QUARTALSBERICHT. Schlagzeilen
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- Leander Michel
- vor 8 Jahren
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1 QUARTALSBERICHT Projektland: Quartal/Jahr: Chile III/2011 Schlagzeilen Vier Monate halten mittlerweile die Studentenproteste in Chile an. Hundertausende Schüler, Studenten und Eltern nehmen daran teil und fordern tiefgreifende Veränderungen im Bildungssystem. Obwohl von Seiten der Politik Zugeständnisse gemacht worden sind, lehnt die Studentenbewegung Schminkreformen kategorisch ab. Im Juli erfolgte die zweite Kabinettsumbildung der Regierung Piñeras. Innenpolitik Auf den ersten Blick gilt Chile als das Musterland Lateinamerikas. Es ist das einzige Land Südamerikas, das OECD-Mitglied ist. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum war von Mitte der 80er bis Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts weit über dem Durchschnitt Lateinamerikas. In den letzten Jahren hat sich die Wachstumsrate an die der Region angeglichen, dennoch bleibt das BIP pro Kopf sehr hoch im Vergleich. Während Chiles BIP pro Kopf 2010 bei ca. US$ lag, stand der Durchschnittswert der Region bei ca. US$ Die Inflationsrate ist stabil und niedrig. Außerdem stiegen die realen Löhne in den letzten Jahren. Dies zeigt, dass Chiles Wirtschaft im regionalen Vergleich sehr positiv abschneidet. Bei Bildung und Erziehung ragen die Werte Chiles dennoch im regionalen Vergleich nicht mehr so positiv heraus und deutliche Defizite werden erkennbar. Zwar liegt die Analphabetenrate auf einem niedrigen Niveau und auch die durchschnittlichen Schuljahre eines 15 jährigen sind in den letzten 40 Jahren von durchschnittlich 5 auf 8 Jahre gestiegen. Jedoch weist die Bildungsqualität einige Mängel auf, obwohl die Schüler im regionalen Vergleich im Durchschnitt relativ viele Stunden den Unterricht besuchen. Bei einer genaueren Betrachtung des chilenischen Bildungssystems zeigen sich Unterschiede zwischen den verschiedenen Schultypen. In Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, Projektland Chile, 3. Quartal/2011 1
2 der voruniversitären Bildung gibt es Privatschulen, staatlich subventionierte Privatschulen und Gemeindeschulen. Erstgenannte werden von ca. 7 % der Jugendlichen besucht. Die Kosten trägt allein die Familie, dafür ist die Qualität dementsprechend hoch. Bei einer Betrachtung des OECD-Vergleichs der Schulen aller OECD-Länder, erreichten die chilenischen Privatschulen ca. 510 Punkte, was etwas über dem OECD-Durchschnitt von 500 Punkten liegt. Der zweite Schultyp zeichnet sich dadurch aus, dass ein Teil der Schulgebühren vom Staat subventioniert und der andere Teil von den Eltern getragen wird. Diese subventionierten Privatschulen werden von ca. 47 % der Schüler besucht und erreichten einen Punktestand von ca. 440 im OECD-Vergleich, was schon deutlich unter dem OECD-Durchschnitt liegt. Der letzte Schultyp, die Gemeindeschulen, zeichnet sich dadurch aus, dass sie vollständig von den Gemeinden finanziert werden. Ca. 46 % der chilenischen Schüler besuchen diesen Schultyp, der beim PISA- Test ca. 410 Punkte erreichte und deutlich unter den Punktwerten der anderen beiden Schultypen steht. Gegründet wurde dieses Schulsystem in den 80er Jahren während der Militärregierung. Dabei wurden marktorientierte Erziehungsreformen eingeführt und die staatliche Finanzierung gekürzt. Die Schulen wurden dezentralisiert und die Verantwortung den Gemeinden übergeben, die je nach Steuereinnahmen mehr oder weniger Geld in ihre Schulen investieren können. Die Steuereinnahmen der Gemeinden hängen vom Reichtum der dort lebenden Bürger ab. Somit sind Gemeindeschulen in Gemeinden mit hohem Steueraufkommen besser ausgestattet als in Gemeinden, in denen die Bürger geringe Einkommen beziehen. Dieses System wurde bis heute aufrechterhalten und führte zu einer Vielzahl von privaten Schulgründungen. Damit gingen die Immatrikulationen in Gemeindeschulen auf Grund der Qualitätsunterschiede immer weiter zurück. Gemeindeschulen und private Schulen unterscheiden sich nicht nur in ihrer Finanzierung, sondern auch in einigen anderen Punkten, die wiederum Auswirkungen auf die Qualität haben. Während Privatschulen Schüler ablehnen können, sind die Gemeindeschulen gezwungen, jeden Schüler aufzunehmen. Des Weiteren werden die Löhne der Lehrer in den Gemeindeschulen durch landesweite Verhandlungen festgelegt und es bestehen Einschränkungen bei Entlassungen. Im Gegensatz dazu stehen Privatschulen nicht unter dieser Art von Restriktionen. Sie können das Gehalt der Lehrer selbst festlegen und sind so flexibel bei Entlassungen, wie in der privaten Wirtschaft. Wie sich an der Punkteverteilung gezeigt hat, ist die Bildungsqualität der Jugendlichen stark vom Geldbeutel der Eltern abhängig. Laut einer OECD-Studie aus 2006 ist Chile innerhalb der OECD das Land, dessen Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, Projektland Chile, 3. Quartal/2011 2
3 Bildungsqualität am stärksten vom sozioökonomischen Hintergrund abhängt. Folglich müsste der chilenische Staat stärker in die Bildung von Kindern aus sozialschwachen Elternhäusern investieren, um ihnen eine bessere und gerechte Bildung zu bieten. Das Einkommen ist ungleich verteilt und die öffentlichen Ausgaben für Bildung sind im internationalen Vergleich gering. Zwar gibt es staatliche Unterstützung für Kinder aus armen Elternhäusern, um die subventionierten Privatschulen zu besuchen, jedoch sind diese gering. Die Möglichkeit dieser Kinder, eine hohe Bildungsqualität in den privaten nicht staatlich subventionierten Schulen zu erhalten, besteht jedoch nicht. Die Einkommensungleichheit in Chile zieht die Problematik mit sich, dass die Investitionen, die von staatlicher Seite für die Bildung ausgegeben werden müssten, um ein gleiches Bildungsniveau zu erreichen, höher sind, als für reichere Länder mit geringen sozioökonomischen Unterschieden. Überdies hinaus sind Auswirkungen des sozioökonomischen Hintergrundes der Klassenkameraden auf den schulischen Erfolg des einzelnen Schülers ebenfalls erkennbar. Dieser Effekt ist sogar stärker als die Einkommensverhältnisse des Elternhauses. Das wiederum hat zur Folge, dass die Kosten noch höher werden, wenn die Bildung von armen Schülern, die in einer Gemeindeschule konzentriert sind, verbessert werden soll. Um dem entgegenzuwirken wurden 2008 die Ausgaben erhöht, um gerade arme Kinder zu fördern und Schulen, in denen diese konzentriert sind mit Extrazahlungen zu unterstützen. Dazu wurde die sogenannte Subvención Escolar Preferencial eingeführt, die den Gemeindeschulen mehr Geld zur Verfügung stellt. Dennoch sind bisher keine großen Auswirkungen erkennbar. Der OECD-Bericht über die Mängel des chilenischen Bildungssystem schlägt deshalb vor ein weniger stark stratifiziertes Schulsystem einzuführen, damit die Einflüsse des sozioökonomischen Hintergrundes auf die schulischen Ergebnisse reduziert werden können. Dadurch könnte eine höhere Chancengleichheit innerhalb der Gesellschaft hergestellt werden. Die Höhere Bildung Chiles gliedert sich in drei Typen von Hochschulen: Universitäten, berufsbildende Institutionen und technische Ausbildungszentren. Von den ca Studenten sind 63 % an Universitäten immatrikuliert, 13 % an den technischen Ausbildungszentren und 24 % an den berufsbildenden Institutionen. Die Universitäten lassen sich in traditionelle und nicht traditionelle unterteilen. Erste zeichnen sich dadurch aus, dass sie schon vor der Bildungsreform von 1980 gegründet waren und über langjährige Erfahrungen und Qualität verfügen. Sie organisieren sich in der Rektorenkonferenz und können sowohl staatlich als auch privat sein. Finanziert werden diese zu einem Drittel bis zu einem Viertel vom Staat. Eine weitere Einnahmequelle sind die Studiengebühren, die je nach Studiengang und Universität unterschiedlich hoch sind. Nach der Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, Projektland Chile, 3. Quartal/2011 3
4 Bildungsreform von 1980 traten weitere privat gegründete Universitäten, sowie die berufsbildenden Institutionen und technischen Ausbildungszentren auf den Bildungsmarkt. Die Bildungsqualität dieser privaten Einrichtungen ist unterschiedlich und sie organisieren sich nicht in der Rektorenkonferenz. Um die anfallenden Studiengebühren finanzieren zu können, bietet der Staat den Studenten nur wenige Stipendien und zwei verschiedene Kreditmöglichkeiten an. Die einen sind die sogenannten Créditos Solidarios. Dieser Kredit ist nur für die Immatrikulation an den traditionellen Universitäten. Er wird an Studenten mit einem bestimmten Abiturdurchschnitt vergeben, deren Eltern Geringverdiener sind. Der Crédito Solidario deckt jedoch nicht unbedingt die gesamten Studiengebühren ab. Die Hürde der Abiturnote bedingt, dass zuvor eine Schule mit einer gewissen Bildungsqualität besucht wurde. Der zweite Kredittyp (Crédito con Aval del Estado) zeichnet sich dadurch aus, dass der Staat für den Studenten bürgt. Er wird vom Staat über die Banken, welche dafür Zinsen verlangen, an die Studenten vergeben. Bisher waren die Zinssätze der beiden Kredite unterschiedlich hoch, was dazu führte, dass sich die Studenten gerade beim letztgenannten Kredittyp oft so hoch verschuldeten, dass die zurückzuzahlenden Gesamtkosten doppelt so hoch waren, wie die eigentlichen Studiengebühren. In Kürze soll jedoch über ein neues Gesetz im Parlament abgestimmt werden, das den derzeitigen Zinssatz des zweiten Kredittyps von 6% auf 2% reduziert. Dieses Bildungssystem mit all seinen Schwächen schaffte es bisher nicht, die Ungleichheit in der chilenischen Gesellschaft nachhaltig zu verringern. Dabei sollte gerade durch gute Bildung für alle Bevölkerungsschichten die Möglichkeit bestehen, dass auch Kinder aus sozialschwachen und einkommensarmen Elternhäusern sozioökonomisch in der Gesellschaft aufsteigen können. Stattdessen teilt das voruniversitäre System die Gesellschaft in drei fast undurchlässige Schichten, wobei der Zugang zu guter Bildungsqualität vom sozioökonomischen Hintergrund des Schülers abhängt und damit gleichzeitig der Zugang zu Universitäten für die große Mehrheit der Chilenen erschwert wird. Ohne Hochschulbildung sind die Möglichkeiten, gesellschaftlich bzw. ökonomisch aufzusteigen, gering und selbst mit Hochschulbildung verschulden sich die Chilenen oft über viele Jahre hinweg. Die Einkommensungleichheit ist deshalb in den letzten Dekaden relativ stabil auf einem hohen Niveau geblieben. Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit der Einkommensverteilung in einem Land misst, liegt bei 57,6 und wird im regionalen Vergleich nur von wenigen Ländern übertroffen. Aber nicht nur im regionalen Bereich, sondern auch im Vergleich zu Ländern mit ähnlich hohem pro- Kopf Einkommen, zeigt Chile einen hohen Grad an Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, Projektland Chile, 3. Quartal/2011 4
5 Einkommensungleichheit. Um dies zu ändern müssen im Bildungssystem tiefgreifende Änderungen vorgenommen werden Am 18. Juli kündigte Präsident Piñera die zweite Kabinettsumbildung seiner Amtszeit. Ersetzt wurden die Regierungssprecherin Ena von Baer, der Wirtschaftsminister Juan Andrés Fontaine und der Planungsminister Felipe Kast. Die Ämter des Regierungssprechers und des Wirtschaftsministers werden von den Ex-Senatoren Andrés Chadwick (UDI) 1 und Pablo Longueira (UDI) übernommen. Zum Justizminister wurde der ehemalige Stipendiat der Hanns-Seidel- Stiftung, Teodoro Ribera 2 ernannt. Zu anderen Ministerien wechselten der Bildungsminister Joaquín Lavín, jetzt Planungsminister, der Justizminister Felipe Bulnes, der das Bildungsministerium übernahm, und der Minister für Bergbau Laurence Golborne, der zum Ministerium für öffentliche Bauten ging. Wie bei der Kabinettsumbildung von Januar, stärkte Präsident Piñera erneut das politische Gewicht des Kabinetts mit der Ernennung von erfahrenden Mitgliedern des Parlaments. Jorge Sandrock Der Autor ist Leiter der Vertretung der Hanns-Seidel-Stiftung in Santiago, Chile. IMPRESSUM Erstellt: Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.v., Copyright 2011 Lazarettstr. 33, München Vorsitzender: Prof. Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.d., Senator E.h. Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Verantwortlich: Christian J. Hegemer, Leiter des Instituts für Internationale Zusammenarbeit Tel. +49 (0) Fax iiz@hss.de 1 Partido Renovación Nacional 2 Prof. Dr. iuris utriusque Teodoro Ribera Neumann (53) promovierte an der Universität Würzburg mit einem Stipendium der Hanns-Seidel-Stiftung. Zwischen 1990 und 1998 war er Mitglied des chilenischen Unterhauses. Später wurde er zum Richter des Verfassungsgerichtes ernannt. Zur Zeit der Einberufung ins Kabinett bekleidete er das Amt des Rektors der Universidad Autónoma de Chile. Hanns-Seidel-Stiftung, Quartalsbericht, Projektland Chile, 3. Quartal/2011 5
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