicklung von Forschung und Ausbildung im Bereich der Krebstherapie innehat. Das NCI hat Förderprogramme für Krebszentren aufgelegt, welche definierte Strukturen innerhalb der Zentren sowie ein strenges Peer-Review-Verfahren vorschreiben. Inhalt der Förderungen sind immer wissenschaftliche Fragestellungen aus den Bereichen der Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinischen Forschung. Ein durch das NCI gefördertes Cancer Center widmet sich Fragestellungen aus einem oder zweien dieser Bereiche. Ein NCI-designated Comprehensive Cancer Center hat Forschungsschwerpunkte in allen drei Bereichen. Die Förderung durch das NCI beweist also lediglich die Exzellenz in der Forschung, über die Qualität der Diagnostik und Behandlung wird keine Aussage gemacht. Die verschiedenen Strukturen der Krebszentren lassen sich unterscheiden in Free Standing Cancer Center und Matrix Cancer Center. Free Standing Cancer Centers haben ein eigenes Gebäude, in dem die einzelnen Abteilungen für Forschung, Diagnostik, Therapie und Dokumentation untergebracht sind. Es existiert eine zentrale Anlaufstelle für alle Tumorpatienten, die in einer interdisziplinären Tumorambulanz diagnostiziert und dann den weiterbehandelnden Fachabteilungen zugewiesen werden. Beispiel: Cancer Centre Northern Ireland in Belfast. Ein Matrix Cancer Center ist in die Strukturen eines Universitätsklinikums integriert. Alle derzeit in Deutschland etablierten sogenannten Comprehensive Cancer Center sind Matrix Cancer Center. CCC in Deutschland Förderung durch die Deutsche Krebshilfe Zu den wichtigsten Förderern von Krebszentren in Deutschland gehört die Deutsche Krebshilfe (DKH). Die DKH hat bereits vor vielen Jahren begonnen, Tumorzentren und onkologische Schwerpunkte zu fördern. Die Förderungskriterien waren bisher uneinheitlich und nicht auf die Forschung begrenzt, vielmehr wurden auch Strukturförderungen bewilligt. 2001 hat die DKH in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren (ADT) und der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) begonnen, die existierenden Tumorzentren zu evaluieren, gemeinsame Strukturen und Fehlentwicklungen aufzuzeigen und die weitere Förderungspolitik zu planen. In den Ergebnissen der Evaluierung hat sich gezeigt, dass eine einheitliche Förderungspolitik entwickelt werden muss. Parallel hierzu haben die meisten Universitätskliniken ebenfalls die Notwendigkeit einer Strukturänderung erkannt und in Eigen ini tiative begonnen, sich neu zu organisieren. Das Heidelberger Zentrum hat hierbei, bedingt durch die enge Kooperation mit der DKH, eine Vorreiterrolle übernommen. Es soll als deutsches Referenzzentrum gelten. In diesem Frühjahr hat die DKH eine einheitliche Ausschreibung zur Förderung von zunächst fünf onkologischen Spitzenzentren in Deutschland für einen Zeitraum von zunächst drei Jahren herausgegeben. Antragsteller müssen hierfür Angaben zur Struktur der Zentren im Hinblick auf die Leitung, den Patientenfluss, die etablierten Tumorkonferenzen, aber auch die eingeworbenen Drittmittel und die Anzahl aktiver klinischer Studien machen. Von jedem Beteiligten (Klinikdirektoren, Selbsthilfegruppen, Niedergelassene etc.) müssen Unterstützungsschreiben formuliert und beigelegt werden. Auch sind Angaben zu den Forschungsschwerpunkten nötig, jedoch bei Weitem nicht so umfangreich wie in den USA. Parallelentwicklungen Bedingt durch die zeitlich parallele Entwicklung von CCC-ähnlichen Strukturen in den jeweiligen Zentren, haben sich unterschiedliche Ansätze zur Umsetzung eines neueren Krebszentrums etabliert. Einige Zentren versuchen die Weiterentwicklung ihrer Strukturen wissenschaftlich zu begleiten. In Marburg z. B. wurde zur offiziellen Gründung des CCC Marburg am 25.6.2005 erstmalig in Deutschland ein begleitendes wissenschaftliches Symposium veranstaltet, auf dem Vertreter anderer führender Krebszentren aus Deutschland, aber auch international 43
hochrangige Experten zu Wort kamen. Seither treffen sich die deutschen CCC-Initiativen regelmäßig in Heidelberg, um ihre Erfahrungen auszutauschen. Qualitätsmanagement und Zertifizierung In Anlehnung an die durch das NCI geförderten Zentren nennen sich die meisten Zentren selbst Comprehensive Cancer Center. Der Zusatz nach dem Vorbild amerikanischer CCC soll eine gewisse Qualität, im Gegensatz zu den amerikanischen CCCs jedoch im Bereich der Diagnostik und Therapie, nicht der Forschung suggerieren. Das Krebszentrum Dresden (UCC) hat als erstes deutsches Krebszentrum im Dezember 2004 sein Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9001:2000 zertifizieren lassen. Da es bisher keine verbindlichen Vorgaben für die Zertifizierung eines CCC gibt, ist diese Prüfung durchaus angemessen, es handelt sich hierbei um ein international anerkanntes System zur QM-Prüfung. Im Oktober 2006 hat auch das CCC Marburg diese Art der Zertifizierung erfolgreich absolviert. Hierbei konnte auf die Erfahrungen des mittlerweile rezertifizierten Brustzentrums zurückgegriffen werden. Zentrale Strukturen wie z. B. die Dokumentation, die Organisation und Durchführung der Tumorkolloquien, das Fortbildungsmanagement und die interdisziplinäre ambulante Chemotherapie sind dem CCC zugeordnet und mit diesem auditiert und zertifiziert worden. Lediglich für das Brustzentrum spezifische Strukturen werden in seinem Kontext gesondert geprüft. Durch diese modulare Vorgehensweise ist es möglich, auch weitere Substrukturen, wie etwa das Darmzentrum oder die Kopf-Hals- Karzinom-Gruppe, entsprechend gesondert zu zertifizieren. in niedrigen Stadien, für die eindeutige Leitlinien mit hohem Evidenzgrad existieren, werden nicht primär im Tumorkolloquium besprochen, die Diagnostik und Therapie dieser Fälle wird jedoch auf ihre Leitlinienkonformität überprüft und Abweichungen dokumentiert, ausgewertet und zurückgemeldet. Patientenfluss Einige der neuen Zentren haben interdis zipli nä re Tumorambulanzen etabliert. Hier soll der Patient bereits vor jedweder Diagnostik und Therapie von einem interdisziplinären Expertenteam gesehen werden. Durch die Spezialisierung der Ambulanzen auf kolorektale Tumoren, Brust-, Haut- oder Dünndarm tumoren entsteht jedoch ein enormer personeller Aufwand, der darin münden kann, dass einige Patienten z. B. doch nur vom Gastroenterologen gesehen werden. Andre Zentren, so auch Marburg, setzten vielmehr auf die etablierten Strukturen der Kliniken zur ersten Diagnostik und danach erfolgender Vorstellung in den jeweiligen, personell und interdisziplinär sehr viel besser besetzten Tumorkonferenzen. Gleichzeitig beaufsichtigt und kontrolliert ein Lotse, un- Zu einem erfolgreichen Qualitätsmanagementsystem gehört die regelmäßige Überprüfung der Strukturen in entsprechenden PDCA-Zyklen (Plan, Do, Control, Act), z. B. die regelmäßige Kontrolle der Einhaltung der Empfehlungen des Tumorkolloquiums. In Marburg werden mehr als 95 Prozent der Empfehlungen eingehalten, bei den übrigen wird eruiert, warum die Empfehlung nicht eingehalten wurde, und das Ergebnis an die entsprechende Klinik zurückgespiegelt. Erkrankungen, wie das Kolorektale Karzinom Abb. 1: Patientenfluss im CCC Marburg und zentrale Kontrollstruktur (Central Registration CCC) 44
terstützt durch die Abbildung des Workflows im Klinikinformationssystem (KIS), den Lauf des Patienten durch das CCC und die spätere Weiterbehandlung beim Niedergelassenen (Abb. 1). Lehre im CCC Zu den Aufgaben eines CCC gehört auch die Ausbildung von Studenten, zumal die bestehenden Zentren aus universitären Strukturen erwachsen sind. Einige erfüllen diese Anforderung durch das bereits bestehende Curriculum, andere Zentren haben spezielle onkologische Curricula entwickelt. In Marburg existiert ein solches onkologisches Curriculum, in das sich zunächst zehn besonders interessierte Studierende, nach einer schriftlichen Bewerbung und einem Auswahlgespräch, einschreiben können. Die Studierenden werden in speziellen Veranstaltungen, die sie selber thematisch ausarbeiten und durchführen, von Dozenten unterstützt und ausgebildet. Im Rahmen der Ausbildung werden auch Auslandsaufenthalte an CCCs und Forschungsinstituten organisiert. Insgesamt ist aber die spezielle curriculare Ausbildung in Deutschland sehr uneinheitlich. Tumordokumentation Durch die in jedem Bundesland unterschiedlichen Krebsregistergesetze ist auch die Dokumentation der Tumorerkrankungen sehr unterschiedlich. Neben der stark variierenden Erfassungsrate ist auch die Flächendeckung sowie die Finanzierung uneinheitlich. Die sich entwickelnden CCCs in Deutschland haben, wenn sie nicht Anschluss an ein Tumorzentrum haben bzw. aus einem solchen entstanden sind, Bestrebungen, ein klinisches Krebsregister aufzubauen. Jedoch erfolgt nicht in allen Fällen eine Meldung an eine übergeordnete Stelle, z. B. ein epidemiologisches Krebsregister. Mittlerweile haben sich Vertreter der CCCs und der ADT zusammengefunden, um eine einheitliche Basis zur Dokumentation zu etablieren. Hierfür wird derzeit die Basisdokumentation für Tumorerkrankungen der ADT in Kooperation mit den CCCs überarbeitet, damit können die erhobenen Daten dann miteinander verglichen werden. Leitlinienentwicklung An allen deutschen CCCs werden Leitlinien entwickelt. Zumeist koordiniert durch interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppen, aber auch als einfache Zusammenfassung durch einzelne Experten. Die Qualität der Leitlinien variiert somit stark und kann nicht als Ersatz für die Leitlinien etwa der DKG und AWMF angesehen werden. Vielmehr sollten die Arbeitsgruppen in Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften allgemeingültige Leitlinien auf hohem Evidenzniveau entwickeln und lediglich die Anpassung an die lokalen Gegebenheiten als ihre Eigenentwicklung verstehen. Hierbei ist auch eine interprofessionelle Mitarbeit aller Berufsgruppen im Klinikum erforderlich. Einbindung der Grundlagenforschung Die Grundlagen- und die sogenannte translationale Forschung stehen im Mittelpunkt der Comprehensive Cancer Center. Dabei ist es jedem Zentrum überlassen, seine wissenschaftlichen Schwerpunkte zu definieren (siehe auch: www.nccn.org). Da man aber erkannt hat, dass die wesentlichen Entwicklungen der modernen onkologischen Therapieverfahren aufgrund molekularbiologischer Forschung entstanden sind, kann man diesen Aspekt nicht genügend unterstreichen. Gerade hierüber werden sich onkologische Spitzenzentren von Tumorzentren der Standardversorgung unterscheiden. An der Philipps-Universität Marburg wurde in den 80er-Jahren am Fachbereich Medizin das Institut für Molekularbiologie und Tumorforschung mit z. Zt. drei C4/W3-Lehrstühlen und mehreren C3/W2 -Professuren sowie vielen Nachwuchsgruppen gegründet (siehe auch: www.imt.uni-marburg.de). Hier sind die zentralen Einrichtungen für Techniken wie Array und Proteomik wie auch moderne funktionelle genomische Verfahren wie sh-rna-bibliothekenscreens angesiedelt und stehen für Kooperationen mit klinischen und klinisch-translationalen Arbeitsgruppen zur Verfügung. Hier wird auch das Curriculum oncologicum (s. o.) abgehalten. In letzter Zeit hat sich in der Marburger onkologischen Forschung als ein neuer Schwerpunkt auch die Leukämieforschung herausgestellt. Dies resultierte unlängst in der Bewilligung für den Bau eines Carreras Leukämie Centrums. Hier sollen nicht nur Patienten der Regel- und Maximalversorgung, sondern auch ähnlich wie am NCI Patienten für Phase-I/II- Studien therapiert werden. Dies geschieht selbstverständlich in engster Abstimmung mit dem ebenfalls am Fachbereich angesiedelten Koordinierungszentrum für Klinische Studien (KKS, siehe auch: www.kks-mr.de). Fazit Einigkeit besteht darin, dass die Versorgung der Patienten einheitlich auf höchstem Niveau etabliert werden muss. Hierzu sind interdisziplinäre Tumorkonferenzen nötig, in denen möglichst alle Tumorpatienten besprochen werden sollen. Dabei ist es jedoch wichtig, sicherzustellen, dass nicht nur Spezialisten aus dem jeweiligen Fach den Patienten besprechen, sondern ebenso weitere Kolleginnen und Kollegen, die über mögliche Studien informiert sind und bereits während der Konferenz diesbezügliche Vorschläge machen können. Spezialisierte Konferenzen für die häufigsten Tumorentitäten müssen etabliert werden, genauso wie allgemeine Konferenzen, in denen auch seltenere Erkrankungen oder besonders komplizierte Fälle besprochen werden können. Weg von der Organonkologie, wo eine Abteilung oder Klinik für eine Erkrankung zuständig ist, hin zu onkologischer Therapie in interdisziplinären Organgruppen. Das impliziert jedoch auch die Abgabe von Kompetenzen. Es darf nicht möglich sein, dass jede Fachabteilung eigenständig Chemotherapien durchführt, diese müssen vielmehr in interdisziplinären, gemeinschaftlich von verschiedenen Fachabteilungen besetzten Chemotherapieambulanzen durchgeführt werden. Zukünftige Erfolge in der Forschung und Therapie werden nicht mehr individuell sein, sondern in der Gruppe erreicht werden. Die Einbindung der Grundlagenforschung in das CCC-Konzept ist von immanenter Wichtigkeit from bench to bedside, aber auch umgekehrt. Hierfür müssen Strukturen geschaffen werden wie das Carreras Leukämie Zentrum mit einer eigenen clinical trial unit und geeignete Strukturen zur Planung, Durchführung und Dokumentation von klinischen Studien, wie die bereits an einigen Standorten etablierten KKS. Nicht zuletzt muss die Förderung dieser Strukturen, z. B. durch die Deutsche Krebshilfe, nach einheitlichen und transparenten Vorgaben erfolgen und eine Überprüfung durch unabhängige Sachverständige, z. B. unter dem Dach der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft 45
für Hämatologie und Onkologie zu einer anerkannten Zertifizierung führen. Es muss also in Zukunft vor allem darum gehen, die Infrastruktur an onkologischen Zentren so umzustrukturieren, dass 1 alle Patienten zentral erfasst werden; 2 alle Patienten in multidisziplinären Besprechungen diskutiert werden, ein Therapieverfahren individuell festgelegt, dieses dokumentiert und die Einhaltung des Programms entsprechend qualitätssichernd überprüft wird; 3 Behandlungs- und Diagnostikpfade transparent multidisziplinär diskutiert und festgelegt werden; 4 die translationale Forschung durch Aufbau einer zentralen Tumor- und Serumbank gestärkt wird, da immer mehr Erkrankungen molekular definiert und diese Marker in der Nachsorge diagnostisch verwendet werden. Literatur unter www.krebsgesellschaft.de/forum Interessenkonflikt: Die Autoren versichern, dass kein Interessenkonflikt besteht, da weder finanzielle noch persönliche Beziehungen bestehen, die geeignet sind, die Inhalte des Manuskripts zu beeinflussen! Kontakt: Martin Middeke Geschäftsführer/QMB Comprehensive Cancer Center Marburg Universitätsklinikum Gießen-Marburg GmbH, Standort Marburg Baldingerstraße 35033 Marburg Tel.: 06421 28-62729 Fax: 06421 28-63161 E-Mail: middeke@med.uni-marburg.de www.ccc-marburg.de 4Dr. med. Astrid Beiglböck Koordinatorin der Medizinischen Onkologie Integration interdisziplinärer Klinik, Translation neuester Forschungsergebnisse und onkologischer Ausbildung in einem CCC Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg in der Praxis 4Prof. Dr. med. Christof von Kalle Leitung NCT 4Priv.-Doz. Dr. med. Dirk Jäger Leitung Medizinische Onkologie Dr. med. Conni Schmitz Dr. med. Martin Kluxen NCT Heidelberg Jährlich erkranken in Deutschland etwa 350 000 Menschen an Krebs. Trotz beeindruckender Fortschritte in der Aufklärung molekularer Mechanismen der Krebsentstehung und Progression hat sich die Prognose von Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren generell noch nicht entscheidend verbessert. Einige Tumorentitäten wie gastrointestinale Stromatumoren oder klarzellige Nierenkarzinome, die vor kurzer Zeit als nahezu therapierefraktär galten, sind durch den Einsatz neuer Substanzen aus der Klasse der Tyrosinkinaseinhibitoren erstmals behandelbar geworden. Diese beiden Tumorentitäten sind ein Paradebeispiel dafür, wie die Aufklärung wesentlicher Mechanismen der Tumorentstehung und rasche Translation solcher Grundlagenergebnisse in klinische Behandlungsstrategien, zu erheblichen Therapieerfolgen geführt hat. Die Entwicklung solcher und anderer neuer Wirkstoffe im Sinne einer zielgerichteten Therapie (Targeted Therapy), hat zu einer enormen Erweiterung therapeutischer Möglichkeiten in der Onkologie geführt. Neben verschiedenen bereits zugelassen Tyrosinkinasehemmern und monoklonalen Antikörpern befindet sich ein großes Spektrum von neuen Molekülen in der präklinischen Testung. Dieser Fortschritt zeigt, dass es für die Weiterentwicklung der Onkologie sehr lohnenswert sein kann, die Lücke zwischen Erkenntnisgewinn in der Grundlagenforschung und klinischer Forschung zu verkleinern. Dazu benötigen wir Strukturen, die Grundlagenforschung, klinische Forschung und Patientenversorgung systematisch miteinander verknüpfen. In den USA, Großbritannien und den skandinavischen Ländern hat man schon seit vielen Jahren umfassende (comprehensive) Versorgungskonzepte entwickelt und diese in den Comprehensive Cancer Centers umgesetzt. Die ersten CCCs wurden in den 70er-Jahren in den USA auf Initiative des National Cancer Institutes (NCI) unter Förderung durch Cancer Center Support Grants gegründet. 1997 46