Leseprobe aus Hach, Flo und Valentina, ISBN Beltz & Gelberg in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel

Transkript

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2 Die erste Nacht

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4 1. Zappendusterdunkel Mitten in der Nacht wache ich plötzlich auf. Um mich herum ist es zappendusterdunkel. Wieso leuchtet mein Nachtlicht nicht? Wie versteinert liege ich im Dunkeln in meinem Bett. Das mit dem Versteinertsein kommt von der Angst. Kühle Nachtluft weht in mein Zimmer. Wieso steht das Fenster überhaupt offen? Dahinter kann nur einer stecken: mein Bruder.»Anton«, flüstere ich heiser in die Dunkelheit.»Anton, hast du mein Fenster aufgemacht? Mach es wieder zu!«es kommt keine Antwort. Ich kann auch kein Kichern hören. Das ist seltsam. Aber ich weiß ganz genau, dass da jemand in meinem Zimmer ist. Irgendwie kann ich das spüren.»mama?«, hauche ich.»papa?«meine Stimme ist jetzt so leise, dass ich sie selbst kaum höre. Dafür höre ich etwas anderes. Ein Lied, gesungen von 7

5 einer Mädchenstimme. Ein Mädchen mitten in der Nacht hier in meinem Zimmer im neunten Stock? Da fällt mir ein, dass Anton ein guter Stimmenversteller ist. Der hat sogar schon mal bei seinem Lehrer angerufen und den reingelegt. Aber kann er mit verstellter Stimme auch singen? Das Lied kenne ich, allerdings mit einem anderen Text. Eigentlich singt man es viel langsamer, nicht so schnell. Trotzdem lullt der Gesang mich ein. Ich muss gähnen und meine Augenlider werden sehr schwer. Da beginnt die nächste Strophe: 8

6 Genau das tue ich; ich schlafe wieder ein. Aber nur für eine Sekunde. Dann bin ich plötzlich wieder hellwach, weil jemand an meinem Kopfkissen zieht und zerrt. Das ist typisch Anton!»Lass das!«, rufe ich ins Dunkel.»Du hast dein eigenes Kissen! In deinem eigenen Zimmer!«Mein Kissen rücke ich nicht raus! Mit beiden Händen halte ich es fest. Aber Anton zieht mit aller Kraft. Zum Glück fällt mir was ein:»ich hab da beim Schlafen schon hundertmal draufgesabbert!«, rufe ich. Das schreckt Anton garantiert ab. Der findet ziemlich viele Sachen eklig. Zugleich ist er der mutigste Mensch, den ich kenne. Der schläft zum Beispiel immer im dunkelsten Dunkel. Und im Schwimmbad springt er am liebsten vom Fünfmeterbrett. Mit dem Kopf voran! 9

7 Ich rufe das mit dem Sabber ein zweites Mal, aber Anton lässt einfach nicht los. Das kann nur eines bedeuten: Anton schlafwandelt. Wenn er tief und fest schläft, hört er mich nicht. Ich muss das Licht anmachen! Ich lasse das Kissen so plötzlich los, dass Anton nach hinten fällt. Er segelt quer durch mein Zimmer und landet mit Karacho in der Autokiste.»Tatütata«, tönt die Sirene der Spielzeugfeuerwehr.»Autsch«, flucht Anton mit dieser seltsamen Mädchenstimme. Das könnte er jetzt langsam mal sein lassen. Da finde ich endlich den Schalter für meine Nachttischlampe. Auf einmal wird es so hell, dass 10

8 ich meine Augen schnell zusammenkneife. Als ich sie langsam wieder öffne, ein winziges bisschen nur, falle ich fast in Ohnmacht. In meiner Autokiste sitzt ein Mädchen! 111

9 2. Seltsamer Besuch»Ach, du fetter Knoblauch! Ach, du fetter Knoblauch!!«, jammert das Mädchen in der Autokiste immer und immer wieder. Kann es sein, dass ich träume? Zum Test kneife ich mir in die linke Wange und, um ganz sicherzugehen, auch in die rechte. Es tut ziemlich weh, aber ich weiß jetzt, dass ich definitiv wach bin. Also gibt es das Mädchen tatsächlich. So was Blödes! Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Warum kann das Mädchen nicht einfach in Antons Zimmer liegen? Der weiß immer, was zu tun ist. Ich sehe mir das Mädchen genauer an. Sie ist von oben bis unten schwarz angezogen. Über ihren Schultern hängt ein Umhang, natürlich auch schwarz. Das Allerseltsamste ist aber ihre Maske, die nur über den Augen sitzt. So eine Maske hat auch Zorro, der eine Art Superheld ist. Und mit Su 12

10 perhelden kenne ich mich aus, weil ich selbst welche erfinde. Ich habe mir Mister Floow ausgedacht, der fliegen kann. Und Miss Witzblitz. Die erzählt so komische Witze, dass sich jeder Bösewicht vor Lachen in die Hose macht. Eigentlich wäre das Augen maskenmädchen auch eine gute Comicfigur. Als ich das denke, hebt sie den Kopf. Und sieht mir direkt in die Augen. Mir wird so kalt, als würde kein Blut durch meine Adern fließen, sondern geschmolzener Schnee.»Ach, du nachtschwarze Zwölf!«, murmelt das Mädchen.»Das Menschenskind ist wach!«ich kapiere nicht gleich, dass sie mich damit meint. Und warum sollte ich nicht wach sein? Bei der Kopfkissenzerrerei! Aber ich halte die Klappe und sage nichts. Weil ich keinen Streit anfangen will. Außerdem habe ich ein bisschen Schiss. Keine Ahnung, was das seltsame Mädchen hier will. Eine Weile gucken wir uns einfach nur an. Ich sitze auf meinem Bett, das Mädchen sitzt in meiner Autokiste. Dann räuspert sie sich.»ähm, würde es dir was ausmachen «, beginnt sie.»ja?«13

11 »Also, ähm, ich meine, könntest du freundlicherweise einfach weiterschlafen?weiterschlafen?«, rufe ich. Das muss man sich mal vorstellen! Da taucht nachts jemand Wildfremdes in meinem Zimmer auf. Weckt mich. Und will dann, dass ich einfach so weiterschlafe?!»es reicht auch, wenn du nur so tust«, schiebt das Mädchen schnell hinterher.»und dann klaust du mein Kissen oder was?«, frage ich. Auf einmal bin ich mächtig sauer.»dein angesabbertes Kopfkissen?«, fragt das Mädchen angeekelt und schüttelt sich.»iiiih! Was will ich denn mit dem?!«mühsam klettert das Mädchen aus meiner Autokiste. Sie dreht sich zum Fenster und starrt in die Nacht.»Ich bin auf der Suche nach etwas anderem«, sagt sie leise.»nach etwas ganz anderem Und mir bleibt nicht mehr viel Zeit.«Jetzt bin ich neugierig. Ich will unbedingt wissen, was das seltsame Mädchen sucht. Noch dazu ausgerechnet hier in meinem Zimmer. Es gibt keinen Zweifel, dass sie ein Geheimnis hat. 14