PRESSEUNTERLAGEN PROF. DI ERNST GEHMACHER
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1 PRESSEUNTERLAGEN PROF. DI ERNST GEHMACHER WIEN, 19. DEZEMBER 2005
2 WAS MACHT GLÜCKLICH UND UNGLÜCKLICH? DIE SOZIALEN URSACHEN VON GLÜCK In der Studie Soziale Kohäsion der Generationen in Österreich wurden von der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft (SWS) in einer repräsentativen Stichprobe 1013 erwachsene ÖsterreicherInnen befragt. Das Thema Glück und Sozialkapital (sozialer Zusammenhalt) wurde in einer gesonderten Auswertung, im Rahmen des OECD- Programms Measuring Social Capital, umfassend analysiert. Die Schlüsselfrage nach dem Glück erfasste direkt das persönliche Erleben: Wie ist, alles in allem, das Leben heutzutage für Sie - sehr glücklich, ziemlich glücklich, nicht so glücklich/sehr unglücklich? Die beiden negativen Antworten sind als nicht glücklich zusammengefasst; sie zeigen alle Formen des Leids und der Depression an. Jeder fünfte Österreicher (20 Prozent) ist davon betroffen. Dem stehen 14 Prozent der sehr Glücklichen gegenüber, die sozusagen im siebten Himmel schweben. Zwei Drittel sind ziemlich glücklich: Sie werden mit ihrem Stress und ihren Leiden ganz gut fertig, leben recht gut, aber die große Erfüllung ist es nicht - also normal. Tabelle 1: GLÜCK IN ÖSTERREICH (Angaben in Prozent) Sehr glücklich Nicht glücklich GESAMT Geschlecht Männlich Weiblich Alter Bis 35 Jahre bis 55 Jahre Ab 56 Jahre Bildung Ohne Matura Mit Matura Familienstand Verheiratet/ Lebensgemeinschaft Ledig Geschieden/ Verwitwet/ Getrennt Haushalts-Einkommen (im Monat) Über Die Binsenweisheiten über das Glück bestätigen sich. Aber mit einigen Verfeinerungen. 2
3 1. Frauen sind eher unglücklich als Männer, aber nur geringfügig. Und das große Glück erreichen beide Geschlechter gleich selten. 2. Jugend bringt eher Lust, schützt aber nicht vor Leid. Alter schränkt die Freuden ein, macht aber nicht sehr unglücklich. 3. Geld hilft gegen Leiden, Armut tut weh. Doch der Unterschied in der Lebensfreude ist zwischen Arm und Reich nicht ganz so stark. 4. Mehr Schulbildung, die aber oft mit mehr Einkommen verbunden ist, wirkt ähnlich wie Geld. Doch ganz so unglücklich wie Armut macht es nicht, wenn man keine höhere Bildung hat. 5. Am häufigsten unglücklich (36 %) sind jene Österreicherinnen und Österreicher, die ihre Partner verloren haben (Geschiedene, Verwitwete, getrennt Lebende) - am wenigsten unglücklich die in Partnerschaft (Ehe, Lebensgemeinschaft) Lebenden. Ledig und allein zu leben, hat seine Risken und trüben Stunden. * * * Sozialkapital, die soziale Bindungskraft, wird nach der Theorie auf drei Ebenen wirksam: 1. Auf der Mikro-Ebene der persönlichen und nahen Bindungen in Familie und engerem Freundeskreis ( Liebe ); 2. Auf der Meso-Ebene der größeren hilfreichen Bekanntenkreise in Arbeit, Vereinsleben, Geselligkeit ( Beziehungen ); 3. Auf der Makro-Ebene der großen Gefühle und Ideen, der Verehrung von Symbolpersonen, in Religion, Kunst und Kultur, Politik und Gesellschaft ( Ideale ). In der Umfrage wurde das Sozialkapital mit Fragen nach den häufigen Tätigkeiten, der offenen Aussprache und Hilfe und nach der aktiven Teilnahme in Organisationen erfasst, jeweils mit entsprechendem Bezug auf die verschiedenen Bezugskreise. Das Niveau jeder Sozialkapital-Ebene und des Gesamt-Sozialkapitals wurde standardisiert auf einer Skala von 0.00 (Defizit) bis 1.00 (Maximum) gemessen. Im Gesamtwert für Sozialkapital addieren sich (oder multiplizieren sich, nach einer anderen Rechnungsweise) die Werte der drei Ebenen. In der vorliegenden Analyse wurden für das Gesamt-Sozialkapital die drei Kategorien niedrig (14 % der Befragten), mittel (75 %) und hoch (11 %) verwendet - die Wirkung von Sozialkapital zeigt sich in den Extremgruppen von Vereinsamung und Voll-Integration am deutlichsten. 3
4 Tabelle 2: GLÜCK NACH SOZIALKAPITAL-NIVEAU (Angaben in Prozent) Sehr glücklich Nicht glücklich MIKRO-EBENE ( Liebe ) 0.0 niedrig mittel hoch MESO-EBENE ( Beziehungen ) 0.0 niedrig mittel hoch MAKRO-EBENE ( Ideale ) 0.0 niedrig mittel hoch SOZIALKAPITAL GESAMT 0.0 niedrig mittel hoch Der Zusammenhang zwischen derzeitigem Glück und Sozialkapital ist auf allen drei Ebenen deutlich. Die Unterschiede scheinen gering. Ohne Liebe ist es schwerer, sehr glücklich zu sein als ohne Beziehungen und Ideale. Leidvermeidung bieten hingegen eher die Netze der Meso-Ebene und die Ideale der Makro-Ebene. Plausibel genug: Beziehungen helfen, Ideale trösten, Liebe braucht man. Sozialkapital als ganzes, harmonisch auf allen drei Ebenen, wirkt am stärksten, sowohl für Lustgewinn wie Leidvermeidung. * * * 4
5 Die verschiedenen glücksbringenden Lebensumstände verstärken einander. Das zeigt sich deutlich, wenn man Kombinationen betrachtet. Wesentlich höhere Prozentwerte an Lust und Leid zeichnen sich dann ab. Tabelle 3: FAKTOREN-EFFEKT AUF GLÜCK, LUST UND LEID EXTREME KOMBINATIONEN Sehr glücklich Nicht glücklich 3.1. Verwitwet/Geschieden ohne Matura Sozialkapital niedrig mittel hoch Haushalts-Einkommen bis Sozialkapital niedrig mittel hoch Haushalts-Einkommen Ab 3.000,-- Sozialkapital niedrig mittel hoch Verwitwet/ geschieden ohne Matura Ganz schlecht geht es (negativer Extremfall) den Verwitweten und Geschiedenen ohne hohe Schulbildung mit niedrigem Sozialkapital - von ihnen sind 71 Prozent unglücklich. Bei voller Integration (hohem Sozialkapital) hingegen leiden auch diese weniger Gebildeten nach dem Partnerverlust nur mehr zu 20 Prozent an einem dauerhaften Stimmungstief - wie der Durchschnitt der Österreicher. Sehr glücklich wird aber von diesem an sich benachteiligtem Personenkreis kaum jemand, auch nicht mit einem starken Sozialkapital-Beziehungsnetz. 3.2 und 3.3 Haushaltseinkommen bis 900. und über Armut hingegen wird durch ein hohes Sozialkapital deutlich gemildert. Aber auch die Reichen sind nur mit hohem Sozialkapital sehr glücklich (67 %) - ohne die soziale Einbindung und Anerkennung hilft Geld auch nicht. Der kombinierte Effekt mehrerer Faktoren ist eindrucksvoll. 5
6 Eine exakte Schätzung der Wirkung mehrerer Faktoren lässt sich erzielen durch eine Berechnung der reinen Effekte, unter Berücksichtigung aller Interrelationen, mittels multipler Regression. Dabei wurde die Wirkung auf Glück gesamt (positiv und negativ) und auf die beiden Extreme sehr glücklich (Lustgewinn) und nicht glücklich (Leidvermeidung) berechnet. Tabelle 4: FAKTOREN-EFFEKT AUF GLÜCK, LUST UND LEID MULTIPLE REGRESSION (Werte in Beta-Koeffizienten) Glück Lustgewinn Leidvermeidung 4.1. Sozialkapital auf drei Ebenen MIKRO (Liebe) MESO (Beziehungen) MAKRO (Ideale) Haushalts-Einkommen Schulbildung Familienstand Alter Sozialkapital gesamt Sozialkapital Einkommen Jugend Familie Bildung Sozialkapital auf drei Ebenen Nach der Größe gereiht sind für das positive Glück Liebe und Jugend am wichtigsten, auch noch Bildung recht bedeutsam - Geld und Beziehungen bringen kaum das große Glück. Doch schützen Einkommen und soziale Netze (aller Sozialkapital-Ebenen) in erster Linie vor Leiden und Unglücklichsein Sozialkapital gesamt Das Ergebnis verändert sich wenig, wenn man Sozialkapital als Gesamtwert statt der drei Ebenen in die Berechnung einbezieht. Sozialkapital bleibt der stärkste Faktor in der Glücksrechnung. In der größeren Perspektive gibt dieses Ergebnis zu denken. Das Glücksstreben in unsrer Gesellschaft ist auf Einkommen konzentriert - das zur Leidvermeidung bei Armut sehr wirksam ist, für das positive Glück aber wenig leistet. Der beeindruckende Erfolg in der Verlängerung des Lebens schafft im Durchschnitt auch nicht mehr Glück weil ohne mehr Sozialkapital der Gemeinschaften mit dem Alter die positiven Glücksmöglichkeiten abnehmen. Und gerade dieses für das Glück so wirksame Sozialkapital ist bedroht durch den rapiden technologischen und sozialen Wandel in der Modernisierung und Globalisierung. 6
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