Gottesdienst vorletzter Sonntag im Kirchenjahr Christuskirche Dormagen Lektor Michael Hunze

Transkript

1 Gottesdienst vorletzter Sonntag im Kirchenjahr Christuskirche Dormagen Lektor Michael Hunze Ansprache/Liedpredigt zum Choral Ach, was soll ich Sünder machen Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da war, und der da ist und der da sein wird. Amen. Wir singen jeweils 1-2 Strophen unseres Chorals, dann dürfen wir uns anhören, was Johann Sebastian Bach dazu eingefallen ist, und bevor wir weitersingen, folgt dann jeweils ein Impuls von mir, der die Verse aufgreift, die wir zuvor gesungen haben. Wir beginnen mit den ersten beiden Strophen. 1. Ach, was soll ich Sünder machen? Ach was soll ich fangen an? Mein Gewissen klagt mich an, es beginnet aufzuwachen. Dies ist meine Zuversicht: 2. Zwar es haben meine Sünden meinen Jesum oft betrübt; doch ich weiß, daß er mich liebt, und er läßt sich gnädig finden. Drum, ob mich die Sünd anficht: 1

2 Ach, was soll ich Sünder machen? Mein Gewissen klagt mich an. Hier spricht jemand, der seine eigene Fehlbarkeit, seine eigene Unzulänglichkeit erkennt. Jemand, der weiß, dass er nicht immer alles richtig machen kann. Jemand, dem klar ist, dass er die Liebe schuldig geblieben ist in seinem Handeln, in seinen Worten, in seinen Gedanken. Jemand, der die Not seines geringsten Bruders und seiner geringsten Schwester nicht gesehen hat. Jemand, der nicht geholfen hat, als es darauf ankam. Denn nichts anderes bedeutet das Wort Sünde. Es ist in unseren Ohren ein altmodisches Wort. Wir gebrauchen es entweder gar nicht, oder wir gebrauchen es scherzhaft, zum Beispiel, wenn wir am Kuchenbuffet sündigen. Oft wird das Wort auch völlig unangebracht gebraucht, in Zusammenhängen, die wirklich nicht im Verhältnis stehen zur ursprünglichen Bedeutung des Begriffs. Eine Google-Suche nach dem Wort Todsünde führt einen zum Beispiel auf eine Internetseite mit Aquarientips, wo man dann lernt, dass es eine Todsünde sei, wöchentlich das Aquarium sauberzumachen und den Kies abzukochen, damit das Wasser nicht trüb wird. Sünde soll also nur ein anderer Ausdruck sein für irgendeine bestimmte Tat, die man am besten sein lässt? Oder, wenn man es doch tut, dann mit vollem Unrechtsbewusstsein, um sich einen Vorteil zu verschaffen? Sünde nur so zu verstehen, ist eigentlich schade, denn Sünde ist ein ganz griffiges Wort, um etwas ganz anderes zu beschreiben: nämlich einen Zustand, und zwar den der Unvollkommenheit, der Fehlbarkeit. Wenn in unserer Luther-Übersetzung des Neuen Testaments das deutsche Wort Sünde steht, steht im griechischen Original häufig das Wort hamartia. Das bedeutet soviel wie nicht treffen, ein Ziel verfehlen. Das kann ganz ungewollt passieren, und oft merken wir zu spät, dass wir das Ziel verfehlt haben, wenn nämlich wie beim Dichter unseres Liedes unser Gewissen beginnt, zu erwachen. 2

3 Dass wir also fehleranfällig sind als Menschen, diese Erkenntnis bringt also einen Herrn Flittner dazu, sich als Sünder zu bezeichnen. Zwei Konsequenzen hat diese unsere Fehleranfälligkeit: erstens, wir sollten uns ihrer bewusst sein und versuchen, trotzdem die richtigen Entscheidungen zu treffen; zweitens: wir dürfen es uns verzeihen, wenn es uns nicht gelingt. 3. Obgleich schweres Kreuz und Leiden, so bei Christen oft entsteht, mir sehr hart entgegengeht, solls mich doch von ihm nicht scheiden; auf ihn ist mein Herz gericht: Mein Herz ist auf Jesus gerichtet, auch wenn ich schweres Leiden auszuhalten habe um Glauben und Vertrauen auch in schwierigen Situationen geht es in dieser Strophe. Ich habe erst letzte Woche wieder einen Satz gehört, den ich in meiner Arbeit oft höre und der mich jedesmal wieder traurig macht. Ich fragte ein Ehepaar, von denen einer krebskrank geworden war, ob sie an den da oben glaubten. Nein, sagten die beiden, seit die Krankheit in ihr Leben gekommen war, könnten sie das nicht mehr. Früher, da schon, da hätten sie so ein gutes Leben gehabt. Aber jetzt sie seien immer anständig gewesen, und jetzt hätten sie die Bescherung da kann es doch keinen guten Gott geben?! Keiner von uns weiß, warum es das Böse in der Welt gibt, warum es Krankheiten geben muss, Unfälle, warum Menschen einander Leid zufügen aber wollen wir denn nur deswegen, weil Böses in der Welt geschieht, das ganze Leben und seinen Sinn infrage stellen? Ist nicht das Gegenteil richtig, nämlich gerade in schwierigen Situationen und angesichts von Unheil zu glauben, es gibt einen Sinn? Ich wünsche Ihnen und mir die Kraft und den 3

4 Mut dazu, gerade in schlimmen Momenten zum Leben und zu Gott ja zu sagen. 4. Ich weiß wohl, daß unser Leben nichts als nur ein Nebel ist, denn wir hie zu aller Frist mit dem Tode sind umgeben; und wer weiß, was heut geschicht? Meinen Jesum laß ich nicht. Jetzt kommt es noch dicker als in der vorigen Strophe: nicht nur mit allem Übel in der Welt sollen wir uns arrangieren und noch Zuversicht haben, sondern sogar dem Tod lässt uns der Lieddichter ins Auge sehen, und er erinnert uns daran, dass er uns immer umgibt und wer weiß, was heut geschieht? - fragt er. Finden Sie das auch ein bisschen bedrückend? Klar finden wir das bedrückend: wir leben gerne (unterstelle ich), ein Todesfall bedeutet uns auch immer den Abschied von lieben Menschen aber der Tod kommt sowieso, der Tod ist ein Bestandteil unseres Daseins. Wir können nicht wissen, warum es so ist, warum Gott es so gefügt hat, dass unsere Zeit begrenzt ist und dass am Ende unseres Lebens der Abschied steht. Aber wir können darauf vertrauen, dass es seinen Sinn hat, und so dem Tod zuversichtlich entgegen sehen. Liebe das Leben und fürchte den Tod nicht, ist eine Devise, nach der es sich gut leben lässt. 5. Sterb ich bald, wird meine Seele los der Welt Beschwerlichkeit; ich ruh bis zur vollen Freud, weiß, daß in des Grabes Höhle 4

5 Jesus bleibt mein helles Licht: 6. Durch ihn will ich wieder leben, denn er wird zur rechten Zeit wecken mich zur Seligkeit und sie mir aus Gnaden geben. Muß ich schon erst vors Gericht: Was wir gerade gesungen haben, ist die Antwort auf den Tod. Ob Sie an eine individuelle Auferstehung ganz konkret glauben können oder nicht, ob Sie eine Vorstellung vom Himmel haben oder nicht, sei dahingestellt. Ich für meinen Teil will mich nicht so wichtig nehmen, dass ich an meine individuelle Auferstehung glauben kann, und eine fassbare Idee von einem Leben nach dem Tod habe ich auch nicht. Aber ich bin sicher, dass mein Leben in einen großen Zusammenhang eingebettet ist, dass es nicht umsonst ist. Und solange ich das glauben kann, brauche ich nicht traurig darüber zu sein, dass es endlich ist. 7. Du sollst mein, o Jesu, bleiben, bis ich komme an den Ort, welcher ist des Himmels Pfort, und dann wollst du einverleiben meine Seele deinem Licht: Hier am Ende des Kirchenjahres haben wir uns von Johann Sebastian Bach und von Johann Flittner an viele schwere Themen heranführen lassen: 5

6 unsere eigene Fehlbarkeit und Unzulänglichkeit, und die Schwierigkeit, auch unter schweren Bedingungen zu Glauben, und schließlich an die Tatsache, dass unser Leben zeitlich begrenzt ist. Und doch spricht aus dem Text Flittners, vor allem aber aus der Musik Bachs, eine ganz tief verwurzelte, grundlegende Zuversicht, dass es seinen Sinn hat. Es ist die Zuversicht, dass wir gehalten und geborgen sind. Ich wünsche uns den Mut, dies zu glauben. Diesen Gedanken und diese Stimmung fasst Rainer Maria Rilke in seinem Herbstgedicht, das sicher jeder von Ihnen kennt. Ich möchte es Ihnen dennoch einmal vorlesen: Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde. Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält. Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. 6