- Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung Zwangsarbeit in Arnsberg 1939 bis 1945 am im Fresekenhof -
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- Mathias Junge
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1 Hans-Josef Vogel Bürgermeister - Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung Zwangsarbeit in Arnsberg 1939 bis 1945 am im Fresekenhof - I. Die Geschichtswerkstatt Zwangsarbeit Arnsberg unter Leitung von Reiner Ahlborn legt bereits heute - zwei Jahre nach ihrem Beginn - erste grundlegende Ergebnisse ihrer Arbeit vor. Sie stellt diese Ergebnisse mit der Ausstellung Zwangsarbeit in Arnsberg vor und zur Diskussion. Die Berichte und Unterlagen über die Schicksale der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter füllen nicht nur einen weißen Fleck unserer Stadt- und Regionalgeschichte, sie gehen uns nahe. Ein besonderer Verdienst der Geschichtswerkstatt ist es, dass sie neue Dokumente zur Zwangsarbeit in der heutigen Stadt Arnsberg gefunden und für die Öffentlichkeit gesichert hat. Dazu zählen nicht zuletzt die eindrucksvollen Fotos von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die Herr Goeke bereitgestellt hat. Diese Fotos lassen uns allen - auch uns Nachgeborenen - Scham und Schmerz empfinden. Schon aus diesem Empfinden ergibt sich wie von selbst, dass man heute und morgen den Anfängen wehren muss. Ich danke auch im Namen unserer Stadt - denen, die Bilder, Dokumente, Materialien zur Verfügung gestellt, und denen, die danach gesucht und gefragt haben. Ich danke denen, die in Gesprächen ihre persönlichen Erinnerungen weitergegeben, und denen, die diese Gespräche geführt, aufgeschrieben und ausgewertet haben. II. Das Thema "Beschäftigung und Ausbeutung von Millionen von Zwangsarbeitern durch das Nazi-Regime" war ein halbes Jahrhundert in unserem Land nicht oder nur wenig existent. In unserer Stadt spielte es regelmäßig eine Rolle bei der Erinnerung an die Möhneseekatastrophe am 17. Mai 1943, der auf schreckliche Weise 700 ukrainische und russische Zwangsarbeiterinnen und zur Zwangsarbeit gezwungene französische, belgische und andere Kriegsgefangene zum Opfer fielen. Und es ist kein Zufall, dass diese, die erste Ausstellung über die Zwangsarbeit in unserer Stadt heute am Jahrestag der Möhnesee- Katastrophe eröffnet wird.
2 2 Als Stadtdirektor und Bürgermeister unserer Stadt habe ich immer wieder eindrucksvolle Beispiele persönlicher Erinnerung und Erinnerungskultur bei uns kennen gelernt auf allen Seiten. Natürlich wurde auch bei uns über die Entschädigung der Überlebenden diskutiert. Betriebe und Unternehmen unserer Stadt haben sich an den Entschädigungsfonds beteiligt. Aber die Diskussion ging im ganzen Land und damit auch in unserer Stadt am Schicksal der Betroffenen und an dem Phänomen der Nazi-Zwangsarbeit vorbei. Die NS-Zwangsarbeit galt bis in unsere Zeit hinein mehr oder weniger als Tabu. Obwohl es sich um bis zu acht Millionen vor allem aus Osteuropa deportierte Menschen handelte. Die Zahl der im Laufe der Jahre zum Reichseinsatz, wie es damals hieß, gezwungenen Arbeitskräfte wird auf 9,5 Millionen geschätzt. Das waren rund ein Drittel der in der deutschen Wirtschaft beschäftigten Arbeitnehmer. Die Geschichtswerkstatt hat das Tabu Zwangsarbeit in der Stadt Arnsberg endgültig beendet. Die Ausstellung und damit die öffentliche Darstellung der Arbeitsergebnisse der Geschichtswerkstatt konfrontiert uns hier in Arnsberg mit den bildlichen und gegenständlichen Zeugnissen des heimatlichen Standortes von über NS-Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen in den Grenzen der heutigen Stadt Arnsberg. III. Diese Sklavenarbeit ermöglichte es den Nazis, den grauenvollen Krieg zu führen, an dessen Ende vor 60 Jahren wir uns in diesen Tagen erinnert haben. Der Internationale Militärgerichtshof von Nürnberg stellte 1947 zur Zwangsarbeit fest: "Das Sklavenarbeitsprogramm verfolgte zwei Zwecke, die verbrecherisch waren. Der erste Zweck war... die Erfüllung der Arbeitsanforderungen der Nazi-Kriegsmaschinerie, indem man die ausländischen Arbeitskräfte dazu zwang, so gut wie gegen ihr eigenes Vaterland Krieg zu führen. Der zweite Zweck war die Vernichtung und Schwächung der Völker." Es gab im damaligen Deutschen Reich mit fortschreitender Kriegsdauer kaum ein Unternehmen, dessen Belegschaft nicht in nennenswertem Umfang aus ausländischen Männern und Frauen bestand. Es gab kaum einen Gewerbebetrieb, der nicht von der Arbeitsleistung ausländischer Zivilarbeiter, Kriegsgefangener oder KZ-Häftlinge profitiert hätte. Es gab kaum eine Stadt, es gab kaum ein Dorf ohne Barackenlager und Ausländerunterkünfte. Ein Netz von Lagern und Quartieren unterschiedlicher Bauart und Größe überzog auch unsere Stadt, wie die Ausstellung der Geschichtswerkstatt zeigt. Ohne die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wäre die deutsche industrielle Zivil- und Rüstungsproduktion zum Erliegen gekommen.
3 3 Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen wären zusammengebrochen - mit fatalen Konsequenzen für die einheimische Bevölkerung. Nur durch den Einsatz der Zwangsarbeiter konnten zum Beispiel Reichsbahn, Reichspost, kommunale Unternehmen ihren Betrieb während der Kriegsjahre aufrecht erhalten. Eingesetzt wurden Zwangsarbeiter in der Grundstoffindustrie, in der Landwirtschaft, im Handwerk, in der Bauwirtschaft, im Handel, in der Gastronomie, im Kulturbereich und sogar bei kirchlichen Einrichtungen. Der verhältnismäßig hohe Lebensstandard der deutschen Bevölkerung während des Krieges ist auch auf die Ausbeutung der Zwangsarbeiter zurückzuführen. Die größten Arbeitgeber waren Industrieunternehmen, die meist für den Krieg produzierten oder produzieren mussten. Die Zwangsarbeit war schließlich schlimmer Ausdruck von Rassismus und Rassenwahn vor allem gegenüber Ostmittel- und Osteuropäern. Es entstand die nationalsozialistische Wahnvorstellung, dass die einfachen und schmutzigen Arbeiten in der Zukunft von einer vorwiegend slawischen Helotenbevölkerung verrichtet werden und die deutschen Facharbeiter nur noch in Spitzenpositionen der Betriebe beschäftigt würden. Der Historiker Prof. Hans Mommsen hat diese Wahnvorstellung beschrieben. IV. Wer aber waren nun die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter bei uns in der heutigen Stadt Arnsberg? Die Geschichtswerkstatt hat sorgfältig Informationen und Belege zusammengetragen. Wir haben nun einen Überblick, aus welchen Ländern die Menschen in unsere Stadt verschleppt wurden, wo und was sie gearbeitet, wo und wie sie untergebracht waren. Wenn man von einem Typ von Zwangsarbeitern in unserer Stadt sprechen kann bei aller Verschiedenheit und Unterschiedlichkeit jedes einzelnen Schicksals - dann können wir vielleicht für unsere Stadt sagen: der "typische" Zwangsarbeiter bzw. die "typische" Zwangsarbeiterin war eine 17jährige Schülerin aus einer Kleinstadt oder einem Dorf in der Ukraine. Ein Versäumnis konnte die Geschichtswerkstatt nur eingeschränkt aufholen. Wir und damit meine ich viele in Gesellschaft und Staat wir haben in der Vergangenheit versäumt, das Gespräch mit den noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern und den betroffenen Einheimischen zu suchen. Nun leben viele von ihnen nicht mehr. Und schon bald wird es keine Zeitzeugen mehr geben, die wir befragen können. V. Stellen wir uns nun einmal vor, wir wären die 17jährige Schülerin, der 17jährige Schüler im Frühjahr 1942 von einem Tag auf den anderen von deutschen Uniformierten brutal aus dem vertrauten Lebensumfeld herausgerissen und
4 4 nach Deutschland ins Sauerland verschleppt. Hier - in einer feindlichen, zumindest unfreundlichen Umwelt, ohne Kenntnisse der Sprache, und vielleicht nicht einmal als "Untermensch" behandelt, aber abgeschnitten von zu Hause, unzureichend versorgt mit Kleidung und Nahrungsmitteln, an sechs Tagen arbeitend, in einem Lager mit Stacheldrahtverhau lebend, ohne Rechte, ohne Schutz, bei Krankheit allein gelassen ohne die Eltern. Keine Perspektive, der Perspektiven zu Hause beraubt. Zwangsarbeit erschließt sich uns wie wir sehen - nicht allein über besonders brutale Gewaltakte. Zwangsarbeit zeigte sich viel stärker in dem täglich Regelkreis aus Entwurzelung, Entrechtung, Fremdbestimmung und schleichender Terrorisierung. Die Ergebnisse der Geschichtswerkstatt und die historische Forschung zur Zwangsarbeit zeigen unabhängig voneinander, dass beispielsweise das Umfeld, in dem Zwangsarbeit stattfand, also die regionalen, lokalen Mentalitäten, Religionszugehörigkeit oder konfessionelle Zugehörigkeiten, ökonomische Strukturen, Wirtschaftszweige, Betriebsgrößen und nicht zuletzt persönliches Handeln von Einheimischen in den Betrieben, in Familien, auf Bauernhöfen das schwere Los der Zwangsarbeiter linderten oder noch verstärkten. Was Zwangsarbeit im Dritten Reich tatsächlich bedeutete, lässt sich nicht auf einen einfachen Nenner bringen. Das zeigt auch die Zeit nach Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auch aus unserer Stadt erlebten nach der Befreiung 1945 die vollkommene Absurdität des Bösen. Sie wurden Opfer zweier Diktaturen und waren es zum Teil bis in unsere Tage, wenn man an die Ukraine denkt. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat wurden sie wiederum ausgegrenzt und schikaniert. Die sowjetischen Machthaber sahen in den Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen aus Deutschland Nazi-Kollaborateure und Verräter. Die Zwangsarbeiter aus Deutschland litten auch noch unter den bösartigen Verdächtigungen von Geheimdiensten und kommunistischen Parteiführungen. Ihre Ausbildungsmöglichkeiten, ihr berufliches Fortkommen wurden behindert. Nicht wenige wurden Opfer neuerlicher Deportation. Sie wurden zur jahrelangen Zwangsarbeit nach Sibirien geschafft. VI. Erinnerung schafft Orientierung für die Zukunft. Die Geschichtswerkstatt Zwangsarbeit Arnsberg hat dazu für unsere Stadt ein eindrucksvolles Fundament gelegt und ein besonderes Beispiel geliefert. "Wir haben die Verantwortung, die Erinnerung an all das Leid und seine Ursachen wach zu halten, und wir müssen dafür sorgen, dass es nie wieder kommt. Es gibt keinen Schlussstrich", sagte Bundespräsident Horst Köhler bei
5 5 der Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag des Kriegsendes im Reichstagsgebäude in Berlin. Ich danke der Geschichtswerkstatt, dass sie diese Verantwortung wahrgenommen hat. Ich danke Herrn Ahlborn für die engagierte Leitung der Geschichtswerkstatt. Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit, für Ihr Erinnern.
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