Jesus jammert es, als er den Menschen in den Dörfern und Städten begegnet, in denen er lebt und predigtt. Es sind die Menschen, die zu seinem Alltag
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- Reinhold Kraus
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1 Matthäus 9,35-10,7 [Predigttext lesen] Was ist für Sie nah? Ist ihnen beispielsweise der Nebensitzer hier im Gottesdienst zu nah auf die Pelle gerückt? Oder sind Sie eh der Meinung, dass wir in der Kirche lieber viel enger beieinander sein sollten? Man sagt, dass durch die Globalisierung die Menschen auf der ganzen Welt näher zusammengerückt sind. Aber wie nahe fühlen Sie sich einem Menschen in Afrika oder sagen wir mal, einer Textilarbeiterin in Bangladesch? Wer oder was ist Ihnen nah, liegt Ihnen am Herzen, ist Ihnen wichtig? Und wie nahe ist Ihnen das Himmelreich schon gekommen? Denn davon geht Jesus ja wohl aus, dass das Himmelreich nahe herbei gekommen ist. Oder galt das nur damals, als Jesus noch auf Erden lebte? Ja klar, damals konnten die Jünger hingehen und die Menschen zur nächsten Predigt von Jesus einladen. Sie konnten sagen: Ihr wollt den Himmel auf Erden erleben? Dann kommt zu Jesus. Er ist aus dem Himmel auf die Erde gekommen und hat eine echt göttliche Botschaft. Wenn ihr Glück habt, könnt ihr sogar von ihm berührt oder gar geheilt werden. Herzliche Einladung, nächsten Sabbat nach Sonnenaufgang in der Synagoge von Jericho. Ja, die zwölf Jünger und alle anderen, die Jesus zu Lebzeiten gefolgt waren, hatten es sicherlich in dieser Hinsicht einfacher als wir. Sie selbst erlebten Jesus ja auch hautnah und konnten ihn immer wieder über das Himmelreich ausfragen. Und doch glauben wir als Christinnen und Christen des 21. Jahrhunderts, dass die Sache mit Jesus nicht aufgehört hat, bloß weil er nicht mehr leibhaftig auf der Erde ist. Wir haben vor zwei Wochen Pfingsten gefeiert und uns daran erinnert, dass die Sache Jesu weiterging und bis heute weitergeht, auch nachdem er in den Himmel aufgefahren ist. Das Himmelreich ist auch uns heute nahe, weil Jesus weiterhin lebt und wirkt und Gott in unserem Leben Wirklichkeit ist. Denn das meint Jesus ja, wenn er davon spricht, dass das Himmelreich nahe herbeigekommen ist. Es geht beim Himmelreich darum, dass die Gegenwart Gottes hier auf Erden präsent und
2 spürbar ist. Es bedeutet, dass wir hier schon in Beziehung mit unserem Gott leben können. Dies wiederum kann uns etwas von dem Heil und der Vollkommenheit vermitteln, die uns in seiner Ewigkeit erwartet. Das Himmelreich kommt Menschen da nahe, wo sie sie sich geborgen wissen in Gottes Nähe. Es geht dort auf, wo ich verstehe, dass Gott einen Plan mit dieser Welt und mit mir als einem winzigen Teil darin hat. Und dieser Plan bedeutet nicht unbedingt, dass in meinem Leben alles glatt läuft, ich immer gesund bleibe und immer weiter am Wachstum und Profit beteiligt bin. Aber er bedeutet, dass Gott alles begleitet, Kraft schenkt und letztlich zu einem guten, vollkommenen Ziel führt, eben zu seinem Reich in Ewigkeit, an dem wir jetzt aber schon teilhaben dürfen. Und um all das offenbar und verständlich zu machen, kam Jesus auf die Erde. Als er wegging, schickte er uns seinen Heiligen Geist, damit er an all das erinnern und uns die Gegenwart Gottes deutlich machen sollte, auch wenn wir Jesus nicht nach Sonnenaufgang im Synagogengottesdienst als Prediger erleben können. Ich gebe zu, an manchen Tagen ist mir das Himmelreich näher als an anderen. Aber ich vertraue darauf, dass es mir jeden Tag nah ist. Wie nah ist ihnen das Himmelreich? Ich will nicht aufdringlich sein durch ein solches Fragen, aber ich glaube, dass für das weitere Nachdenken, diese Frage wichtig ist. Jesus sendet seine zwölf Jünger aus, dass sie das den Menschen vermitteln sollen. Und er gibt ihnen eine besondere Macht mit auf den Weg, mit der sie unreine Geister austreiben und Menschen von Krankheit und Gebrechen heilen können. Dadurch soll etwas spürbar werden von dem Heil, das die Menschen im Himmelreich erwartet. Sie sollen predigen, dass das Himmelreich nahe herbei gekommen ist und sie dürfen dies dadurch veranschaulichen, dass sie Menschen von dem befreien, was ihnen auf Erden Schmerz, Leid und Hoffnungslosigkeit bereitet. Denn indem Menschen gesund werden und befreit werden von einem friedlosen Gemüt, sollen sie das Wirken Gottes und damit seine Nähe erfahren und daran glauben. In der Schriftlesung haben wir gehört, dass Gott
3 verschiedene Gaben durch seinen Geist schenkt. Alle Gaben, Ämter, Kräfte dienen dazu, den dreieinigen Gott nahe zu bringen und damit das Himmelreich auf Erden bekannt zu machen. An Pfingsten haben wir von diesem Geist gehört, den Gott schenkt. Wir dürfen darauf vertrauen, dass dieser Geist zuerst einmal uns hilft zu erkennen, dass das Reich nahe ist. Vielleicht ist das ja zuerst einmal Ihre Bitte, wenn Sie auf meine Frage vorhin geantwortet haben, dass ihnen das Himmelreich nicht sehr nah erscheint. Wir dürfen jedoch genauso darauf vertrauen, dass dieser Geist uns hilft, anderen das Himmelreich nahe zu bringen. Und das kann ganz vielfältig geschehen, wie eben auch die Gaben und Kräfte des Heiligen Geistes unterschiedlich sind. Jesus hat seine Jünger ausgesandt mit der Macht, Krankheiten zu heilen. Eine Dozentin von der Uni, die wirklich aufgeklärt und reflektiert sich über den Glauben Gedanken macht, hat in einem Seminar erzählt, wie sie einmal miterleben konnte, wie ein Mensch in großer Krankheit gesund geworden ist, nachdem die Gemeinde für ihn gebetet hatte. Seit diesem Erlebnis sagt sie, dass sie immer noch sehr zurückhaltend ist beim Thema Krankenheilung, dass sie aber es nicht ausschließt, dass dies auch heute noch geschieht. Aber vielleicht heißt Kranke zu heilen in unserem Kontext heute auch, dass es darum geht sich Menschen zuzuwenden, die wegen ihrer Krankheit allein stehen. Vielleicht leiden heute einfach zu viele Menschen daran, dass sie allein gelassen sind oder sich auf sich allein gestellt fühlen. Psychosoziale Erkrankungen nehmen immer zu, d.h. Krankheiten die auf einer psychischen Belastung beruhen, die es im persönlichen Umfeld gibt, sei es Beruf, Freundeskreis oder Familie. Ganz sicher braucht es heutzutage Männer und Frauen, die in diesem Bereich für Heilung sorgen, indem sie bewusst dagegen vorgehen, Arbeitsbedingungen anprangern, schulischem Druck vorbeugen. Und es braucht natürlich genauso diejenigen, die die Betroffenen begleiten und sie nicht allein lassen mit ihren Problemen. Natürlich haben wir dafür auch die Spezialisten, die Therapeuten und Psychiater. Aber meiner Meinung nach brauchen wir alle
4 daneben einfach Menschen, die da sind ohne Krankenschein und Kassenzulassung. Ich bin mir sicher, dass Menschen auch nach einer OP oder einer Sitzung beim Therapeuten erfahren können, dass das Reich Gottes nahe und Gottes Heil keine Illusion ist. Aber ich glaube, dass Gott durch eine jede und einen jeden von uns Heilung schenken kann. Vielleicht nicht unbedingt, indem das körperliche Gebrechen ein Ende hat, aber indem etwas deutlich wird von Nähe, Zuwendung und Gemeinschaft. Und dies sind wichtige Aspekte des Himmelreichs. Wenn wir es dann als Christinnen und Christen noch schaffen, deutlich zu machen, dass die Erfahrung von Nähe und Liebe zum Glauben und zum Himmelreich gehören, dann bringen wir den Menschen, denen wir helfen, das Himmelreich in Wort und Tat nahe herbei. Denn wo Menschen erfahren können, dass an dem Schweren ihres Lebens mitgetragen wird, wo es vielleicht sogar ganz abgenommen wird, da können sie nachvollziehen lernen, was Heil in Gottes Ewigkeit bedeutet. Da kann klar werden, dass Gott größer ist als jedes Leid, jede Krankheit. Das bringt mich zum Schluss noch zu dem Teil des Predigttextes, der mir beim Lesen am schwersten gefallen ist: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter! Ist das Himmelreich denn nicht für alle da? Dürfen denn nicht auch die Samariter und Heiden erfahren, dass ihnen Gott nah ist oder ist er ihnen womöglich gar nicht nahe? Doch ist er aber zu dem Zeitpunkt, in dem Jesus dies zu den Jüngern sagte, war etwas anderes vorrangig. Geht zuerst zu denen, die euch und der eigentlichen Botschaft nahe sind. Geht zu denen, die eure Brüder und Schwestern sind, die die gleiche Heilige Schrift haben wie ihr. Für mich heute heißt das: Ich soll das Himmelreich denen nahe bringen, die mir selbst nahe sind. Sie, denen ich am meisten begegne, kann ich am einfachsten Gottes Nähe vorleben und weiter sagen. Ihnen begegne ich als Nachbar, Arbeitskollegin, als Mitschüler, als Mitmensch. Ich kenne ihre Lebensumstände, spreche ihre Sprache, kann auf gemeinsame Erfahrungen zurückgreifen, um ihnen vom Himmelreich zu erzählen und ihnen in ihrer Not helfen.
5 Jesus jammert es, als er den Menschen in den Dörfern und Städten begegnet, in denen er lebt und predigtt. Es sind die Menschen, die zu seinem Alltag gehören. Genauso sollen wir die Menschen vor Augen haben, die zu unserem Alltag gehören. Mit ihnen zusammen, können wir entdecken, dass das Himmelreich nahe herbei gekommen ist. Denn es gilt: das Himmelreich ist nahe herbei gekommen, also auch in meiner Nähe. Ich muss nicht erst irgendwo hingehen, um dies zu erleben, sondern kann es vor Ort erleben: In meiner Nachbarschaft bringe ich das Himmelreich, am Arbeitsplatz breitet es sich aus und in meiner Familie wird es spürbar. Uns allen wünsche ich, dass wir entdecken können in unserem Glauben, in unserem Alltag und in unserer Gemeinde: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Geht und gebt davon weiter. Amen
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