Die Kleinbürgerhochzeit von Bertolt Brecht

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Matthias Seidel
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1 Begleitmaterial für Pädagogen zu Die Kleinbürgerhochzeit von Bertolt Brecht am Schauspiel Dortmund Spielzeit 2010/11 Premiere: 21. Januar 2011, Studio Besetzung: Der Vater der Braut: Uwe Rohbeck Die Mutter des Bräutigams: Christiane Lemm Die Braut: Bettina Lieder Die Schwester der Braut: Luise Heyer Der Bräutigam: Christoph Jöde Der Freund des Bräutigams: Axel Holst Die Freundin der Braut: Melanie Lüninghöner Ihr Mann: Jakob Schneider Der junge Mann: Sebastian Graf Regie: Charlotte Zilm Bühne: Larissa Hartmann Kostüme: Yvette Schuster Licht: Rolf Giese Dramaturgie: Alexander Kerlin Materialübersicht 1. Zum Stück 2. Kurzvita Bertolt Brecht 3. Zitate Brechts aus der Kleinbürgerhochzeit 4. Die Heimkehr von Heinrich Heine 5. Übungen für den Unterricht 6. Beobachtungsaufgaben bei der Inszenierung 7. Textstelle für den Unterricht 8. Weitere Anregungen Kontakt und theaterpädagogische Begleitung: Sarah Jasinszczak, Theaterpädagogin Schauspiel, Kuhstr. 12, Dortmund 0231/ oder

Der Freund des Bräutigams: Axel Holst Die Freundin der Braut: Melanie Lüninghöner Ihr Mann: Jakob Schneider Der junge Mann: Sebastian Graf Regie: Charlotte Zilm Bühne: Larissa Hartmann Kostüme:

2 1. Zum Stück Die Kleinbürgerhochzeit Eine Hochzeitsgesellschaft in einer guten Stube gerät völlig aus den Fugen: Was mit einem gesitteten Festmahl beginnt, endet in einem exzessiven Besäufnis und der totalen Zerstörung. So wie das schlecht verleimte Mobiliar der Wohnung Stück für Stück zerbricht, bröckelt auch die von den Feiernden mühsam aufrecht erhaltene Fassade eines gelingenden Lebens in Einklang mit Moral und Gesetz. Die Braut ist schwanger, der Bräutigam ein Nichtsnutz, die Gäste sind derb, missgünstig und schadenfroh: eine böse und hoch unterhaltsame Komödie voll Ironie und analytischer Beobachtungsgabe.»Wenn zwei junge Menschen in die Ehe treten, die reine Braut und der in den Stürmen des Lebens gereifte Mann, dann singen, heißt es, die Engel im Himmel!«Bertolt Brecht war gerade 21 Jahre alt, als er 1919 Die Kleinbürgerhochzeit schrieb. In dem rasanten und von klugem Wortwitz geprägten Einakter kündigt sich bereits ein Schwerpunkt von Brechts weiterem Schaffen an: die messerscharfe Sektion von Konventionen und Riten, um die Abgründe der bürgerlichen Gesellschaft freizulegen. Brechts Blick auf das menschliche Leben wird in späteren Stücken durch die Arbeit mit Verfremdungseffekten unterstrichen. V-Effekte als inszenatorisches Mittel um Kritik zu äußern bestimmen das epische Theater, jedoch erst nach diesem Einakter. Aber schon jetzt ist klar: das, was diesen Hochzeitstag ausmacht, ist dem Zuschauer nicht fremd, doch trotz all der Komik spürt man den Unterton, der eine gewisse kritische Distanz schafft. Brecht war zu dieser Zeit mit dem Komiker Karl Valentin befreundet. Über ihn heißt es: Der Pessimismus und die Tragik seiner Komik wurden durch den ständigen Kampf mit alltäglichen Dingen wie der Auseinandersetzung mit Behörden und Mitmenschen genährt Kurzvita Bertolt Brecht Geb. 10. Februar 1898 in Augsburg/Bayern August 1956 in Berlin/ DDR 1917/18 Studium der Naturwissenschaften und Medizin München 1918 Krankenwärter in einem Militärlazarett. In dieser Zeit wird er zum erbitterten Kriegsgegner, es entstehen zahlreiche Gedichte 1918 Während der Novemberrevolution ist er in Augsburg Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates 1920 Dramaturg in München Anfang der 1920er Aufenthalte in Berlin häufen sich 1922 freier Schriftsteller 1922 Heirat Opernsängerin Marianne Zoff 1924 Übersiedlung nach Berlin

So wie das schlecht verleimte Mobiliar der Wohnung Stück für Stück zerbricht, bröckelt auch die von den Feiernden mühsam aufrecht erhaltene Fassade eines gelingenden Lebens in Einklang mit Moral und

3 Elisabeth Hauptmann Mitarbeiterin; Beteiligt an Entstehung aller Brecht-Stücke 1928/29 Besuch der Marxistischen Arbeiterschule 1929 Beginn seiner zweiten Ehe mit der Schauspielerin Helene Weigel 1933 Flucht vor Nationalsozialisten nach Prag und Wien weiter über die Schweiz und Frankreich nach Svendborg/ Dänemark Arbeit für den Deutschen Freiheitssender Mitausgeber der Moskauer Zeitschrift Das Wort 1940 Flucht über Schweden nach Finnland Exil in Kalifornien Oktober 1947 Vorladung zum Verhör vor das Komitee für unamerikanische Betätigungen in Washington 1947 Flucht nach Zürich 1948 Rückkehr nach Ost-Berlin November 1949 Gründet das Theater Berliner Ensemble 1954 Umzug mit seinem Ensemble in das Theater am Schiffbauerdamm 3. Zitate Brechts aus der Kleinbürgerhochzeit Der Schrank ist doch hübsch? Besonders das Eingelegte! Ich weiß nicht, andere Leute haben da keinen Sinn dafür. Trink mal erst von dem Wein, Vater! Der hält die Zunge feucht! Kann man noch Wein haben? Da plaudert sich s besser. Dann bitte ich dich um Verzeihung, daß mir dein Lied nicht gefallen hat und daß du meinen Sessel kaputtgemacht hast. Und es ist eine Unverschämtheit, seine Gäste in einen solchen Kehrichthaufen einzuladen. Die Gäste darfst du nicht beleidigen! Ich habe nur die Wahrheit gesagt! Beruhigt euch doch. Prost! 4. Die Heimkehr von Heinrich Heine Als ich, auf der Reise, zufällig der Liebsten Familie fand, Schwesterchen, Vater und Mutter, Sie haben mich freudig erkannt. Sie fragten nach meinem Befinden, Und sagten selber sogleich: Ich hätte mich gar nicht verändert, Nur mein Gesicht sei bleich.

Zeitschrift Das Wort 1940 Flucht über Schweden nach Finnland 1941-47 Exil in Kalifornien Oktober 1947 Vorladung zum Verhör vor das Komitee für unamerikanische Betätigungen in Washington 1947 Flucht

4 Ich fragte nach Muhmen und Basen, Nach manchem langweil'gen Gesell'n, Und nach dem kleinen Hündchen Mit seinem sanften Bell'n. Auch nach der vermählten Geliebten Fragte ich nebenbei; Und freundlich gab man zur Antwort: Daß sie in den Wochen sei. Und freundlich gratuliert ich, Und lispelte liebevoll: Daß man sie von mir recht herzlich Vieltausendmal grüßen soll. Schwesterchen rief dazwischen:»das Hündchen, sanft und klein, Ist groß und toll geworden, Und ward ertränkt, im Rhein.«Die Kleine gleicht der Geliebten, Besonders wenn sie lache; Sie hat dieselben Augen, Die mich so elend gemacht. Aus dem Buch der Lieder von Heinrich Heine 5. Übungen für den Unterricht Standbilder 1. mit Etikette höflich am Tisch sitzen (übertriebene Mimik zeigt Unterton) 2. man hat getrunken (Wahrheiten ans Licht bringen und Masken ablegen) 3. Ehepaar zentriert weitere Personen stellen sich dazu, die Beziehungen zu den anderen Personen bestimmen sie Raumlauf 1. neutral durch den Raum gehen 2. in Vorfreude auf etwas Schönes 3. in Vorfreude auf Menschen in der Familie, die man lange nicht gesehen hat 4. mit dem Versuch einem betüddelnden Familienmitglied auszuweichen 6. Beobachtungsaufgaben bei der Inszenierung 1. Dokumentation des Verfalls 2. Wahrnehmungsprotokoll auf welche szenischen Mittel reagiere ich? Musik, Rhythmus, Lautstärke, Gegenstände? 3. Welche Momente sprechen meine Erinnerung an? 4. Wie sind die Beziehungen zu Beginn? Wie am Ende? (Soziogramm)

Und freundlich gratuliert ich, Und lispelte liebevoll: Daß man sie von mir recht herzlich Vieltausendmal grüßen soll.

5 7. Textstelle für den Unterricht Szene II.a Leim (zum Bräutigam): Prost, alter Kunde! Prosit, allseits! (Man stößt an). DIE SCHWESTER (zum jungen Mann, halblaut): Bei dieser Gelegenheit! DER JUNGE MANN DIE MUTTER Finden Sie es unpassend? (Sie reden leiser zusammen). Hier riecht es so gut! Einfach berauschend! Der Bräutigam hat eine halbe Flasche Eau de Cologne gestiftet. DER JUNGE MANN Es riecht ausgezeichnet. (Redet mit dem jungen Mädchen). Ist es wahr, daß ihr alle Möbel selber gemacht habt, auch den Schrank? Alles. Mein Mann hat es entworfen, gezeichnet, die Bretter gekauft, gehobelt, alles, und dann geleimt, also alles, und es sieht doch ganz gut aus. Es sieht glänzend aus. Wo du nur die Zeit hergenommen hast! Abends, mittags, manchmal mittags, aber das meiste morgens. Er ist jeden Tag um fünf Uhr aufgestanden. Und hat gearbeitet! DER VATER Das ist ein gutes Stück Arbeit. Ich sagte immer, ich gebe auch die Einrichtung. Aber er wollte nicht. Das war wie mit... Der hatte nämlich... Es sollte eben alles selber gemacht sein. Nachher zeigen wir euch die anderen Möbel.

DER JUNGE MANN Es riecht ausgezeichnet. (Redet mit dem jungen Mädchen). Ist es wahr, daß ihr alle Möbel selber gemacht habt, auch den Schrank? Alles.

6 Aber ob es sich auch hält! Länger als du und wir alle! Man weiß doch, was daran ist! Auch den Leim hat er selber gemacht. Auf das Lumpenzeug in den Läden kann man sich ja nicht verlassen! DER MANN Es ist eine gute Idee. Man verwächst dann mehr mit den Sachen. Gibt auch besser darauf acht. Ich wollte zur Frau, du hättest unsere Sachen selber gemacht. DER MANN DER VATER Ja, natürlich ich, nicht du! So ist er! Ich habe es nicht so gemeint. Das weißt du! Die Geschichte mit... war sehr komisch. Also ich kann an deinen Geschichten wirklich niemals etwas Komisches entdecken! DIE SCHWESTER Sei nicht roh, Maria! Ich finde; Vater erzählt großartig! Famos! Besonders, wenn Sie die Pointen herausbringen! Aber so lang! Unsinn! Prägnant! Einfach! Plastisch! Und wir haben ja Zeit! (Aus der Fassung des Schauspiels Dortmund: Spielzeit 2010/11, Regie: Charlotte Zilm) 8. Weitere Anregungen Mehr Materialien zu Bertolt Brecht sind dem Begleitmaterial zur Dreigroschenoper zu entnehmen Diese beiden Filme enthalten Hochzeitsszenen, die sich zum Vergleich anbieten Stille Hochzeit. Zum Teufel mit Stalin von Horatiu Malaele Schwarze Katze, weißer Kater von Emir Kusturica

DER MANN DER VATER Ja, natürlich ich, nicht du! So ist er! Ich habe es nicht so gemeint. Das weißt du! Die Geschichte mit... war sehr komisch.

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