Medizinische Dokumentation

Transkript

1 + + Fragen 2 n Worum geht es in der medizinischen Dokumentation? n Sammeln, Erschließen, Ordnen und Aufbewahren von Information oder Wissen n Welche Ziele verfolgt die medizinische Dokumentation? n Information und Wissen für berechtigte Personen, vollständig, aber ohne Ballast, zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Ort und in der richtigen Form bereitstellen Medizinische Dokumentation Dr. Keywan Sohrabi n Nennen Sie einige spezielle Ziele der MD n Im Bereich der Patientenversorgung, n administrativer und rechtlicher Bereich, n im Bereich des Qualitätsmanagements, n im Bereich der Aus- und Weiterbildung + Die vier Teilgebiete der Dokumentation 3 + Die vier Teilgebiete der Dokumentation 4 n Beschaffen und Erfassen n Dokumentationseinheiten der Dokumentationsstelle müssen bekannt sein! n (z.b. Verfasser, Sachtitel, Erscheinungsjahr und dergleichen) n Indexieren n Das Erschließen der Dokumente nennt man indexieren! n Feststellen und Kennzeichnen des Inhalts einer Dokumentationseinheit mithilfe so genannter Deskriptoren (Schlagwörter) n Beispiel: Die Dokumentationseinheit Nr. 613 handelt von Knochenkrankheiten ( Knochenkrankheiten ist hier Deskriptor) n Speichern n Dokumentenspeicher n Im Dokumentenspeicher sind die Dokumente in ihrem vollen Umfang enthalten, er wird auch als Ablage, Archiv, Magazin oder Lager bezeichnet. n Deskriptorenspeicher n Der Deskriptorenspeicher ist im einfachsten Fall ein Schlagwortkatalog, ansonsten eine Datenbank. n Recherchieren n das gezielte Suchen und Wiederfinden von Dokumentationseinheiten zu einem interessierenden Sachverhalt 1

2 Thema Ordnungssystem Aufzunehmende Dok.-Einheit Benutzerfrage n freies Indexieren n Beim Indexieren kann man entweder die Deskriptoren in Anlehnung an die wissenschaftliche Fachsprache intuitiv und frei erfinden n gebundenes Indexieren n man ist an eine vorgegebene Liste von Deskriptoren gebunden n Jedes Ordnungssystem ist nach einem bestimmten dokumentarischen Grundgedanken, dem Ordnungsprinzip, aufgebaut. erfassen signieren indexieren indexierte Deskriptoren Ordnungsprinzip Ordnungssystem Deskriptorenspeicher formulieren der formalen Suchfrage formale Suchfrage selektierte Signaturen Dokumentenspeicher selektierte Dok.-Einheiten Abb. 1.1 Vereinfachte Struktur einer Dokumentation mit gebundenem Indexieren. Die umrahmten Komponenten sind physisch (nicht nur logisch) vorhanden. Pfeile stellen Beziehungen zwischen den Komponenten dar Beispiel einer Dokumentation (A) Jemand hat eine Sammlung von etwa 100 Reiseprospekten und fährt einmal im Jahr in Urlaub. Er wählt sein Reiseziel anhand der Prospekte aus. Wie soll er die Dokumentation der Reiseprospekte hinsichtlich Ordnungssystem, Deskriptorenspeicher, Dokumentenspeicher, Signatur usw. gestalten? Antwort: Wegen des geringen Umfangs der Sammlung (100 Dokumentationseinheiten) und der geringen Anzahl von Recherchen (eine Recherche im Jahr) lohnt sich eine Dokumentation nicht. Vielmehr ist es zweckmäßig, vor jeder Reise alle Prospekte durchzublättern und sich unmittelbar anregen zu lassen. + Beispiel einer Dokumentation Beispiel einer Dokumentation (B) Ein Student schreibt im Unterricht eines Faches detailliert und sorgfältig mit. Er fasst die einzelnen Seiten der Vorlesungsmitschrift als Dokumentationseinheiten auf und erstellt vor der Prüfung eine Dokumentation dazu. Seine Unterrichtsaufzeichnungen insgesamt sind 8 der Dokumentenspeicher, die Seitenzahl verwendet er als Signatur. Er indexiert, indem er jeder Seite (Dokumentationseinheit) ein oder mehrere Schlagwörter (Deskriptoren) zuteilt. Die + Informationsflut Notwendigkeit der Dokumentation Ein Student schreibt im Unterricht eines Faches detailliert und sorgfältig mit. Er fasst die einzelnen Seiten der Vorlesungsmitschrift als Dokumentationseinheiten auf und erstellt vor der Prüfung eine Dokumentation dazu. Seine Unterrichtsaufzeichnungen insgesamt sind der Dokumentenspeicher, die Seitenzahl verwendet er als Signatur. Er indexiert, indem er jeder Seite (Dokumentationseinheit) ein oder mehrere Schlagwörter (Deskriptoren) zuteilt. Die zugeteilten Schlagwörter stellt er in einer separaten alphabetischen Liste (Deskriptorenspeicher) zusammen und gibt zu jedem Schlagwort an, auf welcher Seite bzw. auf welchen Seiten es behandelt wird. Sind in der Abschlussprüfung das Unterrichtsskript und Hilfsmittel zugelassen, so müsste der Prüfling falls die Dokumentation perfekt ist und der Prüfer nur Wissensfragen über die im Unterricht behandelten Dinge stellt in der Prüfung die Note sehr gut erhalten. 2

3 + Wie viel hat ein Wissenschaftler 9 + Literaturzitate 10 heute zu lesen? n Vor hundert Jahren konnte ein Arzt nach abgeschlossenem Staatsexamen praktisch alle neuen medizinischen Kenntnisse erwerben, wenn er täglich eine Stunde Fachliteratur las. Liest ein Arzt heute ebenfalls im Mittel eine Stunde pro Tag bei einer Leseleistung von 4 Arbeiten je Stunde, so schafft er gerade den Bruchteil eines Promilles der weltweit erscheinenden medizinischen Fachliteratur. n Möchte ein in der toxikologischen Forschung tätiger Wissenschaftler die Aufsätze, die allein in der Datenbank TOXLINE jährlich neu hinzukommen, lesen oder zumindest die Titel sichten, so verblieben ihm, wenn er die Hälfte seiner nominellen Arbeitszeit (also 20 Stunden pro Woche) für Literaturlesen aufwenden würde, 30 Sekunden je Publikation!! n In wissenschaftlichen Publikationen werden die bei der Arbeit verwendeten oder diskutierten Publikationen in einem Literaturverzeichnis am Schluss der eigenen Publikation zitiert. n Sucht ein Wissenschaftler oder Dokumentar Literatur zu einem speziellen Thema und kennt bereits mindestens eine dazu einschlägige Publikation, so kann er dort die Zitate nachschlagen, da zumindest ein Teil der Zitate auch für sein Thema relevant sein dürfte. + Literaturzitate 11 + Fragen: 12 n Science Citation Index (SCI) n gibt auch den Autoren die Möglichkeit, sich mit ihren Lesern auseinanderzusetzen. n Der Autor B kann etwa 2 bis 3 Jahre nach Erscheinen seines Aufsatzes B1 im SCI nach- schauen, wer seinen Aufsatz B1 zitiert hat, diese Aufsätze lesen und sehen, ob er lobend oder kritisch zitiert worden ist. Jeder Autor wünscht sich, dass sein Aufsatz viel gelesen und (positiv) zitiert wird. n Impactfaktor n Die durchschnittliche Zitierungshäufigkeit aller Aufsätze einer Zeitschrift wird als Impactfaktor bezeichnet. n Hat eine Zeitschrift einen Impactfaktor von z.b. 1.49, so werden die in dieser Zeitschrift publizierten Aufsätze innerhalb der ersten beiden Jahre nach ihrem Erscheinen durchschnittlich 1.49-mal zitiert. n Warum hat n a) die Literaturdokumentation n b) die klinische Dokumentation in den letzten Jahrzehnten so sehr an Bedeutung zugenommen? n Ein Autor schaut zwei Jahre nach dem Erscheinen seines Aufsatzes im Science Citation Index nach und muss leider feststellen, dass er bisher nicht zitiert worden ist. Wie tröstet sich dieser Autor? Oder die gleiche Frage anders formuliert: Kann es sein, dass ein wissenschaftlich hochwertiger Aufsatz nicht (oder nur wenig) zitiert wird? 3

4 + Vertikale oder horizontale Dokumentation 13 + Patientenbezogene Fragestellung 14 n Umfang einer Dokumentation muss hinsichtlich Aufzeichnungsaufwand und Auswertbarkeit begrenzt werden. n Umfang bestimmt durch 2 Parameter: n Anzahl der Patienten n Anzahl der Merkmale pro Patient horizontale Dokumentation: Viele Patienten, wenige Merkmale (z.b.: Krebsregister, klinische Basisdokumentation) vertikale Dokumentation: Wenige Patienten, viele Merkmale (z.b.: klinische Studie) n Nutzen von Information zu bestimmtem Patienten. n typischerweise im Rahmen der Patientenbehandlung n (z.b. "Alle Vorbefunde von Patient Muster") n Einsatzbereiche: n Planung der medizinischen Versorgung des Patienten n (z.b. vorliegende Befunde => Diagnose => Therapie) n Grundlage einer fundierten Prognose + Patientenbezogene Fragestellung Einsatzbereiche 15 + Direkte oder indirekte Dokumentation 16 n Nachträgliche Beurteilung des medizinischen Vorgehens n Qualitätsmanagement n (Angemessenheit und Sorgfalt von Maßnahmen) n Haftungsprozesse n (Nachweis oder Ausschluss von Behandlungsfehlern) n Präsentation besonders typischer oder untypischer Krankheitsverläufe n (in anonymisierter Form!) n Direkte Dokumentation: n Datenobjekte repräsentieren direkt Objekte der äußeren Welt n Indirekte Dokumentation: n Datenobjekte repräsentieren selbst wieder andere Datenobjekte (= Verweisdokumentation) z.b. Literatur-DB Artikel, Buch,... Welt Doku Welt Doku Einstein Einsteins Tod 4

5 + Direkte oder indirekte Dokumentation 17 + Bsp: MEDLINE 18 n Ziel meist Auffinden von Dokumenten, die gewünschte Information oder Wissen enthalten. n Aufzeichnung von Merkmalen, die Dokumente beschreiben und ihren Standort angeben (z.b. Titel, Autor, Schlüsselwörter, Signatur, Link,.) n Eine der wichtigsten med. Literatur-DBs. Basiert auf "Index Medicus" der National Library of Medicine (seit 1879), elektronische Version seit n Verweis auf Dokumente verschiedenster Dokumententräger an unterschiedlichen Standorten möglich. n Beinhaltet Verweise (Bibliographische Angaben und Abstract) auf Artikeln indirekte Dokumentation + Bsp: MEDLINE 19 + Rechnerbasierte oder nichtrechnerbasierte Dokumentation 20 n Deckt Gesamtgebiet der Medizin, der Veterinärmedizin sowie der Grenzgebiete ab (auch Medizinische Informatik) n Vorteile einer rechnerbasierten Dokumentation: n Geringer Platzbedarf (konventionelles Uniklinikum ca. 1,5 km Papier / Jahr!) n Derzeit ca. 15 Mio. Artikel, Zuwachs ca. 0,5 Mio/ Jahr n Artikel größtenteils in Englisch (78%) n n Effiziente Suchmöglichkeiten n Gleichzeitig an verschiedenen Orten verfügbar n Unterschiedliche "Benutzer-Sichten" => Datenschutz n Integration externer Daten mit geringem Aufwand und niedriger Fehlerquote 5

6 + Einrichtungszentrierte oder patientenzentrierte Dokumentation 21 + Klassen 22 n Häufig betriebene Dokumentationssysteme: n Krankenhausinformationssysteme n Klasse Z1: Einrichtungszentriertes Dokumentationssystem n Praxisinformationssysteme n Einrichtungszentriert: n Externe Ereignisse werden nur sporadisch oder im Nachhinein dokumentiert n Klasse Z2: Einrichtungsübergreifendes, aber nicht vollständig patientenzentriertes Dokumentationssystem n Klasse Z2: Patientenzentriertes Dokumentationssystem n Klasse Z9: Nicht nach Z1 bis Z3 zuordenbar Wie kommt Z2 zustande? + Medizinische Ordnungssysteme 23 + Synonyme 24 n Motivation: n Freitextsuche im MEDLINE n Beim Dokumentieren erwünschte Freiheit ist für die Auswertbarkeit von Dokumentationssystemen problematisch. n Beeinträchtigung durch Verwendung von n Synonymen n Homonymen Alle Artikel um Thema heart attack Artikel 1 cardial infarct Artikel 2 myocardial infaction Artikel 3 heart attack 6

7 + Homonyme 25 + Medizinische Ordnungssysteme 26 n Freitextsuche in Krankenakte Alle Patienten mit Bruch (von Eingeweiden!) n Ordnungssysteme schränken Freiheit des Ausdrucks durch Vorgabe von Deskriptoren ein. Patient 1 Bruch des Daumens Patient 2 Beckenbruch Patient 3 Leistenbruch Patient 4 Zwerchfellhernie n Dokumentationssprache = Menge von Deskriptoren und Regeln für ihre Anwendung n Bsp.: n OP am Nervensystem n OP an den Thoraxorganen n + Medizinische Ordnungssysteme 27 + Medizinische Ordnungssysteme 28 n Zur effizienten Handhabung (rasches Finden) basierend auf n Ordnungssystem = Dokumentationssprache mit Begriffsordnung n Begriffsordnung = systematische Ordnung der Deskriptoren n Bsp.: OP an den Thoraxorganen n Herz-OP n Valvulotomie der Mitralklappe n Valvulotomie der Aortenklappe n Verwendung von Ordnungssystemen: n Dokumentation von Diagnosen und Therapien Verschlagwortung von Publikationen n Thesaurus = Ordnungssystem mit terminologischen n Hinweisen, z.b. Definitionen, unerlaubte Bezeichnungen, Synonyme, Querverweise 7

8 + Medizinische Ordnungssysteme n Zur einfacheren Dokumentation meist statt Deskriptor verkürzende Notation (= Schlüssel bzw. Code) verwendet. n z.b.: Notation "540" Deskriptor "akute Appendizitis" n Klassifikation = Ordnungssystem, das auf dem Prinzip der Klassenbildung beruht. n Klasse fasst Begriffe zusammen, die in mind. 1 Merkmal übereinstimmen. n Notieren = Ermitteln und Aufzeichnen der Notation (= codieren, verschlüsseln) z.b.: Klasse "Infektiöse Myokarditis" beinhaltet alle Krankheiten mit den Merkmalen "Entzündung des Myokards und "infektiöse Ätiologie". n Besonders kasuistische Dokumentationen erfordern aber oft auch das Dokumentieren ohne Ordnungssystem n Jedes zu dokumentierende Objekt muss genau einer Klasse zugeordnet werden (= klassieren) => Informationsverlust! n Klassenanzahl: n Kompromiss zwischen Genauigkeit und Übersichtlichkeit der Klassifikation Patient Muster, der an septischer Myokarditis leidet. n Proportional zu Genauigkeit, indirekt proportional zu Übersichtlichkeit Mittlere Klassenbesetzung = Anzahl der Datenobjekte Klassenanzahl Infektiöse Myokarditis 8

9 33 34 n Typen: Hierarchische Klassifikation n (ausschließlich Hyponym-Hyperonym-Beziehungen) n Typen: Mehrachsige Klassifikation (= mehrdimensionale Klassifikation, Facettenklassifikation) n Monohierarchie n Problem einfache K.: Oft mehrere Aspekte relevant (z.b. Pathologie + Ätiologie) n wie ist die Umsetzung? n Variante 1: Mischen n Polyhierarchie Beispiel: Obst ist ein Hyperonym von Banane P1 Erkrankungen des Fettstoffwechsels P11 Hyperlipidämie P12 Lipoproteinmangel P2 Ernährungsbedingte Erkrankungen P3 Kongenitale Erkrankungen? Ernährungsbedingte Hyperlipidämie 35 + Lösung: Unabhängige Teilklassifikationen (Achsen) für Bezugssysteme und getrennte Klassierung pro Achse 36 n Variante 2: Expandieren Pathologie Ätiologie P1 Erkrankungen des Fettstoffwechsels P11 Hyperlipidämie P111 Ernährungsbedingte Hyperlipidämie P112 Kongenitale Hyperlipidämie P12 Lipoproteinmangel P121 Ernährungsbedingter Lipoproteinmangel P122 Kongenitaler Lipoproteinmangel P2 Ernährungsbedingte Erkrankungen P3 Kongenitale Erkrankungen P1 Erkrankungen des Fettstoffwechsels P11 Hyperlipidämie P12 Lipoproteinmangel P121 Tangier-Krankheit P122 A-Beta-Lipoproteinämie n ernährungsbedingte Hyperlipidämie => A1:P11 Englisch: Colon-Classification A1 Ernährungsbedingt A2 Kongenital A3 gemischte oder andere Ätiologie => kombinatorische Explosion! 9

10 + Merkliste Klassifikationen: 37 + Übung: 38 n Jedes Datenobjekt wird genau einer Klasse zugeordnet n Klassierung bedeutet (gewollten) Informationsverlust n Klassen können auch verfeinert werden n Gegenstand, Begriff, Bezeichnung, Merkmalsart und Merkmalsausprägung: n Definieren Sie die Begriffe. n Beschreiben Sie Ihre Beziehungen n Nennen Sie jeweils ein Beispiel n Nützlichkeit einer Klassifikation hängt davon ab, ob Objekte innerhalb einer Klasse im Sinne der Aufgabenstellung wirklich gleichwertig sind n Hepatitis und Gelbsucht n Welche Beziehung besteht zwischen den Begriffen? + Übung 39 n Daten, Informationen, Nachricht und Wissen n Definieren Sie die Begriffe. n Beschreiben Sie ihre Beziehungen. n Nennen Sie Jeweils ein Beispiel n Welches Skalennniveau hat das Merkmal Körpertemperatur in Grad Fahrenheit? 10