Schriftliche Abiturprüfung Grundkursfach Geschichte

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1 Sächsisches Staatsministerium für Kultus Schuljahr 1998/99 Geltungsbereich: - Allgemein bildendes Gymnasium - Abendgymnasium und Kolleg - Schulfremde Prüfungsteilnehmer Schriftliche Abiturprüfung Grundkursfach Geschichte - E R S T T E R M I N - Material für den Prüfungsteilnehmer Allgemeine Arbeitshinweise Ihnen werden zwei Prüfungsarbeiten vorgelegt (Prüfungsarbeit A und Prüfungsarbeit B). Wählen Sie davon eine Prüfungsarbeit aus und bearbeiten Sie diese. Ihre Arbeitszeit (einschließlich der Zeit für das Lesen und Auswählen) beträgt 210 Minuten. Sie erhalten zusammen mit der Aufgabenstellung Materialien, auf die in der Prüfungsarbeit A mit M 1 und M 2 und in der Prüfungsarbeit B mit M 1 hingewiesen wird. Am Ende jeder Aufgabe ist die erreichbare Anzahl von Bewertungseinheiten (BE) genannt. Erlaubtes Hilfsmittel: Wörterbuch der deutschen Rechtschreibung Sign. 46/1/1

2 Prüfungsinhalt Wählen Sie eine der nachstehenden Prüfungsarbeiten aus und bearbeiten Sie diese. Aufgaben Prüfungsarbeit A 1. Stellen Sie an aussagekräftigen Ereignissen dar, wie sich das Verhältnis zwischen Volk und Monarchen in Deutschland in der Zeit von 1806 bis 1820 entwickelt hat. 2. Beschreiben Sie wesentliche politische Veränderungen in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts in Sachsen und ihre Auswirkungen auf das Verhältnis von Volk und Monarchie. 3. Erarbeiten Sie aus M 1 und M 2 die politischen Grundpositionen und vergleichen Sie diese. (10 BE) 4. Erläutern Sie die Ergebnisse der Revolution von 1848/49 und überprüfen Sie, ob sich Auffassungen aus M 1 bzw. M 2 durchsetzen konnten. 5. Was sie 1 befehlen, das soll geschehen [...] alle Untertanen aber sollen sie fürchten, sie lieben und ihnen vertrauen. Deswegen machen sie immer schöne Worte und viele Versprechungen.... (M 2, Z ) Untersuchen Sie, inwieweit sich diese drei Behauptungen im Nationalsozialismus oder in der Geschichte der DDR wieder finden. (14 BE) 1 gemeint sind in diesem Zusammenhang die Herrschenden Prüfungsarbeit A Sign. 46/1/2

3 M 1 Auszug aus dem Zwickauer Wochenblatt vom 8. März An meine Sachsen. Bei den ernsten Ereignissen des Auslandes und der hierdurch in mehrern Staaten Deutschlands entstandenen Aufregung drängt es Mich, vertrauensvoll zu meinem treuen Volk von Stadt und Land zu reden. Als Ich Sachsen im Einverständnisse mit den Vertretern des Landes die Verfassung verlieh, that Ich es in der Zuversicht, sie werde die Treue, welche Jahrhunderte lang Sachsens Fürsten und Volk eng verband, neu beleben und befestigen, in Tagen des Friedens den Aufschwung des Gemeinwohls nach allen Richtungen kräftig fördern, in Tagen der Gefahr für Gesetzlichkeit und Ordnung ein festes Bollwerk sein. Ich bin Mir bewußt, seit dieser Zeit für das Wohl meines Volkes nach meinem besten Wissen gewirkt zu haben. Ich bin stolz darauf, daß meine Regierung an redlicher, offener Verfassungstreue von keiner andern übertroffen wird. Mein Volk und selbst das Ausland haben dies anerkannt. Ihr werdet mein Streben vergelten, indem ihr meinem Zurufe Folge leistet. Gern vernehme Ich die Stimme, den Rath der verfassungsmäßigen Vertreter meines Volks; doppelt gern in Zeiten der Gefahr. Sobald die neuen Wahlen beendigt sein werden, spätestens zum Anfang des Monats Mai d. J., bin Ich entschlossen, die Stände zu versammeln, um Mich mit ihnen über Alles, was als wahres Bedürfniß für das Staatswohl erscheint, zu verständigen. Namentlich werde Ich ihnen, nachdem auch die mitverbündeten Regierungen jedem einzelnen Staate die Aufhebung der Zensur frei gegeben haben, die nunmehr in erweiterte[m] Maaße zulässige Vorlage über die Presse... zugehen lassen. Harret ruhig und im Vertrauen auf Das, was Ich schon gethan und noch thun werde. Greift nicht den Befugnissen der von euch selbst gewählten Landesvertreter vor; nur was im verfassungsmäßigen Wege zu Stande kommt, trägt die Bürgschaft sichern Bestehens. Ruhe und Ordnung, Gesetzlichkeit, unverrücktes Festhalten an dem Rechtszustande, welches die Verfassungsurkunde begründet hat, Eintracht zwischen Fürst und Volk, Muth und Vertrauen, Das ist es, worauf Deutschlands Freiheit und Selbstständigkeit beruht. Das ist es, wodurch wir allein jeder Gefahr mit Erfolg entgegentreten können. Sachsen, bewahrt eure alte Treue! Dresden, den 6. März 1848 Friedrich August (Rechtschreibung und Zeichensetzung folgen der Vorlage) (Aus: Zwickauer Wochenblatt, Nummer 20, vom 8. März 1848) Prüfungsarbeit A M 2 Auszug aus einem Flugblatt in Altenburg vom Sign. 46/1/3

4 Volkskatechismus der Altenburger Republikaner Die republikanischen zehn Gebote Wie heißt das erste Gebot? Ich, das Volk, bin der Herr im Lande: du sollst nicht Götzen haben neben mir. Was ist das? Das Volk sind alle diejenigen Staatsbürger zusammen, die nicht zu hochmütig sind, sich zum Volk zu rechnen; das Volk sind mit anderen Worten alle diejenigen Menschen, welche nicht auf anderer Unkosten leben, sondern sich durch redliche und fleißige Arbeit ernähren wollen. Wer sind denn die Götzen? Das sind diejenigen, welche etwas Besonderes sein wollen neben oder über dem Volk, und welche auf anderer Leute Unkosten leben wollen; oder: das sind diejenigen, welche sich Weihrauch anbrennen und Opfer bringen lassen vom sauren Schweiß des Volkes, ohne diesem dafür einen Gegendienst zu leisten. Wer sind denn diese Leute? Das sind z. B. die Fürsten dieser Welt, die Landesherren, die Hohenpriester und Pharisäer, die Geldkönige und Hofschranzen. Sie alle lassen sich beinahe göttliche Ehre erweisen, sie wollen heilig und unverletzlich und unverantwortlich sein. In ihrem Namen soll man das Haupt beugen und für sie pflichtschuldigst in der Kirche beten. Was sie befehlen, das soll geschehen, und wenn sie etwas gebieten, so soll es gleich dastehen. Deswegen wollen sie nichts wissen von freien Staatsbürgern, sondern alle Welt soll ihnen untertan sein; alle Untertanen aber sollen sie fürchten, sie lieben und ihnen vertrauen. Deswegen machen sie immer schöne Worte und viele Versprechungen, die sie aber nicht erfüllen können, weil sie Götzen sind. Wer sich auf sie verläßt, der ist verlassen. Damit aber die Menschen nicht hinter den wahren Wert dieser Götzen kommen, so haben diese es gern, wenn das Volk hübsch dumm bleibt. Wenn aber nun das Volk dahinterkommt, was zu diesen Götzen ist? Dann geht es wie mit allen Götzen, man lacht über sie und wundert sich, daß man solange vor ihnen im Staub gekniet hat. Man stellt die Götzenbilder in einen Winkel oder in eine Raritätenkammer und fängt an, dem Verdienste die Krone aufzusetzen. Altenburg, am 21. Juli 1848 Dr. Douai (Rechtschreibung und Zeichensetzung folgen der Vorlage) (Aus: Karl Obermann, Einheit und Freiheit, Berlin 1950, S. 491) Prüfungsarbeit B Aufgaben Sign. 46/1/4

5 1. Skizzieren Sie die Phasen der NS-Außenpolitik bis zum Erscheinen von M 1. (10 BE) 2. Erarbeiten Sie aus M 1, wie der Verfasser die Haltung der Bevölkerung zum NS- Regime und das Verständnis der Deutschen für Politik einschätzt. (10 BE) 3. Vergleichen Sie die Aussagen des Verfassers über den möglichen Kriegsverlauf (vgl. Z ) mit Fakten aus dem 2. Weltkrieg. 4. "Wenn die feindliche Propaganda dauernd Hitler als Sündenbock hinstellt und der Krieg ohne entscheidende Siege Deutschlands sich lange hinzieht, wird sich das Volk von Hitler trennen" (Z ). Zeigen Sie, dass diese Einschätzung nicht zutraf und begründen Sie dies. (14 BE) 5. Der Verfasser von M 1 behauptet, dass sich Deutschland immer wieder von Menschen regieren lässt, die nicht wissen, welchen Platz Deutschland in der Welt wirklich einzunehmen hat" (Z. 27/28). Untersuchen Sie an der Außenpolitik eines deutschen Staatsmannes ab 1815 (die NS-Zeit ausgenommen), inwiefern diese Aussage zutrifft. (14 BE) Prüfungsarbeit B M 1 Auszug aus dem Bericht eines Amerikaners, der sich vor dem zweiten Weltkrieg und noch im Herbst 1939 in Deutschland aufhielt. Nach meinen Erfahrungen hat der Kriegsausbruch mehr zur Schwächung der Hitlerlegende beigetragen als alles, was je gegen Hitler gesagt worden ist. Sign. 46/1/5

6 Wenn ich von "Schwächung" spreche, meine ich den Beginn einer Entwicklung, nicht etwa schon die Zerstörung des Glaubens an Hitler. Die Psychologie der meisten Deutschen ist für uns Amerikaner nicht leicht zu verstehen. Wir haben nie so etwas wie einen Führerkultus gekannt. [...] Irgend etwas im deutschen Charakter, wenigstens in großen Teilen des Volkes, neigt zur Heroisierung, und zur fanatischen Verteidigung des angehimmelten Kaisers oder Hitlers oder sonst wessen. So hatten sich die meisten Deutschen, einschließlich der Hitlergegner, tatsächlich eingeredet, Hitler werde alles "friedlich" gelingen, er werde einen Krieg verhüten und wer weiß was noch vollbringen. Diese Leute haben einen tüchtigen Schock bekommen. [...] Es kommt da ein anderer Charakterzug dieser lärmenden und scheinbar sehr selbstbewußten Leute zum Durchbruch, daß sie nämlich plötzlich nicht mehr recht an sich glauben und Hilfe von anderer Seite erwarten. [...] Ich möchte beinahe glauben, daß es in Deutschland mehr als in anderen großen Ländern Leute gibt, die hervorragendes Fachwissen haben, höfliche, gut erzogene Menschen sind, aber für die Welt außerhalb Deutschlands eine Verachtung zeigen, deren sie sich kaum bewußt sind. Verzeihen Sie, wenn ich das einfach als "deutsche Dummheit" bezeichne. An dieser Beschränkung hat bisher kein Regierungssystem etwas geändert. [...] Das alles ist schwer zu erklären und ich bin in Gefahr, als nationaler Pharisäer angesehen zu werden, aber ich stehe da vor einem Rätsel: ein Volk, das eifrig die Wissenschaft und Technik des Auslands verfolgt, sie übernimmt und vertieft und verbessert, dazu ein Volk, das ausgezeichnete Psychologen hervorbringt, läßt sich immer wieder von Menschen regieren, die unfähig sind, vom Auslande zu lernen und die nicht wissen, welchen Platz Deutschland in der Welt wirklich einzunehmen hat. Das scheint mir das Entscheidende zu sein, und hier viel mehr als in militärischer und ökonomischer Schwäche, die ich einstweilen nicht zu erkennen vermag, sehe ich die Sicherheit für Deutschlands Niederlage. Man trifft nur ganz wenige Deutsche, die begreifen können, daß Deutschland wegen seiner geographischen Lage und seiner Einengung durch immer bedeutende Mächte (Frankreich, England, Italien, Rußland) nie die Weltmacht werden kann, die England seit Jahrhunderten ist und vielleicht in veränderter Form bleiben wird [...]. Nehmen wir einmal an, die deutschen Truppen würden Siege erfechten und die britische Blockade würde gebrochen, Deutschland würde dennoch nicht siegen, weil es sofort ins Grenzenlose sich verlieren und Kriegsziele aufstellen würde, die eine Weltkoalition gegen es zustande bringen würde. [...] Aus dieser Blindheit hat man Hitler alles zugetraut, und daher die Enttäu- Prüfungsarbeit B 45 schung, daß er den Frieden nicht bewahren konnte. Ich glaube nach meinen Erfahrungen auch nicht an die berühmte "deutsche Treue". Wenn die feindliche Propaganda dauernd Hitler als Sündenbock hinstellt und der Krieg ohne entscheidende Siege Deutschlands sich lange hinzieht, wird sich das Volk von Hitler trennen. Um ihn geschart werden dann nur die Interessenten bleiben und vor allem die vielen, die wegen persönlicher Verbrechen einen Umschwung mit dem Tode zu bezahlen haben würden. Wie die Armee handeln würde, weiß niemand. Die Opposition ist im allgemeinen sehr nüchtern. Irgend Sign. 46/1/6

7 50 55 eine geschlossene und zielklare Opposition besteht gar nicht, jeder kritisiert was anderes, und jeder will was anderes oder will gar nichts als Hitler stürzen und Rache nehmen und wieder mehr Freiheit haben. Ich habe aber niemanden in Deutschland getroffen, der den Umschwung von der unterirdischen Opposition erwartete. Ich fand wenige Deutsche, die an Deutschlands Niederlage glauben, auch Hitlergegner haben großes Vertrauen in die Armee und in die Luftwaffe, vor allem aber in die Unterseeboote und alle sind überzeugt, daß Hitler nötigenfalls einen ganz rücksichtslosen Krieg wagen wird, auch einen unerhört grausamen. (Bericht abgeschlossen am 8. Januar 1940) (Rechtschreibung und Zeichensetzung folgen der Vorlage) (Aus: Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Sopade, , 7. Jahrgang, 1940, Salzhausen 1980, S. 9-11) Sign. 46/1/7