Wissenswert. Wohin mit unserem Geld? (1) Ethisches Banking von Conrad Lay. Sendung: , Uhr, hr2-kultur

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1 Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Heike Ließmann Wissenswert Regie: B Schmid Wohin mit unserem Geld? (1) Ethisches Banking von Conrad Lay Sendung: , Uhr, hr2-kultur Sprecher O-Töne: O-Ton Ethische Banken 1,2,ff Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. 1

2 TAKE 1 Atmo Protestaktion Attac Der Unmut über Banken und die Finanzwelt ist unüberhörbar. Der Protest reicht von Attac-Aktionen, vielen kritischen Veröffentlichungen bis hin zu empörten Stammtischgesprächen und der maßlosen Enttäuschung bei kleinen Anlegern und Bürgern, die das Vertrauen verloren haben. Die schwerste Finanzkrise seit Jahrzehnten hat das positive Ansehen, das eigentlich die meisten Banken und ihre Mitarbeiter genießen durften, verschlissen. Es gibt keine Berufsgruppe, die derart an Vertrauen und Ansehen verloren hat wie die Banker. Laut einer Umfrage landen sie auf der Prestige-Skala der Berufe auf dem vorletzten Platz - unmittelbar vor den Drogendealern. TAKE 2 GLS-Bank Atmo Wasserbecken, unter -Text weiter Alternativen sind gefordert, und die gibt es auch. Im Jahr 2010 wurde eine von ihnen als "Bank des Jahres" ausgezeichnet: die Bochumer "Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken", kurz: GLS- Bank genannt. TAKE 2 Ex-SR 4 GLS-Bank Atmo Wasserbecken, unter -Text weiter Ziemlich versteckt, mitten in einem ruhigen Wohnviertel hinter dem Bochumer Schauspielhaus, steht ein dunkelrotes Bürogebäude. In der Mitte des Foyers befindet sich ein Teich, ringsherum von einer Holzbank eingefasst, die zum Sitzen einlädt. Über die gesamten vier Stockwerke fließt Wasser eine Wand hinunter. Man wähnt sich hier eher in einer Waldorf-Schule als in einer Bank. Thomas Jorberg ist Vorstandssprecher der GLS-Bank: TAKE 3 Jorberg "Geld an sich ist ja kein Wert, sondern Geld ist ein Verteilungsmittel, um Güter und Dienstleistungen verfügbar zu machen. Gerade in der Finanzmarktkrise haben wir gesehen eine negative Weise, wie das die Gesellschaft gestaltet oder verunstaltet, wenn es nicht sinnvoll eingesetzt wird. Die heutige Ent- scheidungsmatrix ist ja so: wenn Sie ein vergleichbares Risiko, eine vergleichbare Laufzeit und einen Zinssatz von drei und fünf Prozent haben, dann ist die Entscheidung immer: die Anlage für fünf Prozent. Was damit gemacht wird, spielt keine Rolle: das nenne ich systemisch organisier- 2

3 te Verantwortungslosigkeit. In der Entscheidungsmatrix kommt die Frage, was mit dem Geld gemacht wird, gar nicht vor." TAKE 4 GLS-Bank Atmo Wasserbecken, unter -Text weiter Eine kritische Sicht auf das pure Profitdenken und das von einem Banker? Wie passt das zusammen? Die GLS-Bank wurde als Genossenschaftsbank im Jahr 1974 gegründet. Im Jahr 2009 stieg ihre Bilanzsumme um 33 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro, 2010 wuchs die Summe um 37 Prozent auf 1,85 Milliarden Euro an. Gibt es also auch erfolgreiches Finanzgebahren ohne maximales Profitdenken? Wie es sich für eine anthroposophisch inspirierte Bank gehört, ist nicht nur die Innenarchitektur der Bank von vielen Rundungen charakterisiert. Schon das Äußere soll klarmachen: hier herrscht ein ganz anderer Geist. Viel Holz, viel Glas - viel Transparenz? Thomas Jorberg: TAKE 5 Jorberg "Wenn man transparent machen würde, was man tatsächlich mit dem Geld macht, dann müsste eine normale Geschäftsbank wahrscheinlich 1000 Mal mehr begründen, als wir es tun müssen. Wir müssen nur zeigen, was wir machen. Und das motiviert unsere Anleger. Wir sind schlicht transparent." Das stürmische Wachstum der GLS-Bank steht fast im Gegensatz zu ihrem nahezu unscheinbaren, gediegenen Alltag. Denn sie kann nicht mit riskanten Finanzprodukten protzen und verspricht keine sensationellen Profite. Nach heute banküblichen Maßstäben ist sie nicht sexy, sondern solide und eher langweilig. Was also ist so besonders an dieser Bank, die landläufig das Etikett ethisch bekam? Dass sie mit Preisen überhäuft wird? Wer sind die Kunden, an die sie zum Beispiel Kredite vergeben hat? TAKE 6 Atmo Bäckerei TAKE 7 Frau in Bäckerei "Das gibt Mohnkuchen, im Rohzustand ist der noch, der wird später noch abgebacken, sieht lecker aus." / Atmo weiter Wir stehen in der Bäckerei des Drogenselbsthilfeprojektes "Die Fleckenbühler". Das "Haus Frankfurt", zu dem die Bäckerei gehört, ist Fluchtpunkt für die Drogenszene. Im Stadtteil Niederrad gelegen, ist es von der Szene am Frankfurter Hauptbahnhof in wenigen Minuten mit der Straßenbahn zu erreichen. 80 ehemals süchtigen Menschen 3

4 bietet das "Haus Frankfurt" Raum zum Leben und Arbeiten. Neben der Bäckerei gibt es einen Naturkostladen, einen Partyservice, im Hof stehen die farbig angestrichenen Lkws des Umzugsservice. TAKE 8 Mann in Bäckerei "Das sind Plunderteile, für Obstplunder, Puddingplunder, sowas. Jetzt gehen die zur Teigruhe, daß die sich entspannen, im Kühlschrank, die werden später dann weiterverarbeitet." Abstinenz gilt den hier Arbeitenden nicht als Ziel, sondern als Voraussetzung für eine erfolgreiche Rehabilitation. So feiern die ehemals Süchtigen ihre "nüchternen Geburtstage", der eine ist seit drei Jahren nüchtern, die andere seit 10 Jahren. Da die Fleckenbühler jeden süchtigen Menschen aufnehmen, der Hilfe sucht, vergrößert sich das Projekt beständig. Immer gibt es neuen Raumbedarf - und es entsteht Bedarf nach Krediten. TAKE 9 Meyer "Es ging um - ich sag mal: die Finanzierung von 1,5 bis 2 Millionen. Euro, das war ja nicht nur der Kauf des Hauses, sondern alle Nebenkosten, die da noch hinzukommen, es waren letztlich eine Summe von knapp 2 Millionen, die darüber finanziert werden mussten." Ronald Meyer ist Geschäftsführer der "Fleckenbühler". Seine ehemalige Hausbank hatte ihn bei einer Kreditvergabe kurzfristig im Stich gelassen. Zum Glück sprang die GLS-Bank ein, mit der Meyer zuvor schon Kontakt hatte: TAKE 10 Meyer "Seitdem haben wir alle anderen hauptsächlichen Geschäfte, zumindest hier in Frankfurt, immer über die GLS abgewickelt, d.h. wir haben die Hausbank gewechselt." Prokurist Hartwig Bergmans ist von dem unkomplizierten Umgang mit der Bank angetan: TAKE 11 Bergmans "Da war auch schon mal der Vorstandsvorsitzende der GLS-Bank, der war auch schon mal hier bei uns im Haus. Der Vorstandsvorsitzende von anderen Banken ist ja eine unerreichbare Persönlichkeit, das hat natürlich auch mit der Größe zu tun, das ist nicht ganz so formell, wie man es aus dem Bankgeschäft kennt." 4

5 Wer bei der GLS-Bank sein Geld anlegt, bekommt nicht die günstigsten Zinsen, kann dafür aber sicher sein, dass sinnvoll mit dem Geld umgegangen wird. TAKE 12 Meyer "Um Schlagworte zu sagen: da werde ich nicht Kinderarbeit in Indien mit finanzieren oder Atomstrom oder irgendwelche anderen, hochverzinslichen, risikobehafteten Anlageformen, sondern ich kann sicher sein, daß das eine solide, einfache, nachvollziehbare Anlageform ist, die allen Kriterien von sozialer Nachhaltigkeit und Öko gerecht wird." In den letzten Jahren hat sich die Szene der ethischen Banken deutlich belebt. Von der Größenordnung vergleichbar mit der GLS- Bank ist die Umweltbank aus Nürnberg. Die auf Umweltprojekte spezialisierten Banker aus Franken konnten 2009 ihre Bilanzsumme ebenfalls steigern: um gut 30 Prozent auf 1,65 Milliarden Euro, 2010 wuchs die Summe um 18 Prozent auf 1,76 Milliarden Euro. Deutlich kleiner, und damit die kleinste, ist die Ethikbank mit einer Bilanzsumme von 71 Millionen Euro. Relativ neu auf dem deutschen Markt ist die Triodos-Bank aus den Niederlanden, die wie die GLS-Bank anthroposophisch inspiriert ist. Sie unterhält Filialen in Belgien, Großbritannien, Spanien und seit Dezember 2009 in Deutschland. Mit ihren Kunden und einer Bilanzsumme von 2,9 Milliarden Euro bezeichnet sie sich als die größte Nachhaltigkeitsbank Europas. Vor diesem Hintergrund hat die "Financial Times" sie 2009 zur "Sustainable Bank of the Year" gewählt. Ethisch, nachhaltig, ökologisch, grün, das sind die Etiketten, die immer wieder auftauchen im Zusammenhang mit dieser Art des Finanzwirtschaftens. Haupttrumpf der ethischen Banken ist außerdem ihre Transparenz. Keine mysteriöses Gebahren, keine elitäre Heimlichtuerei: Im "Bankspiegel", der Hauszeitschrift der GLS-Bank, wird zum Beispiel jeder Kredit, der an ein Unternehmen vergeben wird, veröffentlicht. TAKE 13 Boie "Das Investitionsvolumen war insgesamt eine Million, da sind aber Euro für Photovoltaikanlage schon drin, mit 16,1 KW. Bau und Gebäudetechnik waren Euro, und der Rest sind dann noch neue Maschinen, neue Regale, und was man noch alles braucht." 5

6 Petra Boie ist Geschäftsführerin der Bingenheimer Saatgut AG. Im Treppenhaus zeigt sie auf ein Foto von Vandana Shiva. Die Kulturbotschafterin habe in Indien etwas Ähnliches aufgebaut wie die Bingenheimer in der hessischen Wetterau: eine Alternative zur Gentechnik, denn hier wie dort stelle sich das gleiche Problem, nämlich daß der Saatgutsektor sich unabhängig mache von den Privatinteressen großer Konzerne wie etwa Monsanto. TAKE 14 Boie "Vor 25, 30 Jahren war das Hauptproblem, überhaupt ökologisches Saatgut zu bekommen. (Hahn kräht) Da hat man eine Saatgutinitiative aufgebaut, die sich erstmal um die ökologische Produktion von Saatgut gekümmert hat." Ziel ist "Gemüse mit Charakter", Hybridsorten kommen hier nicht in die Tüte. Inzwischen koordiniert das Wetterauer Öko-Unternehmen etwa 80 Bio-Betriebe, die Saatgut entwickeln. Das Saatgut wird gereinigt, im Labor überprüft, wenn notwendig gewaschen und in einer neuen Trocknungs-Anlage getrocknet. TAKE 15 Boie "Das war dann eben auch eine Investition, die wir uns erlauben konnten durch die Unterstützung der GLS-Bank. Vorher hatten wir das im Keller, sehr provisorisch sag ich mal, mit sehr viel mehr Arbeitsaufwand machen müssen, das ist jetzt die perfekte Art, das Saatgut schonend rückzutrocknen." (Atmo weiter) Mit dem Kredit der Bochumer Bank konnte die Bingenheimer Saatgut AG im Jahr 2008 einen Neubau errichten. Die überzeugten Bio- Anhänger wollten ein Gebäude mit Niedrigenergiestandard. Vorstandsmitglied Gebhard Rossmanith erinnert sich an die Verhandlungen über den Kredit: TAKE 16 Rossmanith "Die Verhandlung mit der GLS-Bank war insofern auch sehr spannend, weil sie ganz besondere Fragen gestellt haben. Die damalige Leiterin dieser Abteilung, Kreditabteilung für landwirtschaftliche Projekte, zu denen wir dann auch gezählt wurden, hat erstens außerordentlich viel Fachwissen in Richtung Landwirtschaft, sehr viel Fachwissen in Richtung dessen, was wir tun, also Saatgut, ökologisches Saatgut, Produktion, Benötigung, Nutzen, Kundenstruktur etc., und sie hat uns anstrengende Fragen gestellt. Also wir waren wirklich gehalten, genau zu überlegen, warum brauchen wir das, ihr das ganz deutlich zu machen, sehr konkrete Berechnungen zu machen, insofern war die GLS-Bank auch ein Prüfstein." 6

7 Zwar hätte auch eine örtliche Sparkasse den Bingenheimern den gewünschten Kredit von Euro gegeben, aber die Bochumer Bank zeigte sich flexibler: TAKE 17 Rossmanith "Wir können zwischenzeitlich immer Sonderzahlungen machen, wenn wir's uns leisten können, erstens. Und zweitens, und das ist dann doch eine Besonderheit, die GLS schaut dann, wenn es mal nicht gut geht, auch von der anderen Seite drauf. Eine entsprechende Sicherheit, wenn wir tatsächlich mal ins Trudeln kämen und könnten unsere Annuitäten nicht so bedienen, dass dann die GLS- Bank mehr Luft gibt, als es eine normale Bank tun kann." Angegliedert an die "Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken" ist die "Zukunftsstiftung Landwirtschaft", in der Spendengelder eingesammelt werden, um sie z.b. ökologischen Züchtungsprojekten zur Verfügung zu stellen. Die Stiftung ist Teil der "GLS Treuhand", eines rechtlich unabhängigen, gemeinnützigen Vereins, der inhaltlich eng mit der Bank verbunden ist. In diesem Rahmen fördern etwa Schenker und Stifterinnen pro Jahr über 400 Projekte. Gebhard Rossmanith über das besondere Konstrukt, das hinter dieser Bank steht: TAKE 18 Rossmanith "Die Bank kommt aus der Treuhand, zuerst war die Frage, wie können bestimmte Projekte auf den Weg gebracht werden, wir brauchen Menschen, die das unterstützen. Dadurch wurde die Treuhand gegründet. Und es gab zwei wesentliche Themen, die damals wichtig waren: das eine waren Schule, Freie Schulen, also Waldorfschulen, und Landwirtschaft. Und das war der Anfang der ganzen Bewegung, dieser Bankbewegung, und weil man gemerkt hat, man braucht eine Bankorganisation, um das Ganze zu 'handeln', entstand dann die Bank, und die hat sich dann Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken genannt, weil dahinter eben dieser Block stand und immer noch steht." TAKE 19 GLS-Bank Atmo Großraumbüro telefonische Kundenberatung, unter -Text weiter Zurück in Bochum. Im Großraumbüro der Kundenberatung der Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken herrscht Stimmengewirr. Weitere Mitarbeiterplätze sind gerade eingerichtet worden, die Zahl 7

8 der Mitarbeiter stieg 2010 um 40 Prozent. Enger zusammenrücken kann man nicht mehr. So fühlt sich Erfolg an. Mit ihrem ethisch motivierten Ansatz hat die GLS-Bank Zulauf wie nie zuvor. Und zwar gerade weil sie sich gegen eine ausschließliche Orientierung am Gewinn wendet. Vorstandschef Thomas Jorberg: TAKE 20 Jorberg "Das Problem ist in der Tat, daß wir meinen, Wirtschaft sei dazu da, um Gewinne zu machen. Und das ist eine der größten Fehlmeinungen, die ich kenne. Wirtschaft und unternehmerisches Handeln hat nur ein Ziel, nämlich die Bedürfnisdeckung der Menschen, der Kunden. Und das ist aus dem Visier geraten, insofern brauchen wir eine breite Diskussion darüber, wozu ist eigentlich Wirtschaft da? Wirtschaft ist kein Selbstzweck, Gewinnmaximierung ist kein Selbstzweck, und überall da, wo's zum Selbstzweck geworden ist, haben wir diese Probleme." Milliarden Euro Bilanzsumme weist die Deutsche Bank auf, wenige Milliarden sind es bei den am ethischen Wirtschaften orientierten Finanzinstituten. Verglichen mit dem Branchenführer mögen sie also klein sein. Doch sind sie dabei, ihre Nische zu verlassen. Von ihnen geht eine enorme Signalwirkung aus. Viele herkömmliche Banken versuchen auf den Zug aufzuspringen und bieten eine Palette ethisch-ökologischer Geldanlagen an. Mit den ernsthaften und lebensnahen Maßstäben der GLS-Bank, ihrer absoluten Transparenz, mag das zwar wenig zu tun haben. Doch es zeigt immerhin: der Mainstream im Finanzsektor beginnt zu begreifen, dass auch beim Geld durchaus andere Prinzipien bei den Kunden eine Rolle spielen als immer nur der höchste Profit. 8