Thema Nr. 5: Versicherungsentscheidungen. Sicht der Prospect Theorie



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Transkript:

Thema Nr. 5: Versicherungsentscheidungen der Nachfrager aus Sicht der Prospect Theorie Seminararbeit eingereicht bei Prof. Dr. Klaus Peter Kaas Lehrstuhl für Marketing I, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Betreuer: Dipl.-Kfm. Markus Guthier von cand. rer. pol. Anne Engel anne-engel@arcor.de Studienrichtung: BWL 12. Fachsemester

- II - Inhaltsverzeichnis 1 Problemstellung...1 2 Prospect Theorie...2 2.1 Einordnung der Prospect Theorie in einen entscheidungstheoretischen Rahmen...2 2.2 Darstellung der Prospect Theorie in ihrer ursprünglichen Form...3 2.2.1 Überblick...3 2.2.2 Editierphase...4 2.2.3 Wertefunktion...5 2.2.4 Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion...6 2.2.5 Bewertung...7 3 Relevanz der Prospect Theorie für die Versicherungswissenschaft...8 3.1 Einleitung...8 3.2 Anwendbarkeit der Prospect Theorie auf Versicherungsentscheidungen...9 3.2.1 Framing...9 3.2.2 Wertefunktion...12 3.2.3 Wahrscheinlichkeitsgewichtung...13 4 Grenzen der Prospect Theorie und eine differenzierte Betrachtung...14 5 Zusammenfassung...15 Literaturverzeichnis...17

- 1-1 Problemstellung In der deutschen Versicherungswissenschaft wurde bezüglich des Entscheidungsverhaltens der Versicherungsnehmer lange der Blickpunkt ausschließlich auf die normative Entscheidungstheorie gerichtet. 1 Dies wurde unter anderem damit begründet, dass es keine Alternative zum Postulat rationalen Verhaltens 2 gäbe, da ansonsten eine Auswahl aus einer der vielfältigen Spielarten der Unvernunft 3 getroffen werden müsse und dies dann völlig willkürlich geschehe. Für den Versicherungsnehmer stellt die Entscheidung, welche Versicherung er wählen soll dabei ein komplexes Kalkül dar und es gibt zahlreiche empirische Beobachtungen, welche darlegen, wie Entscheider konsequent gegen die Axiome rationalen Verhaltens und damit gegen die grundlegenden Verhaltensparadigma der Erwartungsnutzentheorie verstoßen. 4 Die von Kahneman/Tversky (1979) entwickelte Prospect Theorie versteht sich als eine Alternative zur Erwartungsnutzentheorie und damit zur normativen Entscheidungstheorie. Sie greift die Kritik auf, dass mit der Erwartungsnutzentheorie reales Entscheidungsverhalten bei Risiko nicht zu begründen ist und stellt einen Ansatz zur Erklärung eben dieses beobachteten Verhaltens von Individuen dar. 5 Das Ziel dieser Seminararbeit ist es, das Entscheidungsverhalten von Versicherungsnehmern vor dem Hintergrund der Prospect Theorie zu analysieren. Dabei soll insbesondere darauf eingegangen werden, wie die unterschiedliche Darstellung von Entscheidungsalternativen und die unterschiedliche Wahrnehmung von Risiken die Versicherungsentscheidungen der Konsumenten beeinflussen. Des Weiteren sollen die einzelnen Elemente der Prospect Theorie kritisch betrachtet und gezeigt werden in welchem Maße ebenfalls die Prospect Theorie an die Grenzen der Beschreibung realen Entscheidungsverhaltens stößt. Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: In Kapitel 2 wird zunächst die Prospect Theorie in der von Kahneman/Tversky (1979) entwickelten Form erläutert und in einen entscheidungstheoretischen Rahmen gebracht. In Kapitel 3 wird näher auf die Relevanz der Prospect Theorie für das Entscheidungsverhalten von Versicherungsnehmern eingegangen. Eine kritische Betrach- 1 Vgl. Theil (2002), S. 13. 2 Karten (1978), S.314. 3 Karten (1978), S.314. 4 Vgl. bspw. Johnson et al. (1993), p. 39.

- 2 - tung, sowie eine Beschreibung der Grenzen der Prospect Theorie bei der Begründung realen Entscheidungsverhaltens folgt in Kapitel 4. Kapitel 5 schließt mit einer Zusammenfassung der Arbeit. 2 Prospect Theorie 2.1 Einordnung der Prospect Theorie in einen entscheidungstheoretischen Rahmen Die Entscheidungstheorie befasst sich mit der logischen und empirischen Analyse des Entscheidungsverhaltens von Individuen und Gruppen. 6 Es wird innerhalb der Entscheidungstheorie zwischen zwei verschiedenen Forschungsrichtungen unterschieden: Der deskriptiven Entscheidungstheorie, deren Ziel es ist zu beschreiben, wie in der Realität Entscheidungen getroffen werden und Erklärungsansätze für das beobachtete Entscheidungsverhalten zu entwickeln und der normativen (präskriptiven) Entscheidungstheorie, welche Aussagen darüber trifft, wie Entscheidungen rational gefällt werden sollten und anhand von Entscheidungsmodellen Hilfestellung bei der Entscheidungsfindung leistet. 7 Bis zum Zeitpunkt der Entwicklung der Prospect Theorie Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts in den USA und auch heute noch überwiegend in Deutschland - dominiert die Erwartungsnutzentheorie und damit die normative Entscheidungstheorie die Analyse des Entscheidungsverhaltens bei Risiko. 8 Die Prospect Theorie wurde aus Kritikpunkten an der Erwartungsnutzentheorie heraus entwickelt und aus dem Gedanken heraus, ein Modell zu konstruieren, welches das in der Realität beobachtete Verhalten der Entscheidungsträger unter Risiko begründen kann. 9 Einige wichtige Arbeiten, die der von Kahneman/Tversky (1979) vorangehen, sind die von Allais (1953), sowie Markowitz (1952) und Slovic et al. (1977). Allais stellt 1953 in empirischen Untersuchungen fest, dass sich die Präferenzen seiner Versuchspersonen bezüglich zweier Lotterien umkehren, wenn diese jeweils durch die gleiche Lotterie ergänzt werden und dabei der sichere Gewinn durch einen wahrscheinlichen ersetzt wird. Folglich wird eine sichere Alternative einer unsicheren vorgezogen, obwohl beide einen 5 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 263. 6 Vgl. Bamberg/Coenenberg (2004), S. 1. 7 Vgl. Laux (2003), S. 2. 8 Vgl. Theil (2002), S. 9. 9 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 263.

- 3 - identischen Nutzenerwartungswert aufweisen. Dieses Ergebnis verstößt jedoch gegen das Unabhängigkeitsaxiom der Erwartungsnutzentheorie und ist als Allais-Paradoxon bekannt. 10 Markowitz (1952) stellt in seiner Arbeit Überlegungen zum Verlauf der Nutzenfunktion an, welche später in der Prospect Theorie bezüglich der Wertefunktion wieder aufgegriffen werden. 11 Slovic et al. (1977) zeigen in empirischen Untersuchungen auf, dass Versicherungsnehmer sich bevorzugt gegen Risiken versichern, die eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit und eine relativ geringe Schadenshöhe aufweisen und dagegen seltener Versicherungen gegen Risiken mit einer niedrigen Eintrittswahrscheinlichkeit und einem hohem Schadensausmaß abschließen. 12 Gemäß der Erwartungsnutzentheorie sollte ein risikoaverser Versicherungsnehmer jedoch eine Versicherung gegen hohe Schäden, die mit geringer Wahrscheinlichkeit auftreten bevorzugen. Die Prospect Theorie reiht sich folglich in eine Serie von Arbeiten ein, die Kritik an der Erwartungsnutzentheorie und deren Axiomen rationalen Verhaltens herausstellen und in eine Forschungslinie, welche zum Ziel hat, eine deskriptive Entscheidungstheorie zu entwickeln, die das real beobachtete Entscheidungsverhalten von Individuen erklären kann. Kahneman und Tversky tragen mit der Entwicklung der Prospect Theorie dazu bei, die Entscheidungstheorie um einen wesentlichen Punkt zu bereichern und die verhaltenswissenschaftliche Forschung voranzutreiben. 13 2.2 Darstellung der Prospect Theorie in ihrer ursprünglichen Form 2.2.1 Überblick In der Prospect Theorie werden zwei Phasen des Entscheidungsprozesses unterschieden: Eine vorgelagerte Phase der Editierung und des Framing, gefolgt von einer Phase der Bewertung. Die Phase der Editierung besteht im Wesentlichen aus einer Analyse der zur Auswahl stehenden Entscheidungsalternativen und anschließenden Vereinfachung des Entscheidungsproblems. Die Analyse der Alternativen geschieht dabei relativ zu einem Referenzpunkt, der individuell und je nach Art des Entscheidungsproblems festgelegt wird. In der Bewertungsphase 10 Vgl. Jungermann/Pfister/Fischer (1998), S. 206. 11 Vgl. Markowitz (1952), p. 154. 12 Vgl. Slovic et al. (1977), p. 237. 13 Vgl. Laibson/Zeckhauser (1998), p. 19.

- 4 - werden die in der ersten Phase aufbereiteten Alternativen mittels einer Wertefunktion v ( x) beurteilt und die Alternative mit dem höchsten Wert gewählt. 14 2.2.2 Editierphase Die Editierung wird mit dem Ziel vorgenommen, die gegebenen Entscheidungsalternativen so anzuordnen und zu beschreiben, dass die nachfolgende Bewertung und Wahl der Alternative möglichst einfach durchgeführt werden kann. 15 Dabei gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen, die seitens des Entscheiders vorgenommen werden können, um die Ergebnisse und die zugehörigen Wahrscheinlichkeiten zu transformieren. Im Folgenden werden diese näher erläutert. 16 Kodierung: Sollen die Konsequenzen einer Alternative bewertet werden, geschieht dies relativ zu einem Referenzpunkt. Gewinne werden dabei als positive Abweichungen und Verluste als negative Abweichungen von eben diesem Referenzpunkt wahrgenommen. Der Referenzpunkt stimmt üblicherweise mit der gegenwärtigen Vermögensposition überein, seine Lage kann jedoch von der Formulierung der erwarteten Ergebnisse und von den Erwartungen des Entscheiders beeinflusst werden. Kombination: Hier findet eine Vereinfachung der Vielfalt der Entscheidungsalternativen statt, indem die Wahrscheinlichkeiten von identischen Ergebnissen addiert werden. Beispielsweise werden die Alternativen (200, 0,25; 200, 0,25) auf diese Weise zu (200, 0,5) reduziert und in dieser Form evaluiert. Segregation: Enthält eine Entscheidungsalternative eine sichere Komponente, wird diese in der Editierungsphase von der riskanten Komponente getrennt. Die Alternative (300, 0,8; 200, 0,2) wird dabei beispielsweise in einen sicheren Gewinn von 200 und eine riskante Alternative der Form (100, 0,8) aufgeteilt. Streichung: Um die Wahl zwischen Alternativen zu vereinfachen, lassen Individuen bei der Entscheidungsfindung gemeinsame Komponenten von Alternativen bei der Betrachtung außer Acht und konzentrieren sich auf die Elemente, welche die Alternativen voneinander unterscheiden. Dieser Effekt wird als Isolationseffekt bezeichnet. 14 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 274. 15 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 274. 16 Vgl. im Folgenden Kahneman/ Tversky (1979), p. 274.

- 5 - Aus dem Isolationseffekt folgt für den Entscheidungsprozess, dass bei der Wahl zwischen zwei Alternativen jeweils identische Komponenten nicht berücksichtigt werden. Vereinfachung: Individuen vereinfachen Entscheidungsalternativen und damit den Entscheidungsprozess, indem sie Wahrscheinlichkeiten oder mögliche Ergebnisse runden. Die Alternative (101, 0,49) wird folglich zu (100, 0,5) transformiert. Eine besondere Form der Vereinfachung ist dabei das Verwerfen äußerst unwahrscheinlicher Ergebnisse. Erkennung von Dominanz: Die sich anbietenden Alternativen werden daraufhin analysiert, ob sich dominierte Alternativen unter ihnen befinden. Werden Alternativen als von anderen dominiert erkannt, folgt deren unmittelbare Eliminierung ohne eine weitere Bewertung vorzunehmen. Diese erste Phase der Editierung wird durch die Art und Weise der Darstellung des Entscheidungsproblems, aber auch durch Gewohnheiten, Normen und Erwartungen des Entscheiders beeinflusst. 17 Tversky/Kahneman (1986) heben eigens hervor, dass die Einbeziehung von psychologischen Betrachtungen die Analyse von Entscheidungsverhalten bei Risiko bereichert, jedoch auch komplexer gestaltet. So gibt es zwar ausreichend empirische Untersuchungen, um die einzelnen Effekte des Framing zu belegen und ihre Auswirkungen auf den Entscheidungsprozess zu beschreiben, es konnte allerdings keine formale Theorie entwickelt werden, die allgemeingültige Aussagen bezüglich Reihenfolge oder Relevanz von bestimmten Transformationen in entsprechenden Situationen machen kann. 18 2.2.3 Wertefunktion Die Wertefunktion, wie sie in der Prospect Theorie beschrieben wird, baut auf den Überlegungen von Markowitz (1952) auf, welcher vorschlug, den Nutzen vielmehr in Gewinnen bzw. Verlusten auszudrücken, als in Endvermögenspositionen. 19 Die Wertefunktion v(x) ordnet demnach jedem Ergebnis x einer Alternative einen bestimmten Wert zu, wobei v(x) den Wert der Abweichung von einem vorher festgelegten Referenzpunkt misst. 20 Oberhalb des 17 Vgl. Tversky/Kahneman (1986), p. 257. 18 Vgl. Tversky/Kahneman (1986), p. 273. 19 Vgl. Markowitz (1952), p. 154. 20 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 275.

- 6 - Referenzpunktes, im Bereich positiver Abweichungen, verläuft die Wertefunktion konkav, unterhalb des Referenzpunktes, bei negativen Abweichungen, hingegen konvex. Diese Festlegung beruht auf empirischen Beobachtungen, dass Individuen in Bezug auf Gewinnchancen eher das Risiko scheuen, entsprechend bei Verlusten jedoch risikofreudiges Verhalten aufweisen. 21 Die Wertefunktion nimmt damit einen S-förmigen Verlauf an. Der Verlauf der Wertefunktion impliziert auch einen abnehmenden Grenzeffekt im positiven sowie im negativen Bereich. D.h. der Unterschied zwischen kleinen Verlusthöhen wird von den Konsumenten stärker wahrgenommen, als ein solcher zwischen großen Verlusthöhen. Eine weitere wichtige Eigenschaft ist, dass Verluste stärker gewichtet werden als Gewinne. Diese Überlegung baut auf empirischen Beobachtungen bezüglich symmetrischer Wetten auf. Symmetrische Wetten der Form (x, 0,5; -x, 0,5) werden dabei von Probanden regelmäßig als unattraktiv eingestuft. 22 Daraus resultiert, dass die Wertefunktion für Verluste steiler als für Gewinne verläuft. Dieser Effekt der stärkeren Reaktion auf Verluste wird bei Tversky/Kahneman (1986) als Verlustaversion dargestellt. 23 2.2.4 Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion Gemäß der Prospect Theorie wird der Wert jedes möglichen Ergebnisses mit einem Entscheidungsgewicht π ( p) multipliziert. Das Entscheidungsgewicht wird dabei subjektiv von den Entscheidern bei der Wahl zwischen Alternativen bestimmt. 24 Die Entscheidungsgewichte entsprechen nicht Wahrscheinlichkeiten, das heißt, sie erfüllen nicht das von Kolmogorov definierte Axiomensystem in der Weise, dass sich die Entscheidungsgewichte zu 1 addieren müssen. 25 Die Entscheidungsgewichte sollen daher nicht als Maßzahlen für die Möglichkeit des Eintretens von Ereignissen interpretiert, sondern vielmehr als Maß dafür gesehen werden, wie stark Individuen Änderungen der Wahrscheinlichkeiten gewichten, bzw., ob sie Unterschiede in den Wahrscheinlichkeiten überhaupt wahrnehmen. Die Entscheidungsgewichtungsfunktion lässt sich folgendermaßen beschreiben: π ( p) ist eine monoton steigende Funktion, mit π () 0 = 0, d.h. Ergebnisse, die sich auf ein unmögliches Ereignis beziehen werden seitens 21 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 278. 22 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 279. 23 Vgl. Tversky/Kahneman (1986), p. 258. 24 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 280. 25 Vgl. Schlittgen (1998), S. 68.

- 7 - des Entscheiders verworfen. Des Weiteren wird die Skala normalisiert, so dass π () 1 = 1. 26 Aus empirischen Beobachtungen schließen Kahneman/Tversky (1979) auf folgende Eigenschaften der Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion: Für kleine Wahrscheinlichkeiten gilt: ( ) π p > p, es liegt dementsprechend eine Übergewichtung sehr kleiner Wahrscheinlichkeiten vor. Wichtig ist hierbei eine Übergewichtung der Wahrscheinlichkeiten nicht mit einer Überbewertung gleichzusetzen. Letztere bezieht sich auf die Bewertung der Wahrscheinlichkeit seltener Ereignisse, erstere auf die Wahrnehmung der Wahrscheinlichkeiten. 27 Für kleine Wahrscheinlichkeiten ist π ( p) subadditiv. Es gilt: ( rp) > rπ( p) π für 0<r<1. Obwohl festgestellt wurde, dass kleine Wahrscheinlichkeiten tendenziell übergewichtet werden, zeigen Ergebnisse, dass für alle Wahrscheinlichkeiten vielmehr gilt, dass die Entscheidungsgewichte sich einander ausschließender Ereignisse kleiner als 1 sind. Formal ausgedrückt: ( p ) + π( 1 p) < 1 π, 0 < p < 1. Diese Eigenschaft wird als subcertainty 28 bezeichnet. Die Steigung der Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion kann als Maß für die Sensibilität der Präferenzen bezüglich Änderungen der Wahrscheinlichkeiten angesehen werden. 29 oben beschriebenen Eigenschaften haben zur Folge, dass π ( p) im Intervall zwischen 0 und 1 relativ flach verläuft, jedoch an den Endpunkten Sprungstellen aufweist. Das Verhalten an den Endpunkten erklärt sich daraus, dass Individuen in ihrer Fähigkeit Wahrscheinlichkeiten immer kleinere bzw. größere Gewichte zuzuordnen begrenzt sind. Ebenso können in der Editierphase bereits Ereignisse mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit verworfen werden und Ereignisse mit einer hohen Wahrscheinlichkeit so behandelt werden als seien sie sicher. 30 Die Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion tendiert ebenso dazu unterhalb der 45 Linie zu verlaufen. Dies trägt der Eigenschaft Rechnung, dass mittlere und hohe Wahrscheinlichkeiten tendenziell untergewichtet werden. Die 2.2.5 Bewertung Letztlich trifft der Entscheider eine Auswahl aus den gegebenen Alternativen und wählt diese, die ihm den höchsten Wert generiert. Die Prospect Theorie ist in ihrer ursprünglichen Form 26 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 280. 27 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 281. 28 Kahneman/Tversky (1979), p. 281. 29 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 282. 30 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 282.

- 8 - auf einfache Entscheidungsalternativen der Form (x, p; y, q) ausgelegt. Dabei erhält ein Individuum einen Betrag x mit der Wahrscheinlichkeit p und einen Betrag y mit der Wahrscheinlichkeit q. Es gilt: p + q 1. Kahneman/Tversky (1979) unterscheiden zwischen regular prospects 31 einerseits und strictly positive prospects 32 sowie strictly negative prospects 33 andererseits. Ist (x, p; y, q) ein regular prospect, d.h. wenn entweder p + q < 1 oder x 0 y oder x 0 y gilt, dann wird der Wert dieser Handlungsalternative folgendermaßen beschrieben: (1) V( x,p; y,q) = π( p) v( x) + π( q) v( y) Die Bewertung von strictly negative und strictly positive prospects wird auf andere Art und Weise vorgenommen. In der Editierphase wird die Alternative in eine sichere und eine riskante Komponente getrennt. 34 Es gilt: p + q = 1 und entweder x > y > 0 oder x < y < 0. Der Wert der Alternative wird dann wie folgt dargestellt: (2) V( x,p; y,q) = v( y) + π( p) [ v( x) v( y) ] Das Entscheidungsgewicht wird hier auf die Wertdifferenz der Ergebnisse der riskanten Komponente angewandt, jedoch nicht auf die risikolose Komponente. 3 Relevanz der Prospect Theorie für die Versicherungswissenschaft 3.1 Einleitung Das Wesen der Versicherung besteht zum einen aus dem Element des Risikotransfers seitens des Versicherungsnehmers und zum anderen aus der Transformation von Risiken im Versicherungsunternehmen. 35 Typischerweise überträgt ein risikoaverser Versicherungsnehmer das Risiko, welchem er sich ausgesetzt sieht auf ein diversifiziertes Versicherungsunternehmen. 36 31 Kahneman/Tversky (1979), p. 276. 32 Kahneman/Tversky (1979), p. 275. 33 Kahneman/Tversky (1979), p. 275. 34 Vgl. Kahneman/Tversky (1979), p. 276. 35 Vgl. Theil (2002), S. 27. 36 Vgl. Johnson et al. (1993), p. 36.

- 9 - Der Versicherungsnehmer zahlt eine Prämie dafür, dass er im Schadensfall vom Versicherungsunternehmen entschädigt wird. In der Prospect Theorie werden die möglichen Ergebnisse von riskanten Entscheidungsalternativen als Gewinne bzw. Verluste, relativ zu einem Referenzpunkt, dem Status quo, beschrieben. 37 Dieses Konzept steht grundsätzlich mit den Entscheidungen von Versicherungsnehmern in Einklang, denn diese müssen bei der Wahl des Versicherungsproduktes Prämien, sowie Schadensausmaß und Entschädigung berücksichtigen und tun dies relativ zu ihrem jetzigen Vermögensstand. Versicherungsentscheidungen stellen bei der Vielzahl der in Betracht zu ziehenden Variablen für Konsumenten eine - zum Teil hoch komplexe - Entscheidung bei Risiko dar, was zur Folge hat, dass eine deskriptive Entscheidungstheorie wie die Prospect Theorie äußerst bedeutsam wird, um die Entscheidungsprozesse auf Seite der Konsumenten verstehen zu können. 3.2 Anwendbarkeit der Prospect Theorie auf Versicherungsentscheidungen 3.2.1 Framing Die Phase des Editierens nimmt einen ganz wesentlichen Einfluss auf den letztendlichen Ausgang des Entscheidungsprozesses, da in ihr das Entscheidungsproblem erstmals bearbeitet wird. Es ist daher von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidungsfindung, in welchem Rahmen das Entscheidungsproblem präsentiert wird. Empirische Beobachtungen zeigen sogar, dass die Versicherung selbst das Entscheidungsproblem rahmt, da Versuchspersonen bei einer Beschreibung des Entscheidungsproblems als Lotterie andere Risikoeinstellungen aufweisen, als bei einer Beschreibung desselben als Versicherung. 38 Johnson et al. (1993) untersuchen in ihrer Arbeit, ob Rahmungs- und Risikowahrnehmungseffekte Auswirkungen auf den Entscheidungsfindungsprozess von Versicherungsnehmern haben. In ihren Versuchen machen sie die Beobachtung, dass Konsumenten Versicherungen ohne Selbstbeteiligung gegenüber solchen mit Selbstbeteiligung bevorzugen, obwohl letztere erhebliche Einsparungen bei der Prämie beinhalten können. 39 Begründet werden kann diese Abneigung gegenüber Versicherungen mit Selbstbehalt durch Verlustaversion seitens der Ver- 37 Vgl. Theil (2002), S. 205. 38 Vgl. Hershey/Schoemaker (1980), p. 129. 39 Vgl. Johnson et al. (1993), p. 42.

- 10 - sicherungsnehmer. Der Selbstbehalt wird dabei isoliert als Verlust wahrgenommen. Der Versicherungsnehmer sieht sich als Folge dessen mit zwei Verlusten konfrontiert, zum einen dem der Versicherungsprämie und zum anderen dem des Selbstbehaltes. Diese Verluste werden aufgrund der Verlustaversion stärker gewichtet als die Reduzierung der Prämie, die als Gewinn gerahmt wird. Des Weiteren zeigen Johnson et al. (1993), dass Versicherungen attraktiver gestaltet werden können, indem Versicherungsnehmern ein Schadenfreiheitsrabatt angeboten wird. Diese Form der Vertragsgestaltung wird von 57% der Versuchspersonen bevorzugt, obwohl die Kosten des Rabattes sich in Form einer höheren Prämie niederschlagen. 40 Ebenfalls werfen Johnson et al. (1993) in empirischen Untersuchungen die Frage auf, ob der Referenzpunkt, ausgedrückt im Status quo, zu welchem relativ gesehen die Versicherungsentscheidungen getroffen werden, einen Einfluss auf die Wahl derselben hat. 41 Es konnte hierbei in Befragungen von Präferenzen bezüglich eingeschränkter oder voller Klagerechte im Falle eines bleibenden Schadens nach einem Autounfall herausgefunden werden, dass die Präferenz für ein Klagerecht davon abhängt, ob dieses aktiv gewählt werden muss oder als Standardoption im Versicherungsvertrag gegeben ist. Diese Ergebnisse werden gleichermaßen von realen Beobachtungen im Versicherungsmarkt der USA gestützt. 42 Die Begründung der Ergebnisse liegt in der Rahmung der Versicherungen. Die Wahlmöglichkeiten, welche den Versuchspersonen in der Befragung dargelegt werden, werden relativ zu jeweils unterschiedlichen Referenzpunkten in Beziehung gebracht. Wird das eingeschränkte Klagerecht als Verlust gewertet, weil das volle Klagerecht den vormaligen Status quo darstellt, erhöht das die Attraktivität des vollen Klagerechts. Dies hängt mit der Verlustaversion der Individuen zusammen, jedoch spielt ebenfalls eine Rolle, dass Personen tendenziell Veränderungen gegenüber negativ eingestellt sind und eine Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes bevorzugen. 43 Die Art und Weise wie der Referenzpunkt festgelegt wird hat folglich einen Einfluss auf die Attraktivität von Versicherungen und damit auf die Wahl der Alternative. Dabei kann der Referenzpunkt ganz bewusst seitens des Versicherungsunternehmens durch Rahmung des Entscheidungsproblems manipuliert werden. 40 Vgl. Johnson et al. (1993), p. 45. 41 Vgl. Johnson et al. (1993), p. 46. 42 Vgl. Johnson et al. (1993), p. 48. 43 Vgl. Samuelson/Zeckhauser (1988), p. 8.

- 11 - Zum Prozess des Editierens gehört auch die Vereinfachung, welche beispielsweise in der Form auftritt, dass nicht alle möglichen Schadenausmaße und die dazugehörigen Wahrscheinlichkeiten in die Betrachtung einbezogen werden. 44 Begründet wird dies vor allem mit einer Verringerung des kognitiven Aufwands seitens des Entscheiders. 45 Verdeutlicht man sich jedoch, dass Versicherungsentscheidungen zum Teil äußerst komplex sind, erscheint es folgerichtig, dass Entscheider meist überhaupt nicht über umfangreiche Informationen verfügen und bei der Entscheidungsfindung lediglich einzelne Referenzpunkte heranziehen. Für die Prospect Theorie ist dies insofern von Bedeutung, da diese in der ursprünglichen Form nur für einfache Handlungsalternativen vorgesehen ist. Die Reduktion des Entscheidungsproblems auf eine geringe Anzahl von Entscheidungsgrößen seitens der Konsumenten spricht folglich für eine Anwendung der Prospect Theorie in ihrer ursprünglichen Form auf Versicherungsentscheidungen. 46 Die Streichung von gemeinsamen Elementen der zur Auswahl stehenden Alternativen in der Editierphase kann prinzipiell auf Versicherungsentscheidungen übertragen werden. 47 Ebenso lässt sich der Prozess der Kombination auf Versicherungsentscheidungen übertragen. Vorstellbar wäre, dass einzelne Schadenausmaße wiederholt auftreten, wie dies beispielsweise in der Hausratversicherung der Fall ist und diese dann zusammengefasst bewertet werden. 48 Die Abtrennung einer risikolosen Komponente aus dem Entscheidungsproblem ist bei Versicherungsentscheidungen generell denkbar, da in jedem Fall die Möglichkeit der Schadenfreiheit gegeben ist. Fraglich ist jedoch, ob dieser Prozess des Editierens dann noch Sinn macht, da er unnötig wird. 49 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die meisten der Prozesse des Editierens auf die Situation von Versicherungsentscheidungen übertragbar sind und einige, wie die Rahmung des Entscheidungsproblems und die Vereinfachung in besonderem Maße Relevanz für den Entscheidungsprozess besitzen. 44 Vgl. Theil (2002), S. 210. 45 Vgl. Tversky/Kahneman (1981), p. 457. 46 Vgl. Theil (2002), S. 212. 47 Vgl. Theil (2002), S. 219. 48 Vgl. Theil (2002), S. 220. 49 Vgl. Theil (2002), S. 220.

- 12-3.2.2 Wertefunktion Betrachtet man Versicherungsentscheidungen vor dem Hintergrund der Prospect Theorie, wird deutlich, dass hier vor allem der Teil der Wertefunktion in die Betrachtung einzubeziehen ist, der den Verlustbereich darstellt. 50 In diesem Bereich der negativen Abweichungen vom Referenzpunkt verläuft die Funktion steiler, als im Gewinnbereich. Wie im vorherigen Kapitel bereits dargestellt, wird dies durch den Effekt der Verlustaversion seitens der Konsumenten begründet. Slovic et al. (1977) stellen fest, dass Versuchspersonen sich bevorzugt gegen Risiken mit einer relativ hohen Eintrittswahrscheinlichkeit und einem geringen Schadensmaß versichern und Versicherung gegen Risiken mit geringen Eintrittswahrscheinlichkeiten und einem hohem Schadensmaß ablehnen. 51 Gemäß der Prospect Theorie bevorzugen Konsumenten Ereignisse mit niedrigem Schadensmaß und hoher Eintrittswahrscheinlichkeit gegenüber einem gleichwertigen sicheren Verlust. Umgekehrt wird ein sicherer Verlust einem Ereignis mit geringem Schadensmaß und hoher Eintrittswahrscheinlichkeit vorgezogen. Aus Sicht der Prospect Theorie könnte, da es sich um geringe Wahrscheinlichkeiten handelt, erwartet werden, dass tendenziell eine Übergewichtung derselben erfolgt. Dementsprechend sollte das Produkt Versicherung seitens der Konsumenten als attraktiv eingeschätzt werden. Gegen diese Tendenz wirkt jedoch der konvexe Verlauf der Wertefunktion im Verlustbereich. Demnach sind die beobachteten Ergebnisse nicht inkonsistent mit denen der Prospect Theorie. 52 Slovic et al (1977) erklären die geringe Nachfrage der Konsumenten nach Versicherung damit, dass Wahrscheinlichkeiten erst wahrgenommen werden, wenn sie eine bestimmte Schwelle überschreiten. Ein Intervall für diese Wahrnehmungsschwelle kann jedoch nicht angegeben werden, da diese über Individuen stark abweicht. 53 Es gibt dessen ungeachtet ebenfalls Studien, die den konvexen Verlauf der Wertefunktion im Verlustbereich in Frage stellen. 54 Es wird hingegen eine entgegengesetzt S-förmige Funktion vorgeschlagen und die in empirischen Untersuchungen erlangten Ergebnisse, welche einen S- förmigen Verlauf der Wertefunktion beschreiben darauf zurückgeführt, dass dort die Proban- 50 Vgl. Theil (2002), S. 233. 51 Vgl. Slovic et al. (1977), p. 237. 52 Vgl. Schoemaker/Kunreuther (1979), p. 608. 53 Vgl. Slovic et al. (1977), p. 254. 54 Vgl. bspw. Levy/Levy (2002), p. 1334.

- 13 - den Vergleiche zwischen entweder rein negativen oder rein positiven Lotterien und einer sicheren Komponente führen mussten. Bei einer solchen Versuchsanordnung kann der S- förmige Verlauf der Wertefunktion auf den Sicherheitseffekt zurückgeführt werden. 55 Anzumerken ist dabei, dass diese von Levy/Levy (2002) dargestellte Untersuchung nicht speziell auf Versicherungsentscheidungen auslegt ist und somit nur generelle Aussagen bezüglich der Wertefunktion getroffen werden. Kunreuther/Pauly (2004) argumentieren, dass Versicherungsentscheidungen so komplex und unverständlich für Konsumenten sein können, dass diese die Einholung von Informationen bezüglich der Schadenwahrscheinlichkeit und des Ausmaßes des möglichen Schadens meiden sowie Versicherung gegen Risiken mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit und hohem Schadensmaß umgehen. 56 Als Ergebnis ist hiermit festzuhalten, dass sich kein einheitliches Bild einer generellen Form der Wertefunktion für Versicherungsprobleme darstellen lässt. 3.2.3 Wahrscheinlichkeitsgewichtung Gemäß der Prospect Theorie weist die Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion an den Eckpunkten Sprungstellen auf, mit der Folge, dass Ereignisse mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit nicht wahrgenommen werden und Ereignisse mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit als sicher betrachtet werden. Bei Versicherungsentscheidungen kann davon ausgegangen werden, dass Wahrscheinlichkeiten regelmäßig übergewichtet werden, da die Anzahl der übernommenen Risiken die der übernommenen Schäden weit übersteigt. 57 Es gibt daher zwei gegenläufige Effekte: Auf der einen Seite werden Ereignisse ganz verworfen, da ihre Eintrittswahrscheinlichkeit als zu gering angesehen wird, andererseits werden Ereignisse mit relativ geringen Wahrscheinlichkeiten übergewichtet. Empirische Untersuchungen die in diesem Grenzbereich des Verwerfens oder der Übergewichtung von Wahrscheinlichkeiten durchgeführt werden, gelangen auf Grund dessen zu sehr instabilen Ergebnissen. Erschwerend kommt hinzu, dass Konsumenten bisweilen über einen äußerst geringen Informationsstand bezüglich des zu 55 Vgl. Levy/Levy (2002), p. 1346. 56 Vgl. Kunreuther/ Pauly (2004), p. 18. 57 Vgl. Theil (2002), S. 242.

- 14 - versichernden Ereignisses verfügen und dieser auch stark von der Berichterstattung in den Medien abhängig ist. 58 4 Grenzen der Prospect Theorie und eine differenzierte Betrachtung Einwände und Ablehnungen gegenüber der Prospect Theorie gibt es zur Genüge, sei es alleine ihres einschneidenden Charakters wegen, der ihr Kritik seitens der Vertreter der Erwartungsnutzentheorie einbrachte. Es soll deshalb im Folgenden nur auf einige hervorspringende Kritikpunkte eingegangen werden. Beanstandet wird zum einen, dass die empirischen Untersuchungen in den Arbeiten von Kahneman/Tversky (1979) in Form von Laborexperimente durchgeführt werden. Bei Laborexperimenten besteht das Problem, dass die Versuchspersonen aufgrund der von der realen Entscheidungssituation abweichenden Bedingungen andere Entscheidungen treffen, da sie nur hypothetische Fragen beantworten. 59 Des Weiteren kann angebracht werden, dass über die Phase des Editierens keine allgemeingültigen Regeln, etwa bezüglich der Rangfolge der einzelnen Prozesse, aufgestellt werden. 60 E- benso liegen über die Wahl des Referenzpunktes keine allgemeinen Aussagen vor, auch wenn die Wichtigkeit der Festlegung des Referenzpunktes und die Abhängigkeit der Ergebnisse von seiner Lage deutlich hervorgehoben werden. 61 Der S-förmige Verlauf der Wertefunktion ist auch der Kritik ausgesetzt. Im Verlustbereich wird dagegen für den Fall sehr großer Werte ein konkaver Verlauf der Wertefunktion unterstellt. 62 Dieser soll der Beobachtung Rechnung tragen, dass Versuchspersonen im Bereich sehr hoher Verluste, risikoaverses Verhalten zeigen. 63 Speziell im Bezug der Prospect Theorie zur Versicherung liegt das Problem vor, dass letztere Zeitraum bezogen ist. Die Prospect Theorie ist jedoch auf eine Betrachtung eines bestimmten 58 Vgl. Johnson et al. (1993), p. 40. 59 Vgl. Laibson/Zeckhauser (1998), p. 21. 60 Vgl. Theil (2002), S. 137. 61 Vgl. Tversky/Kahneman (1981), p. 456. 62 Vgl. Theil (2002), S. 157. 63 Vgl. Laughhunn/Payne/Crum (1980), p. 1238.

- 15 - Zeitpunktes beschränkt. Es steht allerdings zur Frage, ob die Zeitraumbezogenheit der Versicherung von den Konsumenten hinreichend wahrgenommen wird. 64 Grenzen in der Beschreibung real beobachteten Entscheidungsverhaltens erfährt die Prospect Theorie auch bezüglich Entscheidungsproblemen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen präsentiert werden. Schoemaker/Kunreuther (1979) präsentieren in ihrer Arbeit Versuchspersonen die gleiche Fragestellung einmal in einem Versicherungskontext und einmal ohne einen erkennbaren Bezug zu Versicherungsentscheidungen. Im Ergebnis stellt sich heraus, dass sich die Präferenzen der Probanden umkehren, je nachdem, ob die Frage in einem Bezug zu Versicherung stand oder nicht. 65 Abschließend lässt sich festhalten, dass die Prospect Theorie, obwohl in manchen Punkten ihrer Aussagen instabil, dennoch einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, beobachtetes Verhalten von Entscheidern, gerade in Bezug auf Versicherungsprobleme, zu erklären. Desgleichen kann anhand der Prospect Theorie, auch wenn bezüglich der letztlichen Entscheidung der Konsumenten keine genaue Aussage getroffen werden kann, doch etwas über das Entscheidungsverhalten von Individuen im Einzelnen gelernt werden. 5 Zusammenfassung Mit der Entwicklung der Prospect Theorie versuchen Kahneman und Tversky (1979) den zahlreichen empirischen Beobachtungen in der Forschung Rechnung zu tragen, die mit der klassischen normativen Erwartungsnutzentheorie nicht vereinbar sind. Sie entwickeln damit eine deskriptive Entscheidungstheorie, die sich als Alternative zur Erwartungsnutzentheorie auffasst und die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass eine Aufteilung des Entscheidungsprozesses in eine Phase des Framing und in eine Phase der Bewertung erfolgt und die möglichen Ergebnisse innerhalb der Wertefunktion nicht in Endvermögenspositionen, sondern in Gewinnen bzw., Verlusten relativ zu einem Referenzpunkt gemessen werden. Versicherungsentscheidungen eignen sich in besonderer Weise für die Überprüfung der Gültigkeit von Entscheidungstheorien, da sie reale Entscheidungen bei Risiko darstellen. Versicherungsnehmer müssen dabei Entscheidungen über Prämien, Schadensausmaß und Wahr- 64 Vgl. Theil (2002), S. 250. 65 Vgl. Schoemaker/Kunreuther (1979), p. 612.

- 16 - scheinlichkeit des Schadensfalles treffen, was im Rahmen der Prospect Theorie abgebildet werden kann. Analysiert man Versicherungsentscheidungen vor dem Hintergrund der Prospect Theorie wird deutlich, dass in der Phase des Editierens vor allem die Rahmung der Entscheidungssituation und die Vereinfachung von Entscheidungsproblemen von Bedeutung sind. Ebenso wichtig ist die Festlegung des Referenzpunktes bei der Analyse von Entscheidungsproblemen. Es gibt keinen klaren Beleg für einen konvexen Verlauf der Wertefunktion im Verlustbereich, wie in der Prospect Theorie beschrieben. Es existieren Studien, in denen für den Bereich sehr großer Verluste ein konkaver Verlauf der Wertefunktion angenommen wird. Die Wahrscheinlichkeitsgewichtung hat auf die Versicherungsentscheidung unterschiedliche Auswirkungen. Entweder wird die Wahrscheinlichkeit eines möglichen Schadens seitens des Versicherungsnehmers als so gering angesehen, dass er Versicherung nicht als nicht nötig erachtet oder die Wahrscheinlichkeit wird übergewichtet und Versicherung verstärkt nachgefragt. Das erfolgt dann, wenn die Wahrscheinlichkeit eine Wahrnehmungsschwelle überschritten hat. Obwohl die Prospect Theorie in ihren Aussagen häufig nicht eindeutig ist und ihr Grenzen bei der Beschreibung von Risiken gesetzt sind, kann aus ihrer Darstellung des Entscheidungsprozesses viel von den Verhaltensweisen der Entscheider gelernt werden. Sie stellt somit ein wichtiges Instrument zur Erklärung real beobachteten Verhaltens bei Risiko dar.

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