ÖTZTALER RADMARATHON

Transkript

1 Am Ziel der Träume»Ich habe einen Traum«ist das griffige Motto des Ötztaler Radmarathons. Rennradfahrer aus der ganzen Welt zieht es jedes Jahr zum Ötzi nach Sölden. TOUR war beim internationalen Treffen der Träumer dabei 16 TOUR

2 TOUR 17

3 Kristian Bauer Uwe Geißler In der Sprache der Kletterer ist das Timmelsjoch die Schlüsselstelle des Ötztaler Radmarathons. Der Anstieg zum Kühtai bedeutet Arbeit, der Brenner ist human und der Jaufenpass ziemlich schweißtreibend. Am Timmelsjoch aber haben die Beine bereits mehr als Höhenmeter bewältigt, und die Zahl am Tacho nähert sich der 200-Kilometer-Grenze. Das Blut wird dicker, die Luft dünner, und die Lust am Weiterkurbeln nimmt mit jedem Meter ab. Es ist keine Erlösung in Reichweite: Endlose Serpentinen schlängeln sich zur weit entfernten Pass höhe auf Metern. Was soll man erst als Däne davon halten, wenn der höchste Berg im eigenen Land nur 180 Meter hoch ist? Wirklich vorbereiten auf diese leidvolle Erfahrung kann man sich im flachen Dänemark sowieso nicht. Ich bin zwar oft bei starkem Wind unterwegs, aber Höhenmeter sammeln geht nicht, meint Bjarne Liborius aus dem dänischen Randers, der das erste Mal am Ötztaler Radmarathon teilnimmt. So wie dem Dänen geht es vielen der Teilnehmer, die an diesem 30. August um sechs Uhr morgens frierend am Start im österreichischen Sölden stehen vor ihnen liegen Höhenmeter auf 238 Kilometern durch Tirol und Südtirol. Während im ersten Startblock die abgebrühten Wiederholungstäter erst wenige Minuten vor dem Start erscheinen, blicken weiter hinten die Ötzi-Frischlinge sorgenvoll in die Zukunft. Flachlandtiroler aus den Niederlanden, Dänemark und sogar dem fernen Korea wollen sich an den Alpenpässen versuchen. Nicht jeder weiß wirklich, worauf er sich da eingelassen hat. Sie kommen aus insgesamt 33 Nationen, angezogen von der härtesten Einbahnstraße der Welt wie es Organisator Ernst Lorenzi ausdrückt. Bjarne Liborius, Randers/Dänemark 43 Jahre, Geschäftsmann» Wir vom Hobbyteam Teamlir nennen uns das Team mit den schönsten Radlern der Welt. Ich bin das erste Mal beim Ötztaler, mein Traum war, einfach nur durchzukommen. In diesem Jahr habe ich rund Trainingskilometer geschafft, aber Bergfahren, vor allem langes Bergauffahren kann man in Dänemark nur sehr schlecht trainieren. Dafür ist bei uns der Wind sehr stark, das kann das Training auch sehr hart machen. Schließlich habe ich auch den Marmotte geschafft und jetzt den Ötztaler.«Gefahrene Zeit: 12:29 Stunden Die lange Abfahrt nach Ötz, die steilen Kehren hinauf nach Kühtai, Geschwindigkeiten im dreistelligen Bereich auf der folgenden Abfahrt und dann die Dreifach- Packung von Brenner, Jaufen und Timmelsjoch. Die Strecke hat dem Ötztaler zu seinem unvergleichlichen Ruf verholfen, und die Herausforderungen im Grenzbereich waren von Anbeginn gewollt. Der Tiroler Heli Meier, selber als wilder Hund verschrien, suchte in den 1980er-Jahren etwas Extremes, wo die Weich eier sich zu verabschieden hätten und die selbst ernannten Radpäpste mit ihrem Latein am Ende wären. Mit dem neu gegründeten Radclub Rennsau veranstaltete er dann am 22. August 1982 mit 115 Startern den ersten Internationalen Ötztaler Rad- Marathon. Für die Finisher gab es im Ziel einen mit Bier gefüllten Krug und ein laut gebrülltes Rennsau Heil! Schon früh weckte das archaische Kräftemessen der Rennsäue auch im Ausland 18 TOUR

4 Durchstarten: Wenn schon die Sonne noch nicht schien, so sollten den Startern wenigstens Sonnenblumen leuchten Interesse: Eine Reportage in TOUR bescherte den Veranstaltern 1984 einen Boom bei den Teilnehmerzahlen. Noch heute kommt mehr als die Hälfte der Teilnehmer aus Deutschland. Ein Artikel in einem italienischen Radmagazin und die Aufnahme in die Super-Prestigio-Rennserie sprach seit 2000 aber auch immer mehr Italiener an. In diesem Jahr stellten Deutsche, Italiener und Österreicher rund 93 Prozent der Finisher. Der Mythos Ötztaler hat sich aber längst auch zu Rennradfahrern aus weit entfernten Ländern herumgesprochen. Teilnehmerinfos in mehreren Sprachen und Medien, Straßensperren und Absicherungen, ausreichende und abwechslungsreiche Verpflegung, phantasievolle Rahmenveranstaltungen und eine Siegerehrung sowie eine TV-Show nach Sölden locken nicht nur Höhenmeter. Der Ötztaler Radmarathon hat internationale Standards gesetzt. Das Fahren aber nimmt einem trotzdem niemand ab. In Finnland halten uns alle für verrückt, wenn sie von dem Rennen mit Höhenmetern hören. Der einzige Berg bei uns in der Nähe hat 200 Höhenmeter Kari Kajaus, Espoo/Finnland 59 Jahre, Schafzüchter und Geburtshelfer» Ich habe in einer Zeitung über den Ötztaler gelesen und wusste: Da will ich mitfahren nahm ich das erste Mal teil und war sofort süchtig. Ich bin mit einer Gruppe da, die sich Team Villa Kuusela nennt der Name meines Bauernhofs. Im Spaß nennen wir uns auch die inoffizielle finnische Nationalmannschaft. Aber wir sind eine lausige, etwas alte Nationalmannschaft. Mein Traum ist, besser zu sein als alle anderen in der Gruppe, denn wir fahren nur die ersten 100 Meter zusammen. Dann geht es um den persönlichen Sieg! Okay, ganz im Ernst: Mir geht s nur ums Ankommen.«Gefahrene Zeit: 10:28 Stunden TOUR 19

5 Dranbleiben! Am Brenner hilft es, Teil einer schnellen Gruppe zu sein Jerry Nilson, Göteborg/Schweden 44 Jahre, Computer Consultant» Eigentlich bin ich von der Figur her kein Bergfahrer und im Flachen viel besser. Aber ich liebe die Alpen. Am liebs ten fahre ich mit einem Rucksack von einem Alpenpass zum nächsten. Da hat man unendliche Freiheit und weiß nicht, was einen am nächsten Tag erwartet. Insgesamt bin ich in den letzten zehn Jahren über Pässe gefahren. Mein Traum ist, alle großen Pässe in den Alpen zu fahren, die man mit dem Rennrad bewältigen kann. Der Ötztaler ist für mich ein ganz normaler Tagesausflug, das Rennen steht nicht so sehr im Vordergrund.«Gefahrene Zeit: 9:17 Stunden und ist maximal sieben Prozent steil, berichtet Kari Kajaus aus dem finnischen Espoo. Also fährt er den Anstieg mehrmals hintereinander, um Passfahrten zu trainieren. Ansonsten hat Kajaus zuhause jedoch beste Trainingsbedingungen: Im Winter laufen wir viel Ski, das hält fit. Fürs Sommertraining fahren wir nahe an die russischen Grenze. Da gibt es fast keine Autos, aber wilde Landschaft und hin und wieder einen Bären. Wenn die Berge nicht bei mir sind, muss ich halt zu den Bergen reisen, ist hingegen das Motto von Jerry Nilson. Der Schwede aus Göteborg ist absolut süchtig nach steilen Bergstraßen. Besser als er kennt kaum ein Rennradfahrer die Alpen: Jede asphaltierte Pass straße über Meter hat er schon überquert insgesamt bereits Pässe mit dem Rennrad bezwungen. Am liebs ten reist er mit dem Rennrad und einem kleinen Rucksack. Man fühlt sich wie ein Entdecker. Jeder Pass führt wieder in eine neue Welt, beschreibt Nilson seine Leidenschaft. In diesem Jahr hat er auf seinen Urlaubsreisen bereits 88 Pässe gesammelt. Das dürfte als Vorbereitung reichen und den Ötztaler sieht er sowieso nur als schöne Tagestour. Die Leistungsdichte ist groß So bunt das Teilnehmerfeld beim Ötztaler ist, so unterschiedlich ist auch die Vorbereitung auf den berühmten Radmarathon. Ein Gegenpol zum Rucksacktraining von Jerry Nilson bildet zum Beispiel die zielgerichtete Vorbereitung von Valerio Zamboni. Der gebürtige Italiener verkauft Flugzeuge und steht als Firmeninhaber immer unter Termindruck. Mein Training muss daher exakt nach einem Zeitplan erfolgen, den mir mein Personal- Trainer erstellt, erzählt er. Also erstellt ihm der Trainer jeden Oktober einen detaillierten Plan fürs kommende Jahr und der umfasst neben den 20 Stunden Training pro Woche auch rund 25 Rennen in ganz Europa. Um fünf oder sechs Uhr morgens beginnt Zamboni mit dem Training, um dann spätestens mittags pünktlich im Büro oder zu einem Meeting zu erscheinen. Weil Zeit bekanntlich Geld ist, darf bei den einzelnen Trainingseinheiten nichts schiefgehen. Deshalb hat er neben dem eigenen Trainer auch einen Angestellten, der sich ums Material und beim Rennen um die Verpflegung kümmert. Seine Saison ist lange: Im Winter arbeitet und trainiert er in Miami, um dann im Sommer in Monaco weiterzuradeln. Die Berge rund um das Fürstentum sind schließlich ein ideales Trainingsrevier für Rennen wie den Ötztaler. Gezieltes Training wenn auch nicht die Luxusvariante ist keine Seltenheit mehr bei den Startern in Sölden. Man redet nicht mehr von gefahrenen Kilometern, sondern Trainingsstunden pro Woche. Mit Zeiten, die 20 TOUR

6 Durchhalten: Die letzten Meter am Timmelsjoch wer die geschafft hat, hat das Schwerste hinter sich noch vor wenigen Jahren einen Podestplatz eingebracht hätten, landet man heute im Mittelfeld. Die Leistungsdichte ist groß, und Neueinsteiger haben es schwer. Das Podium ist traditionell in der Hand der Italiener zumindest bei den Männern. Bei den Frauen hingegen ist der Rennausgang ziemlich unvorhersehbar. Ein Beweis dafür ist Edith Vanden Brande aus dem belgischen Gent. Die 27-jährige Studentin fährt ihr erstes Jahr im Hobbyteam Veltec Granfondo, das an Rennen in ganz Europa teilnimmt. Bei ihrem Valerio Zamboni, Monaco 55 Jahre, Unternehmer» Ich habe vor vier Jahren mit dem Rennradfahren angefangen. Damals hatte ich einen schweren Unfall beim Bergsteigen und musste mir einen neuen Sport suchen. Als Inhaber eines internationalen Unternehmens, das Flugzeuge verkauft, bin ich immer unter Zeitdruck. Mein Training muss daher exakt nach Zeitplan erfolgen. Den Ötztaler Radmarathon fahre ich zum dritten Mal. Ich habe einen Sporttrainer dabei und einen Helfer mit einem Motorrad, der mich verpflegt. Mein kleiner Traum ist, beim Ötztaler unter die ersten 500 zu kommen, mein größter Traum, das Race Across America zu fahren.«ötztaler in 9:47 Stunden ersten Ötztaler-Start gelingt ihr, auch dank ihres starken Teams, auf Anhieb der Sieg. Bis zu 25 Stunden trainiert Vanden Brande pro Woche. Höhenmeter sammelt sie in den Ardennen, und mehrmals ist sie in die französischen Alpen gefahren, um auf Berg strecken zu trainieren. Vor dem Ötztaler hat sie bereits die Frauenwertung bei La Marmotte gewonnen. Und jetzt noch der Sieg beim Ötztaler, sagt sie strahlend, das ist einfach perfekt! Dass sie die Erfolge auch ihrem Team zu verdanken hat, daran lässt Edith Vanden Brande keinen Zweifel. Auch beim Ötztaler entstehen die Teams immer häufiger nicht aus den klassischen Radclubs, sondern auch durch private Kontakte von Hobbyfahrern, die Spaß und Leiden(-schaft) teilen wollen. Unterschiedliche Träume So wie das finnische Team Villa Kuusela, das nach dem Bauernhof des Initiators Kari Kajaus benannt ist. Wir sind die in offizielle Nationalmannschaft Finnlands, scherzt der ehemalige Schafzüchter und heutige Geburtshelfer. Seine Jungs stammen aus allen Landesteilen, und man trifft sich nur hin und wieder mal zum gemeinsamen Trainings camp. Ob im Team oder als Einzelkämpfer die Teilnehmer des Ötztaler sind ebenso 22 TOUR

7 unterschiedlich wie ihre Träume und Ziele, die sie mit dem legendären Radmarathon verbinden: Die einen hoffen, unter neun Stunden zu bleiben, andere wollen schneller als der Freund im Ziel sein. Oder besser als im Vorjahr. Den Manager aus Monaco, den Geburtshelfer aus Finnland, die Studentin aus Belgien, sie alle eint, dass ihr Traum nur in Sölden erfüllt werden kann. Ankommen, dem Besenwagen und den düsteren Gedanken am Timmelsjoch ein Schnippchen schlagen und daheim Steve Parkins, Calgary/Kanada 39 Jahre, Geologe» Als ich klein war, hat mir mein Vater immer Radzeitschriften aus Europa gekauft. Ich habe dann die legendären Bergstraßen gesehen und wollte die un bedingt mal selbst bezwingen. Jetzt fahre ich schon seit 20 Jahren Rennrad. Mein Schwager hat mir vom Ötztaler vorgeschwärmt, deshalb musste ich unbedingt mal mitfahren. Das ist meine Premiere! Etwas Vergleichbares wie den Ötztaler gibt es bei uns nicht, Radfahren spielt keine große Rolle in Kanada. Bei einem Rennen in Calgary stehen vielleicht 200 Leute am Start und nicht wie hier! Ich freue mich und will einfach Spaß haben.«gefahrene Zeit: 9:33 Stunden vom heißen Ritt über die Berge prahlen das ist für viele Ötzi-Neulinge das höchste der Gefühle. Am Ziel deiner Träume steht über dem Zielbogen in Sölden, und das trifft die Gedanken von Lena Baische aus Köln auf den Punkt. Sie fährt das erste Jahr Rennrad, und der Ötzi ist für sie eine Art Extrempremiere. Zwar hat sie vom Laufen eine gute Kondition, war schon mit dem Mountainbike in den Bergen, doch beim Ötztaler ist sie ihre ersten Alpenpässe auf dem Rennrad gefahren. Nach zehneinhalb Stunden hat sie es geschafft und ist unendlich stolz nicht zuletzt, weil in vier Wochen eine Hüft-Operation ansteht. Auch für Steve Parkins aus Kanada ist ein Traum wahr geworden. Als er klein war, hat ihm sein Vater Radzeitschriften gekauft und damit die Lust auf die berühmten Alpenpässe geweckt. Dass er die Pässe jetzt selbst bezwingen kann, macht ihn glücklich. Für den Tiroler Gerald Tschaffert hat sich beim Ötztaler ein Traum ganz anderer Art erfüllt: Willscht du mi heirat n?, fragt er übers Mikrofon seine Freundin, die unter den Zuschauern im Zielbereich steht Höhenmeter hat er den Verlobungsring in der Trikottasche getragen, acht Stunden und 43 Minuten hatte er Zeit, die Frage vorzubereiten. Ein leises Ja ist die Belohnung. Distributed by GROFA GmbH Otto-Hahn-Straße 17 D Bad Camberg Das neue FLEA USB Beleuchtungssystem 40 Lumen bei nur 17g Gewicht Serienmäßig mit USB-Ladeteil Aufladbar mit separat erhältlichem Solar-Panel Nahezu überall und universell zu befestigen Jetzt auch mit farbigen Gehäusen erhältlich Drahtloser Internetzugang Das Blackburn FLEA System: Alles was Sie von einem perfekten Beleuchtungssytem erwarten. Achtung: FLEA-Beleuchtungen sind nicht für den Straßenverkehr zugelassen und dürfen daher nur als Zusatzbeleuchtung im Straßenverkehr verwendet werden!

8 Ausrollen: Den Applaus im Ziel hat jeder verdient, der hier ankommt Nur das finnische Team Villa Kuusela ist am Ende des Ötztalers noch nicht am Ziel seiner Träume: Unser Hotel liegt oben am Berg, da müssen wir noch 200 Höhenmeter mit bis zu 16 Prozent hochradeln, stöhnt Kari. Erst wenn wir das geschafft haben, können wir feiern. Edith Vanden Brande, Gent/Belgien 27 Jahre, Politik-Studentin» Also, mein Traum ist definitiv wahr geworden ich habe tatsächlich gewonnen! Vor dem Start habe ich an eine Zeit um die achteinhalb Stunden gedacht. Ich wollte vorne dabei sein, aber ich dachte nicht, dass es so gut gelingt. Vor allem von den Italienern habe ich viel mehr Kampf erwartet. Es ist mein erstes Jahr im Team Veltec Granfondo, und besser hätte es nicht laufen können. Wir sind ein reines Hobbyteam und nehmen an Rennen in ganz Europa teil. Ich trainiere so 20 bis 25 Stunden die Woche. Ich habe noch nie eine Rennlizenz gehabt und auch sonst noch nie Sport im Hochleistungsbereich gemacht.«gefahrene Zeit: 7:53 Stunden