Radio Colonia, 50 Jahre Information in italienischer Sprache in Deutschland

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1 Radio Colonia, 50 Jahre Information in italienischer Sprache in Deutschland Tommaso Pedicini Die Ursprünge und der historische Kontext Über Information in italienischer Sprache in Deutschland zu sprechen bedeutet vor allem, die Etappen unserer Einwanderung auf deutschen Boden aufzurollen. Der offizielle Beginn dieser Bewegung in die Bundesrepublik geht auf das Jahr 1955 zurück, in dem das deutsch-italienische Anwerbe-Abkommen unterzeichnet wurde, mit dem italienische Arbeitskräfte über die Alpen vermittelt wurden. Wenngleich dieses Phänomen schon vorher zu beobachten ist. Das Abkommen, Wegbereiter auf dem Weg zur Öffnung der Grenzen für die sogenannten Gastarbeiter, erlaubte Tausenden von Arbeitslosen, zuerst Italienern, später dann auch anderen Nationalitäten, einen ordentlichen, wenngleich zeitlich begrenzten Arbeitsvertrag mit deutschen Firmen, die entsprechende Anfragen gestellt hatten, zu erhalten stellten die über italienischen Immigranten nahezu die Hälfte der fremdländischen Arbeitskraft, die in der Bundesrepublik vertreten war. Mit dem Migrationsfluss entstand das Bedürfnis, Informationen in der Muttersprache bereitzustellen, um unseren Mitbürgern die Orientierung im Gastland zu erleichtern. Die italienischen Gastarbeiter, die in Deutschland ankamen, kannten weder die deutsche Gesellschaft, noch die Sprache und folglich war es für sie praktisch unmöglich, sich im lokalen deutschen Bürokratie-Dschungel zurechtzufinden. Der Kalte Krieg im Äther Zum einen, um den Immigranten das Recht auf Information zu garantieren, aber vor allem um eine ideologische Alternative zu den Sendungen des kommunistischen Radio Prag anzubieten, das ein Programm in italienischer Sprache hatte, das die Gastarbeiter in Deutschland empfangen konnten, beschlossen die Bonner Obrigkeiten, im öffentlichen Rundfunk der diversen Bundesländer spezielle Sendeplätze in Italienisch einzurichten begannen im Laufe weniger Wochen nach und nach der Saarländische Rundfunk Saarbrücken, der Bayerische Rundfunk (BR) München und der Westdeutsche Rundfunk (WDR) Köln Programme in italienischer Sprache zu senden. Der Qualitätssprung in der italienischsprachigen Information in Deutschland fiel mithin mit dem Bau der Berliner Mauer und der Zuspitzung des Kalten Kriegs zusammen. Seite 1

2 Zielsetzung muttersprachlicher Sendungen Diese Programme, zu denen sich in den folgenden Jahren weitere gesellten, wurden bald sehr beliebt unter den Italienern in Deutschland und galten wie im Fall von Radio Colonia über Jahre für Hunderttausende Gastarbeiter und ihre Familien als eine feste tägliche Verabredung. Den Sendungen in Italienisch folgten bald jene in Spanisch, Griechisch, Türkisch und Serbo-Kroatisch, den vorwiegenden Sprachen unter den Gastarbeitern. Alle Programme waren gemäß der Formel vom doppelten Gleis konzipiert. Auf der einen Seite strebte man die Eingliederung der italienischen Arbeiter in die deutsche Gesellschaft (in den Sendungen war auch Platz für Unterricht der deutschen Sprache vorgesehen) mittels Informationen über gesellschaftliche Themen sowie Berichten und den wichtigsten Nachrichten über Deutschland. Auf der anderen Seite versuchte man mittels Berichten aus Italien, die die Rai zur Verfügung stellte, eine Brücke in die Heimat zu bilden. Die Entwicklungen in den 1970er und 1980er Jahren Ab Mitte der Sechziger Jahre wird die italienische Emigration nicht mehr nur von Einzelpersonen geprägt, jetzt ziehen ganze Familien nach. Die Männer, die Anfangs in überfüllten Baracken untergebracht waren, mieten nun Wohnungen, um ihre Frauen und Kinder aus Italien zu sich zu holen. Die Information in fremder Sprache passt sich dem sozialen Wandel an und erweitert ihren Aktionsradius, indem sie sich auf neue Themen fokussiert wie beispielsweise Bildung und die Emanzipation der Frau. Die Gastarbeiter, die im Rahmen einer zeitlich begrenzten Einwanderung gekommen waren, schlagen Wurzeln erreichte die italienische Einwanderung in Deutschland mit Personen ihre größte Ausdehnung. In den 1980er Jahren kennzeichnen sich die Sendungen von Radio Colonia durch die Suche nach einer verstärkten journalistischen Professionalisierung, aber wie Roberto Sala in seinem Buch Fremde Worte bemerkt nicht nur weil die Redakteure des Programms legitimerweise nach beruflichen Weihen streben, sondern auch, weil sich die italienische Gemeinschaft allmählich wandelt. Neben den Gastarbeiters verfolgen das Programm nun auch deren Kinder, die oft über ein besseres Bildungsniveau verfügen, sowie viele junge Diplomierte und Hochschulabsolventen, die für einen Arbeitsplatz oder aus Abenteuerlust nach Deutschland kommen. Die Krise Die Krise der italienischsprachigen, aber auch anderer fremdsprachiger Information in Deutschland setzt zwischen Ende der 1990er und dem Beginn des neuen Jahrtausend ein. Um Kosten zu reduzieren, verkleinern die deutschen Obrigkeiten zunächst die jeweiligen Redaktionen und schließen schließlich mit Ausnahme der Sendungen des WDR Seite 2

3 sukzessive alle muttersprachlichen Programme. Die offizielle Begründung den italienischen Mitbürgern gegenüber lautet: Die Italiener sind inzwischen integriert und brauchen mithin nicht länger Informationen in ihrer Muttersprache. Ein neues Konzept setzt sich durch, dass vorsieht, die italienischsprachigen und anderen fremdsprachigen Sendungen in den regionalen Programmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch internationale Formate in deutscher Sprache zu ersetzen. Vom ursprünglichen doppelten Gleis wechselt man also auf die eingleisige Schiene, die bei der gesellschaftlichen Integration auf das ausschließliche Erlernen der deutschen Sprache setzt. Außerdem muss erwähnt werden, dass dank der neuen Möglichkeiten, italienisches Fernsehen via Satellit zu empfangen, die alten Radioprogramme bei den im Ausland lebenden Italienern nach und nach an Faszination verlieren. Funkhaus Europa als Projekt gegen den Trend Nur einem einzigen Sender ist es gelungen, in dieser Wirklichkeit zu überleben, wobei schwierige, letztlich aber gewinnbringende Entscheidungen getroffen werden mussten. Entstanden ist ein multikulturelles Format, das zugleich auf das interessierte deutsche Publikum und die Kulturen anderer Länder setzt: der Kanal Funkhaus Europa (FHE) des WDR, in den sich auch Radio Colonia einfügt. FHE wurde 1999 als sechstes Radioprogramm des WDR zu dem ausdrücklichen Zweck gegründet, das Zusammenleben und die Integration von Ausländern in Nordrhein- Westfalen zu fördern. Das Programm wird mit Beiträgen von Radio Bremen und dem Berliner RBB unterstützt und bereichert. Neben dem umfangreichen Angebot in deutscher Sprache am Morgen und Nachmittag, bietet FHE jeden Tag ab 18 Uhr den ausländischen Gemeinschaften eigene Sendeplätze. Gemeinsam mit Radio Colonia und den anderen beiden historischen Sendungen in Türkisch und Serbo-Kroatisch, sind bei FHE ein Dutzend muttersprachiger Formate vertreten. Ein wahrhaft internationaler Kanal, polyglott auch in der Musikauswahl. Radio Colonia heute Radio Colonia ist inzwischen das einzige Radioprogramm in italienischer Sprache in Deutschland. Die Redaktion, ihre drei Redakteure, ein Produktionsassistent und etwa 20 freie Mitarbeiter verteilt in Deutschland und Italien sind ein fester Bestandteil von FHE. Die Journalisten von Radio Colonia arbeiten täglich Seite an Seite mit den deutschen und türkischen sowie Kollegen aus dem ehemaligen Jugoslawien und anderen Nationen; sie spiegeln das neue multikulturelle Deutschland wider und leisten zugleich einen Beitrag zu dessen Gestaltung; dieses multikulturelle Deutschland ist inzwischen eine unleugbare Realität geworden trotz der dem Föderalismus geschuldeten zögerlichen Integrationspolitik und den nie ganz ausgeräumten Vorbehalten in den besonders konservativen Kreisen der gastgebenden Gesellschaft. Seite 3

4 Va bene?! Die deutsch-italienischen Beziehungen auf dem Prüfstand Radio Colonia sendet von Montag bis Freitag täglich von 19 bis 20 Uhr. Das Programm ist als modernes Radiomagazin gestaltet mit viel Musik, ausschließlich italienischer, aktuellen Nachrichten aus der Politik, aber auch aus Sport und Kultur sowie Rubriken mit Serviceinformationen. Die Sendung beginnt stets mit einem Tagesthema, gefolgt von Kurznachrichten zu anderen aktuellen Ereignissen und Fragen. Die behandelten Themen umfassen Italien, Deutschland, die italienische Gemeinschaft in Deutschland, Europa aber auch außereuropäische Fragen. Der zweite Teil der Sendung ist dagegen festen, täglich wechselnden Rubriken vorbehalten. Unter den Zuhörern von Radio Colonia lassen sich heute verschiedene Typologien unterscheiden. Da sind zum einen die ehemaligen Gastarbeiter, ihre Kinder und Enkel, die dem Programm seit den 1960er Jahren treu verbunden sind. Neben dieser Kategorie von Zuhörern steht jene, die die neue italienische Emigration in Deutschland repräsentieren: die sogenannten cervelli in fuga ( Hirne auf der Flucht ), junge Hochschulabsolventen auf der Suche nach besseren Arbeitsperspektiven oder italienische Freiberufler und andere Arbeitnehmer, die für deutsche Firmen arbeiten. Dieses Publikum, das teilweise noch kein Deutsch kann, bedient sich unseres Programms, um Orientierung in der deutschen Gesellschaft zu finden. Dann ist da noch eine neue, stark wachsende Kategorie von Hörern: die Deutschen, Liebhaber der italienischen Sprache und Kultur, die uns zum Zweck der sprachlichen Übung hören und zugleich über das Geschehen in Deutschland aus einer anderen Perspektive informiert werden möchten. Und schließlich ist dann dank des live-streams und der Services von Podcast und Webchannel noch eine brandneue Hörerkategorie entstanden: eine ansehnliche Truppe von italienischen Hörern, die uns aus Italien verfolgen, um in manchen Fällen eine andere, vielleicht distanziertere Interpretation der politischen Ereignisse in Italien zu bekommen. Den Bedürfnissen und Erwartungen aller vier Hörergruppen gleichermaßen gerecht zu werden, ist so als wolle man die Quadratur des Kreises versuchen. Radio Colonia versucht das jeden Tag aufs Neue. Wenngleich Radio Colonia keinerlei finanzielle Unterstützung durch italienische Behörden erhält, erfüllt es seit seiner Gründung die Aufgaben eines öffentlichen Dienstes an der italienischen Gemeinschaft. Eine Aufgabe, die umfassend und mit großer Unparteilichkeit erfüllt wurde, auch während der letzte Wahlkämpfe zum italienischen Parlament, in denen die Italiener im Ausland zu Protagonisten wurden. Radio Colonia hat Vertretern aller Parteien und politischen Bündnisse eine Plattform geboten und den Ausgang der Wahlen live und mit Sondersendungen verfolgt hat Radio Colonia eine Internetseite eingerichtet ( auf der das gesamte Sendeschema abrufbar ist und die im Schnitt am Tag 500 Besucher zählt. Neben der Website wird auch das Podcast-Angebot intensiv genutzt. Die neuen Technologien haben für Radio Colonia eine neue Phase eingeleitet. Das Wissen darum, dass die redaktionelle Arbeit nach dem Ende der Sendung nicht verloren geht, sondern als Podcast, loop im Webchannel oder auf der Seite, auf der alle gesendeten Berichte und Interviews eingestellt werden, wieder abrufbar ist, wirkt bei den Journalisten der Seite 4

5 Enttäuschung entgegen, dass ihre Arbeit kurzlebig und hinfällig ist. Und bietet den Zuhörern die Möglichkeit, einen bestimmten Bericht oder eine verpasste Sendung nachzuhören. Die Herausforderung für die Zukunft von Radio Colonia besteht darin, das Programm für die italienische Zuhörerschaft weiterhin so zu gestalten, dass sie es als das Ihre wahrnehmen, als eine Realität, die dem, was in der Gemeinschaft passiert, eine Stimme verleiht. Die Sendungen von Radio Colonia, die das Glück haben, auch von zahlreichen Deutschen gehört zu werden, haben auch diesen gegenüber eine Aufgabe zu erfüllen. Dies besteht darin, sie über die Entwicklungen und Veränderungen in der italienischen Gemeinschaft in Deutschland zu informieren und somit einen Beitrag zum kulturellen Austausch und zur Überwindung von wechselseitigen Vorurteilen beizutragen. Seite 5