KULTURWISSENSCHAFTEN LITERATUR UND LITERATURWISSENSCHAFT. Deutsche Literatur. Lyrik. Interpretation EINFÜHRUNG

Transkript

1 B BD BDBA KULTURWISSENSCHAFTEN LITERATUR UND LITERATURWISSENSCHAFT Deutsche Literatur Lyrik Interpretation EINFÜHRUNG 15-4 Einführung in die Gedichtanalyse / Dieter Burdorf. - 3., aktualisierte und erw. Aufl. - Stuttgart : Metzler, X, 289 S. Ill. ; 23 cm. - (Lehrbuch). - ISBN : EUR [#4447] Die erste (1995) und die zweite, überarbeitete und aktualisierte Auflage (1997) dieser bewährten Einführung in die Gedichtanalyse erschienen als Band 284 der Sammlung Metzler. 1 Die Neubearbeitung erscheint nun nicht mehr in dieser Reihe, sondern unter dem nur auf dem Umschlag zu findenden Logo Lehrbuch J. B. Metzler. 2 Die Wahl des größeren Buchformats 3 schuf Raum zur Texterweiterung, ermöglichte Abbildungen und erlaubte die Einführung von Randleisten mit Schlagwörtern (Marginalien), die der schnelleren Orientierung dienen. Somit konnten in der 3. Auflage neuere Forschungen zur Lyrik und Lyriktheorie aufgenommen und eingearbeitet werden, ohne daß die bisherige Substanz mit Rücksicht auf den bei der Sammlung Metzler üblichen Umfang beschnitten werden mußte (S. IX). Andererseits, so heißt es im Vorwort zur 3. Auflage zur Vorgehensweise des Autors bei der Neubearbeitung, war an der Darstellung selbst nichts Grundlegendes zu ändern. Die im ersten Kapitel entwickelte, in der Forschung viel diskutierte Lyrikdefinition hat sich bewährt und wird daher nicht modifiziert. Auch die Auffächerung der Aspekte der Gedichtanalyse und die daraus abgeleitete Kapitelgliederung werden aus den ersten Auflagen übernommen. Der Text wurde in allen Einzelheiten überprüft und wo nötig ergänzt oder 1 Einführung in die Gedichtanalyse / Dieter Burdorf. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, X, 274 S. ; 19 cm. - (Sammlung Metzler ; 284). - ISBN X. - Einführung in die Gedichtanalyse / Dieter Burdorf. - 2., überarb. und aktualisierte Aufl. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, X, 276 S. ; 19 cm. - (Sammlung Metzler ; 284). - ISBN Die Verbundkataloge gehen damit ganz unterschiedlich um, indem sie es entweder völlig weglassen oder bloß als Lehrbuch angeben (teils mit Nachweis unter diesem Titel - so der SWB - teils ohne solchen - so die DNB). Für den Verlag handelt es sich keinesfalls um eine Reihe, sondern nur um eine Warengruppe. [KS] 3 Der Satzspiegel der Sammlung Metzler beträgt ca. 15,9 x 9 cm, beim Lehrbuch J. B. Metzler ca. 18,9 x 10 cm bzw. 12,5 cm (Marginalien).

2 aktualisiert. Dabei musste fast nichts als veraltet oder unhaltbar gestrichen werden (ebd.). In diesen aus den früheren Auflagen übernommenen Text wurden die neueren Forschungsergebnisse eingearbeitet oder unter der Überschrift Zur Vertiefung als weiterführende Lektüreabschnitte angeboten. Folglich blieben die Haupt- wie auch die Untergliederung im wesentlichen unverändert. 4 Änderungen finden sich im Text, aber auch in der Feinstrukturierung. So wurde das erste Kapitel in dieser neuen Auflage wesentlich besser untergliedert. Zusätzlich erhielten nicht nur hier, sondern im gesamten Buch, die meisten Absätze eine Art einleitende Überschrift, die die Orientierung erheblich erleichtert, z. B. Herders Lyriktheorie (S. 4), Hugo Friedrichs Theorie der modernen Lyrik (S. 5), Gedichte als Songs (S. 31), Liebessonette (S. 121), Strategien zur Lösung von Verstehensproblemen (S. 161) usw. Eine weitere Orientierungshilfe stellen die Marginalien dar, die einerseits einen weiteren Hinweis auf die abgehandelte Materie liefern, andererseits Zitatnachweise oder Erläuterungen zu den Abbildungen enthalten. Blau unterlegte Textpassagen bieten Interpretationsbeispiele. Burdorfs 5 Ausführungen zum Lyrikbegriff fassen auf den Seiten 2-23 die Diskussion der letzten Jahrhunderte zusammen. Während in Italien und Frankreich die Auseinandersetzung um die Gattungstrias und die Lyrikauffassung schon sehr früh geführt wurde, setzte sie in Deutschland erst im späteren 18. Jahrhundert ein. So kommt in Gottscheds Critischer Dichtkunst, 1730 ( ) das Wort Lyrik überhaupt nicht vor. Er spricht von einzelnen Arten (Unterabteilungen), z. B. von der Ode, der Hymne, dem Sonett, dem Madrigal, der Elegie. Als Oberbezeichnung verwendet er die Begriffe Lieder oder Gedichte. Lied ist für ihn mit Musikalität verbunden. Die Bezeichnung Gedichte verwendet er in breiter Bedeutung: Sie schließt die Satire und das Heldengedicht (Epos) ein; Trauerspiele und Komödien sind ihm dramatische Gedichte; Heldengedichte können auch in ungebundener Sprache geschrieben werden (S. 93). Die eigentlich lyrischen Gattungen faßt er unter dem Oberbegriff kleine Lieder oder kleine Gedichte zusammen. Mit diesen könne die Nation wenig Ehre gewinnen; das Wesentlichste seien eben Drama und Epos. Einen wesentlichen Beitrag zur Gattungsdefinition liefert Charles Batteux mit seiner kunsttheoretischen Schrift Les beaux arts réduits à un même principe, Paris 1746 ( ); deutsch von J. A. Schlegel: Einschränkung der Schönen Künste auf einen einzigen Grundsatz, Leipzig 1751 ( ). Dieses eine Prinzip, dieser eine Grundsatz ist die Nachahmung. In dieser Schrift definiert Batteux die Lyrik als eine Dichtungsart, die nicht wie die Epik und Dramatik Handlungen, sondern Empfindungen nachahmt. Hier also findet sich die Definition, die in der Lyriktheorie bis heute immer wieder auftaucht und das Lyrikverständnis maßgebend beeinflußt hat: Lyrik als Wiedergabe von Empfindungen. Allerdings sieht Batteux Lyrik nicht als un- 4 Inhaltsverzeichnis: 5 Etwa gleichzeitig ist von ihm im selben Verlag erschienen: Geschichte der deutschen Lyrik : Einführung und Interpretationen / Dieter Burdorf. - Stuttgart : Metzler, VIII, 170 S. : Ill. ; 23 cm. - (Lehrbuch). - ISBN : EUR [#4342]. - Eine Rezension in IFB ist vorgesehen.

3 mittelbaren Gefühlsausdruck an, sondern betont, daß Empfindungen lediglich nachgeahmt werden. Das führt Batteux und das sei hier ergänzend zu Burdorf erwähnt in seiner Einleitung in die schönen Wissenschaften noch weiter aus. 6 In dem Abschnitt Von der lyrischen Poesie vergleicht er die Situation des Lyrikers mit der des Opernsängers und der des Schauspielers, die beide die Empfindungen und Gefühle, die sie auf der Bühne darstellen, nur imitieren und simulieren, aber nicht unmittelbar erleben. So ist für ihn, die lyrische Poesie [...] ganz natürlicher, ja gar nothwendiger Weise der Nachahmung unterworfen. Der einzige Unterschied, den wir zwischen ihr und den übrigen Dichtungsarten wahrnehmen, ist dieser, daß der Gegenstand ihrer Nachahmung die Empfindungen sind. Und auch dieser Unterschied ist nicht so groß, als er gleich anfangs scheinen möchte. Wir finden diese nachgeahmten Empfindungen in allen Arten der Gedichte. So lange die Handlung im Drama oder in der Epopöe fortgeht, so lange ist die Poesie dramatisch oder episch; sobald sie sich verweilt, und die Poesie nichts, als die bloße Lage der Seele, die Empfindung des gegenwärtigen Augenblicks schildert, so ist sie schon an sich selbst lyrisch: man darf ihr nur die gehörige Form / geben, so kann sie in Musik gesetzt werden. 7 Batteux hält denn auch an der engen Verbindung der Lyrik mit der Musik fest. Zu ihr, der Lyrik, gehören Begeisterung ( poetische Raserey 8 ) und Erhabenheit (in der Bildhaftigkeit der Lyrik und in den Gesinnungen, die in ihr zum Ausdruck gebracht werden). Immer wieder betont er, daß Empfindungen im Mittelpunkt der Lyrik stehen (nicht Subjektivität). Empfindungen sind denn auch ein wesentlicher Gegenstand der Lyrik vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wobei seit Herder und dem Sturm und Drang der subjektive Charakter der Lyrik betont und im Bewußtsein gefestigt wird (Erlebnislyrik als unmittelbarer Gefühlsausdruck). Unter diesem Gesichtspunkt wird sie zur eigenständigen Großform (Gattung). Goethe spricht am Jahrhundertende von den drei Naturformen der Poesie, worunter er neben Dramatik und Epik die Lyrik als dritte enthusiastisch aufgeregte Gattung versteht. Erst von da an setzt sich in der deutschen Poetik die Gattungstrias durch (sie war in Italien und Frankreich schon seit der Renaissance poetologische Gegebenheit). Bei Hegel heißt es schließlich: Indem es endlich im Lyrischen das Subjekt ist, das sich ausdrückt, so kann demselben hierfür zunächst der an sich geringfügige Inhalt genügen. Dann nämlich wird das Gemüt selbst, die Subjektivität als solche der eigentliche Gehalt, so daß es nur auf die Seele der Empfindung und nicht auf den näheren Gegenstand ankommt. Die flüchtigste Stimmung des Augenblicks, das Aufjauchzen des Herzens, die schnell vorüberfahrenden Blitze sorgloser Heiterkeiten und Scherze, Trübsinn und Schwermut, Klage, genug, die ganze Stufenleiter der Empfindung wird hier in ihren momentanen Bewegungen oder einzelnen Einfällen über die verschiedenartigsten Gegenstände festgehalten und 6 Einleitung in die Schönen Wissenschaften / nach dem Französischen des Herrn Batteux, mit Zusätzen vermehret von Karl Wilhelm Ramler und verm. Aufl. - Leipzig, Bd Ebd. Bd. 3, S Ebd. Bd. 3, S. 14.

4 durch das Aussprechen dauernd gemacht. [...] Der Inhalt, die Gegenstände sind das ganz Zufällige, und es handelt sich nur noch um die subjektive Auffassung und Darstellung, deren Reiz in der lyrischen Poesie teils in dem zarten Hauche des Gemüts, teils in der Neuheit frappanter Anschauungsweisen und in dem Witz überraschender Wendungen und Pointen liegen kann. 9 Batteux, Herders und Hegels Lyrikauffassungen bilden die Grundlage aller späteren Diskussionen und führen zur Herausbildung eines intensiven Lyrikbegriffs, der Lyrik als subjektive Empfindungs- und Erlebnispoesie, als einsames Monologisieren definiert und Gedichte, in denen sich kein Ich artikuliert, sondern ein Du oder ein unbestimmtes Es, oder in denen von einem Er bzw. einer Sie die Rede ist, sowie alle Texte, die dieser Definition widerstehen, ausklammert und als Sonderformen ansieht oder als unlyrische Lyrik abwertet. Eine solche Auffassung hielt sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Dieser gegenüber steht heute ein extensiver Lyrikbegriff, der Lyrik als Großgattung neben Epik und Dramatik begreift und die subjektive Erlebnisdichtung, in der sich ein Ich artikuliert für das Margarete Susman den Begriff lyrisches Ich 10 (der nicht den Verfasser meint) prägte, nur noch als Teilgebiet der Großgattung Lyrik definiert. Die Merkmale dieser Großgattung Lyrik hat Burdorf unter Bezug auf Dieter Lamping 11 auf den Seiten zusammengefaßt und durch aktuelle Positionen der Lyriktheorie ergänzt (S ). Sein Vorschlag einer Lyrikdefinition ist durchaus brauchbar und genügt vollkommen den Belangen einer Einführung in die Gedichtanalyse. Mit der Nennung von Klaus W. Hempfer (Lyrik : Skizze einer systematischen Theorie. - Stuttgart, ) und Jonathan Culler (Theory of the lyric. - Cambridge, Maß. ; London, 2015) verweist er auf aktuellste Tendenzen, die dem Leser ein eigenständiges Weiterarbeiten ermöglichen, womöglich aber auch den Horizont von Studienanfängern überschreiten. Deren Interessen kommen die Kapitel 2 bis 6 eher entgegen. Hier wird das Handwerkszeug vermittelt, das zum Verstehen, Beschreiben und Interpretieren von Lyrik gebraucht wird: Sie handeln u. v. a. von Volkslied und Kunstlied, von Lautmalerei, von Rhythmus und Syntax, von der Metrik, von Strophen- und Gedichtformen, von Wort, Bild und Bedeutung im Gedicht, 9 Werke : [in 20 Bänden] / Georg Wilhelm Friedrich Hegel. - Frankfurt am Main : Suhrkamp cm Vorlesungen über die Ästhetik Aufl S. - (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft ; 615). - ISBN Hier S Das Wesen der modernen deutschen Lyrik / Margarete Susman. - Stuttgart : Strecker & Schröder, S. - (Kunst und Kultur ; 9). 11 Das lyrische Gedicht : Definitionen zu Theorie und Geschichte der Gattung / Dieter Lamping Aufl. - Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, S. ; 23 cm. - ISBN Lyrik : Skizze einer systematischen Theorie / Klaus W. Hempfer. - Stuttgart : Steiner, S. ; 24 cm. - (Text und Kontext ; 34). - ISBN : EUR [#3687]. - Rez.: IFB pdf

5 vom Wirklichkeitsbezug und der Perspektive im Gedicht (darin auch von den durchaus problematischen Kategorien Erlebnis, Stimmung und lyrisches Ich ), von der Entstehung und dem werkgeschichtlichen Zusammenhang eines Gedichts und deren Bedeutung für das Verstehen usw. Im Detail mag man hier und da den einen oder anderen Einwand vorbringen wollen oder etwas ausführlicher (oder auch kürzer) dargestellt haben, das Ganze ist aber eine gelungene Einführung, die von den Studierenden gern genutzt werden wird 13 wegen der übersichtlichen Gliederung, der zahlreichen Orientierungshilfen, der guten Handhabbarkeit, der Klarheit der Darstellung, der Anschaulichkeit, der Interpretationsansätze und -hinweise. Auch die Aktualisierung, die neuere Forschungsergebnisse, Lyriktheorien und Tendenzen der neueren und neuesten Lyrikentwicklung einarbeitet, trägt zu diesem positiven Eindruck bei. Der Anhang (S ) enthält eine umfangreiche Bibliographie (S ), die in Grundlagenliteratur und Literaturverzeichnis (Anthologien, Primärliteratur, Sekundärliteratur) gegliedert ist, ein Abbildungsverzeichnis sowie ein Personenregister (S ) und ein Sachregister (S ). Hier ist ein Lehr- und Lernbuch entstanden, das wirklich diesen Namen verdient und große Vorteile gegenüber den bisherigen Auflagen innerhalb der Sammlung Metzler bietet. Hansjürgen Blinn QUELLE Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft An dieselbe Zielgruppe wendet sich auch die folgende Neuerscheinung: Gedichtanalyse : eine Einführung / von Jochen Strobel. - Berlin : Erich Schmidt, S. : Ill. ; 21 cm. - (Grundlagen der Germanistik ; 59) (ESV basics). - ISBN : EUR [#4446]. - Eine Rezension in IFB ist vorgesehen.