Vom Schreibtisch in den Ring

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Gisela Breiner
vor 7 Jahren
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1 so. Boxen Tagsüber gehen sie ins Büro, abends in die Boxhalle: Immer mehr Manager suchen die körperliche Herausforderung, um den Kopf freizubekommen. Von Mathis Paus (Text) und Agnieszka Krus (Fotos)

2 Alles begann mit einem Streit. Einem Streit, der so fürchterlich gewesen sein muss, dass alles Reden nichts mehr half. So beschlossen die beiden Kontrahenten David Lawrence, Doktor der englischen Literatur, und Richard Novak, Anwalt, ihr Problem mit den Fäusten auszuräumen. Der Kampf, so sagt man, endete unentschieden, denn hinterher sollen beide Streithähne in aller Freundschaft zu Mittag gegessen haben. Auf dieser Legende, die vor 25 Jahren im berühmten New Yorker Boxklub Gleason s Gym ihren Ursprung nahm, basiert das White Collar Boxing. So nennt man in den USA und in England das Boxtraining für Bürohengste für die Berufstätigen mit den weißen Hemdkragen. Mittlerweile ist das Boxen für Akademiker auch in Deutschland angekommen. Der schlechte Ruf des Boxens habe sich über die Jahre gewandelt, hat Roland Koch beobachtet. Schläger sind beim Boxen die Ausnahme und haben bei mir nichts verloren, sagt der Betreiber des Boxklubs Managerboxen Hannover. Managerboxen, so heißt die deutsche Boxsportvariante für Führungskräfte.

3 In Kochs Studio eine umgebaute Fabrikhalle im Westen Hannovers, die seit Sommer 2012 geöffnet ist stehen sich Karsten Hanneke und Oliver Baumann im Ring gegenüber. Sparring steht auf dem Trainingsprogramm. Sparring bedeutet boxen unter wettkampfähnlichen Bedingungen. Für viele der eigentliche Grund, mit dem Boxen anzufangen. Klar will man auch irgendwann Gelerntes anwenden, aber in den Boxring geht es bei mir erst nach einigen Wochen, erklärt Koch seine Trainingsphilosophie. Erst kommt die Schinderei neben dem Ring, dann wird unter Aufsicht geboxt. Hanneke, IT-Manager bei der Drogeriekette Rossmann, und Baumann, Controller beim Reifenhersteller Continental, trainieren seit Monaten unter Koch. Das Duell im Ring ist für sie nicht neu, und doch sind die Gesichter angespannt wie vor einem schwierigen Geschäftsmeeting. Boxcoach Koch läutet zur ersten Runde. Hanneke, 50 Jahre alt und ein sportlicher Typ mit kurzen dunkelgrauen Haaren, geht gleich in die Offensive. Ein rechte Gerade trifft Baumann am Kopfschutz über der linken Augenbraue. Der Kopf des 45-Jährigen wankt zurück. Olli, achte auf deine Deckung, brüllt Koch. Mach schon, Arme hoch. Der Trainer ist so engagiert wie seine boxenden Schützlinge.

4 Zwei Minuten dauert das Schauspiel, dann ist die erste Runde vorbei. Hanneke und Baumann keuchen vor Erschöpfung, Schweiß läuft über die Gesichter. Baumann, der im Boxjargon zu den Schwergewichten zählt, spuckt den Mundschutz in seine Handschuhe. Das graue T-Shirt spannt ein wenig, sein Gesicht ist rot. Hanneke und Baumann sind keine Typen, die man im Boxring vermutet. Genau wie die anderen Teilnehmer. An den Sandsäcken schlägt keiner so filigran wie Ali zu oder sieht auch nur annähernd wie Mike Tyson aus. Das sind ganz normale Leute, sagt Trainer Koch. Viele kämen zum Managerboxen, weil sie eine neue Herausforderung suchen, die die herkömmlichen Sportangebote nicht bieten. IT-Experte Hanneke hat schon immer Sport getrieben. Er findet es wichtig, seinen Körper in Form zu halten. Irgendwann reichten ihm Joggen und Fitnessstudio nicht mehr aus. Ich habe mich gelangweilt. Immer statisch an den Geräten zu sitzen war mir zu wenig. Erst beim Boxen habe er ein effektives Training gefunden, das Körper und Geist gleichermaßen fordert. Und das beste daran, findet Hanneke: Wir trainieren in einer Gruppe, das motiviert und du gehst eher an deine Grenzen.

5 Ein Ausgleich vom Job Für den gestressten Angestellten gibt es heute allerhand Zerstreuung, aber das Managerboxen scheint einen Nerv zu treffen. Krippen und Kindergärten nehmen an Exzellenzinitiativen teil, Universitäten kämpfen um Elitesiegel. Die Leistungsgesellschaft fordert schon den jüngsten alles ab. Wer es bis in die Führungsetagen dieser Welt schafft und bestehen will, braucht einen langen Atem und Nehmerqualitäten. Eigenschaften, die sich das Managerboxen auf die Fahnen geschrieben hat und mit denen die Sportart wirbt. Trainer Koch ärgern derartige Vergleiche. Der 59-Jährige hat keine Lust auf leere Sprüche und verzichtet auch auf seinen Werbeflyern auf Effekthascherei. Manager, Angestellte, jeder der in seinem Job erfolgreich sein will, ist von Haus aus ehrgeizig und diszipliniert, sagt er. Dafür braucht es keinen Boxring. Und dennoch tauschen immer mehr Bürohengste Anzug und Krawatte gegen Boxhandschuhe und Mundschutz. Die Gründe, nach Feierabend in den Boxring zu steigen, sind vielfältig. Für Hanneke und Baumann ist Boxen zuallererst

6 einfach Sport und Ausgleich zum Job. Nach einem Acht- bis Zehnstundentag kann ich mich beim Boxen richtig verausgaben, den Kopf freibekommen, erklärt Controller Baumann. Das bestätigt auch Hanneke. Für ihn bedeutet der Besuch im Boxgym trotz aller körperlichen Anstrengungen Entlastung so paradox das klingen mag. Mein Beruf erfordert viel Konzentration und Energie. Der Stress ist hoch. Beim Training lasse ich Dampf ab und kann neuen Aufgaben gelassener entgegensehen. Für Trainer Koch ist das Boxen Sport und Lebensphilosophie zugleich. Es geht im Ring nicht um Sieg oder Niederlage. Die Selbstachtung steht im Vordergrund, sagt er. Der Boxlehrer glaubt, dass auch das Selbstwertgefühl vom Training profitiert. Der ein oder andere geht aufrechter durchs Leben und hat ein anderes Selbstbewusstsein. Wenn Boxen dann noch den Berufsalltag erleichtert, umso besser, sagt Koch und grinst. N

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