Soziale Sicherheit. 1. Das Entstehen der modernen Sozialversicherung. Kapitel 9. MEDIENPAKET Politische Bildung
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- Falko Bösch
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1 MEDIENPAKET Kapitel 9 Gottfried Winkler Soziale Sicherheit 1 Das Entstehen der modernen Sozialversicherung 2 Die österreichische Sozialversicherung 3 Die Finanzierung 4. Didaktische Anregungen (von Josef Wallner) 1. Das Entstehen der modernen Sozialversicherung Zu allen Zeiten und in jeder menschlichen Gesellschaft war und ist der Einzelne bestimmten Lebensrisiken ausgesetzt: Krankheit, Verlust der Fähigkeit oder der Möglichkeit zur Bestreitung des Lebensunterhalts für sich und seine Angehörigen, körperliche Hilfsbedürftigkeit, Alter und Tod. Und ebenfalls zu allen Zeiten gab es Formen der zwischenmenschlichen Solidarität, die darauf abzielen, diese Risiken für den Einzelnen oder seine Angehörigen und Hinterbliebenen auszugleichen oder zumindest erträglicher zu gestalten. Der Schutz und die Versorgung durch Sippe oder Familie, im Untertänigkeitsverhältnis der Grundherrschaft, durch religiöse Gemeinschaften, durch Städte und Gemeinden oder aber auch durch berufliche Verbände wie Zünfte und Berufsgenossenschaften, sind sowohl historische als auch noch immer aktuelle Erscheinungsformen dieses universalen gesellschaftlichen Prinzips der Solidarität. Als im Europa des 19. Jahrhunderts durch die rasant fortschreitende Industrialisierung alte soziale Strukturen zerbrachen oder geschwächt wurden, insbesondere die Großfamilie und im beruflichen Bereich die alten Handwerksverbände, stellte sich die Frage einer (teilweisen) Neuorganisation dieser gesellschaftlichen Solidarität. Zwar war durch kirchliche caritas und durch die Fürsorgeaufgaben der Gemeinden ein minimales Auffangnetz gegeben, doch den sozialen Massenproblemen der Industriegesellschaft konnten diese traditionellen Einrichtungen nicht ausreichend begegnen. Es war der deutsche Reichskanzler Bismarck, der vor allem auch zur Abwehr des Klassenkampfgedankens in der berühmten Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 einen neuen Weg wies: Bestimmte, sozialen Risiken ausgesetzte Personengruppen sollten zwangsweise zu einer Versichertengemeinschaft zusammengeschlossen werden, um so die Mittel aufzubringen, mit denen dem Einzelnen im Falle des in seiner Person sich ereignenden Risikos die notwendige Hilfe und Unterstützung geleistet werden kann. Die ersten Zweige dieser Sozialversicherung im modernen Sinn waren in Deutschland die in den Jahren 1883 bis 1889 eingerichtete Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung der Arbeiter. Nach diesem Vorbild wurden kurz darauf auch in Österreich Gesetze über die Arbeiterunfall- (1887) und die Arbeiterkrankenversicherung (1888) erlassen. Auch andere Staaten folgten diesem Beispiel und führten eine Sozialversicherung nach dem bismarckschen Modell ein. Es gibt aber auch von diesem Modell abweichende Vorstellungen von sozialer Vorsorge. So können soziale Leistun- 1
2 Kapitel 9 MEDIENPAKET gen nach dem Versorgungsprinzip oder dem Fürsorgeprinzip erbracht werden. Versorgung bedeutet, dass nicht eine Versichertengemeinschaft zumindest grundsätzlich die Mittel für die Leistungen aufbringt, sondern die Gesamtgesellschaft über Steuern und Abgaben. Im Rahmen eines Fürsorgesystems werden Leistungen zum Unterschied vom Versicherungsprinzip und auch vom Versorgungsprinzip nur bei Bedürftigkeit des Leistungsempfängers gewährt. In den meisten Industriestaaten existieren heute alle drei Möglichkeiten in jeweils unterschiedlichen Gewichtungen nebeneinander. So auch in Österreich. Vor allem das im angloamerikanischen Raum während des Zweiten Weltkriegs entwickelte Konzept der Sozialen Sicherheit (social security), welches mit dem Namen von Lord Beveridge verbunden ist, geht nicht wie die klassische Sozialversicherung von einem berufsgruppenspezifischen Zusammenschluss zu Versicherungsgemeinschaften aus, sondern von einer alle Bevölkerungsschichten umfassenden staatlichen Basissicherung gegen soziale Risiken. Wie die bismarckschen Gedanken hatte auch dieses Konzept weitreichende Einflüsse auf die Sozialpolitik in vielen Ländern. Die Entwicklung in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg war u.a. von der Auseinandersetzung mit diesen neuen Gedanken beeinflusst. Es war ein weiter Weg von der Arbeiterversicherung des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zum heutigen Stand einer großteils auf dem Versicherungsprinzip aufbauenden, praktisch alle Bevölkerungsgruppen umfassenden sozialen Sicherung gegen Krankheit, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Erwerbsunfähigkeit, Alter, Tod, Arbeitslosigkeit und Pflegebedürftigkeit. 2. Die österreichische Sozialversicherung 2 Die gesetzliche Regelung der Sozialversicherung fällt in Österreich in die Zuständigkeit des Bundes. Die Vollziehung des Sozialversicherungsrechts erfolgt jedoch mit Ausnahme der Arbeitslosenversicherung nicht durch staatliche Behörden, sondern durch Selbstverwaltungskörper, die Sozialversicherungsträger, die teils berufsständisch (z.b. die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter und die PVA der Angestellten), teils territorial (die Gebietskrankenkassen) organisiert sind. Die Sozialversicherung der unselbstständig Erwerbstätigen hat auch für die Sondersysteme der Selbstständigen, Bauern und Beamten Leitbildfunktion. Sie ist im vielfach novellierten Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) aus dem Jahr 1955 geregelt. Pflichtversicherung Durch die Aufnahme einer (unselbstständigen oder selbstständigen) versicherungspflichtigen Tätigkeit und das sind heute praktisch alle Erwerbstätigkeiten entsteht schon von Gesetzes wegen ein Versicherungsverhältnis, ohne dass es einer diesbezüglichen Erklärung des Versicherten bzw. seines Arbeitgebers oder des Versicherungsträgers bedarf. Die Sozialversicherung schützt nicht nur die/den Versicherten selbst, sondern auch bestimmte Angehörige durch Leistungen der Krankenversicherung im Krankheitsfall oder durch Leistungen der Pensions- und Unfallversicherung an Hinterbliebene der/des Versicherten oder Pensionisten bzw. Unfallrentners (Witwen, Witwer, Waisen). Für diese Leistungen an Angehörige wird aber kein höherer Beitrag der/des Versicherten eingehoben. Es ist dies eine Durchberechnung des Versicherungsprinzips, wonach die Beiträge (Prämien) risikobezogen sind, in Richtung Versorgungsprinzip. Gleichzeitig ist dies auch ein Beispiel für die in der Sozialversicherung bewusst angestrebte soziale Umverteilung. Freiwillige Versicherung In bestimmten Fällen kann aber auch eine freiwillige Versicherung eingegangen werden. So können sich etwa Studierende, wenn sie nicht ohnehin als Angehörige mitversichert sind, in der Krankenversicherung selbst versichern. (In der Unfallversicherung sind Schüler/innen und Studierende ohnehin pflichtversichert.) Versicherungszweige Die österreichische Sozialversicherung gliedert sich in die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung. Zur Sozialversicherung im weitesten Sinn zählt man auch die Arbeitslosenversicherung, die aber wie erwähnt ebenso wie bestimmte soziale Versorgungssysteme (Familienlastenausgleich, Kriegsopferversorgung, Beamtenpensionen) von staatlichen Behörden verwaltet wird. Seit 1993 gibt es in Österreich ein umfassendes System von Geldleistungen im Falle der Pflegebedürftigkeit. Dieses Pflegegeld ist eigentlich keine Versicherungsleistung, sondern Gegenstand eines Versorgungssystems, das zum Teil von Sozialversicherungsträgern administriert wird.
3 MEDIENPAKET Kapitel Die Krankenversicherung Die soziale Krankenversicherung trifft Vorsorge für Verhütung und Früherkennung von Krankheiten: Zu diesem Zweck sind z.b. Jugendlichen- und Gesundenuntersuchungen vorgesehen. Im Versicherungsfall der Krankheit gewährt die Krankenversicherung Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel insbesondere Medikamente und Heilbehelfe z.b. Brillen), Hauskrankenpflege und, wenn und solange es die Krankheit erfordert, Anstaltspflege. Diese Leistungen werden als Sachleistungen durch eigene Einrichtungen (z.b. Ambulatorien) oder aber insbesondere durch Vertragsärzte der Krankenversicherungsträger bereitgestellt. Wer von der Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Wahlarztes Gebrauch macht, erhält eine nach den Honorarsätzen der Vertragsärzte bemessene Kostenerstattung. Im Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit leistet die KV Krankengeld (Selbstständige müssen für einen Anspruch auf Krankengeld eine Zusatzversicherung eingehen). Im Versicherungsfall der Mutterschaft sind ärztlicher und Hebammenbeistand sowie Anstaltsaufenthalt vorgesehen; als Geldleistung das Wochengeld für die Zeit von 8 Wochen vor und nach der Entbindung. Zu den Leistungen der KV zählen ferner Zahnbehandlung und Zahnersatz, Hilfe bei körperlichen Gebrechen (z.b. Prothesen) sowie Maßnahmen zur Festigung der Gesundheit (z.b. Kur- und Erholungsaufenthalte). Seit 1997 wird auch das Karenzgeld für die Zeit der Inanspruchnahme eines Karenzurlaubs von den Krankenversicherungsträgern abgewickelt (vorher war es eine Leistung der Arbeitslosenversicherung). 2.2 Die Unfallversicherung Die Unfallversicherung erbringt Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Zur Vermeidung des Eintritts von Versicherungsfällen ist ein Unfallverhütungsdienst eingerichtet, der auch Betriebe berät und Schulungsmaßnahmen durchführt. Bei körperlichen Schädigungen durch Arbeitsunfälle und berufsbedingte Erkrankungen werden Heilbehandlung, Beistellung von Hilfsmitteln (z.b. Körperersatzstücken) sowie Maßnahmen der Rehabilitation als Sachleistungen gewährt. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit als Folge des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit um mindestens 20% gebührt eine Rente, die unabhängig von einem bestehenden Erwerbseinkommen bezogen werden kann. Bei Tod als Folge des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit gebühren Hinterbliebenenrenten. 2.3 Die Pensionsversicherung Die Pensionsversicherung trifft Vorsorge für die Versicherungsfälle des Alters, der geminderten Arbeitsfähigkeit und des Todes sowie für Rehabilitation und für Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge. Die normale Alterspension steht Männern mit der Vollendung des 65., Frauen mit der des 60. Lebensjahres zu. Bis zum Jahr 2033 soll das Pensionsanfallsalter der Frauen an jenes der Männer angeglichen werden. In den Fällen der vorzeitigen Alterspension können Pensionsleistungen bei langer Versicherungsdauer (37,5 Versicherungsjahre) sowie bei Arbeitslosigkeit von Männern schon mit 60, von Frauen mit 55 Jahren in Anspruch genommen werden. Zu den vorzeitigen Alterspensionen zählt auch jene wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (bei Männern mit 57, bei Frauen mit 55 Jahren). Im Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit ( Invalidität bei Arbeitern, Berufsunfähigkeit bei Angestellten, Dienstunfähigkeit bei Bergleuten) besteht Anspruch auf entsprechende Pensionen gegebenenfalls auch lange vor dem Anfallsalter der Alterspension. Die Höhe der Pension richtet sich dem Grundsatz nach bei allen Pensionen nach der Versicherungsdauer und der Höhe des versicherten Einkommens in den einkommensmäßig besten 15 Jahren (genauer: 180 Monaten) vor der Pensionierung. Falls die so berechnete Pension einen bestimmten Betrag, den so genannten Ausgleichszulagenrichtsatz (im Jahr 2000 ATS 8.312, für allein stehende Pensionisten), nicht erreicht, gebührt dem Pensionisten bei Bedürftigkeit, d.h. bei Fehlen sonstigen Einkommens zur Bestreitung seines Lebensunterhalts, eine Ausgleichszulage auf diesen Betrag. Diese Ausgleichszulage ist ein Beispiel für die Verwirklichung auch des Fürsorgeprinzips im Rahmen der Sozialversicherung. Bei Tod des Versicherten oder Pensionisten erhalten die Hinterbliebenen eine Pension (Witwen-, Witwer- oder Waisenpension), die einen bestimmten Prozentsatz der Pension des Verstorbenen ausmacht. Die Pensionen aus der Pensionsversicherung (und die Renten aus der Unfallversicherung) werden im Rahmen der so genannten Pensionsanpassung jährlich an die Nettoeinkommensentwicklung der unselbstständig Erwerbstätigen angeglichen. 2.4 Die Arbeitslosenversicherung Arbeitnehmer/innen, soweit sie nicht bloß geringfügig beschäftigt sind, sind auch in der Arbeitslosenversicherung 3
4 Kapitel 9 MEDIENPAKET pflichtversichert. (Die Geringfügigkeitsgrenze liegt im Jahr 2000 bei ATS 3.977, pro Monat.) Im Falle der Arbeitslosigkeit erhalten sie Arbeitslosengeld, dessen Dauer von der Länge der vorangegangenen Versicherungszeit abhängt. Nach Erschöpfung dieses Anspruchs wird bei Bedürftigkeit Notstandshilfe gewährt. 2.5 Das Pflegegeld Bei ständigem Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) aufgrund einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung gebührt Bezieher/inne/n einer Pension aus der Pensionsversicherung, einer Bundes-Beamtenpension oder einer (Voll-)Rente aus der Unfallversicherung Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz. Dieses Pflegegeld wird entsprechend der Intensität des Pflegebedarfs in sieben Stufen gewährt (derzeit von ATS 2.000,- bis , ). Aufgrund einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern wird in Fällen des Pflegebedarfs anderer als der oben genannten Personen Pflegegeld nach den gleichen Grundsätzen und in gleicher Höhe durch die neun Bundesländer gewährt. (Diese Konstruktion ist wegen der einschlägigen bundesstaatlichen Kompetenzverteilung notwendig.) 3. Die Finanzierung Die Finanzierung der Sozialversicherung erfolgt primär durch Beiträge der Versicherten, bei den Unselbstständigen im Wesentlichen gleichgewichtig auch durch Beiträge ihrer Arbeitgeber. (In der Unfallversicherung der Unselbstständigen leistet ausschließlich der Arbeitgeber die Beiträge, weil die Unfallversicherung eigentlich eine Betriebsrisikoversicherung ist, da die Gefahr für Körperschäden, die sich im Betrieb ereignen, dem Arbeitgeber zugerechnet wird.) Beitragsgrundlage ist das versicherte Einkommen (bei den Bauern der steuerliche Einheitswert der landwirtschaftlich genutzten Grundstücke), jedoch nur bis zu einer bestimmten Grenze, der so genannten Höchstbeitragsgrundlage. (Im Jahr 2000 beträgt diese für Arbeitnehmer ATS , monatlich.) Einkommensteile über dieser Grenze werden von der Sozialversicherung weder auf der Beitragsseite noch auf der Leistungsseite berücksichtigt. Die Höhe der Beiträge ist in Prozentzahlen des versicherten Einkommens festgelegt. Die Beiträge zur Sozialversicherung erbrachten im Jahr 1998 insgesamt 330,86 Mrd. ATS. Da diese Beitragseinnahmen sowie die sonstigen Einnahmen der Sozialversicherungsträger (Vermögenserträgnisse, Selbstbehalte insbesondere die Rezeptgebühren, Ersatz für Ausgleichszulagen und sonstige Einnahmen) in Höhe von 32,887 Mrd. ATS zur Bestreitung des Aufwandes für die Leistungen nicht ausreichen, ist ein Zuschuss des Bundes aus Steuermitteln erforderlich. Diese Bundesbeiträge betrugen Mrd. ATS und kamen fast ausschließlich der Pensionsversicherung zugute. Von den Gesamtausgaben der Sozialversicherungsträger in Höhe von rund 421 Mrd. ATS entfielen fast 63% auf Pensions- und Rentenleistungen. Beitragssätze für Arbeitnehmer im Jahr 2000 (in %) Tab.1 Mittel der Sozialversicherung im Tab.2 Vergleich zum BIP und zum Budget des Bundes Arbeiter Angestellte AN AG AN AG Krankenversicherung 3,95 3,95 3,40 3,50 Unfallversicherung 1,40 1,40 Pensionsversicherung 10,25 12,55 10,25 12,55 Arbeitslosenversicherung 3,00 3,70 3,00 3,70 in Mrd. ATS in % des BIP in % des Bundesbudgets ,953 16,1 49, ,075 16,3 49, ,345 16,3 52, ,733 15,3 49, ,643 16,1 55,5 Quelle: Soziale Sicherheit 1999, H. 6, S. 477ff. 4
5 MEDIENPAKET Kapitel 9 Dass die Pensionen nicht ausschließlich aus Beiträgen finanziert werden (können), hat seinen Grund u.a. auch in der staatlichen Refundierung der Kosten der so genannten Ersatzzeiten an die Pensionsversicherung. Diese Kosten entstehen daraus, dass bestimmte Zeiten aus sozialpolitischen Erwägungen als Versicherungszeiten für die Pensionsversicherung anerkannt werden, ohne dass für diese Zeiten Beiträge geleistet werden (insbesondere Zeiten der Kindererziehung oder der Arbeitslosigkeit). Die Beiträge, die die/der einzelne Versicherte (und ihr/sein Arbeitgeber) leistet, werden nicht angespart, um aus diesem Kapital und seinen Zinsen später anfallende Leistungen zu finanzieren (so sogenanntes Kapitaldeckungsverfahren). Vielmehr werden die Beiträge einer Periode jeweils zur Deckung des Aufwandes in derselben Periode herangezogen (so genanntes Umlageverfahren). Das bedeutet in der Pensionsversicherung, das die jeweils erwerbstätige Generation für die Pensionen der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Generation aufzukommen hat. Das ist die Bedeutung des viel zitierten Generationenvertrags. Das ursprünglich der Sozialversicherung in die Wiege gelegte Konzept des Kapitaldeckungsverfahrens konnte wegen der Kapitalvernichtung durch zwei Weltkriege und der in ihrem Gefolge einhergehenden Geldentwertung (Inflation) nicht durchgehalten werden. Diese Nachteile einer Gefahr der Kapitalvernichtung vermeidet das Umlageverfahren vor allem in der Pensionsversicherung. Die Probleme des Umlageverfahrens liegen in der politischen Sphäre: Verbesserungen im Leistungsbereich führen normalerweise zu einer Belastung der Beitragszahler/innen und/oder der Steuerzahler/innen. In der Pensionsversicherung bedeutet dies gleichzeitig eine Entscheidung über eine Umverteilung der Einkommen zwischen Aktiven und Pensionisten, bei welcher es gilt, den Bogen für die Aktiven nicht zu überspannen. Grundlage der Aufrechterhaltung des Generationenvertrags ist nämlich die Erwartung und das Vertrauen der Aktiven (Beitragszahler/innen), dass die jeweils nachfolgende Generation in etwa der gleichen Weise wie sie selbst für die Zahlungen an die aus dem Erwerbsleben ausscheidende Generation aufkommen wird. Diese Erwartung ist nicht nur vom Beitrags- und Leistungsniveau abhängig, sondern in höchstem Maße auch vom zahlenmäßigen Verhältnis der Beitragszahler/innen zu den Leistungsempfänger/inne/n. Dabei spielt neben konjunkturellen Schwankungen (Arbeitslosigkeit) vor allem die Altersstruktur der Bevölkerung eine entscheidende Rolle. Bei einer deutlichen Überalterung der Bevölkerung, wie wir sie in Österreich nach der Jahrtausendwende zu erwarten haben, muss eine große Zahl von Pensionisten von einer vergleichsweise kleinen Zahl von Erwerbstätigen erhalten werden. Vormarsch der Alten. Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in Prozent Abb. 1 20,30% 20,80% 23,40% 26,50% 32,10% 33,40% 1993 Quelle: ÖSTAT, Nr. 9/ Die Strategien zur Bewältigung dieses Problems, welches durch die rasch steigende Lebenserwartung noch zusätzlich verschärft wird, sind Gegenstand einer zum Teil heftigen politischen Auseinandersetzung. Einerseits dreht sich die Diskussion um die Frage des Pensionsantrittsalters, da dieses unmittelbaren Einfluss auf das Verhältnis zwischen Beitragszahler/inne/n und Leistungsempfänger/innen/n entfaltet. Andererseits sind auch Vorschläge im Gespräch, die soziale Pensionsversicherung auf lange Sicht auf den ursprünglichen Zweck der Existenzsicherung zurückzuführen und die Aufgabe der Sicherung des Lebensstandards der Eigenvorsorge zu übertragen. 5
6 Kapitel 9 4. Didaktische Anregungen MEDIENPAKET Josef Wallner Zweck der Sozialversicherung Ausgehend von dem folgenden vereinfachten Lohnzettel kann in das Thema Sozialversicherung eingestiegen werden. Was ist der Unterschied zwischen Brutto- und Nettolohn? Warum gibt es diese Abzüge? Welche Leistungen der Sozialversicherung haben die Schüler/innen schon in Anspruch genommen? (vgl. Folie 15) Was wäre gewesen, wenn die Schüler/innen nicht sozialversichert gewesen wären? Warum ist die Sozialversicherung eine Pflichtversicherung? Wofür wird der Sozialversicherungsbeitrag verwendet (vgl. Folie 16 und Abb. 2 Sozialversicherung in Österreich Einnahmen/ Ausgaben 1998)? Gehaltsabrechnung Bruttobezug ATS ,00 Sozialversicherung ATS 5.083,20 - Lohnsteuer ATS 4.657,00 - Nettobezug ATS ,80 Krankenscheingebühr ATS 50,00 - Auszahlungsbetrag ATS ,00 Um zu einer plastischen Vorstellung über Höhe und Reichweite von Sozialpolitik zu kommen, könnten die Schüler/innen bei Ärzten, der Ärztekammer oder bei Spitälern die Kosten/Preise für diverse Krankenbehandlungen erfragen (z.b. Blinddarmoperationen, Untersuchung beim Augenarzt, unfallchirurgischer Eingriff, Rehabilitation nach einem Unfall bei stationären Aufenthalten die Kosten für den Krankenhausaufenthalt mitrechnen) und diese zu den Pflichtversicherungsbeiträgen in Relation setzen. Finanzierung der Pensionen Ausgehend von der Abb.1 Vormarsch der Alten kann die Problematik der Finanzierung des Pensionssystems diskutiert werden. Durch Analyse aktueller Pressemeldungen soll der aktuelle Stand der Diskussion dokumentiert werden. Welche Schritte wurden bereits unternommen, um das Pensionssystem langfristig zu sichern? Wie werden diese Maßnahmen von politischen Parteien und Interessenverbänden beurteilt? Welche Lösungsansätze schlagen die unterschiedlichen politischen Gruppierungen vor? Was ist das 3-Säulen-Modell? Die Österreichische Sozialversicherung Abb. 2 6
7 MEDIENPAKET Kapitel 9 Private Vorsorge Im Rahmen eines Projektes können die Schüler/innen Informationen über die Möglichkeiten der privaten Vorsorge sammeln. Erkundigungen bei Banken, Versicherungen und Finanzdienstleistern Welche Vorsorge wurde im eigenen Familien- und Bekanntenkreis getroffen? Worauf würden die Schüler/innen bei ihrer privaten Vorsorge Wert legen: sichere Veranlagung bei niedrigem Ertrag oder höherer Ertrag bei größerem Risiko? Ab welchem Lebensalter werden die Schüler/innen an private Vorsorge denken? Soziales Netz Die Abb. 4 Das soziale Netz zeigt das Netz der sozialen Sicherheit in Österreich. Die Abbildung kann Ausgangspunkt für verschiedene Diskussionen sein: Das soziale Netz in Österreich gilt als gut gespannt. Wie ist es möglich, dass rund Menschen als arm gelten (vgl. Text Wer gilt als arm? und Abb. 3 Armut )? Wer sollte nach Meinung der Schüler/innen Anspruch auf Sozialleistungen haben? Welche Leistungen erachten die Schüler/innen als besonders wichtig? Was bedeutet das Gießkannenprinzip? Text: Wer gilt als arm? Laut Definition der Österreichischen Armutskonferenz gilt jemand als arm, auf den mindestens eines der Kriterien zutrifft: Substandard- oder überbelegte Wohnung; große finanzielle Nöte bei Heizung, Kleider- und Lebensmittelkauf; Rückstände bei Zahlungen von Miete, Betriebskosten und Krediten. Wessen Einkommen geringer als ATS 8.600, ist, der fällt in die Kategorie armutsgefährdet. Insgesamt Menschen befinden sich in Österreich in dieser angespannten finanziellen Lage. Alleinerzieherinnen leiden laut Sozialministerium besonders unter Geldnot: 19% aller Alleinerzieherinnen-Haushalte müssen mit weniger als ATS 7.500, monatlich das Auslangen finden. Quelle: Kurier, 28. April 2000 Armut: wenig Einkommen schlechte Gesundheit Abb. 3 monatliches Nettoeinkommen (in ATS) unter über Anteil der Personen mit mäßigem bis sehr schlechtem Gesundheitszustand in Prozent Quelle: Sozialbericht Jährige über 60-Jährige 7
8 Kapitel 9 MEDIENPAKET Das soziale Netz Abb. 4 Karenzurlaubsgeld Krankengeld Notstandshilfe Familienbeihilfe Versehrtenrente Fürsorge Krankenversicherung Wohnbeihilfe Arbeitslosengeld Hilfestellung an Opfer von Verbrechen Pensionsversicherung Wochengeld Erziehungsgeld Gesundenuntersuchung Pflegschaftsurlaub Sondernotstandshilfe für Mütter Insolvenzausfallsgeld Befreiung von Gebühren (Telefon, Rundfunk) Ausgleichs zulagen Schülerfreifahrten Unterhaltsvorschüsse Pflegegeld Leistungen von Ländern und Gemeinden 8
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