Gentech-Petunien in Köln Das erste Freisetzungsexperiment in Deutschland
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- Franziska Busch
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1 1 Leonardo - Wissenschaft und mehr Sendedatum: 13. Mai 2015 Gentech-Petunien in Köln Das erste Freisetzungsexperiment in Deutschland von Michael Lange Atmo: Rufe und Pfiffe von Demonstranten. Etwa 200 Gentechnik-Gegner hatten sich vor dem Tor des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung versammelt. Hier am Kölner Stadtrand, wo sonst nur die Autobahn rauscht, sollten am 14. Mai 1990 erstmals in Deutschland genmanipulierte Pflanzen freigesetzt werden. Auch Reporter des WDR waren da und sprachen mit einer Demonstrantin. O-Ton, unbekannte Demonstrantin: Also keiner kann sagen, was wirklich passiert mit diesem genmanipulierten Material, was dann irgendwann in den Boden hereinkommt, und aufgenommen wird von anderen Organismen. Da gibt es überhaupt keine Abschätzung drüber. Das Bündnis Kölner Bürgerinnen beobachten Petunien hatte zum Protest aufgerufen. Der Biologe Joachim Spangenberg arbeitete damals für die SPD- Fraktion und war von Anfang an dabei. Das war eine Zeit, in der sehr viele Diskussionen über die potentiellen Risiken der Gentechnik liefen und ein zunehmendes Misstrauen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft aufkam. Und dann wurde direkt vor meiner Haustür das erste Freisetzungsexperiment beschlossen. Vor dem geschlossenen Tor versammelten sich die Demonstranten. Auf der anderen
2 2 Seite hinter dem Tor stand der damalige Versuchsleiter und heutige Direktor Emeritus des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung Heinz Saedler. Das war hier vor Ort schon aufgeheizt. Das ist keine Frage. Aber es war nicht so, dass es den Betrieb gestört hätte. So weit ging es nicht. Die Polizei wollte viel drastischere Maßnahmen ergreifen. Die haben wir unterbunden und gesagt: Das wollen wir nicht. Wir wollten keinen Krieg daraus machen. Was folgte, waren weitere Aktionen gegen die Gentechnik. Die meisten blieben friedlich, erinnert sich Joachim Spangenberg. Ich habe das damals als ähnlich empfunden wie eine Sitzblockade vor einem Militärlager. Es ist illegal, man muss mit den Konsequenzen leben, aber es tut keinem weh. Es hat aber ein paar Idioten gegeben, die Drohungen gemacht haben, und einmal ist sogar glaube ich eine Brandbombe in den Keller des MPI geworfen worden. Die Max-Planck-Forscher reagierten irritiert. Mit so viel Widerstand hatten sie nicht gerechnet. Selbst Wissenschaftler, die sich für den Frieden engagierten und sonst viel mit Studenten diskutierten, schotteten sich ab. Es hat bei den Wissenschaftlern, meiner Beobachtung nach, zu einer ziemlichen Paranoia geführt, die dazu führte, dass Diskussionen abgebrochen wurden. Eine völlige Verhärtung der Positionen. Die fühlten sich im Belagerungszustand und waren nur noch auf Verteidigung aus, und das ist eine sehr schlechte Grundlage für einen Dialog. Den Wissenschaftlern ging es so sagten sie - um reine Grundlagenforschung. Sie wollten genmanipulierte Petunien aussäen und in einem Experiment springende
3 3 Gene im Erbgut von Pflanzen nachweisen. Das sind Erbanlagen, die ihre Position im Erbmolekül DNA verlassen und sich an anderer Stelle wieder in das Erbgut der gleichen Pflanze einbauen. Um das Springen der Gene sichtbar zu machen, hatten die Forscher ein Farb-Gen aus dem Mais in weiße Petunien eingeschleust, so dass diese lachsrot leuchteten. Sobald aber zufällig ein springendes Gen in das Mais-Gen hineinsprang, sollten aus lachsroten Blüten wieder weiße Blüten werden. O-Ton Heinz Saedler: Es waren so ungefähr Petunien, die wir da ausgebracht hatten. Die produzieren jeder im Laufe ihres Lebens 50 Blüten mal 50, das ergibt drei Millionen Blüten. Und da hatten wir eine Handvoll Mutanten erwartet. Also eine Handvoll gesprenkelte. Durch die springenden Gene sollte die lachsrote Färbung also nur bei einigen wenigen Pflanzen verschwinden. Aber es kam anders, erinnert sich Heinz Saedler. Das war die große Überraschung. Es waren nicht wenige, sondern es waren bis zu sechzig Prozent. Da haben wir gesagt: Da stimmt ja was nicht. Ein lachsrotes Blütenmeer mit nur wenigen weißen Punkten hatte man erwartet. Stattdessen gab es massenhaft unterschiedlich gesprenkelte Blüten. Ein wunderschöner Anblick aber ein wissenschaftliches Desaster. Die Forscher waren zunächst ratlos. Die Gentechnik-Gegner sahen sich bestätigt. Die Natur lässt sich eben nicht so einfach ins Handwerk pfuschen. Heinz Saedler jedoch sieht in dem unerwarteten Ergebnis keinen Misserfolg. Die Ursache so erklärt er - war die damals noch weitgehend unbekannte Epigenetik, die biochemische Steuerung der Gene ausgelöst von Umweltfaktoren. Die Sonnenstrahlung im Freiland führte dazu, dass natürliche Steuerungsfaktoren in den Zellen die fremden Farb-Gene ausschalteten. Die eingeschleusten Gene wurden dadurch in einigen Zellen inaktiviert und die lachsrote Farbe verschwand. Ganz ohne springende Gene. Heute
4 4 kennen Pflanzenforscher viele solche epigenetischen Effekte. Die Epigenetik ist zu einem wichtigen und anerkannten Forschungsfeld geworden insbesondere in der Medizin. Durch sie haben die Forscher gelernt, wie Gene und Umwelt zusammenwirken. Wissenschaft ist so, dass man eigentlich hofft, dass man etwas sieht, was man nicht vermutet hat. Nur dann kommt man weiter, wenn man das dann analysiert. Insofern stoßen da zwei Welten aufeinander. Atmo: Rufe und Pfiffe von Demonstranten. Am 14. Mai 1990 standen sich Gentechnik-Gegner und Befürworter unversöhnlich gegenüber. Die Wissenschaftler zogen sich hinter ihren Zaun zurück. Die Gegner kletterten nachts über die Zäune, pflanzten falsche Petunien auf dem Versuchsacker - und die Forscher mussten sie am nächsten Tag wieder aussortierten. Der friedliche Protest hatte das Experiment nicht verhindert, aber die Wissenschaftler verunsichert und damit sein Ziel erreicht, meint Joachim Spangenberg. Für ihn und viele andere ging es ohnehin nicht um ein paar tausend Petunien auf einem Versuchsfeld. Die Petunien wurden gesehen als eine kleine harmlose, hübsche Pflanze, die einen Dammbruch bedeuten sollte oder einen Türöffner für weitere Freisetzungen, die dann nicht mehr die gleiche Harmlosigkeit hätten wie die Petunien selber. Joachim Spangenberg arbeitet mittlerweile als promovierter Volkswirt und Ökologe für das Umweltforschungszentrum UFZ in Halle. Er lehnt Gentechnik keineswegs rundweg ab. In der Medizin und der Pharmazie habe sie respektable Ergebnisse vorzuweisen anders in der Landwirtschaft.
5 5 Inzwischen gibt es den Nachweis, dass Gene ausgekreuzt werden können in andere Nutzpflanzen, aber auch in Schädlingsarten. Wir haben in zahlreichen Bereichen die Bestätigung, dass die Schädlingsresistenz-Gene in Unkräuter übergegangen sind. Und jetzt versucht man mit vermehrten Spritzmengen dagegen anzugehen. Die Umwelt sei nicht übermäßig belastet worden, kontern die Befürworter der Gentechnik jedenfalls nicht in der Weise, wie von den Gegnern befürchtet. Der ehemalige Institutsdirektor Heinz Saedler: Die Leute haben Ängste, obwohl es weltweit keinen Fall gibt, der darauf hindeutet, dass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ein großes Risiko darstellt oder überhaupt ein Risiko darstellt. Die negativen Folgen der Gentechnik zeigen sich heute woanders, entgegnet der Biologe und Ökonom Joachim Spangenberg. Es gibt Patentierung auf Saatgut. Es gibt weniger Möglichkeiten zum Nachzüchten. Es gibt Preiskontrolle durch einige große Firmen. Es gibt weniger Möglichkeiten gerade für Bauern in der dritten Welt ihre eigenen standortangepassten Sorten zu behalten und so weiter. Das heißt: Die sozialen und ökonomischen Folgen sind, glaube ich, bis heute nicht richtig ausdiskutiert. Falls die Wissenschaftler tatsächlich die landwirtschaftliche Gentechnik in Deutschland etablieren wollten, so ist ihnen dies nicht gelungen. Eine Aufklärungskampagne der Bundesregierung, die über Genetechnik informieren sollte, erhöhte sogar die Skepsis in der Bevölkerung. In der öffentlichen Meinung haben sich die Gentechnik-Gegner durchgesetzt. In Deutschland werden mittlerweile keine Freisetzungsversuche mehr durchgeführt. Der Widerstand wächst auch in
6 6 anderen Ländern. Heinz Saedler muss zugeben, dass er die Bevölkerung nicht überzeugen konnte. Als reiche Nation kann man sich leisten, was man will. Das akzeptiere ich. So ist eben die Welt, und deshalb findet bei uns keine Gentechnik statt. Aber sie erreicht uns natürlich durch die Hintertür. Gentechnisch manipulierte Baumwolle wird heute weltweit großflächig angebaut, in Nord- und Südamerika, aber auch in China und vielen Regionen Südostasiens. Ihre Produkte gelangen dann auch auf europäische Märke. Das gilt für Futtermittel aus genetechnisch veränderten Sojapflanzen genauso wie für genmanipulierte Schnittblumen. Die Gentechnik macht an Grenzen nicht halt.
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