Soziale Ungleichheit Geschlecht Gesundheit
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- Eduard Böhler
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1 Soziale Ungleichheit Geschlecht Gesundheit Claudia Habl Hintergrund Seit mehr als 25 Jahren beschäftigt sich die sozialwissenschaftliche Forschung mit dem Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit. Schon Mielck wies zu Ende der 1980er Jahre für Deutschland eindeutig nach, dass sowohl Morbidität als auch Mortalität bei Personen mit geringerem sozioökonomischem Status in der Regel höher sind als bei Personen mit höherem sozioökonomischem Status. 1 Man spricht in diesem Zusammenhang oft auch vom sogenannten Schichtgradient der Gesundheit (vgl. Methodische Ansätze unter Erläuterungsmodelle zu sozialen und gesundheitlichen Ungleichheiten). Bisherige Ursachenanalysen ergaben vielfältige Gründe für das erhöhte Erkrankungs- und Sterblichkeitsrisiko. Sie reichen von schlechteren Wohn- und Arbeitsbedingungen sowie Lebensstilfaktoren über Stress und fehlende Erholungsmöglichkeiten bis hin zur mangelhaften gesellschaftlichen Teilhabe und dem sozialen Umfeld. Eine weitere wichtige Erkenntnis in diesem Zusammenhang ist, dass die ungleiche Verteilung von Lebensrisiken und Lebenschancen in erster Linie aufgrund gewordener gesellschaftlicher Strukturen und/ oder politischer Entscheidungen und nicht oder allenfalls in zweiter Linie aufgrund individueller Handicaps oder Fehlentscheidungen entsteht. Als Schlussfolgerung wurde daher zum Beispiel in der Literatur festgehalten, dass eine Gleichverteilung der Gesundheitsversorgung als gesundheitspolitische Maßnahme nicht ausreichen würde, um der ungleichen Inanspruchnahme zu begegnen, da die Krankheitsrisiken und die Chancen der Krankheitsbewältigung ungleich verteilt seien. 2 Der nachfolgende Artikel soll nach einer kurzen Einführung in die Dimensionen von Armut und einer Vorstellung der wichtigsten me- 1 Mielck Elkeles/Mielck
2 thodischen Ansätze die gesundheitliche Situation armutsbetroffener Frauen analysieren und aufzeigen, auf welche Zugangsbarrieren zum Gesundheitswesen armutsbetroffene Personen stoßen. Die präsentierten Daten stammen zum Teil aus den Studien Soziale Ungleichheit und Gesundheit 3 und aus der Schriftenreihe Armutsbetroffene Frauen des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen (nunmehr ein Geschäftsbereich der Gesundheit Österreich GmbH 4 ) und können dort auch herunter geladen werden. Dimensionen der Armut Nach Angaben des letzten Sozialberichts sind über eine Million ( ) Österreicherinnen und Österreicher als armutsgefährdet zu bezeichnen. Das Armutsgefährdungsrisiko ist dabei bei Frauen mit 14 Prozent höher als jenes von Männern (12,3%) 6 und ist in städtischen Ballungszentren wie Wien oder Graz höher als in Kleinstädten. Dennoch wohnen rund 57,1 Prozent der Betroffenen in ländlichen Gebieten (Orte unter Einwohnerinnen und Einwohner). Armutsgefährdung wird heutzutage in erster Linie am Haushaltseinkommen bzw. dem so genannten Äquivalenzeinkommen gemessen, wobei darunter das nach Haushaltsgröße und Zusammensetzung des Haushalts (Anzahl der dort lebenden Erwachsenen und Kinder) zur Verfügung stehende gewichtete Monatsnettoeinkommen verstanden wird. Ein Haushalt bzw. ein Mitglied dieses Haushalts kann nach EU- ROSTAT als armutsgefährdet bezeichnet werden, wenn das Äquivalenzeinkommen weniger als 60 Prozent des Medianhaushaltseinkommens im Land beträgt. Diese Einkommensgrenze wird auch als Armutsgefährdungsschwelle bezeichnet. Zu beachten ist, dass diese Zahl nur relative Armut misst (auch wenn sich das Einkommen aller Einwohner verdoppelt, bleibt die Anzahl der armutsgefährdeten Personen gleich hoch). In Österreich liegt die Armutsgefährdungsschwelle für einen 1- Personen-Haushalt bei einem gewichteten Jahreseinkommen von 3 BMGF Website: bzw. Publikationen 5 BMSG BMSG
3 9.425,- (~ monatlich 785,-, 12 x jährlich) bzw. bei zwei Erwachsenen und einem Kind in einem Haushalt bei ,- (~ monatlich 1.414,-, 12 x jährlich). 7 Eine Befreiung von der Rezeptgebühr für verordnete Arzneimittel (2007: 4,70 pro Packung) ist zum Vergleich erst bei einem Monatseinkommen von 726,- für Alleinstehende ( 1.091,14 für Ehepaare und Lebensgemeinschaften) möglich. 8 14% 12% Anteil an Gesamtbevölkerung 10% 8% 6% 4% 2% 0% Armutsgefährdet Akut arm Abbildung 1: Entwicklung des Anteils der armutsgefährdeten bzw. von akuter Armut betroffenen Bevölkerungsgruppen an der Gesamtbevölkerung, Quellen: BMAGS 1999, BMSG 2002, BMSG 2004, OECD 2006 Seit dem Spitzenwert von 14 Prozent im Jahr 1994 ist der Anteil von armutsgefährdeten Personen an der Gesamtbevölkerung zwar gefallen, es ist aber auffällig, dass die Anzahl der betroffenen Personen seit Ende der 1990er Jahre wieder gestiegen ist, vgl. dazu auch Abbildung 1. Bei der Interpretation ist jedoch zu beachten, dass sich die Berechnungsmethodik im Vergleichszeitraum etwas geändert hat BMSG 2004 HVB Details zur Berechnungsweise können BMSG 2004, Seiten 222 ff. entnommen werden. 11
4 Etwas mehr als die Hälfte der armutsgefährdeten Personen unterliegt des Weiteren spürbaren Einschränkungen in zentralen Lebensbereichen (z.b. können abgetragene Kleider und Schuhe nicht durch neue ersetzt werden), lebt in Substandardwohnungen, hat gravierende Miet-, Strom- oder Heizkostenrückstände und hat nicht die finanziellen Mittel, mindestens einmal im Monat jemanden zu sich nach Hause einzuladen. Diese rund Einwohnerinnen und Einwohner, darunter viele Familien mit mehreren Kindern, aber auch überdurchschnittlich viele alleinerziehende Frauen, werden als akut arm bezeichnet. 10 Aus arbeits- und sozialpolitischer Sicht ist besonders bedenklich, dass rund Österreicherinnen und Österreicher als armutsgefährdet gelten, obwohl sie erwerbstätig sind. Es steht zu befürchten, dass diese Zahl aufgrund der zunehmenden Anzahl prekärer Arbeitsverhältnisse in Hinkunft deutlich steigen wird. Interessant ist außerdem noch, dass Personen des obersten Einkommensquintils 46 Prozent des gesamten unselbständigen Einkommens in Österreich beziehen, das unterste Quintil hingegen verfügt nur über 2,3 Prozent dieses Gesamteinkommens. Erläuterungsmodelle zu sozialen und gesundheitlichen Ungleichheiten Methodische Ansätze Zur Erläuterung der Zusammenhänge zwischen sozialen Ungleichheiten und Erkrankungsrisiken bzw. frühzeitiger Sterblichkeit wurden mehrere, einander ergänzende Theorien entwickelt, die in der Folge kurz skizziert werden. 11 Die Kontinuitätsthese unterstreicht den kontinuierlichen Einfluss von sozioökonomischen Faktoren auf die Gesundheit bzw. das Erkrankungsrisiko einer Person. Die Kumulationsthese besagt, dass sich sozioökonomische Benachteiligungen im Lebensverlauf einer Person verstärken, also eine Nicht- Teilnahme am Arbeitsmarkt beispielsweise auch in einen gesellschaft- 10 BMSG Brennecke/Fuchs 1999, Oberzaucher/Schmied 2005, Kunst et al
5 lichen Rückzug führt, oder dass sich gesundheitliche Belastungen mit steigendem Alter stärker manifestieren. Die Präventionsthese postuliert, dass das Einkommen einer Person zur Sicherung ihres Gesundheitszustandes beiträgt. Geringes Einkommen macht also krank, während ein ausreichend hohes Einkommen zur Erhaltung eines guten bzw. zur Verbesserung eines weniger guten Gesundheitszustandes beiträgt. Die Deprivationsthese besagt, dass Gesundheit eine wichtige Voraussetzung für die Erzielung eines ausreichenden Einkommens darstellt, Krankheit also zu Armut führt bzw. den sozialen Aufstieg verhindert. Letztere Behauptung wird beispielsweise dadurch untermauert, dass chronisch kranke bzw. behinderte Personen unter Umständen nur eine Teilzeitbeschäftigung verrichten können und somit von vornherein erheblich weniger verdienen als Vollzeitbeschäftigte. Im Vergleich dazu meint die Destrukturierungsthese, dass Statusunterschiede im höheren Lebensalter weniger stark ausgeprägt sind und z.b. durch selektive Mortalität an Relevanz verlieren. Ein wichtiger Aspekt bei der Messung von sozialen Ungleichheiten in einer Gesellschaft ist dabei der Schichtgradient der Gesundheit. Hierbei wird die Gesellschaft in mehrere, häufig fünf soziale Schichten (von Unter- bis hin zur Oberschicht) eingeteilt. Die wichtigsten Parameter zur Festlegung eines Schichtgradienten sind dabei das Bildungsniveau, die Stellung im Beruf, die Teilnahme am Erwerbsleben und das Einkommen bzw. bestehender Besitz. Zusätzlich können Faktoren wie die verfügbare Wohnnutzfläche oder das Überwiegen manueller Tätigkeiten der Person Berücksichtigung finden. Kurzzeit- und Langzeitarmut Für die Analyse potenzieller Zusammenhänge zwischen Einkommensarmut und Gesundheit spielt auch der Faktor Zeit eine bedeutende Rolle. Die Realität zeigt, dass viele Menschen irgendwann im Laufe ihres Lebens, z.b. während des Studiums oder nach Schicksalsschlägen, in eine Armutslage kommen. Untersuchungen in Deutschland, die nach der Meinung von Experten der Caritas auch auf Österreich übertragbar sind, zeigten ein 70/20/10-Schema. Damit ist gemeint, dass 70 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens nie arm sind, 20 Prozent gelegentlich von Armut betroffen und zehn Pro- 13
6 zent häufiger arm sind. Rund ein Drittel der Bevölkerung durchläuft also irgendwann eine kritische Armutsphase. Der Unterschied zwischen Kurzzeit- und Langzeitarmen ist jedoch, dass erstere z.b. nach Abschluss ihrer Ausbildung wieder über ein ausreichendes Einkommen verfügen bzw. die negativen Effekte von Armut auf den Gesundheitszustand und die Lebenserwartung durch ihren höheren Bildungsgrad oder ein intaktes soziales Umfeld kompensieren können. Langzeitarme verfügen hingegen nur über eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten. Eine typische Gruppe von Langzeitarmen sind ältere Langzeitarbeitslose, deren Arbeitslosigkeit oft in einen verfrühten Pensionseintritt mit einer dementsprechend niedrigen Pensionshöhe und wenig Kompensationsmöglichkeiten dieses Einkommensdefizits mündet. Gesundheitsverhalten armutsbetroffener Frauen Eine detaillierte Analyse des Mikrozensus Sonderprogramms Gesundheit durch das Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) hat gezeigt, dass beträchtliche Unterschiede im Gesundheitsverhalten und -empfinden zwischen den Geschlechtern einerseits und zwischen den sozialen Schichten andererseits gibt. Des Weiteren wurde auch in dieser Untersuchung die bereits bekannte Tatsache, dass mit steigendem Alter Personen verstärkt über Beschwerden und Schmerzen berichten, bestätigt. 12 Abbildung 2 zeigt, dass das Gesundheitsempfinden von Frauen kritischer ist als jenes von Männern und dass insbesondere Frauen einer niedrigen Einkommensschicht ihren subjektiven Gesundheitszustand viel kritischer beurteilen als Männer. 12 Schleicher/Hlava
7 80 75 Gesundheitszustand Männer Frauen < > Einkommen Abbildung 2: Subjektiver Gesundheitszustand bezogen auf Einkommen/EÄ* und Geschlecht. Quelle: Armutskonferenz 2003 * Netto-Haushaltseinkommen pro Erwachsenenäquivalent (EÄ) nach Eurostat; es wurden nur Personen über 45 Jahre mit berücksichtigt. Unterschiede im Gesundheitszustand lassen sich also nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch zwischen den sozialen Schichten festmachen. Auffällig ist, dass Frauen mit einem höheren beruflichen Status (Beamtinnen, Angestellte) ihren Gesundheitszustand insgesamt besser einstufen als Frauen mit geringerem beruflichen Status. Diese sozioökonomische Differenz ist in allen Altersgruppen gleichermaßen zu beobachten. 13 Bei einer Analyse von gesundheitlichen Beschwerden fällt auf, dass das Geschlechterverhältnis bei psychischen Erkrankungen bzw. psychosomatischen Störungen zu Ungunsten von Frauen verschoben ist. So leiden jeweils doppelt so viele Frauen wie Männer an Depressionen oder Panikstörungen. Bei näherer Diversifizierung der Frauen zeigt sich, dass statusniedrige Frauen (insbesondere Arbeiterinnen) 13 Schleicher/Hlava
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