Kirchen + Kino. DER FILMTIPP. 4. Staffel September Juni Weitere Hinweise: Interview zum Film auf

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1 Kirchen + Kino. DER FILMTIPP 4. Staffel September Juni 2011 Das weiße Band Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien Min. FSK: ab 12, empfohlen ab 14 Jahren Regie: Michael Haneke Drehbuch: Michael Haneke Kamera: Christian Berger Schnitt: Monika Willi Darsteller: Christian Friedel (Lehrer), Leonie Benesch (Eva) Ulrich Tukur (Baron), Ursina Lardi (Baronin), Burghart Klaussner (Pfarrer), Steffi Kühnert (Pfarrfrau), Maria-Viktoria Dragus (Klara), Leonard Proxauf (Martin), Rainer Bock (Arzt) und viele andere. Preise: Goldene Palme, Cannes 2009 u.a. Weitere Hinweise: Interview zum Film auf Website: Kurzcharakteristik Der Erste Weltkrieg liegt in der Luft. In einem scheinbar ganz normalen Dorf in Norddeutschland gehen die Dinge ihren normalen Gang. Der Dorflehrer leitet auch den Schul- und Kirchenchor, der sich aus den Kindern und Jugendlichen des Ortes zusammensetzt. Sie bilden einen Querschnitt der dortigen Gesellschaft, sind die Kinder von Gutsherren, Hebammen, Ärzten und Bauern. Dann beginnen Unfälle. Je mehr davon passieren, desto stärker kristallisiert sich eine Methode heraus: Die vermeintlichen Unfälle scheinen Bestrafungen zu sein. Inhalt Deutschland 1913/14, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges: In einem protestantischen Dorf im Norden Deutschlands herrscht ein quasi-feudalistisches Gefüge von Autoritäten, Abhängigkeiten und einem subtilen Strafsystem, das vom Baron bis zu den Bauern alle Beziehungen durchdringt und vor allem die Kinder prägt. Der so geordnete Alltag zwischen Arbeit, Gebet und Schule gerät in Unruhe, als sich mysteriöse Unfälle häufen und zu einer Reihe von Verbrechen werden, die sich im Laufe eines Jahres im Dorf zutragen und deren Täter im Dunkeln bleiben: Zum Auftakt bringt ein Draht das Pferd des Doktors zu Fall und ihn für Wochen ins Krankenhaus, dann verunglückt eine Arbeiterin im Sägewerk, ein Schuppen brennt ab und das Kohlfeld des Barons wird am Erntedankfest gemäht. Als der Sohn des Barons misshandelt aufgefunden wird, ruft der Gutsherr nach dem Gottesdienst zu erhöhter Wachsamkeit und Denunziation der Schuldigen auf. Doch die Vorfälle hören nicht auf, es scheint eine Methode der Bestrafung dahinter zu stecken und schließlich wird sogar der behinderte Sohn

2 der Hebamme zum Opfer grausamer Qualen. Einzig der sensible Dorflehrer hinterfragt die Rolle der Kinder in diesem Zusammenhang. Doch als er seinen Verdacht verfolgt, wird ihm vom Pastor dringend geraten, sich aus der Sache herauszuhalten. Auch die Hebamme meint, die wahren Täter zu kennen. Auf dem Weg zur Gendarmerie in der Stadt verschwindet sie aber ebenso spurlos wie der Arzt, dessen Kinder und der behinderte Junge. Dem Dorflehrer gelingt die Aufklärung der Vorgänge im Dorf nicht, aber er verlässt es gemeinsam mit seiner Liebe Eva. Doch mit der Botschaft vom Attentat auf den österreichischungarischen Thronnachfolger in Sarajewo nimmt die Geschichte bereits ihren bedrohlichen Lauf. (aus: Filmheft Bundeszentrale für politische Bildung) Gestaltung Der Film erinnert in Stil und Gestaltung zunächst an klassische Literaturverfilmungen. Eine Erzählstimme schildert aus einer gewissen zeitlichen Distanz heraus die chronologischen Abläufe der geschilderten Ereignisse. Die Stimme (Voice-Over) wird nach und nach erkennbar als Stimme des Dorflehrers, der als Hauptfigur im Film anzusehen ist. Die Dialogsprache orientiert sich an zeitgenössischen literarischen Vorbildern wie Thomas Mann oder Wedekind, doch wird das erlesene Deutsch ( Herr Vater ) an einigen Stellen bewusst sprachlich gebrochen, wenn beispielsweise von einem behinderten Kind die Rede ist, was nicht einer historischen, sondern einer heutigen gegenwartsbezogenen Ausdrucksweise entspricht. Der Film ist ganz in Schwarzweiß gedreht. Die Bildgestaltung knüpft an Formen der Inszenierung von Fotografien und Filmen zu Beginn des 20. Jahrhunderts an. Besonders die Licht- und Kontrasteffekte wurden teilweise digital nachbearbeitet, was einigen Bildern eine surreale Tiefenschärfe verleiht, die wiederum eine Distanz zu den betrachteten Gegenständen und Landschaftsbildern schafft. Sie zwingt zum genauen Hinsehen. Wesentliche Aspekte der Handlungen geschehen außerhalb des Bildausschnittes oder in verborgenen Räumen. Geräusche, Klänge und Stimmen erfahren damit eine besondere Aufmerksamkeit. Auf eine eigenständige Filmmusik wird verzichtet. Stattdessen gibt es an mehreren Stellen Realmusik (Klavier, Gesang, Tanzmusik, Schlusschor). Interpretation Der Film Das weiße Band bietet eine Vielzahl von Themen und Aspekten, die ihren Fokus in der Frage finden, welche Begründungen und Folgen eine strenge, auf Gewalt und Disziplin gegründet Erziehung für die Gesellschaft und das Leben des Einzelnen hat. Das scheinbar gut funktionierende Leben der Dorfgemeinschaft entlarvt sich im Laufe der Zeit als autoritäre, rücksichtslos und gewalttätig handelnde Gemeinschaft, die alle sozialen Schichten und Altersgruppen erfasst. Die besondere Stellung und Verantwortung einzelner Personen wie die des Arztes, Barons oder Pfarrers lässt in der streng patriarchalisch geprägten Gemeinschaft des Dorfes jegliches Gespür von Nähe, Liebe und menschlicher Zuneigung vermissen. Einzig dem Lehrer gelingt es, zumindest eine Ahnung dafür zu entwickeln, dass das Dorf und die Menschen in ihm nicht durch Gewalt und Strenge überleben werden. Selbst die Kinder schlagen bereits zurück.

3 Eine besondere Rolle im System von Gewalt und Strenge besitzt der Pfarrer. Er verkörpert ein streng moralisches Verständnis des Lebens, das sämtliche Spuren eines von der Freiheit geprägten Evangeliums vermissen lässt. Zitat: Das weiße Band ist ein filmischer Diskurs über Autorität, Disziplinierung und ihre Folgen. Im Namen der Verantwortung für die Gemeinschaft wird ein Klima der Angst und der Einschüchterung geschaffen, das den Boden für neue Gewalt bereitet. Damit stellt der Film die Frage nach individueller und gesellschaftlicher Schuld. Besonders der protestantische Pfarrer bildet in einer Mischung aus Fürsorglichkeit und unbarmherziger Strenge den Typ des Geistlichen, der in seiner Selbstgerechtigkeit seine Kinder und eine ganze Generation von Konfirmanden terrorisiert. Unerwünschtes wird totgeschwiegen, von der befreienden Kraft der Verkündigung Jesu keine Spur. An dieser Figur wird bedrückend sichtbar, wie sehr die Kirche die Mentalität mitgeschaffen hat, die für die politischen Gewaltexzesse des 20. Jahrhunderts in Deutschland verantwortlich ist (aus der Begründung für den Film des Monats der Jury der Evangelischen Filmarbeit Oktober 2009) Der Titel des Films unterstreicht die erbarmungslosen religiösen Erziehungsmethoden, die die Gewalt, Strenge und Disziplin des Pfarrers begründen. 1 Neben dem Pfarrer erscheint die Pfarrfrau nur wie eine gehorsame Statistin. Selbst in der Nacht, in der die Scheune des Barons brennt, lässt sie zu, dass ihr Sohn Martin von seinem Bruder wieder an das Bett gebunden wird. Eine genderspezifische Betrachtung des Films, bei der besonders die entwürdigende Behandlung der Hebamme und auch der verzweifelte Ausbruchversuch der Baronin betrachtet werden sollten, bietet einen zusätzliche Perspektive der Interpretation. 2 Anregungen für Filmgespräch und Unterricht Die Diskussion um Erziehung und Gewalt macht den Film Das weiße Band zu einem hervorragenden Medium, um über heutige Erziehungsaufgaben und Gewaltstrukturen in der Gesellschaft nachzudenken. Gerade die heftigen Auseinandersetzungen der letzten Jahre um sexuellen Missbrauch in Heimen und Internaten haben dabei in den Kirchen zu einer selbstkritischen Besinnung geführt, auch wenn die Aufarbeitung der Ursachen und Folgen für den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in kirchlichen Einrichtungen noch immer in den Anfängen steckt. Abgesehen von seiner ästhetischen Qualität zeichnet der Film Das weiße Band ein vielschichtiges Bild eines Dorfes, das erst nach und nach sein wahres Gesicht zu erkennen gibt. Aus einem scheinbar umkomplizierten Anfang entwickelt sich eine subtil-dramatische Geschichte, die mit ihrer Mischung aus Angst, Gewalt und Brutalität zunehmend unheimlich und bedrückend wird. Das Ende, das kein Ende sein will, mündet im Krieg. Die Menschen werden zerstreut und beginnen an neuen Orten von vorn. 1 Hervorragendes Begleitmaterial befindet sich u.a. auf der vom Matthias-Film herausgegebenen DVDeducativ. Besonders sind hier die u. a. von Gunter Schendel erarbeiteten Hinweise zur Geschichte des Pfarrhauses und seiner Darstellung bei Michael Haneke zu nennen. 2 Siehe Filmheft Das weiße Band Eine deutsche Kindergeschichte, Bundeszentrale für politische Bildung, 2009, 8f.

4 Fragen, denen man im Anschluss an den Film nachgehen kann: Der Regisseur Haneke beschreibt die Gewalttätigkeit in seinem Film als steil hierarchisch und extrem asymmetrische Beziehung. Welche Szenen aus dem Film fallen Ihnen dazu ein? Worauf bezieht sich der Filmtitel Das weiße Band? Warum wurde der Film Ihrer Meinung nach in Schwarzweiß gedreht? Welche Rolle haben die Frauen und Mädchen im Film? Was ist aus heutiger Sicht bedenklich an der Persönlichkeitsstruktur des autoritären Charakters und wodurch wird er geprägt? Können Religion und Glaube bei der Erziehung und Wertevermittlung einen positiven Beitrag leisten, und wenn Ja, welchen? Worin besteht für Sie die Botschaft des Films? Sehen sie aktuelle Bezüge? Weitere Zitate: Johann Heinrich Wichern, der Begründer evangelischer Rettungshäuser, hat vor rund hundert Jahren seinen Erziehern an Herz gelegt, dass die Strafe so wesentlich in die christliche Erziehung hin gehöre, als der Unterschied von gut und böse vorhanden ist und Strafe und Lohn wesentliche Handlungen und Offenbarungen der göttlichen Gerechtigkeit sind. Er kujonierte selbst Acht- und Neunjährige wegen ihrer Unreichlichkeit mit härtesten körperlichen Strafen Peter Wensierski: Schläge im Namen des Herrn. Der verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik, München 2007, 80. Gewalttätige Eltern wurden oft selbst als Kinder misshandelt. Literatur- und Medienhinweise Filmheft Das weiße Band Eine deutsche Kindergeschichte, Bundeszentrale für politische Bildung 2009 Peter Wensierski: Schläge im Namen des Herrn. Der verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik, München 2007 Das weiße Band Eine deutsche Kindergeschichte, Matthias-Film DVD educativ premium 2009/ Anlage Vorschlag für eine Einführung Die Goldene Palme in Cannes 2009, hervorragende und bekannte Schauspieler, doch ein Film in Schwarzweiß, ein Film, der uns freundlich und aus einer vergangenen Zeit entgegenkommen zu scheint. Und das über mehr als zwei

5 Stunden! Doch manche Dinge entwickeln sich langsam, nach und nach. Und erst recht, wenn es um Menschen und ihre verborgenen Schattenseiten geht. In der kleinen Welt des Dorfes kann man sich nicht ausweichen. Er braucht gute Nachbarschaft, alle brauchen einander, doch es herrscht auch Kontrolle, es gibt Menschen die bestimmen und Menschen, die gehorchen müssen. Zwischen Arbeit und Religion ringt das Leben um seinen Raum, seine Freiheit, sein bescheidenes Glück. Hier kann jeder auf der Strecke bleiben, ob reich oder arm, Mann oder Frau, Erwachsener oder Kind. Erziehung, Gewalt, Strenge, der Ruf nach Disziplin die Themen des Films sind aktueller als wir meinen. Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der wir leben wollen, und wie wirken wir an ihren Voraussetzungen mit? Auch die Kirche muss sich in diesem Film sehr kritisch befragen lassen. Und erschreckend was uns begegnen wird, zeichnet kaum eine Karikatur! Seien sie gespannt auf einen großartigen Film, einen Film, der uns zwingt, nachzufragen und der dabei mehr nach uns fragt, als es unser erster Blick vermuten lässt. Eine deutsche Kindergeschichte heißt es zum Titel. Vielleicht liegt darin die Perspektive, die uns manches aufschließt, auch wenn wir nicht auf alles eine Antwort erfahren! Doch das werden wir vielleicht noch bei einem kleinen Gespräch im Anschluss an den Film sehen!

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