Miserikordias Domini (Hirtensonntag)

Transkript

1 Miserikordias Domini (Hirtensonntag) in der Martin-Luther-Kirche in Stein Predigttext Hesekiel 34, Und des HERRN Wort geschah zu mir: 2Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? 3Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. 4Das Schwache stärkt ihr nicht und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt. 5Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben, und sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut. 6Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und sind über das ganze Land zerstreut und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder auf sie achtet. 7Darum hört, ihr Hirten, des HERRN Wort! 8So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Weil meine Schafe zum Raub geworden sind und meine Herde zum Fraß für alle wilden Tiere, weil sie keinen Hirten hatten und meine Hirten nach meiner Herde nicht fragten, sondern die Hirten sich selbst weideten, aber meine Schafe nicht weideten, 9darum, ihr Hirten, hört des HERRN Wort! 10So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. 11Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. 12Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. 13Ich will sie aus allen Völkern herausführen und aus allen Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und an allen Plätzen des Landes. 14Ich will sie auf die beste Weide Predigt, Seite 1

2 führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. 15Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. 16Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. 31Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR. Predigt Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen. Liebe Gemeinde, der Predigttext beginnt ja mit Hirten, die sich selbst weiden. Mit schlechten Hirten, die eigentlich gar keine Hirten sind. Denn ein Hirte, der die Schafe ungeschützt und allein lässt, sich selbst weidet, ist ja gar kein echter Hirte.»Das Bild vom Hirten stammt, wie so viele Gottesbilder, aus der Sprache der Politik. In Babylon und Ägypten ist Hirte ein gebräuchlicher Königstitel. Machthaber legitimieren ihre Herrschaft mit der Fürsorgepflicht für ihr Volk. Erst mit dem Beginn der Exilszeit wird dieser Titel auch auf die Führungsschicht in Israel angewendet. Der Prophet Hesekiel gehörte zur ersten Welle der Deportierten. Von Babylon aus beobachtete er, wie die in Jerusalem verbliebenen Führer durch taktische Bündnisse mit Ägypten schließlich auch die Eroberung der Hauptstadt herbeiführen, denn der Bündnispartner läßt Jerusalem im Stich. Palast und Tempel werden zerstört, der völlige Zusammenbruch ist da. [ ] Das Urteil des Propheten ist vernichtend: Die Hirten haben versagt.«1 Und bis heute können wir den Missbrauch des Hirtenamtes sehen, wenn beispielsweise, der Diktator von Simbabwe, Robert Mugabe, seit 30 Jahren sein Land zugrunde richtet. Einst war Simbabwe die Kornkammer Afrikas das ist lange vorbei. Weil die Hirten versagt haben, nimmt sich Gott selbst seiner Herde an, so der Prophet Hesekiel. Und zum Glück sehen wir auch immer wieder, dass schlechte Hirten, die sich selbst weiden von der Bühne abtreten. Sie haben nicht das letzte Wort, sondern werden weggewischt werden! Und wenn wir dieses Jahr am 8. Mai den siebzigsten Jahrestag des Kriegsendes und das Ende der Hitlerei feiern, so ist es auch ein Jubel darüber, dass die damaligen bösen Hirten abgesetzt wurden. Auch ein Mugabe in Simbabwe wird nicht ewig leben. Unsere Fürbitte kann dahin gehen, dass die Verhältnisse in Simbabwe und in vielen anderen Staaten Afrikas besser werden. 1 Dies ist ein Zitat aus einer Predigt von Pfarrer Andreas Höfeld, Stadtkirche Erbach/Odw., Zu finden im Internet: Predigt, Seite 2

3 Gott nimm dich deiner Herde an! Diese Hoffnung ist groß. Das klingt gut. Da könnte man glatt sagen: Nur noch Gott soll der Hirte sein. Wir brauchen keine Oberhäupter mehr, keine politischen Leitungspositionen und auch nicht in der Kirche. Wenn wir den einen Hirten haben, nämlich Gott selbst, warum brauchen wir dann noch andere? Und in der Tat ist es eine Dimension eines Grundgedankens Martin Luthers und der Reformation: das sogenannte Priestertum aller Gläubigen. Das heißt, jeder kann sich selber an Gott wenden, kann beten und die Bibel lesen und sie verstehen. Es war damals als Abgrenzung gegenüber der katholischen Papstkirche gemeint: Man braucht keinen Priester als Vermittler zu Gott. Die Glaubenden der Gemeinde haben selbst geistliche Vollmacht und können in allen Belangen geistlich leiten und entscheiden. Deshalb hat bis heute der Kirchenvorstand einer evangelischen Gemeinde seine unumgängliche Leitungsfunktion. Und dabei soll es nicht nur um praktische und betriebswirtschaftliche Entscheidungen gehen, sondern auch um geistliche Leitung. Z.B. auch in Hinblick auf den anstehenden Pfarrwechsel hier in der Steiner Martin- Luther-Gemeinde: Welche Pfarrerin, welcher Pfarrer soll den im nächsten Jahr hier eingesetzt werden? Wie soll ihr oder sein Profil, auch hinsichtlich der Spiritualität, sein? Da geht es ja dann auch um die zukünftige Hirtin, den zukünftigen Hirten, den Pastor, die Pastorin, dieser Gemeinde. Pastor heißt ja ursprünglich Hirte. Aber ich möchte noch ein wenig bei dem Gedanken bleiben, dass eigentlich Gott allein unser Hirte ist. Ich verstehe uns alle zuerst einmal als die, die auf Gott vertrauen und auf ihn schauen auf ihren guten Hirten. Der Referent bei Mission EineWelt, der für den Bereich Papua-Neuguinea, Pazifik und Ostasien zuständig ist, hat von einer China-Reise berichtet. Dort hat er eine blühende Gemeinde besucht. Den Gemeindepfarrer Ma hat er gefragt,»was denn den Glauben in China so attraktiv macht und wie es kommt, dass die Kirchen so stark wachsen. Da sagte [Pfr. Ma]: Only sheep can give birth to sheep Nur Schafe können Schafe gebären not the shepherds nicht die Hirten. Es sind nicht die wohldurchdachten Missionsstrategien und der Aktivismus der Pfarrer, sondern es ist das ganz persönliche Zeugnis eines jeden einzelnen Christen in seinem Umfeld und es sind die ganz praktischen Verhaltensänderungen und der neue Lebensstil der Christen, die den Glauben so anziehend machen. Die Aufgabe der Pfarrerinnen und Pfarrer besteht darin, sich um die frisch Bekehrten zu kümmern und ihnen gute geistliche Nahrung zu geben.«2 Das Eigentliche geschieht nicht bei den Hirten, meint Pastor Ma, sondern bei den Schafen, die die gute Nachricht von ihrem himmlischen Hirten weitergeben. 2 Dies ist ein Zitat aus einer Predigt von Pfarrer Thomas Paulsteiner, Neuendettelsau, Referent bei Mission EineWelt für den Bereich Papua-Neuguinea, Pazifik und Ostasien, die er im Rahmen einer Mitarbeiterkonferenz der Südostasienmissionare 2008 in Hongkong gehalten hat. Die Predigt liegt mir schriftlich vor. Predigt, Seite 3

4 Und gleichzeitig glaube ich, dass wir alle auch Hirten sind und sein sollen. Und die radikale Frage, die ich vorhin gestellt habe Geht es nicht auch ohne Hirten? Geht es nicht auch nur mit Gott als den alleinigen Hirten? möchte ich verneinen. Und das wussten auch Martin Luther und die Reformatoren: Es geht nicht, ohne dass wir nicht füreinander Verantwortung übernehmen. Es geht nicht, ohne unser Hirtensein. Kinder können nicht aufwachsen ohne das fürsorgliche, liebevolle und schützende Hirtendasein ihrer Erziehungsberechtigten oder Eltern. Schule kann nicht existieren ohne Lehrerinnen und Lehrer, die Verantwortung für den Lernweg ihrer Schülerinnen und Schüler übernehmen. Es geht auch nicht ohne die Hirten im Staat. Und die Kirche braucht wie schon erwähnt ihre Kirchenvorstände, aber auch viele andere engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darunter auch Diakonissen und Diakone, Pfarrer und Pfarrerinnen. Gott wirkt als Hirte auch durch uns, als die die Verantwortung übernehmen sei sie sichtbar oder weniger sichtbar. Als Hirtinnen und Hirten. So komisch das jetzt klingen mag, aber ich glaube, wir sind beides Herde: im Blick auf Gott und Hirten: im Blick auf viele andere, für die wir da sind. Dabei stellt sich die Frage: Wie können wir gute Hirtinnen und Hirten sein? - Erstens glaube ich, dass Hirtesein nur gut geht, wenn wir uns auf Gott unseren Hirten verlassen. Denn Erfolg oder Misserfolg hängt nicht allein an uns selber. Dann müssen wir uns auch nicht überfordert fühlen, sondern mit bestem Wissen und Gewissen können wir unserer Verantwortung gerecht werden. Und wenn wir Schuld auf uns laden, dürfen wir uns an ihn wenden: Gott, sei mir Sünder gnädig so wie vorhin am Anfang des Gottesdienstes. Weil Gott der wahre gute Hirte ist, brauchen wir nicht verzweifeln, auch wenn wir manchmal schmerzlich entdecken, dass wir selbst oder andere als menschliche Hirten nicht perfekt sind. - Zweitens: Mit Jesus Christus hat Gott sich gezeigt als der gute Hirte. Wenn wir ihm nacheifern, dann kann bei uns etwas wachsen, das zu guter Hirtenschaft wird. Jesus nacheifern z.b. in seiner Zuwendung und Liebe zu Außenseitern. - Und drittens können somit auch die Worte, die Gott zu Hesekiel spricht, für uns zur Richtschnur werden: Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. Wo die Schwäche des Schwachen gestärkt und verbunden wird und wo die Stärke des Starken behütet wird, man könnte auch sagen, wo die Schwachen ermutigt werden, wo die Starken wertgeschätzt werden, da wird etwas vom wahren Hirtenamt sichtbar zum Wohle der Gemeinde. Gott möge es uns schenken. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. Es gilt das gesprochene Wort Predigt, Seite 4

5 Wochenspruch für den Sonntag: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben. (Johannes 10,11a.27-28a) Lieder zum Thema des Sonntags aus dem Evangelischen Gesangbuch: Nun jauchzt dem Herren, alle Welt 288 / S. 539 Der Herr ist mein getreuer Hirt 274 / S. 513 Einer ist s, an dem wir hangen 256 / S. 478 Ich möcht, daß einer mit mir geht 209 / S. 406 Predigt, Seite 5