Predigt zu Galater 5,1-6
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- Hannah Geiger
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1 Predigt zu Galater 5, S.n.Trin.: Gedenktag der Reformation Uhr St. Lukas / Uhr Haunswies 1 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! 2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. 3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. 4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. 5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. 6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Galater 5,1-6 Gnade sei mit Euch Stilles Gebet Liebe Gemeinde! Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Mit dieser komplett widersprüchlichen These beginnt Martin Luther 1920 seine berühmte Schrift: Von der Freiheit eines Christenmenschen. Etwa drei Jahre zuvor hatte die Veröffentlichung der 95 Thesen einen erbitterten Streit in der Kirche in Gang gebracht, der letztlich zur Spaltung und zur Entstehung unserer evangelischen Konfession führte. Im Kern ging es bei diesem Streit um nichts anderes als um die Freiheit der Christen, von der Paulus auch am Anfang unseres Predigttextes schreibt, den ich noch einmal vorlese: - lesen Gal. 5,1-6
2 Erinnern wir uns: Die Kirche hatte zu Zeiten Martin Luthers ihre Schäfchen fest im Griff. Christinnen und Christen lebten in Furcht und Schrecken angesichts der Aussicht, nach dem Tod in die Hölle oder ins Fegefeuer zu kommen, um für alle bösen Taten zu büßen, und Weltgerichtsbilder an Wänden und Decken der Kirchen malten diese Vorstellungen in glühenden Farben aus. Schon die Kinder wurden in der Angst erzogen. Luther sagte später: Ich wurde von Kindheit so gewöhnt, dass ich erblassen und erschrecken musste, wenn ich den Namen Christus auch nur nennen hörte, denn ich war nicht anders unterrichtet, als dass ich ihn für einen strengen und zornigen Richter hielt. Von Freiheit konnte da keine Rede sein. Um vor diesem Richter bestehen zu können, musste man sich die Gnade Gottes erst verdienen, indem man den Lehren der Kirche folgte, regelmäßig zur Beichte ging, Geld an die Kirche und an Bedürftige spendete und vieles andere mehr und dennoch konnte man nie sicher sein, dass man wirklich alles notwendige getan hatte, um der Hölle zu entrinnen. Auch Martin Luther hatte versucht, alles richtig zu machen, um Christus gnädig zu stimmen. Er studierte die Bibel, er beichtete jede noch so kleine Verfehlung, jede noch so kleine Sünde und schlug sich oder schlief in eiskalten Winternächten ohne Decke, um sich selbst dafür zu bestrafen und so der Strafe Gottes zu entgehen. Aber all das half ihm nichts. Wenn er in seiner Zeit im Kloster hungrig auf das Brot seines Nachbarn schaute, weil die Rationen gar so knapp waren, dann konnte er über sich selbst verzweifeln und das Gefühl bekommen, durch diese Begierde schwere Schuld auf sich geladen zu haben. Er quälte sich herum und verzweifelte schließlich an der Erfahrung, dass er unvollkommen war, dass er seinen Körper und seinen Geist nicht voll beherrschen konnte, dass in ihm trotz größter Anstrengungen etwas blieb, das ihn immer wieder schuldig werden ließ und ihn gnadenlos darauf festnagelte, ein Sünder ohne Hoffnung zu sein. 2
3 Liebe Gemeinde, hier unterbreche ich die Rückschau. Uns heute mag dies Denken und Verhalten Martin Luthers fremd, ja bizarr vorkommen. Aber kennen wir Vergleichbares wirklich nicht? Kennen wir ihn nicht gut genug, diesen gnadenlosen Kampf um die eigene Sicherheit, um die eigene Zukunft? Mir fallen dazu die vielen selbstständigen Handwerker ein, die sich von früh bis spät abrackern und immer der Konkurrenz eine Nasenlänge voraussein müssen, weil sonst gnadenlos die Anderen den Zuschlag erhalten. Oder was ist mit den jungen Menschen, die sich um die Teilnahme an Casting-Shows reißen - welche in meinen Augen verboten werden müssten? Da werden sie auf ein langweiliges Schönheitsideal getrimmt und vor die Augen von Millionen gezerrt. Dort versuchen sie abgekocht und souverän, interessant und aufregend zu sein und werden doch nur mit ihren ganzen gemischten Gefühlen, ihren verletzlichen Hoffnungen und meist noch ihrem Scheitern bloßgestellt und durch die Medien gezogen. Gnadenlos und entwürdigend ist das und viele nehmen diese ganze Tortur dennoch bereitwillig auf sich in der Hoffnung, der oder die eine zu sein, die gewinnt. Oder was ist mit dem jungen erfolgreichen Betriebswirt, der auf einmal entdeckt, dass das Ende seiner bislang steilen Karriere gnadenlos rasch erreicht sein wird, wenn er sich nicht bereit erklärt, auch bei skrupelloser Ausbeutung oder halblegalen Geschäften mitzumachen? Oder was ist mit euch Schülerinnen und Schülern, deren Leistungen nicht zu den Top Ten der Schule gehören? Die Druck kriegen von Zuhause und aus der Schule und vielleicht sogar schon mal gnadenlos die Drohung zu hören gekriegt haben: aus dir wird sowieso nie was? Diese Reihe ließe sich noch lange fortsetzen. Wir sollten wirklich nicht so tun, als würden wir nicht kennen, was Martin Luther 3
4 schon umgetrieben hat: den gnadenlosen Druck, mir mein Leben, meine Existenz, meine Zukunft durch meine eigenen Anstrengungen zu sichern und die Erkenntnis, dass ich mich noch so sehr anstrengen kann: wirklich sicher sein, dass mir das auch gelingt, kann ich nie. Wäre das nicht schön, wirklich schön, von dieser ganzen Unbarmherzigkeit, von diesen ganzen Zwängen frei zu werden? Luftholen und aufatmen zu können, weil wir es nicht nötig haben, uns diesen unbarmherzigen Spielregeln zu beugen? Dazu ist Christus gekommen, sagt Paulus, und Martin Luther hat das wieder entdeckt. Christus ist nicht gekommen, um uns fertig zu machen, sondern um zu retten. Er kam zur Welt, um uns das Leben zu schenken, damit wir es uns endlich nicht mehr selbst verdienen müssen. Christus war als einziger ohne Sünde, so dass er in seinem Leben und seinem Sterben an unserer Stelle alle Gebote und das ganze Gesetz Gottes erfüllte, darum brauchen wir am Gesetz nicht mehr zu verzweifeln. Und das geschieht aus freier Liebe und reiner Gnade das einzige, was wir dazu tun müssen und können, ist, die Hände aufzuhalten und es uns schenken zu lassen. Uns schenken zu lassen, dass wir von Gott gerechtfertigt sind, dass uns vergeben ist, was wir an Schuld mit uns herumschleppen, dass wir im Leben und im Sterben ganz zu Christus gehören. Liebe Gemeinde, das ist etwas, was wir nicht auf dem Weg des Nachdenkens erreichen können. Luther überkam diese Erkenntnis, als er in der Bibel im Römerbrief las: Der Gerechte wird aus Glauben leben. Aus Glauben das können wir nicht selbst machen. Gottes Geist pflanzt es in uns hinein, dass wir geliebte Kinder Gottes sind, er lässt es uns erfahren: Wir gehören zu Gott, der uns geschaffen und gerettet hat. Das bestimmt nun unser Leben, und das kann uns niemand nehmen. Das ändert zwar nichts an den äußeren Bedingungen, unter denen wir leben aber es ändert unsere Möglichkeiten, damit umzugehen. 4
5 Vom Heiligen Geist in uns hineingepflanzt, ist der Glaube in unserm Innern wie ein Schatz, wie ein mächtiger Schutz, der uns zur Freiheit helfen will von allem, was ungute Macht über uns zu gewinnen droht. Für Martin Luther fegte diese Erfahrung endgültig den Gehorsam gegenüber all den Regeln und Geboten der Kirche hinweg, die nur dazu dienten, die Macht der Kirche aufrecht zu erhalten. Überall, wo die Kirche sich zwischen die Menschen und ihren Herrn gestellt hatte, rief Luther dazu auf, die entsprechenden Lehren und Bräuche abzuschaffen und sich nicht mehr ins Bockshorn jagen zu lassen. Eine Szene aus dem 12 Jahre alten Lutherfilm zeigt das auf besonders anrührende Weise: Die junge verwahrloste Grete, die als ledige Mutter ihre Tochter Hanna auf dem Rücken herumschleppt, verarmt, verachtet und überall herumgestoßen, muss sich den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter durch Holzsammeln und verkaufen mehr schlecht als recht erwirtschaften. Martin Luther und die Mönchsbrüder, die ihn bei seiner Ankunft in Wittenberg abgeholt hatten, kaufen bei ihr Holz, damit sie wenigstens ein bisschen verdient. Später beobachtet sie, wie Luther einen Selbstmörder auf dem Friedhof gegen den Willen des Friedhofwärters beerdigt, und hört Luther in der Kirche bei seiner Predigt zu. Eines Tages erlebt Grete die Ablasspredigt des päpstlichen Gesandten Tezel in Güterborg. Voller Angst vor der Hölle und in der Hoffnung, hier nun ein unfehlbares Mittel zu bekommen, um ihrer Tochter eine bessere Zukunft zu sichern, kauft Grete für Hanna von ihrem wenigen Geld einen Ablassbrief. Kurz darauf begegnet sie Martin Luther und hält ihm voller Stolz den Brief hin. Für Hanna, sagt sie und ihre Augen leuchten. Luther aber sieht sie traurig an. Er nimmt ihr den Brief aus der Hand. Das hilft nichts, Grete, sagt er leise, und entsetzt sieht sie zu, wie er den Brief zerknüllt. Kauf Hanna was zu essen und vertrau auf Christus! setzt er hinzu, schaut Hanna noch einmal an und gibt Grete das Geld in die Hand, das sie für den Ablassbrief bezahlt 5
6 hatte. Dann dreht er sich um und geht fort. Erst etliche Szenen später begegnen sich Luther und Grete wieder. Sie dreht sich um und zeigt nach hinten. Da schau, sagt sie und Luther sieht Hanna, gestützt auf zwei Krücken, die ihn fröhlich anstrahlt und mühsam noch allein und aufrecht laufen lernt. In Christus frei werden. Frei von der allgegenwärtigen Geschäftemacherei mit unserer Angst, und frei von den negativen Urteilen anderer, die uns am Leben hindern. Frei zu werden von dem Druck der Erwartungen und der Anforderungen, weil mein Leben von Christus abschließend beurteilt und freigesprochen worden ist. Frei zu werden, zu mir ja zu sagen, weil Christus ja zu mir sagt. Frei zu werden, Menschen als Schwestern und Brüder zu behandeln, weil mir in jedem Menschen Christus begegnet. Und in dieser Freiheit zu bleiben. Aber, liebe Gemeinde, da war doch am Anfang noch dieser paradoxe zweite Satz Luthers: Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Hebt das den ersten Satz nicht auf? Lassen wir zum Schluss Luther selbst darauf antworten: Also soll ein Christenmensch wie Christus ( ) sich wiederum williglich zu einem Diener machen, seinem Nächsten zu helfen, ( ) und also denken: «Wohlan, mein Gott hat mir unwürdigem, verdammtem Menschen, ohne alle Verdienste, rein umsonst und aus eitel Barmherzigkeit gegeben durch und in Christo vollen Reichtum aller Frömmigkeit und Seligkeit, dass ich hinfort nichts mehr bedarf, denn zu glauben, es sei also. Ei, so will ich solchem Vater, der mich mit seinen überschwenglichen Gütern also überschüttet hat, wiederum frei, fröhlich und umsonst tun, was ihm wohl gefällt, und gegen meinen Nächsten auch werden ein Christ, wie Christus mir geworden ist, ( ) Siehe, also fließet aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies, williges, fröhliches Leben, dem Nächsten zu dienen umsonst. Denn gleichwie unser Nächster Not leidet und unseres 6
7 Übrigen bedarf, also haben wir vor Gott Not gelitten und seiner Gnaden bedurft. Darum, wie uns Gott hat durch Christum umsonst geholfen, also sollen wir durch den Leib und seine Werke nichts anderes tun, als dem Nächsten zu helfen. Nicht als Zwang, nicht als Bedingung, nicht als neues Gesetz, das uns vor Gott verpflichtet, sondern als natürliche Folge der Erfahrung, geliebt und in Christus geborgen zu sein, als daraus erwachsener eigener Wille, als in Gott entstandener Herzenswunsch und je und je neuer Versuch, die Liebe zu leben. Amen 7
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