2.a. Die Bedeutung des Zivilrechts für das Sozialversicherungsrecht im Allgemeinen
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- Michaela Wilhelmine Dittmar
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1 2.a. Die Bedeutung des Zivilrechts für das Sozialversicherungsrecht im Allgemeinen Grundsatz: Das (ältere) Zivilrecht bildet für das (jüngere) Sozialversicherungsrecht eine vorgegebene Ordnung. Die Begriffe und Institute des Zivilrechts werden vom Sozialversicherungsrecht vorausgesetzt und gehen daher dem Sozialversicherungsrecht vor. Ausnahmen: Die zivilrechtlichen Begriffe und Institute dürfen aber nicht "blindlings" auf das Sozialversicherungsrecht übertragen werden. Es sind durchaus abweichende Definitionen zulässig und auch anzutreffen. Teilweise können selbst bei Voraussetzung der zivilrechtlichen Begrifflichkeiten gesetzlich abweichende Rechtsfolgen im Sozialversicherungsrecht ergeben. 1
2 2.b. Für das Sozialversicherungsrecht bedeutsame zivilrechtliche Begriffe und Institute: Alter Der Begriff des Alters im Sozialversicherungsrecht: Das Sozialversicherungsrecht knüpft verschiedene Rechtsfolgen an das Erreichen eines bestimmten Alters durch die versicherte Person. Eine eigene Definition und Bestimmung des Alters findet sich jedoch in keinem Sozialversicherungserlass. Anwendungsbeispiele: Anspruch auf eine Altersrente der AHV haben Männer, welche das 65. Altersjahr vollendet haben, und Frauen, welche das 64. Altersjahr vollendet haben (Art. 21 AHVG). Der Anspruch auf eine Invalidenrente der IV entsteht frühestens im Monat, der auf die Vollendung des 18. Altersjahres folgt (Art. 29 Abs. 1 IVG). Der Begriff des Alters im Zivilrecht: Das Zivilrecht sieht seinerseits ebenfalls keine Definition des Alters einer Person vor. Massgeblich sind aber auch für das Sozialversicherungsrecht (!) die zivilrechtlichen Beurkundungen des Personenstands (Art ZGB) durch das Zivilstandsamt. 2
3 2.c. Für das Sozialversicherungsrecht bedeutsame zivilrechtliche Begriffe und Institute: Tod Der Begriff des Todes im Sozialversicherungsrecht: Das Sozialversicherungsrecht knüpft verschiedene Rechtsfolgen an den Eintritt des Todes einer (versicherten) Person. Eine eigene Definition des Todesbegriffs findet sich jedoch in keinem Sozialversicherungserlass. Anwendungsbeispiele: Entstehen des Anspruchs auf Hinterlassenenleistungen in der AHV, bv, MV, UV Ende des Anspruchs auf Invalidenrenten, Taggelder etc. Der Begriff des Todes im Zivilrecht: Art. 31 ZGB enthält keine Regeln darüber, wann der Tod eintritt. Massgeblich ist nach der Rechtsprechung des BGer der jeweils anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft (BGE 98 Ia 512; BGE 123 I 128). Die heute geltenden Massstäbe sind in den Richtlinien für die Definition und die Diagnose des Todes vom 25. Januar 1969 zusammengefasst. Abgestellt wird auf den irreversiblen Ausfall der Hirnfunktionen. 3
4 Übungsfall Vater und Sohn werden zusammen tot in einem Auto aufgefunden. Der Tod ist durch Zuleitung von Abgasen in das Wageninnere eingetreten. Erhebungen zur Bestimmung des genauen Todeszeitpunktes ergaben keine genauen Hinweise. Hinterlassen ist die 38-jährige Ehefrau Y, welche nunmehr gegenüber der AHV einen Anspruch auf Witwenrente erhebt. 4
5 Übungsfall Der Versicherte B. ist seit dem 16. Januar 2004 nachrichtenlos verschwunden. Seine Ehefrau möchte heute ( ) an die AHV gelangen, um eine Witwenrente geltend zu machen. Frage 1: Zivilrechtliche Beurteilung des Sachverhalts? Frage 1: Besteht ein Anspruch auf Witwenrente? Falls ja, ab welchem Zeitpunkt? Frage 2: Wie verhält es sich, wenn sich in zwei Jahren herausstellen würde, dass der Versicherte B. noch lebt und nach Kanada ausgewandert ist.... 5
6 2.d. Für das Sozialversicherungsrecht bedeutsame zivilrechtliche Begriffe und Institute: Wohnsitz Der Wohnsitzbegriff im Sozialversicherungsrecht: Art. 13 Abs. 1 ATSG: Der Wohnsitz einer Person bestimmt sich nach den Artikeln des Zivilgesetzbuches. Anwendungsbeispiele: Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der AHV haben Versicherte mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz (Art. 43bis Abs. 1 AHVG). Viertelsrenten der IV werden grundsätzlich nur an Personen mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der CH ausgerichtet (Art. 29 Abs. 4 IVG). Der Wohnsitzbegriff im Zivilrecht: Wohnsitz im zivilrechtlichen Sinne versteht sich als der Ort, für welchen die Absicht eines länger dauernden Verbleibens besteht. Entscheidend ist, wo eine Person den Mittelpunkt oder Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen hat. Dabei kommt es nicht auf den inneren Willen an, sondern auf welche Absicht die erkennbaren Umstände objektiv schliessen lassen. 6
7 Übungsfall Die 82-jährige X. bezieht eine Altersrente der AHV sowie jährliche Ergänzungsleistungen und wohnt seit 15 Jahren in der Stadt Basel. Da sie nunmehr ihren Haushalt nicht mehr selbst bewirtschaften kann, entschliesst sie sich, in ein Altersund Pflegeheim nach Muttenz (BL) zu ziehen. Beurteilen Sie die Zuständigkeit der EL-Behörden.. 7
8 2.e. Für das Sozialversicherungsrecht bedeutsame zivilrechtliche Begriffe und Institute: Ehe und eingetragene Partnerschaft Begriff und Bedeutung der Ehe im Sozialversicherungsrecht: Das Sozialversicherungsrecht kennt keine eigene Definition der Ehe, sondern lehnt sich diesbezüglich an die zivilrechtlichen Regeln der Art. 90 ff. ZGB an. Die Ehe sowie der Auflösung durch Scheidung oder Ungültigerklärung sind im Sozialversicherungsrecht von grosser Bedeutung. Anwendungsbeispiele: Ehe als Voraussetzung von Witwen- und Witwerrenten (z.b. Art. 19 BVG). Ehe als Ursache für Zustimmungserfordernisse (z.b. Art. 5 Abs. 2 FZG). Verlöbnis als Voraussetzung für Witwen- bzw. Witwerrenten (Art. 29 Abs. 2 UVG). Scheidung als Auslöser des Vorsorgeausgleichs (Art. 122 ff. ZGB). 8
9 2.e. Für das Sozialversicherungsrecht bedeutsame zivilrechtliche Begriffe und Institute: Ehe und eingetragene Partnerschaft Grundlagen der eingetragenen Partnerschaft: Bundesgesetz über die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare (SR ). Lebenspartnerschaft im Sozialversicherungsrecht: Art. 13a Abs. 1 ATSG: Eine eingetragene Partnerschaft ist während ihrer Dauer sozialversicherungsrechtlich einer Ehe gleichgestellt. Art. 13a Abs. 2 ATSG sowie Art. 19a BVG: Stirbt eine Partnerin oder ein Partner, so ist die überlebende Person einem Witwer gleichgestellt. Art. 13a Abs. 3 ATSG: Die gerichtliche Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft ist einer Scheidung gleichgestellt. 9
10 Übungsfall Z. ist die überlebende Ehegattin von A. Sie erhält seit dessen Tod eine Witwenrente der AHV. Nun heiratet sie den B. Frage 1: Welche Rechtsfolge hat die Ehe mit B. auf den Rentenanspruch gegenüber der AHV? Frage 2: Wie verhält es sich, wenn die Ehe mit B. nach 5 Jahren geschieden wird? 10
11 Literatur Riemer Hans Michael, Berührungspunkte zwischen Sozialversicherungs- und Privatrecht, insbesondere die Bedeutung des Privatrechtes bei der Auslegung des Sozialversicherungsrechtes durch das EVG, in: Sozialversicherungsrecht im Wandel, Festschrift 75 Jahre Eidgenössisches Versicherungsgericht, Bern 1992, S. 147 ff. Nef Urs Ch., Zum Verhältnis von Privatrecht und öffentlichem Recht in der Sozialversicherung, in: Sozialversicherungsrecht im Wandel, Festschrift 75 Jahre Eidgenössisches Versicherungsgericht, Bern 1992, S. 133 ff. 11
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