Ergebnisse von Gefährdungseinschätzungsprozessen im Jugendamt ausgewählte Analysen der amtlichen 8a-Statistik Workshop im Rahmen der NZFH-Tagung Kinderschutz Handeln mit Risiko Berlin, 27.03.2014, Gudula Kaufhold 1
Forschungsvorhaben des NZFH 1. Dokumentation und Evaluation der BIFH Dokumentation des strukturellen Auf- und Ausbaus Früher Hilfen in Ländern und Kommunen (Online-Befragung, Vertiefungsstudie, Zusatzerhebung 8a, Sekundäranalysen) 2. Wirkungsforschung Hilfeprozessforschung zum Einsatz von Familienhebammen und vergleichbaren Gesundheitsberufen 3. Prävalenzstudie Lebenslagen/Belastungen von Familien mit Kindern von 0 bis 3 Jahren Inanspruchnahme und Bewertung von Unterstützungsangeboten 2
Ergebnisse von Gefährdungseinschätzungsprozessen im Jugendamt ausgewählte Analysen der amtlichen 8a-Statistik 1. 8a in der amtlichen Statistik methodische Hinweise 2. Häufigkeit und regionale Verteilung 3. Personenbezogene und lebenslagenbezogene Merkmale 4. Initiatoren von Gefährdungseinschätzungen 5. Schnittstellen zu Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe 6. Ergebnisse der Verfahren 7. Zusammenfassung der Ergebnisse 3
1. 8a in der amtlichen Statistik methodische Hinweise 4
Welche im Jugendamt eingehende KWG-Meldung wird zu einer statistikrelevanten Gefährdungseinschätzung? Jede abgeschlossene Gefährdungseinschätzung, für die gewichtige Anhaltspunkte für eine KWG vorliegen, die Einschätzung des Gefährdungsrisikos im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte erfolgt ist. (d. h. Mehrfachmeldungen innerhalb eines Jahres sind möglich, jedes Kind einer Familie ist getrennt zu melden) Es meldet grundsätzlich das Jugendamt, welches eine Gefährdungseinschätzung durchgeführt hat unabhängig davon, wo sich die Gefährdungssituation ereignet hat. 5
2. Häufigkeit und regionale Verteilung 6
Gefährdungseinschätzungen der Jugendämter im Vergleich zur Anzahl der Hilfen zur Erziehung (wegen Kindeswohlgefährdung) und der Inobhutnahmen (Deutschland; 2012; Anzahl absolut) Hilfen zur Erziehung ( 27)*** wegen einer Kindeswohlgefährdung 39.128 (7,6%) Hilfen zur Erziehung ( 27)*** insgesamt 514.305 Inobhutnahmen ( 42) wg. Vernachlässigung, Misshandlung** 9.178 (22,8%) Inobhutnahmen ( 42) insg. Gefährdungseinschätzungen ( 8a)* mit d. Ergebnis (latente) Kindeswohlgefährdung 40.227 38.283 (35,9%) Gefährdungseinschätzungen ( 8a)* insg. 106.623 0 200.000 400.000 600.000 * bei diesen Angaben sind Missbrauchsfälle mit enthalten, Doppelnennungen können nicht herausgerechnet werden; ** ohne die begonnenen Hilfen aufgrund eines vorangegangenen Zuständigkeitswechsels. 7
Gefährdungseinschätzungen der Jugendämter nach Bundesländern (ohne Hamburg) (2012; Angaben pro 10.000 der unter 18-Jährigen*) * Bei den Ergebnissen zur Bevölkerung wird auf die Fortschreibung zum 31.12. auf Basis der Volkszählungsergebnisse aus dem Jahre 1987 zurückgegriffen. 8
3. Personenbezogene und lebenslagenbezogene Merkmale 9
10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 Altersverteilung bei den Gefährdungseinschätzungen durch die Jugendämter (Deutschland; 2012; Angaben in %, N=106.623) 9,5 0-1 7,8 1-2 7,5 7,3 2-3 3-4 6,9 4-5 6,2 6,1 5-6 6-7 5,7 7-8 5,2 5,0 4,8 4,5 4,5 4,6 4,5 8-9 9-10 10-11 Alter von... bis unter... Jahre(n) Jede vierte Gefährdungseinschätzung wird bei Kindern im Alter von unter 3 Jahren durchgeführt, jede fünfte bei 3- bis unter 6-Jährigen. Mit zunehmendem Alter werden Gefährdungseinschätzungen seltener, aber: Kinderschutz bezieht sich keineswegs nur auf die Kleinen, sondern auch bei Jugendlichen muss nach deren 10 Schutzbedürfnis geschaut werden. 11-12 12-13 13-14 14-15 4,1 15-16 3,4 16-17 2,5 17-18
Aufenthaltsort zum Zeitpunkt der Gefährdungseinschätzung (Deutschland; 2012; Angaben in %, N = 106.623) bei den Eltern 43,1 12,0 1,8 0,8 0,9 1,6 0,9 bei einem allein erziehenden Elternteil bei einem Elternteil mit neuem/-r Partner/-in bei den Großeltern/ Verwandten bei einer sonstigen Person in einer Pflegefamilie 39,0 in einer stationären Einrichtung sonstiger Aufenthaltsort 11
Anteil der Gefährdungseinschätzungen, die sich auf Kinder in Alleinerziehenden- Familien beziehen, nach Bundesländern (2012; Anteile in %) Thüringen Schleswig-Holstein Sachsen-Anhalt Sachsen Saarland Rheinland-Pfalz Nordrhein-Westfalen Niedersachsen Mecklenburg- Hessen Hamburg Bremen Brandenburg Berlin Bayern Baden-Württemberg Deutschland k.a. 36 38 40 42 42 43 48 49 50 49 45 47 41 41 43 0 20 40 60 52 12
Gefährdungseinschätzungen der Jugendämter bei unter 1-Jährigen nach dem Alter der Mutter (Deutschland; 2012; Angaben in %; n=9.643) 3,1 55,2 36,9 4,7 0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0 100,0 Mutter unter 18 Jahre Mutter 27 Jahre oder älter Mutter verstorben Mutter 18 bis unter 27 Jahre Mutter unbekannt 13
4. Initiatoren der Verfahren 14
Gefährdungseinschätzungen nach der bekannt machenden Institution oder Person (Deutschland und Berlin; 2012; Angaben in %, N = 106.623 und N=8.791 ) Bekannt machende Institution oder Person Deutschland (Anteile in %) Berlin (Anteile in %) Polizei/Gericht/Staatsanwaltschaft 17,2 26,0 Bekannte/Nachbarn 14,2 9,1 Anonyme/r Melder/in 11,1 9,7 Schule 9,1 10,3 Hebamme/Arzt/Klinik/Gesundheitsamt u.ä. 7,5 6,6 Eltern(-teil)/Personensorgeberechtigte/r 7,4 7,2 Sonstige 6,9 5,6 Verwandte 6,3 4,0 Sozialer Dienst/Jugendamt 5,7 6,4 Andere/-r Einrichtung/ Dienst der Erziehungshilfe 4,4 4,3 Kindertageseinrichtung/-pflegeperson 3,8 2,7 Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe 3,0 3,0 Minderjährige/r selbst 2,3 3,4 Beratungsstelle 1,1 1,7 15
Verteilung der Verfahren zur Gefährdungseinschätzung nach Meldergruppen (Deutschland; 2012; Angaben in %, N = 106.623) 16
Gefährdungseinschätzungen auf Initiative des Gesundheitswesens (Ländervergleich; 2012; Angaben in%) 30 25 24,5 20 15 10 5 7,5 6,1 11,1 5,9 10,2 6,8 6,8 7,2 8,9 6,6 5,5 6,4 7 7,4 7,9 0 17
Bekannt machenden Institution oder Person mit anteilig den meisten Meldungen in den Bundesländern (2012) Bekannt machende Institution oder Person Polizei/Gericht/Staatsanwaltschaft Bekannte/Nachbarn Anonyme/r Melder/in Hebamme/Arzt/Klinik/ Gesundheitsamt u.ä. Dienste Bundesländer Berlin (26%), Bremen (23%), Saarland (21%), Nordrhein- W. (20%), Bayern (17%), Hessen (17%) Niedersachsen (17%), Rheinland-Pfalz (17%), Baden- Württemberg (17%) Sachsen-Anhalt (22%), Mecklenburg-Vorpommern (21%), Thüringen (18%), Brandenburg (16%), Sachsen (15%) Schleswig-Holstein (25%) In 6 Bundesländern kommen anteilig die meisten Meldungen von Polizei/Gericht/Staatsanwaltschaft. In 5 Bundesländern sind es mehrheitlich anonyme Meldungen, in 3 Bundesländern Bekannte bzw. Nachbarn. In 1 Bundesland kommen die meisten Meldungen aus dem Gesundheitswesen. 18
Altersverteilung bei ausgewählten Institutionen/Personen für eine Gefährdungseinschätzung (Deutschland; 2012; Angaben in %) 19
5. Schnittstellen zu Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe 20
Inanspruchnahme von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zum Zeitpunkt der Gefährdungseinschätzung (Deutschland; 2012; Verteilung in %, N=106.623) 0,4 Gemeinsame Wohnformen für Mütter m. Kindern ( 19) Eingliederungshilfen ( 35a) 0,5 Anteil i n% 1,7 2,8 15,0 18,2 Familienersetzende Hilfen zur Erziehung Vorläufige Schutzmaßnahmen Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie und Beratungsleistungen (Unterstützung nach 16-18 SGB VIII) Ambulante/teilstationäre Hilfen zur Erziehung 63,2 0,0 20,0 40,0 60,0 80,0 Keine der vorgenannten Leistung wurde in Anspruch genommen 21
Inanspruchnahme von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe bei Gefährdungseinschätzung mit einer festgestellten Kindeswohlgefährdung (Deutschland; 2012; Verteilung in %, N = 16.875) 1,5 Gemeinsame Wohnformen für Mütter m. Kindern ( 19) Eingliederungshilfen ( 35a) 1,0 Anteil i n% 3,4 9,4 13,8 30,9 Familienersetzende Hilfen zur Erziehung Vorläufige Schutzmaßnahmen Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie und Beratungsleistungen (Unterstützung nach 16-18 SGB VIII) Ambulante/teilstationäre Hilfen zur Erziehung 43,6 0,0 20,0 40,0 60,0 Keine der vorgenannten Leistung wurde in Anspruch genommen 22
6. Ergebnisse der Verfahren 23
Bewertung der Gefährdungseinschätzungen durch die Jugendämter (Deutschland; 2012; Verteilung in %, N = 106.632) 16 32 Akute Kindeswohlgefährdung Latente Kindeswohlgefährdung 20 Keine Kindeswohlgefährdung, aber Hilfebedarf Keine Kindeswohlgefährdung und kein (weiterer) Hilfebedarf 32 24
Bewertung der Gefährdungseinschätzungen durch die Jugendämter (Flächenländer sowie Deutschland insgesamt; 2012; Verteilung in %) Akute KWG* (%) Latente KWG (%) Hilfe- und Unterstützungs bedarf (%) Weder KWG noch Hilfe- u. Unterstützungs bedarf (%) Fallzahlen Schleswig-H. 13,5 11,5 28,1 46,9 3.590 Niedersachsen 15,3 18,8 33,0 33,0 5.848 Nordrhein-W. 14,0 17,5 30,9 37,7 28.075 Hessen 14,0 13,5 36,5 35,9 7.161 Rheinland-Pfalz 14,1 22,7 33,9 29,3 5.590 Baden-Württemberg 15,6 20,4 34,0 30,0 9.630 Bayern 19,2 23,8 31,0 26,1 14.755 Saarland 11,2 16,9 34,9 37,0 1.436 Brandenburg 17,8 17,4 27,5 37,4 4.438 Mecklenburg-V. 15,9 15,3 35,0 33,8 3.625 Sachsen 20,4 25,7 26,6 27,4 6.055 Sachsen-Anhalt 16,2 14,6 30,4 38,8 2.315 Thüringen 13,6 16,8 44,6 25,0 3.298 Deutschland 15,8 20,1 31,8 32,3 106.623 25
Bewertung der Gefährdungseinschätzungen durch die Jugendämter (Berlin und Bremen sowie Deutschland insgesamt; 2012; Verteilung in %) Akute KWG* (%) Latente KWG (%) Hilfe- und Unterstützungs bedarf (%) Weder KWG noch Hilfe- u. Unterstützungs bedarf (%) Fallzahlen Berlin 18 32 27 23 8.791 Bremen 14 23 38 25 2.016 Deutschland 16 20 32 32 106.623 26
Ergebnisse der Gefährdungseinschätzungen auf Initiative des Gesundheitswesens nach Alter des Kindes (Deutschland; 2012; Angaben in %; n=7.976) Altersangaben in Jahren 14-18 48,1 51,9 10-14 46,2 53,8 6-10 33,9 66,1 3-6 24,3 75,7 1-3 34,9 65,1 unter 1 45,4 54,6 Insgesamt 37,5 62,5 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 akute oder latente KWG keine KWG (aber vielleicht Hilfebedarf) 27
Art der Kindeswohlgefährdung (Deutschland; 2012; N=106.623) Akute KWG (16.875) 6,6 Latente KWG 3,8 27,8 63,5 Vernachlässigung körperl. Misshandl. psych. Misshandl. 24,0 sexuelle Gewalt 18,9 68,3 29,6 28
Art der Kindeswohlgefährdung aus dem Gesundheitswesen (Deutschland; 2012) Akute KWG (n=1.474) Latente KWG (n=1.520) 2,6 20,4 5,0 Vernachlässigung 16,3 30,3 65,3 körperl. Missh. psych. Missh. sexuelle Gewalt 17,6 74,9 29
Ergebnisse der Gefährdungseinschätzungen mit Blick auf neu eingerichtete Hilfen (Deutschland; 2012; Angaben in %, Mehrfachnennungen möglich) Akute KWG (N=16.875) Latente KWG (N=21.408) Hilfebedarf (N=33.884) Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie und Beratungsleistungen 10,1 21,0 24,3 Gemeinsame Wohnformen für Mütter m. Kindern ( 19) 1,4 0,5 0,2 Erziehungsberatung 4,3 6,5 8,7 Ambulante/teilstationäre Hilfen zur Erziehung Familienersetzende Hilfen zur Erziehung 24,7 31,7 24,7 15,3 5,2 2,6 Eingliederungshilfen ( 35a) 0,5 0,3 0,4 Vorläufige Schutzmaßnahmen 27,9 4,1 1,2 Kinder- und Jugendpsychiatrie 3,7 2,6 1,6 Keine neu eingerichtete Hilfe, keine der vorgenannten Leistungen 21,4 33,4 39,7 Anrufung des Familiengerichts 30,1 12,6 2,8 30
Zusammenfassung der Ergebnisse: Verfahren zur Gefährdungseinschätzung betreffen weniger als 1% der unter 18- Jährigen. Ein Drittel dieser Verfahren endet mit der Feststellung einer akuten oder latenten KWG, in einem weiteren Drittel wird ein Hilfebedarf festgestellt, ein weiteres Drittel war weder KWG, noch Hilfebedarf. Unter den Kindeswohlgefährdungen nehmen die Vernachlässigungen den höchsten Anteil ein. Der Feststellung einer KWG folgt am häufigsten eine ambulante oder teilstationäre HzE bzw. die Anrufung des Familiengerichts. Familien mit unter dreijährigen Kindern, Alleinerziehende und minderjährige Mütter sind in diesen Verfahren überrepräsentiert. 31
Zusammenfassung der Ergebnisse: Der größte Teil der Verfahren wird von Menschen initiiert, die in Ausübung ihres Berufes mit (vermuteten) Kindeswohlgefährdungen zu tun haben. Privatpersonen lösen 1/3 der Verfahren aus, Betroffene selbst 10%. Ambulante und teilstationäre HzE arbeiten mehr als alle anderen HzE- Leistungen im Grenzbereich zwischen erzieherischem Bedarf und Schutzauftrag. Das Gesundheitswesen spielt als Initiator des 8a-Verfahrens eine besondere Rolle, weil es mehr als alle anderen Berufsgruppen die ganz kleinen Kinder im Blick hat und dabei akute oder latente Kindeswohlgefährdungen häufiger bestätigt werden, als in anderen Alters- oder Meldergruppen. Insofern leistet das Gesundheitswesen bei Kindern unter drei Jahren einen substantiellen Beitrag zum institutionellen Kinderschutz. 32
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Gudula Kaufhold Wissenschaftliche Referentin im DJI Projekt: Nationales Zentrum Frühe Hilfen Dienstort: Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik im Forschungsverbund DJI/ TU Dortmund E-Mail: gkaufhold@dji.de 33