Digitale Archive im Lichte widerstreitender rechtlicher Interessen
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- Jens Joachim Steinmann
- vor 8 Jahren
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1 Digitale Archive im Lichte widerstreitender rechtlicher Interessen Präsentation zum Symposium Öffentliche Archive Geheime Informationen Rechtsanwalt Dr. Till, Hamburg
2 Agenda 1 Grundthese Wandel der Rahmenbedingungen 2 Archivierung und Persönlichkeitsschutz Ein Grundkonflikt 3 Praxisbeispiel 1: Online-Presse- und Rundfunkarchive 4 Praxisbeispiel 2: Pflichtablieferung von Netzpublikationen bei der DNB 5 Schlussfolgerungen und offene Fragen für die Diskussion Seite 2
3 Archivierung und Persönlichkeitsschutz Ein Grundkonflikt Grundthese: Sollen die immensen Möglichkeiten digitaler Archive genutzt und umgesetzt werden, führt das z. T. zu neuen, z. T. zur Verschärfung bekannter Grundkonflikte (rechtlich wie ethisch) Seite 3
4 Agenda 1 Grundthese 2 Archivierung und Persönlichkeitsschutz Ein Grundkonflikt 3 Praxisbeispiel 1: Online-Presse- und Rundfunkarchive 4 Praxisbeispiel 2: Pflichtablieferung von Netzpublikationen bei der DNB 5 Schlussfolgerungen und offene Fragen für die Diskussion Seite 4
5 Archivierung und Persönlichkeitsschutz Ein Grundkonflikt Grundkonflikt: Archivierung und Persönlichkeitsschutz - Aufeinandertreffen sich widersprechender Paradigma Ziele der Archivierung: Möglichst dauerhafte Sicherung und Nutzbarmachung von Informationen, Kulturgütern, Publikationen usw. Möglichst wenig soll verloren gehen, Archivierung ist grundsätzlich wertneutral Archivierung ist auch z. T. gerade gegen den Willen der betroffenen Personen von erheblichem gesamtgesellschaftlichem Interesse Seite 5
6 Archivierung und Persönlichkeitsschutz Ein Grundkonflikt Dagegen: Grundsätze von Persönlichkeits- und Datenschutz Grundsatz der Datensparsamkeit Grundsatz des Zustimmungsbedürftigkeit Grundsatz der Anlassbezogenheit, des Aktualitätsbezugs Grundsatz der Einzelfallabwägung (was darf, wie lange und zu welchen Zwecken in welcher Weise bei Abwägung von Archivierungszweck und individualrechtlichen Interessen der betroffenen Personen gesammelt, erschlossen und nutzbar gemacht werden?) Hierbei treffen grundrechtlich geschützte Positionen aufeinander Seite 6
7 Archivierung und Persönlichkeitsschutz Ein Grundkonflikt Beispielhaft: Grundsatz der Datenvermeidung und Datensparsamkeit in 3a BDSG: Gestaltung und Auswahl von Datenverarbeitungssystemen haben sich an dem Ziel auszurichten, keine oder so wenig personenbezogene Daten wie möglich zu erheben, zu verarbeiten oder zu nutzen. Insbesondere ist von den Möglichkeiten der Anonymisierung und Pseudonymisierung Gebrauch zu machen, soweit dies möglich ist und der Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Schutzzweck steht. Seite 7
8 Agenda 1 Grundthese 2 Archivierung und Persönlichkeitsschutz Ein Grundkonflikt 3 Praxisbeispiel 1: Online-Presse- und Rundfunkarchive 4 Praxisbeispiel 2: Pflichtablieferung von Netzpublikationen bei der DNB 5 Schlussfolgerungen und offene Fragen für die Diskussion Seite 8
9 Praxisbeispiel 1: Online-Presse- und Rundfunkarchive Bedeutungswandel der Pressearchive aus Sicht der Presse am Beispiel SZ: SZ führt seit Gründung 1945 ein Pressearchiv, in dem Texte der eigenen Redakteure und zahlreicher nationaler und internationaler Publikationen dokumentiert und auf Anfrage für Recherchezwecke bereitstellt werden. Seit Mitte der 90er Jahre sieht man Sinn und Zweck der Archive in einem technisch bedingten Wandel begriffen, der zwei Zielen diente: dem vollständigen Wechsel von der Papierablage zur digitalen Speicherung dem Wandel von einer verlagsinternen Dokumentations- und Auskunftsstelle zu einem auch auf dem Markt vertretenen Informationsdienstleister (Markus Schek in MedienWirtschaft 1/2005, zit. nach Wikipedia) Seite 9
10 Praxisbeispiel 1: Online-Presse- und Rundfunkarchive Dieser Ansatz kollidiert jedoch in vielen Fällen mit Individual- v. a. Persönlichkeitsrechten Dritter Beispiel: OLG Hamburg N. K. (Urteil v ) Der Kläger Karl-Heinz Schwensen fühlte sich (u. a.) durch Artikel im Online- Archiv einer Zeitung, in dem dessen jahrelang geführter mittlerweile aber abgelegter Spitzname (N. K.) genannt wurde, in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt Seite 10
11 Praxisbeispiel 1: Online-Presse- und Rundfunkarchive Aus den Entscheidungsgründen: Zwar steht es der Beklagten frei, ihre Veröffentlichungen in ein ihr zugängliches Archiv einzustellen. Dies umfasst indessen nicht das Recht, den Inhalt dieses Archivs ungeprüft der Öffentlichkeit zu präsentieren. Zum Wesen eines (geschützten) Pressearchivs gehört nicht dessen freie Zugänglichkeit durch Dritte, sondern die Schaffung der Möglichkeit, selbst zu Recherchezwecken auf frühere Veröffentlichungen zurückgreifen zu können. Soll aber archiviertes Material Dritten zur Verfügung gestellt werden, obliegt es dem Betreiber des Pressearchivs als Verbreiter, zuvor die Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsschutzes zu prüfen. Eine derartige Verantwortlichkeit trifft auch den Betreiber eines online gestellten Archivs. Seite 11
12 Praxisbeispiel 1: Online-Presse- und Rundfunkarchive Folge: Die Zeitungen sind im Prinzip verpflichtet, ihre Archive ständig nach (mittlerweile) persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalten zu durchforsten, und archivierte Artikel zu entfernen, wenn das Individualschutzinteresse das Berichterstattungsinteresse überwiegt Seite 12
13 Agenda 1 Grundthese 2 Archivierung und Persönlichkeitsschutz Ein Grundkonflikt 3 Praxisbeispiel 1: Online-Presse- und Rundfunkarchive 4 Praxisbeispiel 2: Pflichtablieferung von Netzpublikationen bei der DNB 5 Schlussfolgerungen und offene Fragen für die Diskussion Seite 13
14 Praxisbeispiel 2: Pflichtablieferung von Netzpublikationen bei der DNB Nach dem DNB-Gesetz und der Pflichtablieferungsverordnung müssen zukünftig (abgesehen von zahlreichen Ausnahmen) grundsätzlich alle Netzpublikationen (jedenfalls soweit sie nicht rein privaten, internen oder gewerblichen Zwecken dienen) zur Archivierung bei der Deutschen Nationalbibliothek abgeliefert werden Das betrifft (demnächst) auch Webseiten, Weblogs, Podcasts, sogar Software und Musik etc. Seite 14
15 Praxisbeispiel 2: Pflichtablieferung von Netzpublikationen bei der DNB In einem zweiten Schritt sollen sogar Harvestingverfahren entwickelt und eingesetzt werden Das würde zur flächendeckenden Erfassung führen, im Zweifel ohne Selektion aufgrund rechtlicher oder der gesetzlich (im DNBG) vorgesehenen Ausnahmen So ausdrücklich 8 PflAV: Sie (die Bibliothek) kann nicht sammelpflichtige Netzpublikationen archivieren, wenn zur Sammlung eingesetzte automatisierte Verfahren eine Aussonderung solcher Netzpublikationen nicht oder nur mit beträchtlichem Aufwand erlauben. Auch andere große Web-Archive wie v. a. Archive.org/The Wayback Machine verfolgen denselben Ansatz undifferenzierter automatisierter Erfassung und Nutzbarmachung (ist das anders überhaupt machbar?) Seite 15
16 Praxisbeispiel 2: Pflichtablieferung von Netzpublikationen bei der DNB Dem stehen Urheber- und Urheberpersönlichkeitsrecht, Datenschutz- und allgemeines Persönlichkeitsrecht häufig entgegen Das gilt mangels einschlägiger Sonderbefugnisse schon für Erfassung und Nutzbarmachung rechtmäßiger Publikationen Darüber hinaus aber enthalten gerade Webpublikationen massenhaft personenbezogene Informationen und Daten (und urheberrechtlich geschützte Werke), die gar nicht hätten veröffentlicht werden dürfen oder deren Veröffentlichung irgendwann rechtswidrig wird D.H. in vielen Fällen werden schon die Originalpublikationen in solche Rechte eingreifen, häufig wird eine Weitergabe an die bzw. Übernahme durch die DNB nicht zulässig sein (z. B. weil sie durch etwaig erforderliche Einwilligungen nicht abgedeckt ist) und häufig wird eine zunächst zulässige Nutzung mit Zeitablauf unzulässig Seite 16
17 Praxisbeispiel 2: Pflichtablieferung von Netzpublikationen bei der DNB Auch wenn das DNB-Web-Archiv nach eigenen Angaben nicht online zugänglich gemacht werden soll, ist es öffentlich (vor Ort) einsehbar Abstufungen bei den Nutzungs- und Zugangsbefugnissen dürften m. E. angesichts der Masse des Materials kaum realisierbar sein (sind auch ersichtlich nicht vorgesehen) Damit stellen sich urheber-, datenschutz- und persönlichkeitsrechtlicher Sicht grundsätzlich die gleichen Fragen Auch faktisch: Durch Online-Kataloge ist es leicht und jedermann möglich, Rechtsverletzungen aufzuspüren Seite 17
18 Praxisbeispiel 2: Pflichtablieferung von Netzpublikationen bei der DNB Die Dimensionen solcher Konflikte sind schon aufgrund der Menge der zu archivierenden Publikationen (auch durch denen Herkunft meist aus nichtprofessionellen Quellen, Web 2.0 usw.) mit herkömmlichen Pflichtabgaben nicht vergleichbar Weder DNBG noch Urheberrechtsgesetz, Datenschutz- oder Persönlichkeitsrechte enthalten Sonderregelungen oder Kollisionsnormen So entstehen Konflikte zwischen Ablieferungspflicht (Verpflichtete begehen bei Ablieferung u. U. Rechtsverletzungen, Nichtablieferung ist Ordnungswidrigkeit), Archivierung und Nutzbarmachung durch DNB und Individualrechten, für die keine Lösung ersichtlich ist Seite 18
19 Agenda 1 Grundthese 2 Archivierung und Persönlichkeitsschutz Ein Grundkonflikt 3 Praxisbeispiel 1: Online-Presse- und Rundfunkarchive 4 Praxisbeispiel 2: Pflichtablieferung von Netzpublikationen bei der DNB 5 Schlussfolgerungen und offene Fragen für die Diskussion Seite 19
20 Schlussfolgerungen und offene Fragen für die Diskussion Die digitale Archivierung stößt auf rechtliche Grenzen, deren Existenz noch nicht hinreichend erkannt wurde Klare Rechtsgrundlagen, die die legitimen Archivierungsinteressen der Allgemeinheit und die individualrechtlichen Interessen der Betroffenen in einen angemessenen Ausgleich bringen und rechtssichere, praktikable Handlungsanweisungen für die archivierenden Stellen vorsehen, fehlen bislang Seite 20
21 Schlussfolgerungen und offene Fragen für die Diskussion Braucht es daher neue spezielle Sonderregelungen oder Kollisionsnormen? Wie könnten die aussehen? Wie kann ein Interessensausgleich aussehen? Ist ein Abgehen vom opt-in- Grundprinzip durch Einwilligungen zugunsten von Opt-out-Regelungen für (manche) Archive denkbar? Kann vom Grundsatz der einzelfallbezogenen Abwägung zugunsten konkreter (praxisorientierter) eindeutiger pauschaler Regelungen abgewichen werden? Seite 21
22 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Seite 22
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