Siebzehnter Abschnitt. Von den dissonanten Akkorden.
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- Daniela Boer
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1 Siebzehnter Abschnitt. Von den dissonanten Akkorden. Wenn in mehrstimmigen Sätzen mehrere Stimmen neben einander und zugleich melodisch sich bewegen sollen, so wird im allgemeinen die Regel festgehalten werden müssen, daß dieselben Konsonanzen mit einander bilden müssen. Denn nur wenn sie konsonant sind, findet eine ungestörte Mischung der ihnen entsprechenden Gehörempfindungen statt; sobald sie dissonant werden, stören sich die einzelnen Klänge gegenseitig und hemmen jeder den ungestörten Abfluß des anderen. Zu diesem mehr ästhetischen Motiv kommt noch das andere rein sinnliche, daß die konsonanten Zusammenklänge eine angenehme Art sanfter und gleichmäßiger Erregung der Gehörnerven geben, welche durch größere Mannigfaltigkeit sich von der eines einzelnen Klanges auszeichnet, während die Dissonanzen durch ihre Intermittenzen eine den Gehörnerven quälende und erschöpfende Art der Erregung zu Wege bringen. Indessen die Regel, daß die verschiedenen Stimmen eines mehrstimmigen Satzes miteinander Konsonanzen zu bilden haben, ist nicht ohne Ausnahme. Das ästhetische Motiv für diese Regel kann nicht dagegen sprechen, daß unter gewissen Bedingungen und für kurze Zeit die verschiedenen Stimmen dissonierend werden, wenn nur übrigens durch die Art der Stimmführung dafür gesorgt ist, daß die Führung der nebeneinander hergehenden Stimmen durchaus klar bleibe. Es kommen also dann zu dem allgemeinen Gesetze der Tonleiter und Tonart, dem die Führung jeder Stimme unterworfen ist, noch besondere Gesetze für die Führung der Stimmen in dissonanten Akkorden. Ferner kann auch das sinnliche Motiv der größeren Annehmlichkeit der Konsonanzen die Dissonanzen nicht ganz ausschließen. Denn wenn auch das sinnlich Angenehme ein wichtiges Unterstützungsmittel der ästhetischen Schönheit ist, so ist es damit doch nicht identisch. Im Gegenteil brauchen wir in allen Künsten vielfach seinen Gegensatz, das sinnlich Unangenehme, teils um durch den Kontrast die Lieblichkeit des ersteren heller hervorzuheben, teils am einen kräftigeren leidenschaftlichen Ausdruck zu erreichen. In demselben Sinne werden die Dissonanzen in der Musik gebraucht. Teils sind sie Mittel des Kontrastes, am den Eindruck der Konsonanzen hervorzuheben, teils Mittel des Ausdrucks, und zwar nicht bloß für besondere und einzelne Gemütsbewegungen, sondern sie dienen ganz allgemein dazu, den Eindruck des Forttreibens und Vorwärtsdrängens in der musikalischen Bewegung zu verstärken, indem das von Dissonanzen gequälte Ohr sich nach dem ruhigen Dahinfließen des Stromes der Töne in reinen Konsonanzen zurücksehnt. In diesem letzteren Sinne finden sie namentlich unmittelbar vor dem Schlusse eine hervortretende Art der Anwendung, und hier sind sie auch von den alten Meistern der polyphonen Musik des Mittelalters schon regelmäßig gebraucht worden. Aber auch dieser Zweck ihres Gebrauchs fordert, daß die Stimmbewegung so eingeleitet sei, daß der Hörer von vornherein bemerke, wie die Stimmen einem konsonanten Schlusse zudrängen, der zwar verzögert oder auch vereitelt werden kann, dessen Vorgefühl aber doch das einzige rechtfertigende Motiv für die Existenz der Dissonanzen ist.
2 Die Zahl der möglichen dissonanten Akkorde wäre unendlich groß, weil alle möglichen irrationalen Tonverhältnisse dissonant sind, und nur die Zahl der Konsonanzen beschränkt ist, wenn nicht die einzelnen Stimmen, welche einen dissonanten Akkord zusammensetzen, aus den angeführten Rücksichten dem Gesetze der melodischen Bewegung folgen, d. h. sich innerhalb der Tonleiter bewegen müßten. Konsonanzen haben ein selbständiges Recht zu existieren, nach ihnen haben sich unsere modernen Tonleitern gebildet. Dissonanzen aber sind nur als Durchgangspunkte für Konsonanzen erlaubt. Sie haben kein selbständiges Recht der Existenz, und die Stimmen in ihnen bleiben deshalb demselben Gesetze des Fortschritts in den Stufen der Tonleiter unterworfen, welches zu Gunsten der Konsonanzen festgestellt ist. Indem wir zur Aufzahlung der einzelnen dissonanten Intervalle übergehen, bemerke ich, daß man in der theoretischen Musik gewöhnlich diejenige Lage der dissonanten Akkorde als die normale betrachtet, in welcher ihre einzelnen Töne eine Reihe von Terzen mit einander bilden. Namentlich ist dies die Regel bei den Septimenakkorden, welche aus dem Grundton, dessen Terz, dessen Quinte und dessen Septime bestehen. Die Quinte bildet mit der Terz, die Septime mit der Quinte wiederum ein Terzintervall. So können wir uns die Quinten aus zwei Terzen, die Septimen aus drei Terzen zusammengesetzt denken. Durch Umkehrung der Terzen erhalten wir die Sexten, durch Umkehrung der Quinten die Quarten, durch Umkehrung der Septimen die Sekunden. Wir finden also auf diesem Wege alle in der Tonleiter vorkommenden Intervalle. Wenn wir die von uns modifizierte Hauptmannsche Bezeichnungsweise der Töne anwenden, ergibt sich auch leicht, wie die verschiedenen Intervalle gleichen Namens sich in der Größe unterscheiden. Wir müssen nur beachten, daß c (hier geschrieben als c) um ein Komma höher ist als c,,,c um zwei Kommata tiefer als,c, um eines tiefer als c. Ein Komma aber ist etwa der fünfte Teil eines halben Tons. Um gleichzeitig eine anschauliche Übersicht zu geben, teils über die Größe, teils über die Rauhigkeit der einzelnen dissonanten Intervalle, habe ich die Fig. 1 konstruiert, in welcher die Kurve der Rauhigkeit aus Fig. 0 A (S. 318) kopiert ist. Die Grundlinie X Y bedeutet das Intervall einer Oktave, in welches die einzelnen konsonanten und dissonanten Intervalle nach ihrer Breite in der Skala eingetragen sind. Auf der unteren Seite der Grundlinie sind die zwölf gleichen Halbtöne der temperierten Skale abgeteilt, auf der oberen die konsonanten und dissonanten Intervalle, welche in den natürlichen Tonleitern vorkommen. Die Breite dieser Intervalle ist immer von dem Punkte X bis zu der betreffenden senkrechten Linie hin zu nehmen. Die Lote, welche den Konsonanzen entsprechen, sind bis zum oberen Rande der Zeichnung verlängert, die der Dissonanzen dagegen kürzer gehalten. Die Höhe dieser Lote bis zu dem Punkte hin, wo sie die Rauhigkeitskurve schneiden, entspricht der Rauhigkeit, welche der betreffende Zusammenklang, in der Klangfarbe der Violinen ausgeführt, etwa erzeugen würde. Die verschiedenen Terzen, Quinten und Septimen der Tonart finden wir, wenn wir die Töne der Leiter nach Terzen ordnen.
3 A. Töne der Durleiter: H d f a c c g h d f a / 32 /27 / / / 32 /27 B. Töne der Molltonleiter: H d f c g h d f as / 32 /27 / / / 32 /27 /. Für die Molltonleiter ist die gewöhnliche Form mit großer Septime genommen worden, weil die Leiter mit kleiner Septime keine anderen Intervalle gibt als die Durtonleiter. I. Terzen und Sexten. In der natürlichen Dur- und Molltonleiter kommen, wie man in der obigen Aufstellung sieht, dreierlei Arten von Terzen vor, welche umgekehrt ebenso viele Arten von Sexten geben, nämlich: l) Die natürliche große Terz und ihre Umkehrung, die kleine Sexte 8 / beide konsonant. 2) Die natürliche kleine Terz / und ihre Umkehrung, die große Sexte /3 ebenfalls beide konsonant. 3) Die Pythagoräische kleine Terz 32 /27 zwischen den Grenztönen der Tonart d und f. Führte man die Stimmung d statt d ein, so würde dasselbe Intervall sich zwischen h und d zeigen. Vergleicht man diese dissonante Terz d f mit der konsonanten kleinen Terz d f der Größe nach, so ist erstere um ein Komma enger als letztere, da d um ein Komma höher als d ist. Die Pythagoräische kleine Terz steht der natürlichen kleinen Terz an Wohlklang etwas nach, aber ihr Unterschied in dieser Beziehung ist nicht so groß, wie der der entsprechenden beiden großen Terzen. Der Unterschied beruht einmal darin, daß die große Terz eine vollkommenere Konsonanz ist als die kleine Terz, und jener Verstimmung daher mehr schadet, als dieser. Dann findet sich aber auch in den Kombinationstönen ein Unterschied. Die reine kleine Terz d"' f "' (1413 Hz Hz)- bildet den Kombinationston b (=23 Hz), ergänzt sich also zum reinen B-Dur-Dreiklange. Die Pythagoräische Terz d'" f '" gibt den Kombinationston a, ergänzt sich also zu dem Akkorde d f a, der kein ganz richtiger Mollakkord ist. Da aber die unrichtige Quinte a nur schwach in den tiefen Kombinationstönen liegt, merkt man den Unterschied kaum. Außerdem ist es auch praktisch fast unmöglich, das Intervall so genau zu stimmen, daß der Kombinationston a und nicht a wird. Bei der Pythagoräischen großen Terz c" e"
4 ist aber der Kombinationston cis, was natürlich viel störender ist, als die nicht ganz reine Quinte a bei dem Zusammenklänge d f. Die Pythagoräische große Terz kommt in den von der harmonischen Musik geforderten Stimmungen der Tonleitern nicht vor. Wenn man in der Molltonleiter die kleine Septime b statt b benutzen wollte, würde b d eine solche Terz sein. Die Umkehrung der Terz d f ist die Pythagoräische große Sexte f d, 27 /1 um ein Komma größer als die natürliche große Sexte, der sie an Wohlklang sehr bedeutend nachsteht, wie Fig. 1 deutlich zeigt. II. Quinten und Quarten. Die Quinten setzen sich einfach aus je 2 Terzen zusammen; je nach der Art der Terzen, welche wir zusammensetzen, erhalten wir die verschiedenen Arten der Quinten. 4) Die reine Quinte 3 /2, bestehend aus einer natürlichen großen und einer eben solchen kleinen Terz. Ihre Umkehrung ist die reine Quarte 4 /3 beide sind konsonant. Beispiele in der Durtonleiter: f c, a e, c g, e h, g d. ) Die unreine Quinte d a, 40 /27, um ein Komma kleiner als die reine Quinte d a, besteht aus der großen und der Pythagoräischen kleinen Terz. Sie klingt wie eine schlecht gestimmte Quinte, und macht deutlich zu unterscheidende Schläge. In der eingestrichenen Oktave ist die Zahl dieser Schläge 11 in der Sekunde. Ihre Umkehrung ist die unreine Quarte a d, 27 /20, welche ebenfalls entschieden dissonant ist. Die Quarte a d macht eben so viel Schläge wie die Quinte d a', wenn in beiden der Ton d der gleiche ist. ) Die falsche Quinte h f, 4, besteht aus einer natürlichen und einer Pythagoräischen kleinen Terz h d und d f, und ist deshalb, wie die Notenschrift schon andeutet, um etwa einen halben Ton kleiner als die reine Quinte. Sie ist eine ziemlich rauhe Dissonanz, an Rauhigkeit etwa der großen Sekunde gleichstehend. Ihre Umkehrung, die falsche Quarte oder der Tritonus, f h (drei Ganztöne umfassend f g, g a, a h), 4 /32, ist ihr an Rauhigkeit nahe gleich, und etwa um ein Komma kleiner. Nämlich nahehin ist die falsche Quinte h f gleich ces f, und wenn man dieses Intervall um ein Komma kleiner macht, erhält man ces f, welches eine falsche Quarte ist. Genau genommen, da ces nicht vollkommen gleich ist mit h, ist der Unterschied zwischen beiden Intervallen etwas kleiner als ein Komma, 81 /80, nämlich 2048 /202 oder abgekürzt 89 /88. Auf den Tasteninstrumenten fallen beide zusammen. 7) Die übermäßige Quinte der Molltonart h, 2 /1, besteht aus zwei großen Terzen g und g h. Sie ist nahehin um zwei Kommata kleiner als die kleine Sexte, wie man sieht, wenn man statt h das nahehin gleich hohe ces setzt. Es ist
5 h also gleich ces, die konsonante kleine Sexte ist aber es ces und ist um zwei Kommata höher als es. Die übermäßige Qninte ist merklich rauher als die natürliche kleine Sexte, mit der sie auf den Tasteninstrumenten zusammenfällt. Das umgekehrte Intervall, die verminderte Quarte h, 32 /2, ist dem entsprechend um zwei Kommata höher als die natürliche große Terz, und beträchtlich rauher als diese, fällt aber auf den Tasteninstrumenten mit ihr zusammen. Zwei natürliche kleine Terzen oder zwei Pythagoräische kommen in der natürlichen Terzenfolge der Dur- und Molltonleiter nicht nebeneinander zu stehen. Im Septimenund Quartengeschlecht können allerdings die Intervalle a und e, 3 /2, sich bilden, aus je zwei natürlichen kleinen Terzen zusammengesetzt; diese sind um ein Komma größer als die gewöhnlichen falschen Quinten h f (oder a es in b-dur, e b in f-dur), und sind merklich rauher als diese.
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