HANNS-SEIDEL-STIFTUNG E.V.
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1 HANNS-SEIDEL-STIFTUNG E.V. Berichte aus dem Ausland 7 / 2009 Politischer Bericht aus Brüssel Bilanz der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft Angela Ostlender / Markus Russ Verbindungsstelle Brüssel 1
2 IMPRESSUM Herausgeber Vorsitzender Hauptgeschäftsführer Copyright 2009, Hanns-Seidel-Stiftung e.v., München Lazarettstraße 33, München, Tel.: 089/1258-0, Online: Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.d., Senator E.h. Dr. Peter Witterauf Verantwortlich Ludwig Mailinger Leiter des Büros für Verbindungsstellen Washington, Brüssel, Moskau / Internationale Konferenzen Hanns-Seidel-Stiftung e.v. Tel.: oder -204 Fax: mailing@hss.de Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung sowie Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil dieses Berichtes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Hanns-Seidel-Stiftung e.v. reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Das Copyright für diese Publikation liegt bei der Hanns-Seidel-Stiftung e.v. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Die Autoren tragen für ihre Texte die volle Verantwortung. 2
3 Bilanz der tschechischen Ratspräsidentschaft Unter dem Motto Ein Europa ohne Grenzen übernahm die Tschechische Republik am 1. Januar 2009 für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft. Vor dem Hintergrund internationaler Krisen, noch offener Fragen zum Fortgang des EU-Reformvertrags von Lissabon und nicht zuletzt auch starker innenpolitischer Spannungen war diese Ratspräsidentschaft nicht nur für die Tschechische Republik, sondern auch für die Europäische Union eine große Herausforderung. Die Erwartungen waren daher im Vorfeld auch weitaus geringer als beim viel gelobten Vorgänger Frankreich. In der Presse wurde bereits nach knapp drei Monaten vom Ende der tschechischen Ratspräsidentschaft gesprochen, als der tschechische Ministerpräsident Topolanek eine Vertrauensabstimmung im Parlament verlor, der ein Rücktrittsangebot folgte. Bis zur Ernennung seines Nachfolgers Jan Fischer am 9. Mai blieb Topolanek kommissarisch im Amt. Ein Beamtenkabinett leitet seitdem die Amtsgeschäfte bis zu den vorgezogenen Neuwahlen, die Mitte Oktober vorgesehen sind. Ein Lichtblick war die breite Zustimmung (54:20) des tschechischen Senats am 6. Mai für den Reformvertrag von Lissabon, auch wenn diese durch die Unterschriftsverweigerung des Präsidenten Václav Klaus getrübt wurde. Der Zeitpunkt des Regierungssturzes war denkbar ungünstig. Es gelang der tschechischen Regierung dennoch, inhaltlich besonders im Energiebereich und im Bereich der östlichen Partnerschaft wichtige Impulse für die Zukunft zu setzen. Hauptziel im Bereich der Energiepolitik war eine Erhöhung der Unabhängigkeit von Russland durch den Bau einer Pipeline mit direktem Zugang zu Gasvorkommen am Kaspischen Meer (sog. Nabucco-Pipeline oder Südlicher Gaskorridor ), ohne Durchquerung russischen Territoriums. Auf ihrem Gipfeltreffen am 8. Mai unterzeichneten die EU, die Türkei, Georgien, Aserbaidschan und Ägypten die Erklärung zur Zusammenarbeit bei Energieprojekten. Diese Zusammenarbeit soll auch für Drittländer offen sein, womit Gaslieferungen aus Mittelasien, dem Iran und dem Irak möglich werden. Vertreter aus Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan waren anwesend, haben das Dokument jedoch nicht unterzeichnet. Anzumerken ist, dass Aserbaidschan nicht genug Gas liefern kann, um die Nabucco-Pipeline rentabel zu machen. Die Türkei und die EU verpflichten sich, bis Ende Juli ein Abkommen über Nabucco zu unterzeichnen. Die Türkei gab mittlerweile ihre ursprüngliche Position auf, im Gegenzug dafür die Eröffnung des Energiekapitels der EU-Beitrittsverhandlungen zu erwarten. Die Energie-Partnerschaft war neben der Finanz- und Wirtschaftskrise ebenfalls einer der Schwerpunkte des EU-Russland Gipfels am in Chabarowsk. Die EU, noch unter Führung von Staatspräsident Václav Klaus als Vertreter der Ratspräsidentschaft, des Hohen Beauftragten Solana und von Kommissionspräsident Barroso, konnte den russischen Staatspräsidenten Medwedjew jedoch nicht zu einer Ratifizierung der Energiecharta über eine Liberalisierung der Energiemärkte bewegen. Laut Presseberichten hat Moskau einem Frühwarnsystem für Störungen in der Gasversorgung zugestimmt. Keine Annäherung gab es auch in Handelsfragen. Vor einem Abkommen erwartet die EU, dass Russland der Welthandelsorganisation (WTO) beitritt. Dies setzt wiederum voraus, dass Russland die Gebühren für Flüge über Sibirien, die Ausfuhrzölle auf Holz und die Einfuhrabgaben auf PKWs, Stahl und Milch aufgibt. Keine Rolle bei den Gesprächen spielte der Georgien- Konflikt. 3
4 Bei einem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU mit der Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Georgien, Armenien und Aserbaidschan einigten sich die Teilnehmer am 7. Mai auf eine Erklärung zum Aufbau der sog. Östlichen Partnerschaft. Mit den genannten Ländern strebt die EU Assoziierungsabkommen an, die insbesondere Handelserleichterungen und langfristig Visabefreiungen enthalten sollen. Eine Beitrittsperspektive ist damit nicht verbunden. Mit etwa 600 Mio. EUR jährlich fördert die EU den Aufbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie Maßnahmen zur wirtschaftlichen Entwicklung. Wie bei der Mittelmeerunion ist vorgesehen, dass auf Staats- und Regierungschefebene alle zwei Jahre und auf Außenministerebene jedes Jahr ein Treffen stattfindet, das von vier Plattformen vorbereitet wird, die im Juni erstmals zusammen gekommen sind. Hervorzuheben ist das eher geringe Interesse westlicher EU-Staaten an der Östlichen Partnerschaft. In Prag war von den vier größten EU-Mitgliedstaaten nur Deutschland, mit Bundeskanzlerin Merkel, auf höchster protokollarischer Ebene vertreten. Anstelle des französischen Präsidenten Sarkozy nahm der französische Premierminister Fillon diesen Termin wahr. Großbritannien wurde durch Außenminister Milliband vertreten und Italien durch Sozialminister Sacconi. Spanien, Portugal und Luxemburg waren ebenfalls nur durch ihre Außenminister vertreten und Österreich durch seinen Ständigen Vertreter bei der EU. Seitens der EU nahmen die Präsidenten von Rat, Kommission und EP, sowie der Hohe Beauftragte Solana teil. Weißrussland und Moldawien waren ebenfalls nicht höchstrangig, sondern nur durch stellvertretende Premierminister vertreten. Im Mittelpunkt der ersten multilateralen Plattform der Östlichen Partnerschaft, die am 5. Juni in Brüssel stattfand, standen die Themen Demokratie, gute Regierungsführung und Stabilität. Die anderen Plattformen zu den Bereichen wirtschaftliche Integration, Energie und persönliche Kontakte zwischen Menschen werden ebenfalls im Laufe des Monats Juni ihre Arbeiten aufnehmen. Nur wenig Beachtung fand ein Treffen der EU-Troika (Vertreter der derzeitigen tschechischen und der zukünftigen schwedischen und spanischen EU-Ratspräsidentschaft) mit Vertretern von Sozialverbänden und den Sozialpartnern, das ebenfalls am 7. Mai stattfand und ursprünglich als Beschäftigungsgipfel vorgesehen war. In diesem Rahmen wurden Initiativen zur Ausweitung von Kurzarbeit, zur Arbeitsplatzsicherung und Arbeitsmarktbelebung besprochen. Die EU-Kommission wird dem Europäischen Rat im Juni konkretere Vorschläge unterbreiten. In der Kritik standen vor allem die fehlenden Impulse zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Bei ihrem Gipfeltreffen am 18./ sprachen sich die Regierungschefs der Mitgliedstaaten einstimmig für eine 2. Amtszeit des bisherigen EU- Kommissionspräsidenten Barroso aus. Vor dem Hintergrund der ablehnenden Haltung von Sozialisten und Grünen verzichtete der Europäische Rat zunächst auf einen förmlichen Vorschlag. Während des Gipfels einigte man sich auf ein Protokoll zum Lissabon-Vertrag mit rechtlich bindenden Auslegungen, wodurch den irischen Wählern bei einem erneuten Referendum im Oktober die Zustimmung zum EU-Reform-Vertrag erleichtert werden soll. Die Staats- und Regierungschefs der EU bekräftigten, dass weiterhin ein Staatsangehöriger jedes Mitgliedstaates der Kommission angehören wird. Irland erhielt ferner die Zusicherung, dass in einem mit dem nächsten Erweiterungsvertrag zu ratifizierenden Protokoll klargestellt wird, 4
5 dass dieser Vertrag keine Änderungen in der Steuerpolitik, beim irischen Abtreibungsverbot, bei Bildung und Familie sowie bei der militärischen Neutralität nach sich zieht. Irland wird mit seiner Ratifikation eine Erklärung abgeben, wonach eine irische Beteiligung an Militäraktionen nur von Irland und nur im Rahmen eines Mandats des Sicherheitsrates oder der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen werden kann. Einigkeit bestand auch hinsichtlich einer neuen Finanzaufsicht auf europäischer Ebene, mit einem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken unter einem von allen 27 Zentralbankpräsidenten der EU ( Erweiterter Rat der EZB ) zu wählenden Präsidenten und einem Europäischen Finanzaufsichtssystem mit drei neuen Europäischen Finanzaufsichtsbehörden (für Banken, Versicherungen und Wertpapierhandel), das bei Uneinigkeit zwischen nationalen Aufsichtsbehörden verbindliche Beschlüsse fassen kann und auch die Aufsichtsbefugnis über Rating-Agenturen erhält. Entscheidungen dieser Behörden dürfen aber nicht zu Belastungen der nationalen Haushalte führen. Schließlich gab der Europäische Rat eine feierliche Erklärung zu den Rechten der Arbeitnehmer und zur Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten für Bildung, Gesundheit und Dienste der Daseinsvorsorge ab. Fazit: Ende gut - alles gut. Auch wenn der Beginn der tschechischen Ratspräsidentschaft recht holprig verlief, konnten sie trotz der großen innenpolitischen Spannungen mehr erreichen als so mancher erwartet hatte. Besonderes Lob gebührt Premierminister Fischer, der das Amt mitten in der tschechischen Ratspräsidentschaft übernehmen musste. Er selbst bemerkte treffend: Ich habe es des Öfteren gesagt, dass die tschechische Ratspräsidentschaft am Erfolg des letzten Gipfels gemessen werden wird. Ich hoffe, das ist wirklich so. Denn unser Juni-Gipfel war ein voller Erfolg. Für die schwedische Präsidentschaft werden im zweiten Halbjahr 2009 vor allem die langfristigen Herausforderungen wie die Finanz- und Wirtschaftskrise und der Klimawandel im Zentrum stehen. Die Umsetzung der zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise gefassten Beschlüsse des Europäischen Rates vom 18./ stehen dabei im Vordergrund. Vorrangig ist auch die Vorbereitung der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember. Als Antwort auf die verschlechterte Beschäftigungslage soll eine erneuerte Lissabon-Strategie im Frühjahr 2010 in Kraft treten. Prioritäten sind ferner die Aushandlung eines Stockholm-Programms für eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres, die Fortführung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und Kroatien sowie die Heranführungsstrategie für den Westbalkan, die Östliche Partnerschaft und die Strategie für den Ostseeraum. Verfasst von Angela Ostlender
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