Projekt Rechtsextremismusprävention an Berliner OSZ. Fortbildung Perspektiven und Probleme bei der Integration von Jugendlichen mit

Transkript

1 Projekt Rechtsextremismusprävention an Berliner OSZ Fortbildung Perspektiven und Probleme bei der Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, , Alte Feuerwache Kreuzberg Bedeutung und Hintergründe für Nationalismus, rechtsextreme Ideologiefragmente und fundamentalistischen Islamismus bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund Workshop mit Sanem Kleff ( Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage Bundeskoordination) Protokoll: Timm Köhler

2 Dokumentation von TN-Abfrage, Input und Diskussionsverlauf

3 Sammlung von (Problem-)Wahrnehmungen mit den TN: Beschreibung der Zielgruppe: Fall1: Arabisch-sprachiger/ türkischer Hintergrund von Jugendlichen; sprechen untereinander nicht Deutsch Fall2: 2/3 deutsche Jugendliche, 1/3 Migrant/innen Beschreibung ideologischer Erscheinungsformen Arabisch-sprachige/ türkische Zielgruppe: Homosexualität wird verteufelt / Arabische Medien haben Einfluss Rechtsextremismus bei Migrant/innen ist marginal; Deutsche Schüler/innen sind häufig rechtsextrem Vorurteile von beiden Seiten; Antisemitismus bei migranten und deutschen Jugendlichen Input: Hintergründe zur sozialen Situation von migrantischen Jugendlichen Wenn von migrantischen Jugendlichen die Rede ist, handelt es sich oft um muslimische Jugendliche aus dem Nahen Osten und der Türkei. Diese scheinbar monolithische Gruppe muss jedoch weiter differenziert werden. Unterschiedliche Migrationsgeschichte: Die Mehrzahl der Türkei-stämmigen Jugendlichen entstammt Familien, deren Eltern- oder Großelterngeneration als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Es handelt sich hier, erstens, also um einen weitgehend selbstgewählten Migrationsprozess. Zweitens, ist durch die damalige explizite Anwerbung von Arbeitskräften die soziale Differenzierung der türkischen Einwanderer geringer; die meisten entstammen proletarischen bzw. bäuerlichen Milieus. Drittens, bestanden für die Eltern-/ Großelterngeneration Integrationschancen durch Arbeit. Die Migrationsgeschichte der arabisch-sprachigen Familien entwickelte sich mehrheitlich vor dem Hintergrund von Kriegen, Revolutionen und Bürgerkriegen. Es handelt sich somit um Flucht statt selbstgewählter Migration gepaart mit Verlust, Traumatisierungen in den Familien und teilweise einem Fortleben der Konflikte im Exil. Die Fluchtursachen wirkten auf alle sozialen Schichten gleichermaßen, d.h. in der Exilcommunity finden sich Menschen aller sozialen Schichten. Dazu kommt die spezifische soziale Situation als Asylbewerber/innen bzw. Flüchtlinge dem bis vor kurzem bestehenden generellen Arbeits- und Ausbildungsverbot. Ethnische bzw. religiöse Differenzierung: Auch innerhalb der Gruppe der Einwanderer aus der Türkei bestehen deutliche Unterschiede: die ethnische Aufteilung in Türken vs. Kurden wird auch im Exil fortgeführt und ist auch im Berliner Alltag wirksam (verschiedene Muttersprachen, politische Spannungen). Darüber hinaus bestehen auch innerhalb der Türkei gravierende regionale Unterschiede: Zwischen den Metropolen im Westen der Türkei (Istanbul, Izmir, Ankara) und den Gegenden des Ostens (kurdisches Siedlungsgebiet) bestehen große Entwicklungsunterschiede; diese zeichnen sich deutlich bei türkischen/ kurdischen Jugendlichen im (Schul-)Alltag ab, wobei sich bei kurdischen Jugendlichen häufiger traditionale Einstellungen und Verhaltensweisen finden lassen. Unter den Einwanderern aus dem arabisch - sprachigen Raum greifen neben ethnischen Differenzierungen vor allem religiöse Unterschiede. Die Herkunftsregion ist geprägt durch eine Vielzahl von Religionen und Konfessionen : Islam Schiiten, Sunniten und weitere Verzweigungen (s.u., Islam vs. Islamismus);

4 Exkurs: Migrantische Jugendliche sprechen untereinander in ihrer Sprache, obwohl dies an unserer Schule nicht erlaubt ist. Jugendliche sprechen untereinander ihre Sprache, die ihnen eine größtmögliche Selbstverständlichkeit und Ausdrucksvielfalt ermöglicht. Aufgrund der ethnischen Vielfalt wird jedoch nicht immer die Muttersprache der Jugendlichen gesprochen. Teilweise bestehen Sprachdefizite in der eigenen Muttersprache, in der ersten Fremdsprache (z.b. Türkisch) und im Deutschen. Somit fehlen tw. elementare Eingangsvoraussetzungen für erfolgreiche Bildung und Erfahrungen schulischer Erfolge. Jugendliche empfinden es auch reizvoll, ihre Sprache als exklusive Geheimsprache zu verwenden. Diese Situation ist nur möglich, da der Anteil an Lehrenden mit entsprechenden Sprachkenntnissen an OSZ, Berufsbildungszentren und Schulen viel zu gering ist. Würden genügend Lehrkräfte anwesend sein, die die entsprechenden Sprachen verstehen, würde sich das Klima an einer solchen Schule innerhalb einer halben Stunde ändern. Erfolgreiche Interventionen und Maßnahmen müssen die soziale Gesamtsituation der Jugendlichen berücksichtigen. Ideologische/ ideelle Hintergründe bei Jugendlichen mit arabisch- und türkischsprachigem Hintergrund Islam vs. Islamismus: Islam ist nicht mit Islamismus gleichzusetzen. Der Islam kommt ohne den Islamismus aus, der Islamismus jedoch nicht ohne Bezug auf Elemente des Islam. Im Unterschied zu den christlichen organisierten Konfessionen (Katholizismus, Protestantismus, orthodoxe Kirchen) ist der Islam ein uneinheitliches Feld. Es gibt keine Mitgliedschaft und somit auch keine formalen Austritte (analog zur Kirchenmitgliedschaft und Austritt). Der Islam stellt das religiöse Bekenntnis in den Mittelpunkt, unabhängig von der Herkunft/ Klasse/ sozialen Stellung der Person. Insofern ist der Islam gegen (biologistischen) Rassismus gerichtet. Das heißt selbstverständlich nicht, dass es in Islam und Islamismus nicht andere Kriterien für eine Ungleichbehandlung von Menschen gibt, wie etwa die (Nicht-)Zugehörigkeit zur Umma (die weltweite Gemeinschaft der muslimischen Gläubigen). Islamismus Im Unterschied zum Islam ist Islamismus eine politische Idee bzw. Ideologie. Er greift u.a. sozialrevolutionäre Ideen auf, was auch seine Attraktivität für Menschen in Krisenregionen erklärt. Hintergrund des islamistischen Erfolgs sind auch die militärischen Konflikte der Region. Die Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten palästinensischen Einheiten und der israelischen Armee werden als Krieg zwischen Islam und Judentum interpretiert. Diese Polarisierung entlang religiöser Linien findet auch im Berliner Alltag statt. Der Israel/Nahost-Konflikt ist Folie für einen ausgeprägten Antisemitismus. Im Unterschied zum europäischen Rechtsextremismus, ist der Islamismus inhaltlich und vor allem organisatorisch hoch entwickelt. Islamistische Organisationen (wie zb Hamas aus Israel/ Palästina) sind auch im hiesigen Exil tätig, rekrutieren und schulen Kader. Nicht nur die Attentäter des 11.September verdeutlichen den hohen Bildungsund Motivationsgrad der islamistischen Elite.

5 Die Hauptwirkrichtung islamistischer Agitation und Organisation im Exil ist weniger die umgebende nicht-muslimische Gesellschaft, sondern Menschen mit Herkunft im Nahen Osten. Islamismus wirkt (auch und vor allem) innerhalb der Exilcommunity und führt zu politischem Druck auf Andersdenkende. Eine Ethnisierung ( wir vs. die Araber ) wäre eine praktische Unterstützung des Homogenitätsdrucks seitens der Islamisten. Vielmehr müssen die nicht-islamistischen und liberalen Kräfte in diesen Communities gestärkt werden. Islamistischer Nationalismus eine Ausnahmeentwicklung!? Während Islam und auch Islamismus das nationale Element ausschließen, hat sich in der Türkei in den letzten Jahren eine Form des islamistischen Nationalismus entwickelt. Diese Synthese wird vor allem mit der Partei Partei der nationalistischen Bewegung (Milliyetçi Hareket Partisi, MHP oder auch Graue Wölfe ) assoziiert. Wie Auseinandersetzungen auch in Berlin zeigen, erfreut sich diese Synthese einer zunehmenden Beliebtheit unter türkischen Jugendlichen verbunden mit Druck auf Andersdenkende. Überschneidungen von Rechtsextremismus, Islamismus, islamistischem Nationalismus (MHP) Überschneidungen zwischen den drei Ideologie-Sets bestehen in Antisemitismus und Anti-Amerikanismus. Antisemitismus wird zunächst mit dem Israel/ Nahost Konflikt, die USA als Alliierte in dieser konkreten Auseinandersetzung. Die ideologische Schnittmenge zu deutschem und türkischem Rechtsextremismus besteht in (antisemitischen) Verschwörungstheorien und verkürzter Globalisierungskritik. Alle drei Ideologie-Sets haben zudem einen nach innen gerichteten Kollektivismus gemeinsam, der mit der Formel Du bist nichts Dein Volk (bzw. die Umma) ist alles! illustriert werden kann. Ebenso sind Sexismus und Homophobie in allen diesen Ideologien ausgeprägt wenn auch mit unterschiedlichen Ausprägungen. Gemeinsam ist den Ideologien auch, dass sie als Erklärungsmuster für Desintegrationserfahrungen im Großen (Geopolitik, nationale Integration) als auch im Kleinen (Identität, klares Rollenverhalten) herangezogen werden können. Dieser Hintergrund wird durch das Comic Andi 2 aufgegriffen 1 (s. Bild) Zusammenfassung von Handlungsoptionen Aufgrund der jahrelangen Arbeit zu Rechtsextremismus im Schulkontext bestehen zahlreiche Erfahrungen zum Umgang mit diskriminierenden Ideologien. Diese sollten auf ihre Anwendbarkeit geprüft und ggf. eingesetzt werden: Intervention: Betroffene (nicht-islamistische Jugendliche, Andersdenkende, sexuell Diskriminierte) schützen. Drohkulissen innerhalb Klasse/ Gruppe erkennen. Daher: Mut zum Handeln wie bei einheimischen Schüler/innen. Kulturalisierung vermeiden: Gewalt ist nie kulturspezifisch, sondern Zeichen einer Krise und Alarmsignal für Interventionsbedarfe. Option: z.b. Familien- und Elterngespräche systemisches Arbeiten in der Klasse/ in der Bezugsgruppe: Die Widerstandskräfte bzw. die schweigende Mehrheit ansprechen und einbeziehen. 1 Innenministerium des Landes NRW (2007): Andi 2. CoDeX - Comic für Demokratie und gegen Extremismus, Düsseldorf Selbstverlag. Im Internet:

6 Prävention: Gleichwertigkeit ist normative Grundlage und Ziel der Arbeit. Nach dem Motto Alle anders alle gleich Erfolgreiche Interventionen und Maßnahmen müssen die soziale Gesamtsituation der Jugendlichen berücksichtigen. Eine Ethnisierung ( wir Deutsche vs. die Araber ), wie sie auch von Islamist/innen betrieben wird, vermeiden. Die Verschiedenheit und die Bruchlinien innerhalb der (ethnischen) Gruppen erkennen, sichtbar machen. Diskussionen zur Pluralität innerhalb von ethnischen/ religiösen Gruppen anregen. Desintegrationserfahrungen ( Ich finde keine Lehrstelle, weil ) begleiten. Diskurse der Herkunftsländer kennen bzw. Unterstützung erfragen: Migrationsbeauftragte Friedrichshain-Kreuzberg, GEW, Schule ohne Rassismus